Wohnsituation um 1950 (Riedell)

Das_Häuslingshaus

Das älteste Häuslingshaus in der Gemeinde steht seit 1837, das nächste seit 1840. Vielfach wissen die Bewohner, daß vorher an der gleichen Stelle oder in der Nähe schon ein anderes Haus stand. Das jüngste Baudatum – 1906 – wird für Nr. 6a angegeben.

Einige Häuser dienten ursprünglich als Schafställe und wurden nach der Gemeinheitsteilung ausgebaut, in anderen Fällen rissen die Leute den Stall ab und brachten das Eichengebälk an einen neuen Ort, wo es als Gerippe für das Häuslingshaus diente. (…)

Die kleineren Häuser messen etwa 10 m Länge, die größeren 13 x m, wovon etwa 60 qm für den Wohnteil bleiben, und in Einzelfällen brachten nachträglich Anbauten die Gesamtlänge auf 17 m.

 Zum Bau rückte im vorigen Jahrhundert keine Firma an, denn Baumaterial und Arbeitskräfte fanden sich am Ort. Das Fundament begann in etwa 4o· cm Tiefe mit einer Reihe verschieden großer Feldsteine, auf die ein Balken gelegt wurde. Für die Innenwände genügte der Balken ohne Steine, für die Außenwände vielfacauch.

Heuboden und Dach wurden nämlich von der doppelten Ständerreihe und nicht von den Wänden getragen . Das Balkengerippe gab dem Haus Festigkeit und Dauer. Eichen wuchsen im Dorf, Häuslinge und Knechte zersägten sie, und dann mußte allerdings der Zimmermann “für einige Groschen” Tagelohn dabei sein bis zum Richten. Die Fächer wurden nun mit Weidengeflecht und Lehm gefüllt oder auch mit Lehmziegeln, die man selbst brannte. Schließlich deckten zwei Ortsansässige das Strohdach.

 Der Fußbodenbelag bestand aus Lehm, aber seit der Jahrhundertwende wurde dann der Wohnteil größtenteils gedielt, nur in einem Fall schliefen die Leute noch bis 1935 in Kammern mit Lehmfußboden.

In der Diele wurde der Boden meist erst nach der Jahrhundertmitte mit Klinkern befestigt. Lehm diente auch als “Einschub” zwischen den Balken über dem Wohnteil, oft bis in die Gegenwart, eine ideale, Feuchtigkeit schluckende Wärmedämmung, ideal auch für Ratten. Getragen wurde der Einschub durch schmale kräftige Eichenbretter, mit dem Beil grob zurechtgehauen, mit 11 Strohlehm11 umwickelt und von unten durch einen Lehmdeckenputz abgeschlossen. Für Tischler, Glaser und blieb wenig Arbeit übrig.

Diese Häuser entsprachen den Gewohnheiten ihrer Entstehungszeit, sie waren keine Elendsquartiere. An Wohnkomfort und Frischluft wurden keine großen Anforderungen gestellt. Noch bis 1850 schlief die ganze Pastorenfamilie in Heiligenfelde mit 9 Kiniern in einem Raum, und die Pastorenfrau kochte auf einem Herd ohne Schornstein.

Mit der Zeit kamen Ziegelsteine in die Fächer der Außenwand, aber da wenig Kalk und viel Sand zum Mauern verwendet wurde, da das Regenwasser vom Strohdach tropfte und die Wände, besonders in Erdnähe, anfeuchtete und den Sand aus den Fugen wusch, drang die Nässe in die Räume, trieb der Giersch seine unteririschen Ausläufer durch die Wände, faulten die Holzdielen, unter denen sich schon Mäuse oder Ratten angesiedelt hatten. Die Fensterrahmen vermorschten, die Beschläge verrosteten, das Dachstroh wurde stellenweise zerfetzt, am Schornstein lief das Regenwasser herunter, Dachlatten brachen: Nun begann das Wohnungselend. Die Häuslinge rührten sich und brachten Beschwerden vor, gehäuft seit etwa 1930. Ihnen schlossen sich auch die Bewohner der neueren Häuser an, der scheußlichen Zweckbauten der Jahrhundertwende.

Die Beschwerden waren erfolglos: Der Bauer zahlte Grund– und Gebäudesteuer und den Feuerversicherungsbeitrag, der Häusling wohnte billig, also rentierten sich grundsätzliche Renovierungsmaßnahmen für den Bauern nicht, zumal er damals selbst auf Hilfe wartete, nämlich auf die Umschuldung. Und als nach der Währungsreform allenthalben Aufbau und Erneuerung einsetzten, warfen gerade die größeren Höfe wegen der unglücklichen

Besteuerung nicht die nötigen Überschüsse für Baumaßnahmen ab.

“Die Gewinnabschöpfung, die ihren Höhepunkt im Jahre 1953 erreichte, war für diese (buchführungspflichtigen) Betriebe der Aderlaß, von dem sie sich in den folgenden wirtschaftlich weniger günstigen Jahren nicht wieder erholen konnten.”

Auch der Staat und die Wohnbaugesellschaften nahmen sich gerade des Problems der Häuslingshäuser erstaunlich wenig an. Von 1937 bis 1941 brachte es die Niedersächsische Heimstätte auf nur 298 Heuerlingshäuser gegenüber 17 276 ländlichen Werkwohnungen, und von 1952 bis 1962 wurden in Niedersachsen zwar 2 ooo “Eigenheime für Landarbeiter’ und “rund 7000 Werkwohnungen und Ersatzbauten” errichtet, aber von Häuslingshäusern ist bei diesen Maßnahmen nicht die Rede.

Die Bauern begnügten sich mit dem Rat: ‘Dann zieht doch aus!” Die Häuslinge halfen sich mit notdürftiger Flickerei, die wenig nützte und den Anblick verschandelte. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß bei den Beschwerdeführern zuweilen auch die sture Mietermentalität vorherrschte, keinen Handschlag zu tun für ein Haus, das einem nicht gehört. Ein rechtzeitiger Öltropfen hätte vielleicht manches Fenster gerettet, und die zersprungene Fensterscheibe brauchte nicht durch Pappe ersetzt, das Loch im Schlafzimmerfußboden nicht mit einem Zigarrenkistendeckel vernagelt zu werden.

Ein alter Bauer meinte 1955: “Wenn jetzt nichts geschieht, laufen uns die Leute weg.” Bis dahin standen nämlich an der “Heide” für 8 Häuslingsfamilien und die Bewohner des Armenhauses nur 2 Ziehbrunnen zur Verfügung, von denen sie mit dem Joch das Wasser für Mensch und Vieh heranschleppten. Die  Bauern, die längst über Druckkessel und Wasserhahn verfügten, mußten sich jetzt beeilen, jedem Häusling die Handpumpe auf der Diele zu installieren; die elektrische Anlage beschaffte dieser sich dann später selbst.

3chließlich klafften der tatsächliche Zustand der Häuser und die Wohnansprüche ihrer Bewohner so weit auseinander, daß die Lücke sich nicht mehr durch Ausbesserungsarbeiten schließen ließ.

Wo der Häusling das Haus selbst erwirbt, um dann anzubauen oder neu zu bauen, zeigt er, worauf sein Sinn schon lange gerichtet war: Auf saubere und geruchlose Räume mit weißen Decken und lichten Fenstern, auf WC und Badezimmer; die Ölheizung gilt noch als zu aufwendig.