Ein Pferd – nichts für den Heuermann

 

Das Pferd war die bessere Hälfte des Bauern…

Wie an anderer Stelle schon ausführlich erörtert (Seite..) hatten die Pferde auf den Bauernhöfen eine ganz besondere Stellung. Es war der besondere Stolz des Hofbesitzers, mindestens zwei gute Pferde nicht nur im Stall zu haben, sondern diese auch in seiner  „kleinen“ Welt präsentieren zu können. Und diese begrenzte Welt richtete sich weit gehend auch danach, wie weit man an  einem Tage mit dem Pferdefuhrwerk oder  der Kutsche ausfahren konnte.

 

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Foto: Archiv Robben

 

Ein Pferd – nur ein Statussymbol  für den Heuermann?

Da die landwirtschaftliche Nutzfläche der Heuerstelle in aller Regel gerade ausreichte, um ein oder zwei Kühe und wenige Schweine zu halten, war für die allermeisten Heuerleute dagegen ein Pferd reiner Luxus. Die Futtergrundlage ließ eine rentable Pferdehaltung einfach nicht zu.

Kap12-Bild-12-Heuermann vor der Egge-Tecklenburg

Deshalb war in fast allen – meist mündlichen – Heuerverträgen eine Gespannpflicht des Bauern dem Heuermann gegenüber festgelegt. Allerdings wurde die Aushilfe durch den Landwirt auch berechnet.

Foto: EL Heimatbund

Und gerade diese Rechnung fanden viele Heuerleute halt besonders belastend, weil sie die Berechnungsschlüssel kaum akzeptieren konnten. Im günstigsten Fall     wurde eine Pferdestunde mit der Arbeitsleistung von drei Menschenstunden verrechnet. An manchen Orten – eher noch auf manchen Höfen – wurde im  Verhältnis 1:6 zu Gunsten des Bauern getauscht.

                             Die Wertschätzung der Frau damals

 

Ein „besonderes“ Beispiel für die Stellung der Frau auf dem Lande damals soll hier vorgestellt werden – und dabei stand die Heuerlingsfrau noch weit unter der Bäuerin:

Während eine tragende Stute drei Monate vor und nach dem Abfohlen geschont wurde, galt für die schwangere Frau auf dem Lande eine Schonfrist von lediglich sechs Tagen: drei vor der Entbindung und drei danach.

Die  Erklärung dafür, die von älteren Zeitzeugen durchweg bestätigt wird, kann für uns heute nur unglaublich sein:

Während ein Pferd ähnlich wie eine Kuh ungemein teuer und somit kaum zu ersetzen war, fand sich ein Ersatz für eine verstorbene Frau ganz schnell in der Reihe der unverheirateten sog. Tanten oder der  Mägde. So wurde in der Regel auch schon nach drei Monaten wieder geheiratet. Ein Blick in die Kirchenbücher belegt das.

Die  berühmte  Malerin Paula Modersohn-Becker berichtete  dazu  aus dem Teufelsmoor bei Bremen.

Eine wahre Geschichte hier aus der Gegend: Jemand kommt in ein Bauernhaus und will  den Bauern sprechen. Die Frau steht am Feuer und sagt:  „He hett sick een beten hinleggt. Wi hebbt en beten unruhige Nacht hat. Sie hatte nämlich nachts ein Kind bekommen.

Rabenstein, S. 3

Dadurch war der Heuerling wiederum in besonderem Maße von seinem Bauern abhängig: Er musste um die Gespannhilfe anfragen. Ähnlich wie bei der Heu – und Getreideernte – nur nicht ganz so extrem – war er hier auch auf die Gunst des Bauern angewiesen. Bei der Frühjahresbestellung der Äcker etwa war es in aller Regel so, dass bei der günstigen Witterung zunächst die Felder auf dem Hof gepflügt wurden, erst dann wurden die Flächen auf der Heuerstelle versorgt. Gerade auch diesen Zustand empfanden viele Heuerlingsfamilien als äußerst belastend. Deshalb suchten sie nach einer Abhilfe. Die billigste Alternative war:  Der Heuermann spannte ich selbst vor den Pflug. Das ist wohl in seltenen Fällen so geschehen, wie es das Foto zeigt. Um in dieser Hinsicht unabhängig zu sein, spannten etliche Heuerleute ihre Kuh oder einen Ochsen an. Diese Tierart war den Pferden zwar weit unterlegen in der Zugleistung und auch in der Schnelligkeit, aber man war eben unabhängig.

Dennoch waren einige Heuerlinge so stolz, dass sie sich ein Pferd anschafften. Aus Erzählungen in verschiedenen Orten wird dazu allerdings berichtet, dass die Bauern das nur mit Häme betrachteten und entsprechend kommentierten.

Als später Molkereien aufkamen, haben viele Heuerleute den täglichen Fuhrdienst der Milchkannen übernommen. So konnten sie durch die Bezahlung für diese Tätigkeit sich nun ein Pferd als Zugtier leisten, das sie auch in ihrem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb einsetzen könnten.

 

Fotos: HV Emlichheim

 

 

 

In einigen Orten haben auch Fuhrdienste angeboten. Das wird aus Herzlake und Bersenbrück berichtet. Hier waren Bruchsteine für den Hausbau zu transportieren. Als dann der Kunstdünger aufkam, ließen sich etliche Bauern damit durch Fuhrunternehmer beliefern. Mit aufkommender Industrie konnten die Straßenverhältnisse deutlich verbessert werden. So mussten zumeist von den Bahnhöfen aus die Materialien zu den Baustellen geliefert werden. Aber auch Holztransporte fielen immer häufiger an wegen zunehmender Bautätigkeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unhaltbare Zustände noch 1929

Emslandnot!

Ein Zeitungsbericht aus dem Jahre 1929, erschienen in der Berliner Ausgabe der Deutschen Allgemeinen Zeitung, beschreibt die die damalige Situation im Emsland, wie der Reporter sie bei seiner Bereisung erlebt hatte:

Dieser nachfolgende Zeitungsartikel kam zustande, weil  in den Jahren 1927 und 1928 die deutsche Landwirtschaft eine tiefe Krise erschütterte. Da in der Grafschaft und im Emsland ohnehin eine große Rückständigkeit zum übrigen Deutschland bestand, steigerte sich diese Notsituation so, dass es zum Steuerstreik und zu Demonstrationen kam2. Daher entschloss sich der damalige Osnabrücker Regierungspräsident, überregionale Pressevertreter in das Emsland zur Bereisung einzuladen, um so auf die unhaltbaren Zustände auch in Regierungskreisen in Berlin aufmerksam zu machen und auf diesem Wege Fördergelder für die Emslanderschließung zu erhalten. So berichteten drei weitere überregionale Zeitungen fast deckungsgleich über die unmenschlichen damaligen Verhältnisse in dieser Region

Von einer „Emslandnot“ hatte die große Öffentlichkeit namentlich in der östlichen Hälfte des Reiches und ganz besonders in Berlin bisher noch kaum etwas vernommen.  Daher horchte man überrascht und einigermaßen ungläubig auf, als vor wenigen Tagen im Reichstag Hilfe aus öffentlichen Mitteln für das kulturell vernachlässigte Emsland nachdrücklich gefordert wurde.

Ein großer Teil des Emslandes, und zwar 75.000 Hektar, sind heute noch mit Moor und Heide bedeckt. … Tatsächlich haben wohl nur die wenigsten Teilnehmer dieser Fahrt in dieser äußersten Nordwestecke des Reiches Zustände vermutet, wie man sie jenseits unserer Ostgrenze in verluderten polnischen Dörfern findet. Die Wohnungsverhältnisse der Kleinbauern und Heuerlinge spotten vielfach selbst den primitivsten hygienischen Anforderungen und können ohne Übertreibung nur als menschenunwürdig bezeichnet werden.

Wie die Berichte der Ortspolizeibehörden melden, sind etliche Familien unzureichend untergebracht. Dieses „unzureichend“ ist ein sehr milde gewählter Ausdruck für diese jämmerlichen Hütten, deren besonders hervorstechendes Merkmal die so genannten Butzen sind, eingebaute niedrige Schlafschränke ohne Zugangsmöglichkeit für Luft und Licht, die gegebene Brutstätten sind für die im Emsland stark verbreitete Tuberkulose.

In einem Heuerhause, das besichtigt wurde, schlafen in zwei solchen Butzen die Eltern, zwei Söhne und Töchter im Alter von 21 Jahren bis herab zu einem drei Monate alten Säugling. Im Kreise Aschendorf zählt man noch heute 747 Häuser mit 1500 solcher Butzen, im Kreise Bentheim noch über 800 Für die  Ersetzung durch Bettstellen werden vom Kreise, von den Gemeinden und von der Landesversicherungsanstalt Prämien von 100 Mark ausgesetzt. Wie gerechtfertigt diese Notstandsmaßnahme ist, zeigen die Zahlen der tödlich verlaufenden Tuberkulosefälle: Allein im Kreise Meppen kamen 1925 auf 10.000 Einwohner 15 Tuberkulose -Tote, während die Durchschnittszahl in Preußen 10,93 auf 10.000 Einwohner beträgt.

Die Ernährungsweise der ländlichen Bevölkerung ist außerordentlich armselig, das tägliche Gericht sind für weite Kreise Kartoffeln und Brei. Die in den engen Wohnräumen von den morschen Deckenbalken herabhängenden Speckseiten können darüber nicht hinwegtäuschen: Sie stellen den Fettnahrungsbedarf einer Familie für das ganze Jahr dar.

er Boden, soweit er nicht dem Moore abgerungen werden muss, besteht größtenteils aus stark sandigen oder lehmigen Grünländereien, deren Anbauwert durch den seit Jahrhunderten immer wiederholten einseitigen Roggenanbau noch verschlechtert worden ist und unter Aufwendung erheblicher Arbeit und Geldmittel, besonders für künstliche Düngung, langsam behoben werden kann. Nicht weniger ungünstig sind die wasserwirtschaftlichen Verhältnisse des Emslandes. Nicht nur die Ems, sondern auch die übrigen kleineren Wasserläufe befinden sich zum großen Teil noch in ungeregeltem Zustande. Dadurch, dass die vorhandenen Entwässerungsgräben die großen Wassermengen aus dem regenreichen Gebiet nicht entfernt aufnehmen und ableiten können, ereignen sich im Frühjahr und Herbst häufig große Überschwemmungen, die oft den völligen Verlust der Grünfutterernte zur Folge haben.

 Nun die Verkehrsverhältnisse: Da die infolge der ungünstigen Bodenverhältnisse die leistungsschwachen Gemeinden keine größeren Mittel für den Bau von Straßen aufwenden konnten, sind im Emsland heute noch 112 Gemeinden ohne befestigte Straße und können die nächste Landstraße nur auf Sand- und Moorwegen erreichen, die bei Regenwetter völlig unpassierbar sind, wovon sich die Teilnehmer an der Besichtigungsfahrt durch eigenen Augenschein überzeugen konnten.

 Es ist vorgekommen, dass Verstorbene wochenlang in ihrer Wohnung liegen bleiben mussten, da der Zustand der Wege es unmöglich machte, sie zu einem Friedhof zu bringen. Ganz besonders übel sieht es in dieser Beziehung im Kreise Hümmling aus, der weder  eine Bahnstation noch auch nur einen Kilometer Provinzialstraße aufzuweisen hat. Im Kreise Meppen sind noch 46 Prozent aller Gemeinden ohne jeden Anschluss an eine befestigte Straße. Zu allen diesen Übeln tritt die Ungunst der an sich milden klimatischen Verhältnisse. Selbst in den wärmsten Sommermonaten begünstigen die Moor- und Sandböden das Auftreten von Nachtfrösten, so dass kaum ein Monat des Jahres vollkommen frostfrei bleibt.

Wenn man den Fuß über die holländische Grenze setzt, dann offenbart sich erst in geradezu beschämender Weise die Vernachlässigung des deutschen Emslandes. Das Bourtanger Moor, das sich vom Emsland aus weit in holländisches Gebiet erstreckt, ist jenseits der deutschen Grenze restlos kultiviert, während es auf deutscher Seite eine melancholisch stimmende, düstere Einöde ist, der nur hier und dort menschliche Unternehmungslust Ackerland abgerungen hat

Schlechtes Bauernhaus in Deutschland

 

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B A U E R N H A U S  I N   S C H Ö N I N G H S D O R F

Dieses Bauernhaus gehört zu einem der besseren im Emsland. Neben den Bauern steht der Heuerling, der nach neuzeitlichen Begriffen Mieter ist und Mitarbeiter. Dieses fast mittelalterliche Verhältnis, das den „Mieter und Mitarbeiter” zwingt, auf seiner Scholle zu bleiben, erklärt sich aus der Struktur dieses landschaftlichen Gebietes. Wegen der weiten Entfernung zwischen den einzelnen Bauernhöfen war das Zustandekommen eines landwirtschaftlichen Arbeiterstandes, dessen Angehörige von Hof zu Hof gehen, undenkbar. Daher blieben die Heuerlinge durch Generationen bei den Generationen der Bauern . Es wäre ihnen, da sich im laufe der Generationen ein Vertrauens verhältnis zwischen Bauer und Heuerling ergab, dann gut ergangen, wenn es dem Bauer gut ergangen wäre. Aber der Bauer litt Not, weil ihm die Verkehrswege zu den Absatzmärkten fehlten. Diese Verkehrswege fehlen zum größten Teile auch heute noch. Daher leidet der Bauer des Emslandes noch immer Not, nicht nur zu seinem Schaden, sondern zum Schaden des Volksganzen.

 

Vom Heuerling zum Neubauern (Brockmann/Schröder)

von Walter Brockmann und Karl-Heinz Schröder

 

In unserer Gegend (Grönegau, heute Stadt Melle) waren die Worte „Heuerhaus“ und „Heuerling“ zwar nicht unbekannt, wurden aber von der Bevölkerung kaum benutzt. Man sagte Kotten, oder, da ja früher fast nur Platt gesprochen wurde, Kourten und zu denen, die darin wohnten, Koürter oder dee Kourten Lühe.

Nachdem der 1822 in Sehlingdorf geborene Johann Heinrich Brockmann die 1819 in Oberholsten geborene Elisabeth Margarete Dickbreder am 30. Juli 1846 in Oldendorf gehei- ratet hatte, zog das junge Paar in das Hofgebäude Nr. 4a des aufgelösten Halberbe Wienker in Niederholsten. Das Hofgebäude hatte der Colon Niewöhner in Niederholsten erworben und diente als Heuerstätte.

Als das Halberbe Wienker, Niederholsten Nr. 4, aufgehoben wurde, weil der Besitzer nach Amerika auswanderte, kaufte Heinrich Brockmann mehrere Grundstücke von diesem Halberbe. Als Erstes erwarb er 1850 ein Waldgrundstück „Auf der Wagenhorst“ in Oberholsten. Ein Waldstück war damals unentbehrlich für die Landwirtschaft, denn man benötigte nicht nur Holz zum Heizen, sondern auch Einstreu für die Viehställe.

Im Viehschatzregister von 1864 steht Johann Heinrich Brockmann unter Hausnummer 4a noch als Heuerling mit drei Kühen und einem Mastschwein verzeichnet. Da er kein Pferd besaß, musste er mit seinen Kühen den Acker bearbeiten, die dadurch nicht mehr viel Milch geben konnten. Um etwas dazu zu verdienen, arbeiteten die Männer der „Kleinen Leute“ im Winter als Hausschlachter, Holzfäller oder im Steinbruch. Die Schinken des für den Eigenbedarf geschlachteten Schweins wurden verkauft, obwohl man die sicher gerne selbst gegessen hätte, aber wie sollte man sonst an Geld kommen? Von dem was von den Feldern geerntet wurde, konnte auch nicht viel verkauft werden, denn das wurde für den Eigenbedarf benötigt. Der Ertrag war früher bedeutend geringer als heute, denn es gab noch keinen Kunstdünger. Auch wurde zu der Zeit von den Frauen noch Flachs gesponnen und Leinen gewebt, welches dann verkauft wurde.

Von dem Erlös und aufgrund sparsamer Haushaltsführung kaufte Heinrich Brockmann weitere Ländereien hinzu, unter anderem vom ehemaligen Gut Feldmühle in Grambergen und dem aufgehobenen Viertelerbe Melcher in Niederholsten. Unklar ist, wie die Familie das nötige Geld erwirtschaften konnte. Denn Heuerleute, oder wie man hier sagte Kottenleute, gehörten zu den Armen, weil sie von ihrem Erwirtschafteten kaum leben konnten.

Von den sechs Jungen der Familie verstarb einer bereits im Kindesalter. Da in dieser Zeit für junge Männer kaum Aussicht bestand eine Arbeit zu bekommen oder auf einen Bauernhof einheiraten zu können, sind zwischen 1866 und 1881 vier Söhne der Familie nach Amerika ausgewandert und in Cincinnati sesshaft geworden. Ein weiterer Grund für die große Auswanderungswelle in diesen Jahren war die Annektierung des Königreichs Hannover durch Preußen im Jahre 1866. In Preußen herrschte die allgemeine Wehrpflicht, die es im Königreich Hannover nicht gegeben hatte, und der wollte man sich möglichst entziehen. Die beiden Mädchen heirateten und blieben im Kirchspiel Oldendorf.

Im Jahre 1870 erwarb Heinrich Brockmann von der Gemeinde Niederholsten eine auf einer Anhöhe gelegene Restfläche der Mark „Im Westerhauser Heg“, die früher als Versammlungs- und Veranstaltungsplatz gedient hatte. Hier errichtete er ein vom Colon Meyer zu Westerhausen erworbenes Fachwerkhaus, welches aus dem aufgelösten Vollerbe Kienker zu Westerhausen stammte. Was man mit einem aus Steinen gebauten Haus nicht machen kann, das geht mit einem Fachwerkhaus. Es wurde in Westerhausen abgebaut und in Nie- derholsten wieder aufgebaut, und bekam als Neubauerei die Hausnummer 13.

Gemeinsam mit seiner Frau Margarete setzte Johann Heinrich Brockmann alles da- ran, die neue Hofstelle so, wie im Grönegau üblich und den benachbarten Hofstellen vergleichbar, zu gestalten. Wegen der Hanglage auf einer Anhöhe gab es wenig Mutter- boden, aber viele Steine. Um einen Hausgarten anzulegen, trug Heinrich Brockmann den steinigen Boden etwa einen halben Meter tief ab. Nun wurde bei den Säuberungen im Herbst der Aushub aus den Gräben der Umgebung und der Schlamm aus dem Mühlenteich mit Pferd und Wagen auf die ausgehobene Fläche gebracht. So entstand nach sehr viel Mühe und Arbeit, da die Erde mit der Schaufel bewegt werden musste, weil es da- für noch keine Maschinen gab, ein fruchtbarer Garten. Mit den im Aushub gefundenen größeren Steinen errichtete er eine Feldsteinmauer. Zur weiteren Einfriedung pflanzte er Dornenhecken. Für deren Bewässerung musste seine Frau Margarete das Wasser aus einem etwa 200 Meter entfernten Tümpel holen, da der Brunnen hierfür nicht genügend Wasser hergab. Auf Fragen nach dem Zweck seiner Arbeiten antwortete er: „Dat sall een Paradies wäden“.

Man hatte als Neubauer zwar nicht weniger Arbeit, aber man arbeitete jetzt für sich selbst und nicht mehr überwiegend für den Verpächter, denn für die Pacht musste beim Bauern gearbeitet werden. Eine Frau, die im Bauernkotten groß geworden war und 1923 heiratete, hat uns folgendes erzählt: „Ich hatte einen jungen Mann kennengelernt,   des- sen Eltern ein kleines landwirtschaftliches Anwesen besaßen, welches er erben sollte. Es war jedoch so klein, dass eine Familie davon kaum leben konnte. Sie   besaßen nur drei Kühe und kein Pferd, mussten also mit den Kühen ackern. Das Anwesen hatte etwa die Größe einer Heuerstelle. Darum hatte sein Vater Schneider gelernt und sorgte somit für ein zweites Standbein. Kurz vor unserer Hochzeit hat meine Mutter, die nur Platt sprach, Folgendes zu mir gesagt: ‚Du wess et doa nicht lichte häbben, oaber wenn et di auk man- gens schwoor fällt, lött et vorüöber tehn. Et is eegen Kraum un du arbeetes foor ju süm- mes un nich mee foor annere Lühe.‘“

Im Meller Kreisblatt konnte man am 26. Mai 1885 folgende Nachricht lesen:

„Der Neubauer Heinrich Brockmann aus Niederholsten ging am Nachmittag des 24. Mai, dem 1. Pfingsttag, mit seiner Frau zu Fuß zum Gottesdienst nach Oldendorf. Unterwegs wurden sie von einem schweren Gewitter überrascht. Ein Blitzstrahl traf den geachteten und beliebten Neubauer und tötete ihn auf der Stelle. Seine fünf Schritte vor   ihm gehende Frau wurde niedergeworfen und schwer verletzt.“

Jetzt musste der Sohn Hermann, der bereits 1882 Elise Caroline Christoffer aus Hal- tern bei Belm geheiratet hatte, als Nachfolger seines Vaters die Neubauerei übernehmen. Um mehr Vieh unterbringen zu können, wurde das Fachwerkhaus um einen massiven Anbau erweitert. Inzwischen war die Familie auch um zwei Töchter und vier Söhne angewachsen. Dank der frühen Landkäufe des Vaters war die Familie „aus dem Gröbsten heraus“, wie man auf dem Lande zu sagen pflegte.

Dann gab es jedoch einen herben Rückschlag. Am 6. September 1907 brannte das Fachwerkhaus mitsamt dem Anbau vollständig nieder. Die auf dem Bild am rechten Bildrand zu sehende Scheune, in der sich auch der Schweinestall befand, ist bei dem Brand erhalten geblieben. Alles, was sie nicht selbst unterbringen konnten, wurde in der Nach- barschaft untergebracht. Sich in Notfällen gegenseitig zu helfen und zu unterstützen, das war früher in der Nachbarschaft selbstverständlich, denn in diese Lage konnte jeder mal geraten. Eine große Hilfe waren auch die bäuerlichen Verwandten von Frau Elise, denn sie spendeten Inventar und Futtermittel für das Vieh. Die inzwischen 88-jährige Oma Margarete kam zu ihrer Tochter Katharina in Dierkers Kotten in Niederholsten. Sie starb bereits drei Monate später am 8. Dezember 1907. Es wurde sofort mit dem Bau eines neuen Hauses begonnen, denn ohne Haus und Vieh ist keine Landwirtschaft zu betreiben. Der Neubau wurde jetzt aber als Massivhaus aus Backsteinen errichtet und es konnte noch im selben Jahr Richtfest gefeiert werden.

Jede Möglichkeit um zusätzliches Geld zu verdienen nahm Hermann Brockmann wahr, denn die noch vorhandenen Schulden mussten ja irgendwie getilgt werden. Als in der Gemeinde Buer Arbeiter für Erdarbeiten benötigt wurden, ging er über einen länge- ren Zeitraum jeden Tag zu Fuß von Niederholsten nach Buer. Jeder musste damals sein eigenes Handwerkzeug zur Arbeit mitbringen. An Hermanns Schaufel, die auf seiner Schulter lag, hingen der Henkelmann und die in einem roten Halstuch   eingewickelten Brote. Ein weiterer Nebenerwerb für Hermann war Kühe treiben. Für einen Viehhänd- ler trieb er die Kühe zu den Märkten oder Käufern. Damit die Kühe zusammenblieben, wurden sie mit Ketten aneinander gebunden. An Kuhketten herrschte dadurch auf dem Hof auch später kein Mangel. Die älteste Tochter heiratete den Bäckermeister Lübker und wohnte in Osnabrück an der Langen Straße. Ein Sohn und die zweite Tochter waren inzwischen auch verheiratet und wohnten in Barkhausen/Porta. Als Elise ihre beiden Kinder in Barkhausen besuchte, wurde sie dort am 13. Dezember 1925 von einem Auto tödlich überfahren. Der Sohn August hatte Tischler gelernt und wohnte in Melle. Da der als Hoferbe vorgesehene Sohn im Ersten Weltkrieg im Alter von 21 Jahren gefallen war, musste Wilhelm, der Jüngste, später den Hof übernehmen.

Weil Herman immer darauf geachtet hatte, dass der Arbeitgeber bei seinen Beschäftigungen auch Marken für seine Invalidenkarte kaufte, war er einer der Ersten in der Bauerschaft, die später eine Rente bekamen. Der Arbeitgeber bekam für den abgeführten Rentenbeitrag eine Wertmarke, die in die Invalidenkarte des Arbeitnehmers geklebt wur- de. Die Rente musste früher am Ersten des Monats bei der Post abgeholt werden. Wenn Hermann seine Rente von der Post in Oldendorf abgeholt hatte und ihm auf dem Rück- weg jemand aus der Bauerschaft begegnete, dann hielt er ein Geldstück hoch und sagte:

„Ik häwwe Vandage oll mien Geld vodeent.“

Trotz der vielen und schweren körperlichen Arbeit ist Hermann 83 Jahre alt geworden. Er starb am zweiten Weihnachtstag 1934. Der Sohn Wilhelm, der bereits 1923 Frieda Wellenkötter aus Grambergen geheiratet hatte, bewirtschaftete den Hof über die schweren Kriegs- und Nachkriegsjahre des Zweiten Weltkrieges hinaus, bis der jüngste Sohn Günter das Anwesen übernahm. Inzwischen leben schon die nächsten beiden Generati- onen auf dem Anwesen. Infolge der allgemeinen Entwicklung wird jedoch auf diesem, wie auf vielen anderen Bauernhöfen, keine Landwirtschaft mehr betrieben. Als Johann Heinrich Brockmann den Grundstein für seine Neubauerei legte, da hat er bestimmt nicht damit gerechnet, dass 130 Jahre später auf seinem Anwesen keine Landwirtschaft mehr betrieben wird.

Anmerkung:

Der vom Blitz erschlagene Johann Heinrich Brockmann war der Urgroßvater der beiden Autoren Walter  Brockmann und Karl-Heinz Schröder.

Brockmann, Walter/Schröder, Karl-Heinz:Vom Heuerling zum Neubauern in: Jahrbuch Osnabrücker Land 2015, Seite 47-51

Feldlaum – ein Räuber im Münsterland

Feldlaum – Der Räuberhauptmann von Ostendorf

Wer heute durch die Bauerschaft Ostendorf wandert oder mit seinem Fahrrad über die schmalen, sandigen Pättkes des alten Postdammes fährt, denkt wohl kaum daran, dass in dieser Gegend vor mehr als 150 Jahren eine Räuberbande hauste, die weit und breit die Bevölkerung in Angst und Schrecken hielt.

 

Wie konnte dies im Münsterland geschehen und wie war es möglich, dass diese gut organisierte Räuberbande über Jahre hinweg die Umgegend unsicher machen konnte? Allgemein kann man annehmen, dass die Wirren der damaligen Zeit daran schuld waren. Im November 1812 kam ein Teil des in Russland geschlagenen und fast aufgeriebenen französischen Heeres in fluchtartigem Rückzuge durch das Münsterland. Diese geschlagenen Truppen, größtenteils in Lumpen gehüllt, ermattet und halb verhungert, zogen plündernd durch das Land. Noch schlimmer verhielten sich die nachfolgenden Kosaken; sie stahlen alles, was nur erreichbar war. Wie Carl Cüppers in den Blättern des Heimatbundes Emsdetten aus dem Jahre 1929 berichtet, tranken sie sogar in einer Essigfabrik in Wettringen den reinen Sprit, würzten ihn mit Pfeffer und aßen Talgkerzen dazu.

 

Die vielen Schätzungen und Requisitionen hatten das Land arm gemacht. Die Folge davon war, dass sich Diebes- und Räuberbanden bildeten, die es hauptsächlich auf Lebensmittel abgesehen hatten, aber auch bares Geld nicht liegen ließen.

 

Solch eine Räuberbande machte die ganze hiesige Gegend unsicher und unternahm ihre Streifzüge ferner nach Saerbeck, Greven, Altenberge, Hörstel und Havixbeck. Räuberhauptmann dieser Bande war Feldlaum, mit seinem echten Namen hieß er Laumann. Er besaß in Ostendorf am Postdamm einen Kotten und betrieb nebenbei eine kleine Schänke, die heutige Wirtschaft Stegemann. Kaplan Hubert Gr. Osterholt schreibt von ihm: „Von Jugend aufhatte er kein gutes Beispiel vor Augen gehabt. Der Vater konnte von dem kleinen Kotten die Familie kaum ernähren und ging deshalb als Tagelöhner auf die Bauernhöfe, war dort aber nicht ganz ehrlich gewesen. Die zweite Ehe unseres Feldlaum mit Anna Catharina Wiggers war ganz unglücklich.
Jetzt verlor er jeglichen Halt, da er auch schon früher bei manchen Diebstählen den Weg des Guten verlassen hatte. Dazu kamen noch schlechte Genossen, die ihn ganz auf die Bahn eines Räubers drängten und ihn zu ihrem Anführer und Hauptmann machten. Vier solcher Gesellen hatten sich bei Feldlaum zusammengefunden, nämlich Völker, Schmitz, Wemhoff und Niemann, von denen die beiden letzteren als Haupträuber bezeichnet werden.”

 

Es ist jedoch anzunehmen, daß die Bande im Laufe der Zeit weit mehr Mitglieder hatte, seien es Helfer oder Hehler; denn ihr Wahlspruch lautete:

 

Im ganzen sind wir dreißig,
des Nachts gewaltig fleißig,
des Tags schauen wir zum Fenster hinaus
und lachen Gendarm und Polizisten aus.

 

Wie berichtet wird, war Feldlaum tagsüber fleißig bei der Arbeit und gegen seine Nachbarn freundlich. Sonntags ging er regelmäßig zur Kirche und markierte hier den Frommen. Er saß stets in der obersten Bank, und wehe dem Jungen, der sich auf dem Chor nur umsah oder sich nicht andächtig benahm. Von links und rechts hagelte es dann Backpfeifen. Wenn aber die dunkle Nacht gekommen war, dann war er der Schrecken der Bauern.

 

Die ersten Protokolle über vorgefallene Diebstähle stammen aus dem Jahre 1816. Da wird gemeldet, dass der Witwe des verstorbenen Jan Berndt Rohlfs in Wilmsberg aus der Miete auf Gönners Kamp zwei Malter Erdäpfel gestohlen wurden. Einige Tage später beklagten sich Jan Hinrich Decker und Jan Coerdt aus Ostendorf über Kartoffeldiebstähle. Dem Schulzen Pröbsting in Wilmsberg war im Wöstkamp eine Kuh abgeschlachtet worden. Dem Zeller Große Osterholt in Ostendorf wurden Speck und Schinken aus dem „Wiem” geholt. Selbst der durch eine Gräfte gesicherte Bauernhof des Schulzen Marquarding blieb nicht verschont. Feldlaum ging übers Eis und holte sich das geschlachtete Schwein von der Leiter.

 

Es würde zu weit führen, wollte man alle Einbrüche aus diesen Jahren aufzählen. Es gab wohl kaum einen Bauernhof in Borghorst, den der Räuber nicht besucht hatte. Eine interessante Begebenheit soll jedoch noch angeführt werden, über die Franz Luke in seiner heimatgeschichtlichen Erzählung berichtet.

 

„Feldlaum saß mit Vorliebe in der Wirtschaft mit Bekannten beisammen, wenn man über die neuesten Ereignisse sprach. So war man auch einmal in einer Emsdettener Kneipe in gemütlicher Runde beisammen. Die Unterhaltung kam auf einen Diebstahl, der sich in Borghorst ereignet hatte. Man stellte über den Täter alle möglichen Vermutungen an, und schließlich meinte ein Emsdettener, so etwas hätte ihm nie passieren können.

 

Auf die Frage Feldlaums, wieso er denn gefeit sei gegen alle Diebstähle, erzählte ihm der ahnungslose Kötter: „Ick häw up’n Balken noch son olt Koffer stöhn von mien Bessmoder. Do is mien Speck und mienen Schinken gued un sicher verwahrt. Ick smiet do immers ‘nen paar Schauw Strauh drüöwer un dann süht un ahnt dat kien Mensk.”

 

(Hier eine Übersetzung für unsere nicht Münsterländer Platt-sprechenden Besucher: “Ich habe auf dem Dachboden noch einen alten Koffer stehen vom meiner Großmutter. Darin ist mein Speck und mein Schinken gut und sicher verwahrt. Ich werfe da immer ein paar Bund Stroh drüber und dann sieht und ahnt das kein Mensch.“)

 

Wenn er sich der Folgen bewusst gewesen wäre, hätte er sein Geheimnis wohl nicht ausgeplaudert. Aber er glaubte sich unter guten Freunden und war am folgenden Morgen nicht wenig erstaunt, als seine Speckkiste leer war. Die Diebe hatten in der Nacht eine Leiter an das Bodenfenster gestellt, dieses eingedrückt und gute Beute gemacht.
In Emsdetten gab es am folgenden Morgen einen Auflauf. Ein solch frecher Diebstahl war noch nicht vorgekommen. Es mussten auf alle Fälle dieselben Langfinger an der Arbeit gewesen sein wie in Borghorst. Dass mehrere Täter in Frage kamen, war ohne Zweifel, denn ein einzelner Mann hätte derartige Fleischmengen schlecht allein fortschaffen können. Auffällig war, dass man am Tage zuvor über den Borghorster Diebstahl gesprochen hatte. Aber da mehrere Borghorster darunter gewesen waren, konnte man schwer jemanden verdächtigen.”

 

Immer wieder kann man in den Berichten über Feldlaum lesen, dass er nur dort stahl, wo reichlich Beute vorhanden war; kleine Leute blieben unbeteiligt. Man hat auch nie gehört, dass bei Überfällen die Betroffenen körperlich misshandelt wurden. Manche arme Witwe soll von ihm in der damaligen schlechten Zeit mit Geld und Lebensmitteln unterstützt worden sein.
Feldlaum suchte bei seinen Raubzügen aber nicht nur die Bauernhöfe heim. Auch die Handelswege wurden von ihm unsicher gemacht. Wehe dem Handelsmann, der ahnungslos mit vollbepacktem Wagen und voller Geldkatze über den Postdamm zum Markt nach Greven oder Telgte zog. Feldlaum lauerte ihm mit seinen Gesellen hinter dichten Hecken auf und nahm ihm alles ab. Aber auch auf diesen Raubzügen konnte der Räuberhauptmann manchmal ein weiches Herz haben. Dies geht aus folgender Episode hervor, die Carl Cüppers aufgeschrieben hat:

 

„Mein Großvater Schmitz, eine allgemein bekannte und beliebte Persönlichkeit, war von Münster gekommen und hatte Geld von der Bank geholt. Er ritt nach Wettringen und hatte das Hartgeld im Felleisen hinter sich, wie es damals Brauch war. Die Pistole stak in der Satteltasche. Nachts gegen ein Uhr hörte er gleich hinter Burgsteinfurt in kurzen Zwischenräumen leise Pfiffe.
Plötzlich sprang ein Kerl in die Zügel seines Pferdes und rief: „Hollt!” („Halt!“). Der Mann erkannte nun aber meinen Großvater und sagte: „Här Schmitz, ick häw mie verseihn, wie wochtet up’n annern. Sie kuemt aower alleen nich so wieder, ick sall ju bes an den naichsten Posten brengen, dann küen Ji nao Huse rieden.”

(Übersetzung: „Herr Schmitz, ich habe mich geirrt, wir warten auf einen anderen. Sie kommen aber allein nicht so weiter, ich werde Sie bis zum nächsten Posten bringen, dann können Sie nach Hause reiten.“) 

 

Kurze Zeit darauf passierte der „andere”, den man erwartete, die Postenkette. Er kam auch von Münster von seiner Bank, hatte auch den Geldsack hinter sich, den man ihm aber abnahm. Sein Name soll ungenannt bleiben; er konnte es aber wohl leiden.

 

Jahrelang konnte Feldlaum mit seiner Bande die Raubzüge ausführen, ohne auf frischer Tat ertappt zu werden. Zwar wusste jeder, dass er es mit seinen Gesellen war, der die ganze Gegend unsicher machte. Aber selbst bei plötzlichen Haussuchungen in seiner Schänke konnte ihm nichts nachgewiesen werden. Schließlich jedoch schlug auch für ihn die Schicksalsstunde. Wie Kaplan Große Osterholt schreibt, hatte er unter seinen engsten Genossen einen Verräter, Anton Völker. Mit diesem hatte es Streit gegeben. Im Verlauf eines heftigen Wortwechsels machte Feldlaum dem anderen den Vorwurf, er gebe nicht alles von der nächtlichen Beute ab, sondern sorge für seine eigene Tasche. Völker war darüber sehr erzürnt und ging im geheimen zum Bürgermeister Lanver und zeigte diesem an, dass für die Nacht vom 25. zum 26. Januar 1820 ein Überfall auf Nünningsmühle in der Bauerschaft Dumte geplant sei.

 

Nun war es endlich so weit, der Räuberbande das Handwerk zu legen. Gendarm Reinhard wurde dafür ausersehen, einen Plan für die Ergreifung der Räuberbande zu entwerfen. Elf handfeste Männer wurden als Gehilfen ausgewählt. Diese waren: Alex van den Hoff mit seinen Söhnen Wilhelm und Alex, Johann Vorspohl, A. F. Hilmers, der Sekretär auf dem Amt war, Josef Heckmann genannt Frahling, Melchior Brinks, Melchior Hageböck, Franz Terlau, Bernhard Frieling u. Ferdinand Eick.

 

Als man am Abend des 25. Januar von der Wirtschaft A. Hampfen aufbrach, nahm man auf Kosten der Gemeinde einen Liter Schnaps zur Hebung des Mutes mit, wie es im Protokoll aufgeschrieben wurde. Auf den benachbarten Bauernhöfen Nünning, Vissing u. Leusing bezog man Quartier. Doch schon bald meldete die aufgestellte Wache, daß Feldlaum mit seinen Kumpanen angekommen sei. Gendarm Reinhard ließ nun von seinen Leuten das Anwesen Nünningsmühle umzingeln. Bevor er jedoch das Zeichen zum Angriff geben konnte, pfiffen ihm die ersten Kugeln um die Ohren; Feldlaum hatte die Gefahr erkannt.

 

Ein heftiges Feuergefecht entwickelte sich. Feldlaum stand geschützt hinter einem dicken Baum und wehrte sich heftig. Plötzlich aber brach er zusammen, eine Kugel hatte ihn in die Brust getroffen. Nun warf Völker die Waffe fort und ergab sich, hatte er sich doch nur scheinbar gewehrt. Schmitz machte es genau so. Die beiden anderen aber, Wemhoff und Niemann, entkamen. Sie flüchteten nach Ochtrup, wurden aber später in Bentheim aufgegriffen und dem Amtsgericht Burgsteinfurt zugeführt.

 

Feldlaum wurde schwer verwundet auf einen Wagen geladen und nach Burgsteinfurt gebracht. Dort soll er noch einige Tage danieder gelegen haben und am 6. Februar 1820 gestorben sein. Am 12. Februar fand die Beerdigung auf dem Friedhof zu Borghorst statt.

 

Die Verbrecherschänke wurde einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Im Garten entdeckte man eine Höhle mit einer Unmenge gestohlener Sachen. Diese wurden nach Möglichkeit den Eigentümern wieder zugestellt.
Borghorst und damit das ganze Münsterland atmete erleichtert auf. Die Schrecken des Münsterlandes waren nicht mehr; man konnte wieder ruhig und friedlich seiner Wege gehen.

Alex Wobbe

Dieser Text von Alex Wobbe wurde aus dem Buch “Borghorster Heimatbuch”  übernommen mit freundlicher Genehmigung des Heimatvereins Borghorst. Das Buch wurde 1980 herausgegeben vom Tecklenborg Verlag, Steinfurt.
Textbearbeitung: Willi Tebben

aus:  http://www.stenvorde.de/stenv_feldlaum.html am 07. 08. 2016

 

Martin Siemsen über Justus Möser

„Unser Stift hat seine Bevölkerung blos der Arbeit in Holland zu danken“

Hollandgang und Hollandgänger aus der Perspektive Justus Mösers

Martin Siemsen

 Das Goldene Zeitalter der Niederlande sorgte für zahllose Arbeitsmöglichkeiten unge- lernter Kräfte aus dem nordwestdeutschen Raum und so zogen im 17. und 18. Jahrhun- dert jährlich im Sommer etwa 30.000 sogenannte Hollandgänger über die Grenze, um sich für einige Monate als Grasmäher oder Torfarbeiter zu verdingen.1 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichte diese Form der Arbeitswanderung zur Existenzsi- cherung einen Höhepunkt, war jedoch nicht unumstritten und blieb Gegenstand obrigkeitlicher Maßnahmen. In der Grafschaft Schaumburg-Lippe etwa war der Hollandgang den Untertanen seit 1759 strikt untersagt.2 Und die Regierung des Fürstbistums Müns- ter verordnete Ende Juni 1766, dass „ins künfftig von denen Bauren keiner bey  vermei- dung eines Jahrs Zuchthauses Straff sich unterstehen solle, ohne erhaltenen Beamtlichen Schein naher Holland sich zu begeben“ – die Beamten wurden angewiesen: „So habt Ihr ein solches zu verfügen, sodann wegen ertheilung deren Scheinen, welche ohnnetgelt- lich abzugeben, Euch dahin, daß selbige nicht behuff derjenigen Mannschafft, welche zu verhütung der KriegsDienste die Scheine nachsuchen dörffen, wie auch  Wehrfesteren, imgleichen Knechten und Mägden, sondern nur für Einwohner Brinksitzer Backhäuser, so- dann Taglöhner in denen Städten und Dörfferen ausgefertiget werden, zu vorbescheiden, sodann alle viertel Jahr die verzeichnis deren von Euch ertheilten Scheinen anhero einzuschicken haben sollet, damit die Anzahl deren Jährlichs verrei- senden Leuthen allemahl in Erfahrung gebracht werden könne […].“3

Unschwer zu erkennen ist, dass dieser grundsätzlichen Genehmigung des Hollandgangs eine restriktive Intention zugrunde lag, insofern die Genehmigung auf bestimmte Kreise beschränkt wurde, während zur Vermeidung abschreckender Wirkung die Erteilung der Geneh- migung kostenlos sein sollte, um die statistische Erfassung der Wanderarbeiter nicht zu gefährden.

Auch aus dem Fürstbistum Osnabrück wanderten seit dem frühen 17. Jahrhundert in großer Zahl Angehörige unterbäuerlicher Schichten zur Arbeit nach Holland.4  Im letzten Drittel des

 

Justus  Möser  –  Kupferstich  von Johann Friedrich Schleuen, in: Allgemeine Deutsche Bibliothek. Bd. 26, Stück 1, Berlin 1775, Frontispiz. (Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück)

  1. Jahrhundert sollen es jährlich 6.000 Heuer- linge gewesen sein.5 Das Fürstbistum hatte nach dem Siebenjährigen Krieg mit Justus Möser (1720–1794)6 einen Regierungsberater, der 1766 mit der Gründung des Osnabrücker Intelligenzblattes verstärkt auf die öffentliche Diskussion auch politischer und wirtschaftlicher Fra- gestellungen setzte und diese gegebenenfalls selbst initiativ an die Leser und Leserinnen herantrug.

So erschien anonym am 23. Mai 1767 in den Wöchentlichen Osnabrückischen   Anzeigen die folgende Aufgabe: „Da so viele Leute des Jahrs aus dem hiesigen Stifte nach Holland gehen; so ist es gewis eine überaus wichtige Frage: Ob diese Züge dem Lande vortheilhaft oder schädlich seyn? Man wünscht, daß jemand die Gründe, welche auf beyden Seiten streiten, deutlich auseinander setzen, beurtheilen und in diesen Blättern mit- theilen möge.“7

Das tat einen guten Monat später der protestantische Pfarrer der Gemeinde Ueffeln Ernst August Gildehausen (1729–1789), der in seinem Aufsatz Unvorgreifliche Gedanken und Beantwortung über die in dem 21. Stück dieser Anzeigen aufgeworfene Frage, wegen des häufigen Hollandgehens der Osnabrückischen Unterthanen auf verschiedenen Ebenen den Hollandgang für schädlich erklärte und aus moralischen, gesellschaftlichen, politi- schen, betriebs- wie volkswirtschaftlichen Gründen vehement ablehnte. Der Hollandgän- ger verletze seine Pflichten gegenüber Familie, Gesellschaft und Staat. Gildehausens Cre- do lautete schlicht: „Bleibe im Lande und nähre dich redlich“ und von der Osnabrücker Regierung forderte er, dass „unsre Landes-Stützen diesem immer mehr und mehr einreis- senden Uebel durch weise und zur Kraft kommende Gesetze vorzubeugen, gnädigst ge- ruhen mögten.“8 Genau dies lag jedoch nicht in der Absicht der Osnabrücker Regierung. Mösers Replik ließ gut eineinhalb Monate auf sich warten und zog sich dann über fünf Ausgaben des Osnabrücker Intelligenzblatts hin.9  Zunächst bezog sich Möser nicht auf Gildehausens Argumentati- on und beließ es bei allgemeinen Ausführungen über die Frage der angemessenen Perspektive10 und den Hinweis darauf, dass Wanderarbeit ein gemeineuro- päisches Phänomen sei: „Es ge- hen jährlich über zwanzig tau- send Franzosen nach Spanien, um den Spaniern in der Erndte zu helfen. Eben so viel Brabänder gehen in gleicher Absicht nach Frankreich. Eine nicht gerin- gere Menge Westphälinger geht den Holländern und Brabändern zu Hülfe; und mittlerweile kom- men   die   Schwaben, Thüringer und Baiern nach Westphalen, um unsre Mauren zu verferti- gen; die Italiäner weissen unsre Kirchen und versorgen uns mit Mausefallen; die  Tyroler reini-

 

„Hans van Westfalen“ arbeitete als Grasmäher. Centprent, Ende 18. Jahrhundert. (Sammlung Atlas van Stolk, Rot- terdam)

gen unsere Teiche; die Schweizer gehen nach Paris, um den Fran- zosen die Thür zu hüten oder die Schuh zu putzen; und so wandert eine Nation zur andern, um bey ihr des Sommers   ein Stück Brod zu verdienen, was sie des Winters zu Hause verzehre.“11

Möser entwickelt das Problem historisch mit dem Verweis auf Osnabrücker Landtagsverhandlungen aus dem frühen und späten 17. Jahrhundert, in denen ebenfalls teils pro, teils contra den Hollandgang im Hinblick auf steigende Löhne und Preise argumentiert, aber freilich auch berücksichtigt worden sei, dass die Hollandgänger „viel Geld ins Stift geholet“12  hätten. Das ist für ihn nicht nur ein merkantilistisches Argument.  Möser hebt konsequent auf den gesamtgesellschaftlichen Nutzen ab, der sich daraus ergibt. Die ökonomische Grundlage des Fürstbistums Osnabrück jenseits der Landwirtschaft bildeten Leinenherstellung und -handel. Darauf verweisend schreibt Möser also: „Jedoch die wichtigste Betrachtung verdienet Garn und Linnen. Schwerlich kann ein Mensch sich mit Spinnen ernähren. Spinnen ist die armseligste Beschäftigung; und kann nur in so weit vortheilhaft seyn, als es zur Ausfüllung der in einem Haushalt überschiessenden Stunden gebraucht wird. Hätten wir nun keine Leute die im Sommer nach Holland giengen: so würden diese auch den Winter nicht   spinnen können. Wir würden auch ihre Weiber und Kinder nicht beym Rade haben. Es würde also vielleicht nicht die Hälfte des Linnens im Stifte gemacht werden was aus demselben jetzt verführet wird.“14

Die Einschränkung des Hollandgangs würde also die Heuerlinge nicht nur um eine individuell notwendige Einkommensmöglichkeit des Mischerwerbs bringen, sondern un- mittelbar auf das nach dem Siebenjährigen Krieg schwer angeschlagene Wirtschaftsleben im Fürstbistum Osnabrück durchschlagen und möglicherweise auch zu verstärkter Auswanderung führen. Gegen eine moralische Diffamierung der Hollandgänger wendet Möser ein: „Einer Treulosigkeit gegen ihr Vaterland kann man die Hollandsgänger    mit Billigkeit nicht beschuldigen. Die Freyheit nach ihren Gefallen zu reisen, ist die erste Be- dingung gewesen, worunter sie sich bey uns niedergelassen und worauf sie geheyrathet

Kupferstich von Christian Ludolph Reinhold (1739–1791) aus dessen Werk Das Studium der Zeichenkunst und Mahlerey […] (Göttingen 1773), Tafel XV. (Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen)haben. Diese Freyheit macht sie eben so getreu, daß sie wieder kommen; und sie zu zwingen auf einen Boden zu bleiben, der ihnen nicht zum Erbtheil übergeben sondern für baar Geld verheuret ist, würde so schädlich als unbillig seyn. […]“15

Der Hollandgang hingegen entwickele sogar ökonomisches Denken und Industriösität – insofern der Gegenentwurf zum allgegenwärtigen Betteln und Almosensammeln16 – und zeitige auch auf andere Weise Vorteile: „Was ist aber der erste Grund des Vermögens der Heuerleute? Sicher das Hollands-gehen, als wodurch sie zur Einsicht, Unternehmung und Handlung gelangen. Wie manches Vermögen, wie manche Erbschaft ist nicht  über- dem aus Holland und Ost-Indien in hiesiges Stift gekommen? Und wie mancher, der sich in Holland glücklich niedergelassen, hat von dorther seine arme Verwandte unterstützt, oder ihnen Mittel und Wege zum Erwerb geöfnet? […]“17

Natürlich ist der Hollandgang für Möser nicht die Ultima ratio  verantwortungsvoller Wirtschaftspolitik, sondern lediglich  eine Zwischenlösung:

„Uebrigens bleibt es allemal eine ewige Wahrheit, daß es besser seyn würde, wenn alle Landes- einwohner zu Hause blieben, und dort eben so viel oder doch nicht viel weniger verdienten. Bis dahin aber den Leuten die- se Mittel zum Erwerb verschaffet werden, ist es am sichersten, sie nicht zu stören. […]“18

Man spürt hier durchaus Empathie für die soziale Lage der Heuerlinge und ein Eintreten für eine Politik, die die Menschen an der Entfaltung ihrer Produktivkräfte nicht hindert, wenn zu fördern sie diese schon nicht in der Lage ist – eine Politik, die allerdings nicht isoliert von einer pragmatischen bis utilitaristischen Grundierung zu betrachten ist, gleichwohl aber auch in der Pflicht steht zu christlich motiviertem, sozial- verantwortlichem Handeln.19

In einem weiteren Aufsatz korrigierte Möser noch 1767 unter dem Kürzel „M.a.V.“ Gil- dehausens Berechnung des Ver-

 

Nachdem der Hollandgang im Osnabrücker Intelligenzblatt thematisiert worden war, erkannte auch die Kurhannover- sche Regierung dessen Aktualität. (Niedersächsisches Lan- desarchiv – Standort Stade)

dienstes durch die Arbeit in Holland nach oben,20 gab diesem aber auch die Gelegenheit seine  Position  noch  einmal zu verteidigen, was postwendend geschah.21 Mit einem redaktionellen Hinweis teils satirischer Natur be- endete Möser den Diskurs über den Hollandgang im Osnabrücker Intelligenz- blatt:  „Wenn  hierauf noch eine Duplic von Seiten  des Herrn   M.   a. V. erfolgen sollte: so wünschen wir, daß sich solche einzig und allein auf den Verdienst der Heuerleute im Lande einschränken,    und besonders die   Frage durch Berechnungen auseinandersetzen möge: Ob ein Spinner aus einem Thaler drey machen könne? Bey dieser Gelegenheit wäre es zugleich der Mühe werth, alle Arten der groben und feinen Spin- nerey durchzugehen, und zu zeigen, wie der Vortheil bey   jeder   beschaffen sey. Die übrigen Gründe dieses Schreibens zu prüfen  ist überflüssig, weil jeder Leser solches vor  sich  selbst zu  thun im  Stande  seyn wird.“22

Die   Debatte   um den

Im Hannoverischen Magazin wurde die Osnabrücker Debatte um den Hollandgang aufgegriffen. (Landesbibliothek Oldenburg)

Hollandgang in den Wöchentlichen Osnabrückischen Anzeigen hatte seit der Aufgabenstellung über ein halbes Jahr hinweg angedauert und auch außerhalb des Fürstbistums Osnabrück Folgen gezeitigt: So war man im Kurfürstentum Hannover   auf die offenen Fragen des Hollandgangs aufmerksam geworden, und schon am 14. August 1767 wurden von sämtlichen Ämtern Berichte über die Wanderarbeit „nach Hollandt, auch Ost- und West-Frießland“ angefordert. Detailliert wurde die Zahl der Hollandgänger, deren schichtenspezifische Zugehörigkeit,  Zielorte,  Zeit  der Abwesenheit und  Verdienst  ab- gefragt.23  Anschließend erfolgte ab September 1767 der auf den ersten Beitrag Gilde- hausens und die beiden folgenden Mösers reduzierte Wiederabdruck der Debatte aus dem Osnabrücker Intelligenzblatt im Hannoverischen Magazin. Gildehausens Replik auf „M.a.V.“ entfiel. Dafür meldeten sich mit Philipp Peter Guden (1722–1794) und einem Anonymus „M.“ Hannoveraner zu Wort, die den Hollandgang – Möser folgend – eher positiv notwendig beurteilten, wenn auch Guden die volkswirtschaftlichen Nachteile ausführlich thematisierte.24

Möser reflektierte wenig später in seiner Osnabrückischen Geschichte (1768) unter dem programmatischen Titel Von dem Gewinn durch Beywohner Hollandgang und Hollandgänger erneut und seiner historiografischen Konzeption entsprechend vornehmlich aus gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Perspektive, ohne die prekäre Situation der unterbäuerlichen Schichten zu verschweigen oder zu beschönigen: „Ausserdem gehet jährlich eine Menge Beywohner nach Holland, welche daselbst im Sommer ein Hand- Lohn verdienet; und den Winter über zu Hause sitzt und spinnet. Diese Leute sind frey; und ihr größter Ehrgeitz ist so viel zu erwerben, daß ihre Kinder einmal leibeigen werden können. Denn da der Leib-eigenthum erblich Haus und Hof giebt: so ist er beliebter und angesehener als die Freyheit solcher Flüchtlinge. […] Man schonet aber diese Leute billig so viel möglich in allen Auflagen; damit sie aus Holland und Indien, in eine gemiethete Hütte zurück-kehren; dem Lande worin sie nichts  eignes haben, getreu bleiben […]. Der wahre Bauer findet bey ihnen allezeit und fast  nur zu leicht Geld und Hülfe. Sie selbst aber sind mit fünfzig Jahren alt, und von   vieler Arbeit kümmerlich; wodurch aber dem Staat nichts abgeht, weil sie früher heyrathen als Landbesitzer, und sich um so viel ge- schwinder vermehren, als sie absterben.“25

Die elitären Lettres sur l’amour et de la patrie (1779) von Friedrich dem Großen (1712–1786) konterkarierte Justus Möser mit seinem Aufsatz Was ist die Liebe zum Vaterlande?, in dem ein Hollandgänger im Mittelpunkt steht. Der Aufsatz wurde 1785 auch in der Berlinischen Monatsschrift abge- druckt und 1786 in den vierten Teil der Patriotischen Phan- tasien übernommen. (Stadtbibliothek Osnabrück)

Diesen  Gesichtspunkt der‚frühen Heirat‘ stellte Möser wenige Seiten später in militärischer Metaphorik noch einmal in den Zusammenhang mit dem Hollandgang, der eben auch ein Versprechen auf Lebensqualität bedeutete: „Die Einwohner sind nicht unbillig schlechte Soldaten für gemeinen Sold; so lange ihnen die Ausflucht nach Holland mehrere Freyheit, manches Ebentheuer, ein bessers Aus- kommen, und den glücklichen Muth giebt, ohne ängstliche Ueberlegung zu heyrathen.“26

Der Hollandgang taucht in der Osnabrückischen Geschichte auch als ein Faktor für Mösers These von der hohen Bevölkerungsdichte des Fürstbistums auf: „Das  Stift ist volkreicher als  die  daran stossende Länder, und erhält jährlich mehr Einwohner; wozu die vollkommenste Freyheit in allen Arten von Handel und Nahrung, der glückliche Mangel einer eignen Krieges- Macht, die leidliche  Regierungs-Form, die gute Gelegenheit nach Holland zu gehen […] sehr vieles    beytragen.“27 Allerdings brachte Möser 1770 seine Ansicht schnörkellos zugespitzt auf die noch knappere Formel: „Unser Stift hat seine Bevölkerung blos der Arbeit in Holland zu danken. Dies ist das Capital, wovon sich die Menge von Nebenwohnern ernähret; und wenn man ihnen dieses entzöge: so müßten sie den Boden und die darauf stehende Hütte bald ver- laufen. Spinnen und Weben allein ernährt eine Familie nicht.“28

1774 wurde die Osnabrücker Debatte um den Hollandgang – wie im Hannoverischen Magazin ohne den zweiten Beitrag Gildehausens – in den von Mösers Tochter Jenny von Voigts (1749–1814) herausgegebenen ersten Teil der Patriotischen Phantasien geringfü- gig bearbeitet aufgenommen29 und so im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt. In Rezensionen werden gerade diese drei Stücke als gelungenes Beispiel für Mösers Dar- stellung des Pro und Contra gewürdigt, zum Beispiel von Jacob Mauvillon (1743–1794):

„Es ist unmöglich alle vorzüglich gute Abhandlungen anzumerken; wir wollen also  nur noch einiger erwähnen. Darunter gehören die über das nach HollandGehen der Osnabrü- ckischen Unterthanen. Sie sind ein Muster von der Art wie man dergleichen Fragen aus- einander setzen muss.“30

Johann Wolfgang von Goethes (1749–1832) allgemeine Würdigung der Patriotischen Phantasien und ihres Verfassers in Dichtung und Wahrheit (1814) darf hier nicht fehlen:

„An diesen kleinen Aufsätzen, welche, sämtlich in Einem Sinne verfaßt, ein wahrhaft Ganzes ausmachen, ist die innigste Kenntnis des bürgerlichen Wesens im höchsten Grade merkwürdig und rühmenswert. […] Ein vollkommener Geschäftsmann spricht zum Volke in Wochenblättern, um dasjenige, was eine einsichtige wohlwollende Regierung sich vor- nimmt oder ausführt, einem Jeden von der rechten Seite faßlich zu machen; keineswegs aber lehrhaft, sondern in den mannigfaltigsten Formen, die man poetisch nennen könnte, und die gewiß in dem besten Sinn für rhetorisch gelten müssen. Immer ist er über sei-

nen  Gegenstand  erhaben,  und  weiß  uns eine heitere Ansicht des Ernstesten zu geben; bald hinter dieser bald hinter jener Maske halb ver- steckt, bald in eigner Person sprechend, im- mer vollständig und erschöpfend, dabei immer froh, mehr oder weniger ironisch, durch- aus tüchtig, rechtschaffen, wohlmeinend, ja manchmal derb und heftig, und dieses alles so abgemessen, daß man zugleich den Geist, den Verstand, die Leichtigkeit, Gewandtheit, den Geschmack und Charakter des Schriftstellers bewundern muß.“31

Die Zeitgenossen sahen das nicht unbe- dingt immer so. Der Jöllenbecker Pfarrer Jo- hann Moritz Schwager (1738–1804)32 nahm die  Argumente  von  E.A.  Gildehausen   auf

 

Johann Moritz Schwager – Kupferstich von  J.  G.  Schmidt,  in:  Beyers allgemeines Magazin für Prediger nach  den Bedürfnis- sen  unserer  Zeit.  Bd.  10, 4. Stück, 1794. (Landschaftsverband Westfalen-Lippe – Li- teraturkommission)

und reagierte im Mindener Intelligenzblatt auf Mösers Darstellung  des  Hollandgangs  in den Patriotischen Phantasien.  Schwa-  ger kannte die Debatte möglicherweise aber schon aus dem Osnabrücker Intelligenzblatt, denn er hatte sich just 1767/68 in Osnabrück

 

aufgehalten33 und Möser auch persönlich kennenge- lernt, der ihm die Möglich- keit gegeben hatte, in den Wöchentlichen  Osnabrücki-  schen Anzeigen zu  publi- zieren.34 Schwager konzent- rierte sich in seinem Aufsatz Hoffe auf den HErren, und thue Gutes; bleibe im Lan- de und nähre dich redlich. Ps. 37,3 vor allem auf die Gefahren des Hollandgangs, die sich aus der Naivität der Hollandgänger ergäben: Zwangsrekrutierung etwa oder Amerika-Auswande- rung,  die  sogenannte „See- lenverkäufer“ vermittelten.35 Schwagers Aufsatz verpuff- te – Reaktionen darauf sind nicht bekannt.

Der Diskurs über den Hollandgang stellte sich ge- gen Ende des Heiligen Rö- mischen Reichs Deutscher Nation – an der Wende vom

  1. zum 19. Jahrhundert – nicht wesentlich anders dar als wenige Jahre nach dem Siebenjährigen Selbst in Osnabrück blieb Mösers Perspektive durchaus nicht unumstritten: Sowohl Jo- hann Aegidius   Klöntrup

 

Johann Aegidius Klöntrups Artikel „Hollandsgänger“ (siehe Anm. 36) bietet 1799 eine knappe Definition und ergänzende Informationen. (Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neu- zeit der Universität Osnabrück)

 

(1754–1830) in seinem Alphabetischen Handbuch der besondern Rechte und    Gewohn- heiten des Hochstifts Osnabrück mit Rücksicht auf die benachbarten westfälischen Pro- vinzen (1798–1800)36 als auch Justus Gruner (1777–1820) in seiner Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung (1802/03)37 kritisierten Mösers Ansichten. Klöntrup beschränkte sich noch vorsichtig auf den Hinweis einer veränderten Arbeitsmarktsituation: „Jetzt, da sich die Erwerbsquellen im Lande gemehrt haben, sieht man die Schädlichkeit des Hollandgehens mehr ein, und nimmt es von selbst ab, so daß aus den besten Gegenden des Hochstifts keiner mehr hingeht.“38 Mösers Patensohn Gruner hingegen bemühte noch einmal das Argument, die Hollandgänger würden bei ihrer Arbeit „physisch und moralisch verder- ben“ und urteilte entschieden: „Dieser falsche Nahrungszweig, den man für so bedeutend anzusehen pflegt, bringt in der That dem Lande weit mehr Schaden, als Vortheil, da er ihm die Kräfte und Arbeit der rüstigsten Bürger entzieht.“39  Es handele sich – wie er an

 

anderer Stelle schreibt – um „ein unrichtiges kameralistisches Prinzip, indem man das Geld, welches die Landleute mit aus Ostfriesland bringen, für wichtiger hält als ihre Ar- beit und die dadurch zu bewirkende Landeskultur. Eine der schädlichen Folgen des mer- kantilischen Sistems.“40

Der Hannoveraner Kommerzrat Christian Ludwig Albrecht Patje (1748–1817) hin- gegen betrachtete in seiner Überblicksdarstellung Kurzer Abriß des Fabriken-, Gewerbe- und HandlungsZustandes in den ChurBraunschweig-Lüneburgischen Landen (1796) Mö- sers Sichtweise nach wie vor als die einzig gültige: „Es ist viel für und wider geschrieben und geurtheilet, ob es gut oder schädlich sey, daß die LandesEinwohner nach Holland gehen. Am treffendsten hat Möser mit seinem gewöhnlichen   ScharfSinne die Sache be- antwortet, wenn er sagt: „Uebrigens bleibet es allemahl eine ewige Wahrheit, daß es bes- ser seyn würde, wenn alle LandesEinwohner zu Hause blieben, und dort eben so viel oder doch nicht viel weniger verdienten: bis dahin aber den Leuten diese Mittel zum Erwerb verschaffet werden, ist es am sichersten, sie nicht zu stören.“ Und damit stimmen viele erfahrne und einsichtsvolle Beamte, deren Unterthanen Hollandsgänger sind, überein.“41

 

Anmerkungen

 

1 Allg. zum Hollandgang siehe Jan Lucassen: Nordwest- deutsche landwirtschaftliche Saisonarbeiter (‚Holland- gänger‘) in den Niederlanden vom 17. bis zum  frühen

  1. In: Klaus J. Bade u.a. (Hrsg.): Enzy- klopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn u.a. 2007, S. 812-818. Ei- nen populärwissenschaftlichen Überblick bietet Ulrich Kröll: Hollandgänger: Deutsche Wanderarbeiter in den Niederlanden. In: Ders.: Das Geschichtsbuch des Müns- terlandes. Münster 2010, S. 171-184.

2 Siehe Th. Albrecht: Hollandgänger aus Schaumburg- Lippe. In: Wanderarbeit jenseits der Grenze. 350 Jahre auf der Suche nach der Arbeit in der Fremde. (Kat.) As- sen u.a. 1993, S. 92-101.

3 Reskript an die „Beamte zu Meppen“ vom 26. Juni  1766 (Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Os- nabrück, Dep 62b, Nr 2134, unfol.).

4 Nach wie vor grundlegend Franz Bölsker-Schlicht: Die Hollandgängerei im Osnabrücker Land und im Ems- land. Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterwande- rung vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Sögel 1987 (Emsland/Bentheim. Beiträge zur neueren Geschichte. 3).

5 Anonym: Das Hochstift Osnabrück. In: Anton Fried- rich Büsching u.a. (Hrsg.): Neue Erdbeschreibung. Bd. 3/1. Hamburg 1771, S. 767-789, hier S. 769; diese Zahl nennt auch Johann Eberhard Stüve: Beschreibung und Geschichte des Fürstenthums Osnabrück mit einigen Urkunden. Osnabrück 1789, S. 20.

6 Zur Biographie Mösers einführend Martin Siemsen: Möser / biographisch-dokumentarisch. In: Thorsten Heese und Martin Siemsen: Justus Möser 1720–1794. Aufklärer, Staatsmann, Literat. Die Sammlung Justus Möser im Kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück. (Osnabrücker Kulturdenkmäler – Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte der Stadt Osnabrück. 14/Möser- Studien. 1), S. 13-35; ausführlich Karl H. L. Welker: Rechtsgeschichte als Rechtspolitik. Justus Möser als Jurist und Staatsmann. Osnabrück 1996 (Osnabrü- cker Geschichtsquellen und Forschungen. 38); zu Mö- sers publizistischer Tätigkeit siehe die Heidelberger Dissertation von Wolfgang Hollmann: Justus Mösers Zeitungsidee und ihre Verwirklichung. München 1937 (Zeitung und Leben. 40). Mösers Werke  werden   nach

 

den Erstdrucken zitiert, wenn möglich werden auch die entsprechenden Stellen in der neuesten Gesamtausga- be nachgewiesen: Justus Mösers Sämtliche Werke. His- torisch-kritische Ausgabe in 14 Bänden (mit 2 Doppel- Bdn.). Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Oldenburg u.a. 1943-1990 (im Folgenden: GA mit Band- und Seitenzahl).

7 [Justus Möser]: Aufgabe. In: Wöchentliche Osnabrü- ckische Anzeigen. 21. St. vom 23. Mai 1767, Sp. 341f. (GA VIII, S. 100).

8 E[rnst] A[ugust] Gildehausen: Unvorgreifliche Gedan- ken und Beantwortung über die in dem 21. Stück die- ser Anzeigen aufgeworfene Frage, wegen des häufigen Hollandgehens der Osnabrückischen Unterthanen. In: Wöchentliche Osnabrückische Anzeigen. 26. St. vom 27. Juni 1767, Sp. 415-422 (GA IV, S. 77-84).

9 J[ustus] M[öser]: Die Frage: Ist es gut, daß die hiesigen Unterthanen jährlich nach Holland gehen; wird beja- het. In: Wöchentliche Osnabrückische Anzeigen. 33., 35., 36., 37. und 38. St. vom 15. und 29. August, 5., 12. und 19. September 1767, Sp. 527-532, 559-566, 575- 580, 591-596, 607-610 (GA IV, S. 84-97).

10 Diese Frage behandelt Möser auch direkt im Anschluss an den ersten Teil seiner Abhandlung über den Hol- landgang in dem Stück Von dem moralischen Gesichts- punkte. In: Wöchentliche Osnabrückische Anzeigen. 33. St. vom 15. August 1767, Sp. 531-534 (GA IV, S. 97f.).

11     Möser, Die Frage, wie Anm. 9, Sp. 528f. (GA IV, S. 85).

12   Möser, Die Frage, wie Anm. 9, Sp. 577 (GA IV, S. 91).

13 Dazu Hans-Werner Niemann: Leinenhandel im Osna- brücker Land. Die Bramscher Kaufmannsfamilie San- ders 1780-1850. Bramsche 2004 (Bramscher Schriften. 5/Kulturregion Osnabrück. 21), S. 21-70.

14   Möser, Die Frage, wie Anm. 9, Sp. 564ff. (GA IV, S. 90).

15   Möser, Die Frage, wie Anm. 9, Sp. 607 (GA IV, S. 95).

16 Dazu Manfred Rudersdorf: „Das Glück der Bettler“. Justus Möser und die Welt der Armen. Mentalität und soziale Frage im Fürstbistum Osnabrück zwischen Aufklärung und Säkularisation. Münster 1995; zum Hollandgang ebd. , S. 93ff., 231f. und 284ff.

17   Möser, Die Frage, wie Anm. 9, Sp. 594 (GA IV, S. 94).

18   Möser, Die Frage, wie Anm. 9, Sp. 610 (GA IV, S. 97).

19 Möser als späten Vertreter der Politica christiana zeigt Peter Nitschke: Politische Theorie der Prämoderne. Eine Einführung. 2. Aufl. Darmstadt 2011, S. 38ff.

20 M.a.V.  [Justus Möser]: Schreiben an den Herrn Pas-  tor Gildehaus. Die Hollandsgänger betreffend. In: Wö- chentliche Osnabrückische Anzeigen. 42. St. vom 17. Oktober 1767, Sp. 671-676 (GA IV, S. 98-101).

21 E[rnst] A[ugust] Gildehausen: Antwort-Schreiben an den Herrn M. a. V. über die Hollandsgänger. In: Wö- chentliche Osnabrückische Anzeigen. 47. St. vom 21. November 1767, Sp. 751-756.

22 [Justus Möser]: A[nmerkung] d[es] H[erausgebers]. In: Wöchentliche Osnabrückische Anzeigen. 47. St.   vom

  1. November 1767, Sp. 757f.

23 Fragebogen der Hannoverschen Regierung vom 14. August 1767 (Niedersächsisches Landesarchiv – Stand- ort Stade, Rep 74 Hagen Nr. 207). Eine knappe Zu- sammenfassung der Ergebnisse dieser Abfrage bietet gegen Ende des 18. Jahrhunderts Christian Ludwig Albrecht Patje: Kurzer Abriß des Fabriken-, Gewerbe- und HandlungsZustandes in den ChurBraunschweig- Lüneburgischen Landen. Göttingen 1796, S. 420-423: Von den sogenannten Hollandsgängern.

24 P[hilipp] P[eter] Guden: Von der Industrie der Landes- einwohner in auswärtigen Ländern. In: Hannoverisches Magazin. 4. und 5. St. vom 11. und 15. Januar 1768, Sp. 49-70.; M.: Einige Erinnerungen über des Hrn. Pas- tor Gildehausen Aufsatz von den Hollandgängern. In: Hannoverisches Magazin. 5. St. vom 15. Januar 1768, Sp. 71-80. Zu der Debatte im Osnabrücker Intelligenz- blatt und der im Hannoverischen Magazin siehe   auch Winfried Woesler: Justus Möser und der Hollandgang. In: Birgit Nolte-Schuster u.a.: Zur Arbeit nach Holland. Arbeitswanderung aus der Region Osnabrück zwischen 1750 und 1850. Begleitband zur gleichnamigen Aus- stellung. Osnabrück 2001, S. 11-29.

25 Justus Möser: Osnabrückische Geschichte, allgemei-  ne Einleitung. Osnabrück 1768, S. 138 (GA XII/1, S. 151). Möser greift hier durchgängig auf Gedanken zu- rück, die von ihm in anderer Formulierung bereits in den oben genannten Aufsätzen im Osnabrücker Intel- ligenzblatt entwickelt wurden, wenn auch in anderer Akzentuierung – etwa der heute seltsam anmutende Zusammenhang zwischen Hollandgang und Eigenge- bung (vgl. GA IV, S. 94). In der Neuausgabe der Os- nabrückischen   Geschichte  von   1780   erscheinen die zitierten Passagen – von belanglosen Korrekturen der Interpunktion und Orthographie abgesehen – praktisch unverändert; siehe Justus Möser: Osnabrückische Ge- schichte. Erster Theil, mit Urkunden. Neue vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin, Stettin 1780, S. 109f. (GA XII/2, S. 143).

26   Möser, Osnabrückische Geschichte 1768, wie Anm. 25,

  1. 146 (GA XII/1, S. 157); Osnabrückische Geschichte 1780, wie Anm. 25, S. 117 (GA XII/2, S. 149).

27   Möser, Osnabrückische Geschichte 1768, wie Anm. 25,

  1. 144 (GA XII/1, S. 155f.); Osnabrückische Geschichte 1780, wie Anm. 25, S. 116 (GA XII/2, S. 148). Zur zeit- genössischen Diskussion um die von Möser behauptete hohe Bevölkerungsdichte des Fürstbistums Osnabrück siehe Christian Fieseler: Der vermessene Staat. Karto- graphie und Kartierung nordwestdeutscher Territorien im 18. Jahrhundert. Hannover 2013 (Veröffentlichun- gen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. 264), S. 297-304.

28 [Justus Möser]: Schreiben über ein Project Colonisten in Westphalen zu ziehen. In: Nützlicher Beylagen zum Osnabrückischen Intelligenz-Blate. 25. und 26. St. vom 23. und 30. Juni 1770, Sp. 193-208, hier Sp. 203 (GA IV, S. 285-291, hier S. 289. Möser war freilich kein An- hänger merkantilistisch inspirierter Bevölkerungsver- mehrung und stand insofern quer zu den Ansichten der meisten Zeitgenossen; siehe dazu auch Welker 1996, wie Anm. 6, S. 334 und 494ff.

29 Justus Möser: Patriotische Phantasien. Hrsg. von sei- ner Tochter J.W.J. von Voigt, geb. Möser. Erster Theil. Berlin 1775: Es handelt sich um die Stücke 14, 15 und 17 (GA IV, S. 77-84, 84-97 und 98-101); Stück 16 ist das auch in diesem Kontext, siehe Anm. 10, in den Wöchentlichen   Osnabrückischen   Anzeigen gedruckte Stück Von dem moralischen Gesichtspunkte (GA IV, S. 97f.).

30 [Jacob Mauvillon]: (Rez.) Patriotische Phantasien <…>. In: Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Lit- teratur. Neunter Band. Lemgo 1776, S. 506f.

31 Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Jubiläumsaus- gabe. Bd. 5: Dichtung und Wahrheit. Hrsg. v. Klaus- Detlef Müller. Darmstadt 1998, S. 535ff.

32 Zu dessen Biographie siehe Frank Stückemann: Jo- hann Moritz Schwager (1734–1804). Ein westfälischer Landpfarrer und Aufklärer ohne Misere. Bielefeld 2009 (Veröffentlichungen der Literaturkommission für West- falen. 36).

33 Zu Schwagers Aufenthalt in Osnabrück siehe Stücke- mann 2009, S. 81ff.

34 Zu Schwagers Beziehung zu Möser siehe Martin Siem- sen: „Der Herr hat alles wohl gemacht!“ – Johann Moritz Schwager in Osnabrück und Justus Möser. In: Walter Gödden u.a. (Hrsg.): „Er war ein Licht in West- phalen“. Johann Moritz Schwager <1738–1804>. Ein westfälischer Aufklärer. Bielefeld 2013, S. 275-289.

35 [Johann Moritz] Schwager: Hoffe auf den HErren, und thue Gutes; bleibe im Lande und nähre dich redlich. Ps. 37,3. In: Mindensche Beyträge zum Nutzen und Ver- gnügen. 33. und 34. Woche 1780, Sp. 257-264 und 265-270.

36 J[ohann] Aegidius Klöntrup: Alphabetisches Handbuch der besondern Rechte und Gewohnheiten des Hoch- stifts Osnabrück mit Rücksicht auf die benachbarten westfälischen Provinzen. II. Band. Von F-M. Osnabrück 1799, S. 178: „Hollandsgänger“.

37 Auf kritischer Wallfahrt zwischen  Rhein  und  We-  ser. Justus Gruners Schriften in den Umbruchsjah-  ren 1801–1803. Bearb. von Gerd Dethlefs und Jürgen Kloosterhuis. Köln u.a. 2009 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. 65/Veröffent- lichungen der Historischen Kommission für Westfalen. XIX).

38   Klöntrup 1799, wie Anm. 36, S. 178.

39 J. Gruner im zweiten Teil seiner Wallfahrt zur Ruhe  und Hoffnung; zit. nach Gruner 2009, wie Anm. 37,  S. 427.

40 J. Gruner in seiner im Dezember 1801 abgeschlosse- nen, unveröffentlichten Denkschrift Skizze des jezi- gen Zustandes des geistlichen Westphalens und eini- ger Verbesserungsvorschläge zur höheren sittlichen und einträglicheren bürgerlichen Kultur desselben. In: Gru- ner 2009, wie Anm. 37, S. 3-116, hier S. 78.

41 Patje 1796, wie Anm. 23, S. 422. Patje verweist in ei- ner Anmerkung auf die Patriotischen Phantasien „1ster Theil, S. 109“ als Quelle des Möser-Zitats.

 

Räuber aus Alfhausen

 

De Räuberhauptmann Claus Becker ut Alfhusen

 

Dat 18. Johrhundert wör fö de Lüer in use Giergend ene unruhige un von Kriege bestimmte Tiet. Leper es de Soldoten wören ober de Räuber, Strukdewe un änneret lichtscheue Gesindel, de düsse Tieten ohne Rücksicht up Verluste för sük nutzeden. Se kennen de Begriffe Ordnung, Gesetze un Moroal nich.

 

En Kerl es Johann Bückler, de bekannt wör unner den Namen „ Schinderhannes“, de sien Unwesen in de Giergend vön Köln un Mainz dreif, gelangede sau to twiefelhaften Ruhm.

 

Dat Ossenbrügger Nordland konn sük von düsse Kerls auk nich frie haulen. Sau hadde auk dat lütke Dörp Alfhusen sienen Räuber, de bekannt wör es Beckers Claus . He was en kloker un verwegener Kerl, de de Behörden masse Arbet un Kopiene markede, de auk to de Helden der Landstorten telde un dat ganze Drum un Dran för sük nutzede.

 

De Instellung von de Weimaer Dichter Goethe un Schiller neimen düsse dunklen Gestalten faken eren lepen Ruf es Räuber un Verbriecker, un stellden er Dohn es Tapferkeit un Edelmut hen. De Wälder , de Schluchten un de Höhlen, dat friehe Lierben begeisterde de jungen Lüer daumols. Ut düsse Geisteshaltung entstünd auk dat Jugenddrame von Schiller „Die Räuber“, dat 1782 erstemol upführt worden is.

De Lüer ut dat Kespel Alfhusen konnen  düsse Entwickelung auk nich utenwierge gohen. Sau hadde Beckers Claus dür sien Moot un siene Rücksichtslosigkeit enen ut Furcht un Bewunderung miskenden Ruf. Man seich in üm enen Mensken, de im Grunde blos Gohes dohn woll, ober immer weh in dat Düwelkroam trüggefölt. Düsse Menung geif et bi nöchtern denkende Mensken in Kespel ower blos to siene Lierbenstiet. De Gründe för düsse, vön uns vondage nich to verstohende Instellung, was ower in de Gewalttätikeit un Skrupellosigkeit vön Claus Becker to sehn. Nor sienen Daut schlög de Stimmung sofort ümme. Nor ene lange Riege Verbrieken wört he bie enen Raubzug in Rieste mit ene Äxen dautschlaon. In Alfhusen konn man no düssen Vorfall sofort Stimmen hörn, dat dei gottlose Kerl nich in de wiehenden Erden vön den Kerkhoff begraft weden drofte.

Doch de Verwandten von Beckers Claus kreigen de Genehmigung vön de Regierung, dat se üm up den kartolsken Kerhoff in Alfhusen begrawen droften.

De Alfhuser fünden dat ower ungeheuerlich, dat so en Halunke kiergen rechtschaffende un unbescholtene Lüe up den Acker Gottes liggen scholl.

 

 

Enige Dage nor de Beerdigung grawen entschlurtene Kerls de Lieke we ut, un verscharden sei bi dat Armenhus in Wallen. De Verwandten vön den Dauden beschwerten sük bi de Regierung, de dann en trüggehalen up den Kerkhoff anordnede. Bi Nacht un Nierbel verscharden de Alfhuser de Lieke ower we in die Neigte von dat Armenhus. De Regierung belegede nu dat Kespel Alfhusen wegen Unbotmäßigkeit mit ene Geldstrafe vön 3000 Daler. Wiederhen wörden för de Bewachung vön Beckers Grafstie up den Kerkhoff wirkenlang 100 Soldoten afstellt.

 

Wecker ower glowede, dat de Alfhuser sük beruhigd hadden,hadde sük irrt. Sofort es de Wachen  aftrocken wörn, grawen se de Lieke we ut un verscharte se up ene Stiehe, de bett fön Dage nich bekannt worn is. Wat dann wieder passiert is, kann mann nich säggen.

No enigen Wierken hadden sück de Gemüter beruhigt, weil ännere Saken innen Fördergrund stünden.