zu Ostelbien

Uneheliche Schwangerschaften in Preußen

Die Anstellung als Knecht  oder Magd bedeutete in der Regel zugleich den Verzicht auf die Ehe während der gesamten Dienstzeit.

In seinem Buch „Die Agrarfrage“ schreibt Kautsky dazu im Jahre 1902: Der Geschlechtstrieb läßt sich dadurch freilich nicht beeinflussen, aber er wird oft auf unnatürliche Bahnen gedrängt, um eine Nachkommenschaft nicht aufkommen zu lassen. Erweist sich die Natur stärker als alle künstlichen Vorkehrungen, dann greift die unglückliche Mutter mitunter zum Verbrechen, um sich ihrer Leibesfrucht zu entledigen. Sie weiß nur zu gut, warum, denn weder ihr noch ihrem Kinde winkt eine erfreuliche Zukunft. Die uneheliche Kinder werden den ungünstigsten Verhältnissen ausgesetzt, ein großer Teil von ihnen stirbt frühzeitig, ein anderer nicht geringer Teil bevölkert später die Zuchthäuser.

Dabei wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der außereheliche Geschlechtsverkehr des ländlichen Gesindes eine logische Folge der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sei und mit den Demütigungen und unwürdigen Lebensverhältnissen eng verbunden sei. So führt schon Friedrich Engels mangelnde Moral unter den englischen Industriearbeitern auf soziale und materielle Missstände zurück. (Seite 145)

So wurde in einer Untersuchung im Raum Bautzen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich festgestellt, dass durch die Verhinderung einer legalen Ehebindung des bäuerlichen Gesindes der außereheliche Geschlechtsverkehr üblich sei, auch wenn dabei gegen die christliche Moral verstoßen wurde. Nur so ist die ansehnliche Zahl der von den Mägden geborenen unehelichen Kinder zu erklären, wobei angenommen werden kann, dass die Anwendung von empfängnisverhütenden Mittel und Methoden kaum gebräuchlich gewesen sein wird. (Seite 64)

Während in der Oberlausitz schwangere Dienstmädchen in städtischen Haushalten um 1890 noch schonungslos und fristlos entlassen wurden, änderte sich auf dem Lande angesichts eines zunehmenden Mangels an Mägden die Anwendung der ansonsten strengen Gesindeordnung. Allerdings bedeutete das keineswegs die Gewährung von Erleichterungen bei der täglichen Ausübung der Arbeit bis direkt vor der Niederkunft.

Nun stellte aber die Unterbringung der Kinder ein gewichtiges Problem dar. Sie mussten weg gegeben werden zu sogenannten „Ziehmüttern“, was nur unter großem finanziellem Aufwand möglich war. Das uneheliche Kind einer Magd war also eine unerwünschte Last und hatte damit zu verschwinden.

Es kam angesichts der mangelnden medizinischen Versorgung durchaus vor, dass bei der Entbindung bei der Mutter nachhaltige körperliche Schäden entstanden, die eine harte landwirtschaftliche Tätigkeit nicht mehr zuließen. Dann bestand in einigen Fällen die Möglichkeit, dass diese jungen Frauen in der Stadt eine Anstellung als Amme erhielten.

Eine Generalverordnung der Bautzener Kreisdirektion aus dem Jahre 1840 über die Beaufsichtigung außerehelicher Entbundener gibt einen Einblick in die bedrängte materielle und soziale Lage lediger Mägde:

Von der Direktion der Entbindungsanstalt zu Dresden ist die Wahrnehmung gemacht worden, daß manche der daselbst außerehelich Entbundenen nicht allein das sittenloseste und ungebührlichste Benehmen in dieser Anstalt an den Tag gelegt, sondern auch einen so gänzlichen Mangel an Mutterliebe, verbunden mit der größten Rohheit der Gesinnung überhaupt, bewiesen haben, daß die Absicht, ihren Leibesfrüchten Verderben und Untergang zu bereiten, nicht zu bezweifeln sei.

Das Königliche Ministerium des Inneren hat da sehr (…) für nötig befunden, daß sämtlichen Polizeibehörden des Landes anempfohlen werde, wenn ihnen von besagter Anstaltsdirektion dergleichen Fällen der Verworfenheit und Rohheit solcher Subjekte namhaft gemacht werden, teils eine gleichmäßige Vigilanz über die in ihre bezüglichen Bezirke entlassenen Entbundenen dieser Kategorien zu führen, teils ihnen die nach der Gewerbeordnung erforderliche Legitimation zum Antritt von Ammendiensten wegen zu befürchtender Verwahrlosung der ihnen anvertrauten Säuglinge zu verweigern, teils womöglich für tunlichst für sichere Unterbringung solcher unehelicher Kinder Sorge zu tragen.

Angefügt ist als Beispiel die Lage einer 28 -jährigen Magd Agnes Bielog aus Uhyst an der Spree im Jahre 1866:

Sie sei die Mutter eines außerehelichen, gegenwärtig 1 ½ jährigen Kindes. Nachdem sie dieses Kind in Uhyst a. d. Spree bis Anfang dieses Sommers bei sich gehabt und dabei dort auf Handarbeit gegangen sei, so habe sie sich auf Zureden ihrer Schwester Maria verehel. Mroske auf hiesiger Seidau entschlossen, das Kind gegen 16 Neugroschen Ziehgeld zu dieser in Pflege zu geben und sich selbst anderweitig zu vermieten. Einen Dienst habe sie bei dem … Ökonomen Nostitz gefunden, habe sich vorläufig bis zu … 1866 an diese als Magd vermietet… . Nun sei aber … der Ehemann ihrer Schwester Mroske an der Cholera verstorben, auch die Schwester selber sei erkrankt und deren Kinder hätten demzufolge müssen in der zum Waisenhause eingerichteten Kinderbewahranstalt auf der Seidau einstweilen untergebracht werden…

Des weiteren gibt Bielog an, man habe ihr ihr Kind zurückgegeben, es sei kränklich und niemand wolle es für 16 Neugroschen als Ziehkind nehmen. Sie habe daher Herrn Nostitz gebeten, ob es sich mit ihrem Dienstverhältnisse bei ihm vereinigen würde, wenn sie das Kind mit bei sich hätte, derselbe habe dies inzwischen abgelehnt… (Musiat, Seite 64, 65)

Insgesamt findet sich noch heute in den Erzählungen älterer Zeitzeugen die eindeutige Aussage, dass damals ledige Mütter als Dienstpersonal besonderen Diskriminierungen und Demütigungen ausgesetzt waren. Fand sich unter den Knechten in der Folgezeit kein Ehepartner, sah das weitere Leben dieser jungen Frauen nicht rosig aus. In einigen Fällen zogen sie sich in ihr Elternhaus zurück und mussten dort zumeist ein armseliges und einsames Dasein fristen – selbst innerhalb der Verwandtschaft.

Musiat, Siegmund: Zur Lebensweise des landwirtschaftlichen Gesindes in der Oberlausitz, Bautzen 1964.

Kautsky, Karl: Die Agrarfrage, Stuttgart 1902

Engels, Friedrich: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, Leipzig 1845