Dr. Karl – Heinz Ziessow hat nachfolgendes Buch in den Osnabrücker Mitteilungen 2017 renzensiert (Seite 279 – 281)
Bernd ROBBEN /Helmut LENSING, „Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen”. Betrachtungen und Forschungen zum Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland, 2. Aufl., Haselünne: Verlag der Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte 2015, 288 S., zahlr. Abb., 24,90 €.
Wenn das Lüneburger Stadtrecht von 1722 festhält, es habe „kein Heuerling Macht, ohne Wissen und Willen des Hausherrn in dem Heuerhause zu bauen, abzubrechen, oder Änderung zu machen, oder die Bäume und anderes abzuhauen” (Das / Lueneburgische Stadt-Recht / so in sich begreifft / Der Stadt Lueneburg / Reformirte Statuta, /Gerichts-Rechts / und Policey / Ordnungen; / In Neun Theile verfasset, / und / Auff vieler Verlangen / Zum erstenmahl in Druck befoderr worden. Lüneburg 1722, S. 49.). so verweist es dabei auf den allgemeinen Ausdruck des 18. Jahrhunderts für jede Form von Miet- und Pachtverhältnissen an Häusern und Gütern, wie er bis heute sprachlich in der Heuer der Seeleute fortlebt. Kaum anderswo aber hat sich diese Bezeichnung offenbar so unauslöschlich in der regionalen historischen Erinnerung sedimentieren können wie im Westfälischen. Schon allein die Tatsache, dass das Buch von Bernd Robben und Helmut Lensing binnen kürzester Zeit seine inzwischen fünfte Auflage feiern konnte, belegt den großen Bedarf nach einer kompetenten Schilderung dieses regionalhistorischen Sachverhalts.
Hatte der Bersenbrücker Landrat Hermann Rothert das Heuerleutewesen in den zwanziger Jahren unter sozialpolitischen Gesichtspunkten betrachtet und Hans-Jürgen Seraphim dies 1947 unter wirtschaftsgeographischer Perspektive analysiert, so konnten Einzelstudien wie jene von Franz Bölsker-Schlicht, Christoph Reinders und Jürgen Schlumbohm solche Einsichten in den 1990 er Jahren in demografisch fundierten sozialhistorischen Arbeiten regional verdichten. Lensing und Robben, die für ihr Buch die ganze Breite der vorliegenden Arbeiten herangezogen haben, bieten dazu nunmehr einen reich illustrierten Blick in das alltägliche Dasein einer ländlichen Sozialschicht zwischen Hofeigentümern und besitzloser Arbeitsbevölkerung.
In einem ebenso unspektakulären wie stetigen demographischen Prozess führte die zahlenmäßige Fixierung der Angehörigen der besitzbäuerlichen Schicht durch Hofteilungsverbote vom 17. bis zum 19. Jahrhundert zu einer dramatischen Konturierung der sozialen Pyramide in den Dörfern, so dass am Ende stellenweise „bis zu achtzig Prozent der Einwohner eines Dorfes zu dieser sozialen Schicht” (S.12) der Heuerleute gehörten. In zwanzig Kapiteln entfaltet das Buch ein weites Spektrum jener Bedingungen, die die Heuerleuteexistenz bestimmten und in ihrer Vielfalt charakterisierten – sei es im Dorf mit dem Verhältnis zu Adligen und Bauern, mit der Selbstversorgung und den prekären gesundheitlichen Verhältnissen, den Gefährdungen durch die Markenteilung oder der Einführung des Kunstdüngers. Andererseits speist es aber auch die notgedrungen hohe Motivation, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Dies gilt für die Ansiedlung im Moor ebenso wie für den ländlichen Nebenerwerb, die Hollandgängerei und die Auswanderung nach Amerika. Darin erwiesen sich die Angehörigen der Heuerleuteschicht als eine ungemein mobile Arbeitsbevölkerung, deren Horizont über weite Teile Europas und bis in die Neue Welt reichte, wo sie vielerorts nachhaltige Spuren hinterließ. Wer weiß schon, dass ein scheinbar so lokales Handwerk wie das Leinengewerbe des Osnabrücker Landes in das Welthandelssystem des Kolonialzeitalters eingebunden war? So hatte das Osnabrücker Leinen als Grundmaterial für amerikanische „Sklavenhemden” im Dreieckshandel zwischen europäischen Metropolen, afrikanischen Kolonien und amerikanischen Plantagen seinen festen Platz. Die luftigen „Osnabrugs” wurden vergleichbaren Baumwollstücken bei der Arbeit unter häufig tropischen Bedingungen vorgezogen. Solche und ähnliche Details erfährt, wer sich das kenntnisreiche, mit Bildern und Beispielen gesättigte Buch von Bernd Robben und Helmut Lensing über das Heuerlingswesen vornimmt.
Daneben kommen bislang kaum erwähnte, teilweise auch aktiv beschwiegene Dinge zur Sprache, wie das Verhältnis der in den Heuerleutestand absteigenden Bauernsöhne zu ihren Herkunftsfamilien auf den Höfen oder auch die zentrale Rolle der mit viel Geringschätzung bedachten Heuerlingsfrauen. Das Ende des Heuerlingswesens steht schließlich unter politischen Vorzeichen, als der Nationalsozialismus mit der Gleichschaltung der Landwirtschaft die in der Weimarer Republik erstmals auch zu politischer Macht gekommenen Heuerleute und deren Organisationen verfolgte und unterdrückte, wovon die geheimen Gestapoberichte Osnabrücks wortreich Zeugnis ablegen. Letztlich waren es dann aber vor allem die neuen Möglichkeiten zu eigener Existenzgründung in der Nachkriegszeit, die jene alten, auf persönlichen Beziehungen gegründeten Pachtverhältnisse wie das Heuern obsolet werden ließen.
Die baulichen Zeugnisse dieses jahrhundertelang dominierenden Elements in der Sozialstruktur vieler nordwestdeutscher Regionen sind auch heute noch kaum zu übersehen, und die lokale Erinnerung ist noch längst nicht geschwunden – ein Umstand, der den Emsländer Bauernsohn Robben und den Grafschafter Historiker Lensing nicht nur zu ihrer Arbeit motivierte, sondern auch dazu anleitete, mit einer enormen Vielfalt von Zitaten und Gesprächszeugnissen aus dem Emsland, aus dem Osnabrückischen und dem Oldenburger Münsterland ein lebendiges Bild des Heuerlingslebens vom 17. bis ins 20. Jahrhundert zu zeichnen. So sorgt die „persönlich gehaltene Annäherung zweier Autoren” nicht zuletzt deshalb für eine besondere Eindringlichkeit der Darstellung, weil sie stärker auf die vielen Unterschiede und Nuancierungen in der Heuerleuteexistenz eingehen kann, als dies einer streng wissenschaftlichen Studie möglich gewesen wäre.
Hude Karl – Heinz Ziessow