Zur Lage einer kranken Heuerlingsfrau

 Ein Fallbeispiel

Schon beim ersten Betrachten fällt ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Personen auf: Der geradezu trotzig dreinschauende Mann, der sein ausgesprochen preußisches Selbstbewusstsein zur Schau stellt.

Daneben sehen wir die „arme“ Ehefrau, die die Welt nicht mehr sehen mag. Sie schaut nach unten, wenn sie nicht gar die Augen geschlossen hat.

Hier handelt es sich um ein Heuerlingspaar aus dem südlichen Emsland. Die Frau hat ein schweres Schicksal zu tragen, bei ihrem sechsten Kind hat sie einen Gebärmuttervorfall erlitten, der damals nicht zu operieren war. Für den medizinischen Laien: Die Gebärmutter ist im Rahmen der Geburt aus dem Unterleib der Frau herausgetreten und sie lässt sich nicht dauerhaft wieder in den Innenkörper zurückführen. Erst eine gynäkologische Operation kann hier Abhilfe schaffen. Diese gab es aber damals noch nicht.

Da braucht man keine große Vorstellungskraft, wie auf der einen Seite diese Frau körperlich leidet und sie dadurch nahezu völlig eingeschränkt ist, sie aber auf der anderen Seite angesichts der Fülle der zwangsläufig täglich anfallenden Arbeiten im Haus, auf der Diele,  draußen im Garten und auf dem Feld ihr Elend doppelt schlimm empfinden muss.

In diesem Falle mussten die Kinder stellvertretend für die Mutter Pflichtarbeiten auf dem Hof übernehmen und natürlich auch zuhause noch intensiver mithelfen.

Dieser heute kaum noch vorstellbare körperliche Makel barg außerdem noch die ständige Gefahr in sich, dass hier ein enormes Einfallstor für Infektionskrankheiten gegeben war.

So geht insbesondere Jürgen Schlumbohm  in seiner umfangreichen Fallstudie über den Ort Belm  in der Nähe von Osnabrück auch auf die Krankheiten und die Sterbehäufigkeit ein:

Lebensläufe, Familien, Höfe: Die Bauern und Heuerleute des Osnabrückischen Kirchspiels Belm in proto-industrieller Zeit, 1650-1860, Göttingen 1994; 2. Auflage 1997. ISBN 3-525-35647-1

Gerade rund um die Geburt von Kindern lag für die Mütter ein besonderes Sterberisiko, vornehmlich beschrieben mit dem Begriff „Kindbettfieber“. Für uns heute kaum noch vorstellbar ist wohl, dass der zurückbleibende  Ehemann in der Regel schon nach zwei oder drei Monaten wieder heiratete. Aber die Arbeit musste weitergehen und getan werden…

Foto: Archiv Robben