Zur Frage der Entstehung des Heuerlingswesen  als Nachfolger der Brinksitzer

Dr. Dietrich Maschmeyer                                                                             21.12.2017

Ich habe im Zusammenhang mit einer vermutlich zu einer Heuerlingsstelle des Hofes Splanemann umgewandelten ehemaligen Brinksitzerstelle in Untergersten, Gde. Gersten die Vermutung geäussert, dass die Brinksitzer als Existenzform der grundbesitzlosen ländlichen Sozialschicht gewissermassen abgelöst hat. In Gersten lässt sich dabei nachweisen, dass die ehemals grundbesitzlosen Brinksitzer offenbar im Laufe des 17. und 18 Jh. zu kleineren Bauernerben mit Berechtigung in der Mark aufgestiegen sind. Wie sich der Grunderwerb im Detail vollzogen hat, (vermutlich durch Zuschläge aus der Mark) und wie sich die Berechtigungen in der Mark über die Zeit etabliert haben, vielleicht von einer Duldung hin zu einem Gewohnheitsrecht, wäre im einzelnen noch nachzuvollziehen. Ausserdem ist die Frage von Interesse, ob und wie die ausserlandwirtschaftliche bzw. entgeltliche Betätigung dieser Schicht – wie später auch bei den Heuerleuten – zu einer besonderen Basis an Eigenkapital geführt haben könnte, das in Grundbesitz umgewandelt wurde.

Für die Erforschung der Brinksitzer erweist es sich als Vorteil, dass sie direkt abgabepflichtig waren, mindestens also eine Feuerstättensteuer (das Rauchhuhn) entrichtet haben, darüber hinaus oft auch an Kirche und Küsterei und damit schon auf Grund der Abgaben archivalische Spuren hinterlassen haben. Darüber hinaus scheinen die Eigentümer der Brinksitzerstellen selten gewechselt zu haben. Ich unterstelle, dass die beiden vorgenannten Aspekte einen wesentlichen Unterschied zwischen Brinksitzern und Heuerlingsstellen darstellen.

Die Gründung von Brinksitzerstellen bedurfte, soweit sich erkennen lässt, der Zustimmung der Markengemeinde, da in der Regel auf deren Grund gebaut wurde. Daher ist wahrscheinlich, dass dies bevorzugt „Bekannten“ Menschen aus der Gemeinde gestattet wurde.

Heuerstellen wurden dagegen von markenberechtigten Bauern zumeist auf Zuschlägen eingerichtet und bedurften daher prinzipiell zunächst wohl nicht einer zusätzlichen Genehmigung durch die Markengemeinde. Da die Stellen nur (kurzfristig) gemietet waren, konnten ortsfremde Familien sich ansiedeln, wie besonders augenfällig ist z.B. bei den Familien Montini und Gobba in Thuine bzw. Freren (Markus Walz, Zinngiesserfamilien aus Italien in Westfalen und im Rheinland, Münster 1996, [Thu-1], S. 327 bzw. [Fre-1] bis [Fre-3], S.115). Genauso schnell konnten die Familien die Heuerstellen auch wieder verlassen.

Diese Flexibilität dürfte sich allerdings als Nachteil für die Forschung erweisen – dies sei an dieser Stelle als Vermutung ausgesprochen, die sich derzeit nicht auf weitergehende eigene Untersuchungsergebnisse stützt – , da mangels direkter Abgabepflicht die archivalische „Spur“ relativ schwach ausgebildet ist und wohl in erster Linie Hofarchive etwas dazu beitragen können.

Die Einrichtung von Heuerstellen wurde von der Obrigkeit direkt und indirekt gefördert, wie aus vielen Zuschlagsakten z.B. zu den Zuschlägen im Rahmen der „Tabacks-Contribution“ hervorgeht. Gerade in Preussen ist die Politik der „Peuplierung“auch archivalisch reich belegt (siehe z.B. Markus Zbroschzyk; Die preußische Peuplierungspolitik in den rheinischen Territorien …., Dissertation Bonn 2014 – digital verfügbar). Etablierte Heuerleute haben, wie in Gersten mehrfach belegt, des öfteren Neubauernstellen gegründet, wozu vermutungsweise ebenfalls das erworbene Kapitalvermögen beigetragen haben dürfte.

Die Neugründung eines Anwesens, das man eher als Brinksitzerstelle bezeichnen würde, stellt die Gründung der Töpferei Berndsen in Freren-Ostwie 1822 dar (Ernst Helmut Segschneider, Pöttebackers Pottwerk, Sögel 2005). Der Gründer Gerd Hinrich Berndsen entstammte selbst einer Heuerlingsfamilie, die vorher eine Brinksitzerstelle erworben hatte (Segschneider a.a.Ö S. 17).

Bemerkenswerterweise handelte es sich bei der Töpferstelle Berndsen ausweislich der Archivalien und der Beobachtungen bei der Bergung der Fehlbrände um ein sumpfiges Gelände. Dass dies keine Ausnahme war, zeigt nach meiner Auffassung der mutmassliche Brink in Gersten-Drope, auf den Anfang des 19. Jh. zwei Vollerbenstellen umgesiedelt wurden, Buse und Feye. Beim Haus Feye, das in den vergangenen Jahren durch die Ems-Vechte-Stiftung saniert wurde, verursachte der moorige Untergrund starke Gründungsprobleme.

Topografisch scheint man nach meiner Auffassung (auch dies wieder eine noch genauer zu untermauernde Vermutung) bei der Anlage der Heuerhäuser dem Schema gefolgt zu sein, dem man wohl schon bei den Brinksitzerstellen gefolgt war, nämlich mit einer Traufwand relativ nah an und parallel zu einem Weg und an relativ tiefgelegenen Stellen, „sackartigen Erweiterungen“ von triftartigen breiten Wegeführungen.

Eine wesentliche Frage ist nun, welche Faktoren allgemein den Anstoss zum Wechsel vom Brinksitzer- zum Heuerlingswesen gegeben haben.