Milchtransport – eine begehrte Nebenbeschäftigung der Heuerleute

Hier berichten die Brüder Josef und Antonius Schumacher aus Hollenstede in der Nähe von Fürstenau über den Milchtransport durch ihren Familienbetrieb. So konnten sie ein Zusatzeinkommen zu ihrer Heuerstelle erwirtschaften. Außerdem lohnte sich die Anschaffung eines Pferdes, das dann auch im kleinen landwirtschaftlichen Betrieb eingesetzt werden konnte. Darauf mussten die anderen Heuerleute aus Kostengründen verzichten.

Josef Schumacher mit Kurzvita: Geboren 1938, 6 Geschwister, Volksschule Hollenstede, Landwirt, Lkw-,Busfahrer, verh. 4 Kinder, 6 Enkel, 1968 Gemeinderat Hollenstede 1972-1996 Stadt- und Samtgemeinderat Fürstenau, Neuenstadt 27, 49584 Fürstenau - Hollenstede

 

Antonius Schumacher mit Kurzvita: Geboren 1949, 6 Geschwister, Volksschule Hollenstede, Kaufmännische Lehre, Einzelhandelskaufmann, verh. 3 Kinder, 4 Enkel, Vorsitzender vom Heimatverein Bramsche, Otto-Hahn-Str. 6, 49811 Lingen

 

Vorwort

Auch mein Opa fuhr schon Milchwagen,die Milch wurde zur Molkerei Hummert in Schwagstorf geliefert.

Die Route führte von Fürstenau nach Schwagstorf. Mit dieser Route wurden 30 Lieferanten bedient. Sie lieferten täglich die Milch in 10, 15 oder 20 l Milchkannen. Jede Kanne war mit der Nummer des Lieferanten gekennzeichnet.

Mein Opa sowie mein Vater und auch später mein großer Bruder Josef fuhren diese Route zur Molkerei Hummert in Schwagstorf.

Bei jedem Wind und Wetter musste gefahren werden. Da man morgens der Erste auf dem Weg war, waren manchmal ein umgewehter Baum oder abgebrochene Äste zu beseitigen.

Zu unseren Milchwagenpferden ist zu sagen, sie mussten eine besondere Ausbildung haben:

  • Zugtiere in der Landwirtschaft
  • Reittiere für uns Kinder
  • Rückepferde für im Wald
  • Ruhige Verstärkung vor einem Trecker auf Dreckwegen oder beim Herausziehen des Treckers aus einem nassen Feldstück
  • Als Milchwagenpferde beim Auf- und Abladen der Kannen vor dem Wagen stehen bleiben ohne Zügelführung

Die Pferde waren mit Hufeisen beschlagen, welche Gewindeaufnahmen für Schraubstollen hatten – ähnlich wie bei Fußballschuhen mit Schraubstollen. Bei großen Schneemengen oder Schneeverwehungen fuhren wir mit einem Pferdeschlitten die Milch – Straßenräumdienste gab es nicht.

Die Pferde waren damals ein hohes Gut und waren deshalb versichert gegen Leistungsausfall und Tod.

Als Milchwagen dienten eisenbereifte Ackerwagen mit niedrigen Seitenbrettern.

Bei großer Hitze und Trockenheit bestand die Gefahr, dass sich die Eisenbänder von den Rädern lösten. Deshalb wurden sie nachmittags mit nassen Säcken abgedeckt.

Die Beleuchtung des Fuhrwerkes war eine große Petroleumlampe vorne und eine kleine Lampe hinten.

Nach dem Krieg wurde ein gummibereifter Flachwagen von der Molkerei zur Verfügung gestellt. Später ist dieser Wagen von uns übernommen worden.

Etwa 1960 wurden die Pferde von Zugmaschinen ersetzt. Die Pferdedeichsel des Milchwagens wurde um die Hälfte gekürzt, eine Kupplungsöse vorne angeschraubt, und schon konnte der Milchwagen hinter den Traktor gespannt werden..

Die Milchliefermenge an die Molkerei steigerte sich von Jahr zu Jahr bei gleichzeitiger Abnahme der Milchlieferanten.

Ein Milchtankwagen übernahm ab 1964 die Arbeit des Milchabholens. Diesen fuhr bis 1969 mein großer Bruder Josef.

Mit einem Schlauch wurde die Milch zunächst noch aus den einzelnen Milchkannen gesaugt. Großvolumige Behälter ersetzten nach kurzer Zeit die Milchkannen.

Nach und nach wurde die Abfuhr von täglich auf alle zwei Tage umgestellt und die Milch direkt vom Hof aus den fahrbaren, oder auch in den Milchkammern aufgestellten Tanks, abgeholt.

Nur noch ein kleiner Teil der gesammelten Milch wurde durch die Molkerei in Schwagstorf verwertet.

Die größere Menge wurde ins Hochwald-Milchwerk in Obersteinbeck gefahren.

Hier wurde Kondensmilch und Magermilchpulver hergestellt.

 

Die Molkerei Hummert (siehe Bild) und auch das Hochwald-Milchwerk in Obersteinbeck haben inzwischen den Betrieb eingestellt.

 

Von den 30 Milchlieferanten der 50er Jahre ist zurzeit nur noch einer aktiv tätig.

Die täglich anfallende Milchmenge dieses einen Betriebes ist aber größer als die der 30 Betriebe vor 80 Jahren.

Vor der ersten Milchkanne

Für den Milchwagenfahrer begann der Morgen um 5:00 Uhr mit Pferde füttern, frühstücken und Wagen anspannen.

Bei der ersten Sammelstelle musste der Bauer bis 6:00 Uhr seine vollen Milchkannen am Weg/Straße zur Abholung bereitgestellt haben.

Milch sammeln – Weg zur Molkerei

Nun wurde von Milchlieferant zu Milchlieferant die an die Straße gestellten vollen Kannen auf den Wagen geladen.

Die Pferde kannten ihren täglichen Weg und auch die Zuladestellen genau; bei wenig Kannen wurden sie nur langsamer, bei vielen Kannen hielten sie aus der Erfahrung heraus an.

In manchen Sommermonaten lieferten die Bauern wesentlich mehr Milch an, so das hinten am Milchwagen ein zusätzlicher Wagen angehängt werden mußte. Dann wurde es für die Pferde schwer.

War die letzte Milchkanne auf dem Wagen, wurde auf die Uhr geschaut. Die Pferde mußten schneller laufen oder der Milchwagen lag gut in der Zeit. Jeder Milchwagen hatte an der Rampe bei der Molkerei seine feste Zeit zum Abladen. Wer nicht pünktlich da war, mußte sich hinten anstellen.

 

Bei der Molkerei

Bei der Molkerei gab es einen exakt geregelten Ablauf. Bevor unser Milchwagenfahrer die Kannen auf die Rollenbahn der Molkereirampe stellen konnte, mußte er die Kannen vom vorherigen Wagen abladen, schön zusammengestellt nach Kannennummern.

An heißen und schwülen Sommertagen prüfte man die Milch schon in den Kannen auf dem Wagen ob die sauer war. Eine beanstandete Kanne erhielt einen roten Zettel mit der Aufschrift: „Milch war sauer, besser kühlen“ und blieb auf dem Wagen.

Einmal pro Woche wurde bei der Molkerei der vollgepackte Butterkasten mit auf den Milchwagen geladen. Je nach Bestellung verteilte der Milchwagenfahrer die Butterstücke beim Zurückbringen der Kannen. Meistens wurden die Butterstücke in den umgestülpten Deckel der Milchkannen gelegt.

Kannen zurück zu den Bauern

Bei der Molkerei fertig, ging es wieder zurück. Jetzt war es nicht mehr so eilig; es sei denn, die Getreide-Ernte rief. Der Milchwagen war nicht mehr so schwer, die Pferde hatten es leichter. Die Kannen wurden bei den Zuladestellen wieder zurückgestellt, ggf. wurde die Butter verteilt.

Zuhause angekommen wurden die Pferde versorgt und dann zum Fressen in die Hofwiese geführt. Das Zuggeschirr bei den Pferden wurde nicht extra abgenommen, da es ja nach der Mittagspause am Nachmittag in der Landwirtschaft weiterging.

 

Milchwagen – Kirchgang

Wie wichtig in der katholischen Bevölkerung der sonn- und feiertägliche Kirchgang war, besagt folgendes:

Als mein großer Bruder Josef in der Lage war, den Milchwagen von der Molkerei zurück bis zur ersten Abladestelle allein fahren konnte, nahm mein Vater sonntags und bei den jährlichen Hochfesten der katholischen Kirche seinen Sohn Josef und sein Fahrrad mit auf die Milchwagentour. Bei der Molkerei fertig fuhr mein Vater dann von der Molkerei mit dem Fahrrad zur  Kindermesse in Schwagstorf. In der Zeit fuhr Josef den Milchwagen zur ersten Abladestelle, wo dann mein Vater, vom Kirchgang zurück, das Abladen übernahm.

Als Bruder Josef später den Milchwagen komplett alleine fahren konnte, wurde bei der Rückfahrt an einer Abladestelle, die am nächsten zur Hollensteder Kirche lag, Fahrertausch gemacht. Josef war dann schon in der Frühmesse gewesen, fuhr dann mit dem Fahrrad zu dieser Abladestelle und löste meinen Vater ab. Dieser fuhr dann mit diesem Fahrrad zum Hochamt. Hier konnte er dann auch als Kirchenvorstandsmitglied mit dem Klingelbeutel gehen und nach Kirchende zu seinem geliebten Frühschoppen.

Fotos: Archiv Schumacher