Sabine Wallmeier aus Brochterbeck berichtet über Heuerlingserfahrungen in ihrer Familie

 

Sabine Wallmeier, geb. 05.01.1967 als Älteste von 5 Kindern, Fachkauffrau für Außenwirtschaft, verheiratet, 2 erwachsene Kinder, kirchlich engagiert, Interesse an (Familien-)Geschichte(n)

Oma ist am 6. Februar 1917 in einem Heuerhaus in Lehen, Ibbenbüren geboren.

Opa ist am 1. März 1914 in Greven geboren.

1935 (im Alter von 21 Jahren) ist Opa als landwirtschaftlicher Gehilfe bei dem Bauern in Stellung gegangen. Dort hat er dann Oma kennengelernt.

Am 16. August 1936 erhielt Opa einen Einberufungsbescheid der Wehrmacht. Im November 1938 kehrte er nach Hause zurück und erhielt einen Anstellungsvertrag bei der Preussag.

Oma hat immer gesagt: „Du kannst ruhig bei der Preussag arbeiten — aber auf keinen Fall unter Tage.“ So wurde Opa Rangierer und später Fahrdienstleiter bei der Zechenbahn — bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1974.

Oma und Opa haben in einem 3-tägigen Kriegsurlaub von Opa 1940 kirchlich geheiratet, nachdem sie schon mehr als ein Jahr standesamtlich verheiratet waren.

Gewohnt haben Oma und Opa im Heuerhaus, wo Oma aufgewachsen war. Im Heuerhaus gab es drei Schlafzimmer; eine Küche, die quer durchs ganze Haus ging; eine Upkammer; eine Diele mit Schweinestall und Kuhstall. Die Toilette war draußen an der Diele angebaut. Hinterm Haus stand ein großer Birnenbaum.

Im Heuerhaus wohnten noch die Eltern von Oma — mit eigenem Schlafzimmer; Eine behinderte Schwester (Tante) von Oma, schlief in der Upkammer; Oma hatte einen Bruder, der Ordensbruder war. Wenn der zu Besuch kam, musste er in der Upkammer auf einem alten Strohsack schlafen und Tante schlief dann im Zimmer der Großeltern; 1948 ist der Großvater gestorben und die Tante hat ab dem Zeitpunkt in seinem Bett geschlafen;

Die beiden großen Geschwister von Mama teilten sich nicht nur ein Schlafzimmer, sondern auch ein Bett.

Mama (geb. 1946) und ihre beiden kleineren Geschwister schliefen im Schlafzimmer von Oma und Opa.

Wenn der Bauer rief, musste Opa kommen und helfen – nach der Schicht auf’m Pütt.

War beim Bauern Waschtag, musste Oma den ganzen Tag dort helfen. Erst als die Arbeit beim Bauern erledigt war, konnten sie sich um die eigene kleine Landwirtschaft kümmern. Sie hatten 2 Kühe und 2 Schweine.

Oma erzählte oft, dass sie als Schwangere mit dickem Bauch übern Wiem krabbeln musste und der Bauer unten stand und einfach nur sagt: „Bolle kannste datt ja ock nicht mehr!” Er hat aber niemals gesagt: „Komm Wicht, lass das mal sein, das geht nicht mehr in deinem Zustand.“ Auch bei der Heuernte gab es keinen „Schwangerschaftsurlaub“. Hochschwanger musste Oma helfen und auch dann noch auf den Heuwagen klettern.

Im Heuerhaus war es feucht und nass.

Alte Fotos lagen in einem Karton und sind all verschimmelt.

Beim Umzug 1953 ins neue Haus mussten Oma und Opa neue Möbel kaufen, weil fast alle Möbel feucht und schimmelig waren.

Ein Schrank bekam eine neue Rückwand und wurde so mitgenommen – er wurde der Kleiderschrank von Mama und ihrer großen Schwester.

Sonntags hat Opa immer Sand in die Küche gestreut, damit es wieder schön aussah.

Die Toilette war draußen. Wenn einer von den Kindern nachts zur Toilette musste, ging die Großmutter immer mit raus.

Der Großvater hat fast immer mit den Kindern abends Lieder gesungen, denn es gab nicht mal ein Radio im Heuerhaus.

Die älteren Geschwister von Mama erinnern sich an einen Fliegeralarm:

Sie mussten nachts unter der Upkammer auf den Kartoffeln schlafen — mit einem weißen Kopfkissen.

Obwohl sie nichts hatten, sind die Kinder fröhlich aufgewachsen. Zum Spielen gab es einen Ball und das Wäldchen. Natürlich mussten sie auch bei der kleinen Landwirtschaft mitanpacken.

Trotzdem hatten sie eine glückliche Kindheit—kannten auch nichts anderes.

1953 haben Oma und Opa ein eigenes Haus – in der Nähe der Heuerstelle -gebaut. Hier sind dann die beiden jüngsten Geschwister von Mama geboren.

Der jüngste Bruder von Mama kannte das Heuerhaus nur noch von außen: Nachdem Oma und Opa ausgezogen waren, ist eine andere Familie dort eingezogen. Das Heuerhaus wurde Anfang der 1970er Jahren abgerissen.

Obwohl Oma und Opa nicht mehr in Heuer wohnten, musste die ganze Familie bei der Heu- oder Kartoffelernte helfen. Der jüngste Bruder von Mama hat daran noch schöne Erinnerungen, z. B. an die frische, kalte Milch, die man dann auf dem Feld zu trinken bekam, sagt aber auch „Ich glaube, es gab sowas wie Sippenhaft – die ganze Familie musste beim Bauern helfen.“ Opa hat noch beim Bauern geholfen, bis er 60 Jahre alt war.