Das Heuerlingswesen in Isselhorst (1)

 

von Siegfried Kornfeld

Wenn im Frühling die Meisen ihren Balzruf erklingen ließen „zizidä zizidä zizidä“ ahmte meine Mutter die Melodie dieses Rufen nach, benutzte aber dabei das Wort „Hüssenkiend, Hüssenkiend, Hüssenkiend“.

„Hüssenkiend?“ Was waren das denn für Kinder? Fragten wir unsere Mutter, was ein „Hüssenkiend“ sei, zählte sie auf, welche Familien mit wie vielen Kindern auf ihrem elterlichen Hof, dem Osthus Hof an der Verler Straße in Gütersloh-Sundern gewohnt hätten. Sie wohnten in den „Hüssenhüsern“ (Heuerlingshäusern) des Hofes. Es gibt noch ein paar alte Bilder aus dieser Zeit, die wir – auch wenn sie nicht aus dem Kirchspiel Isselhorst stammen – unsern Lesern und Leserinnen nicht vorenthalten wollen

Wenn meine Mutter aus dieser Zeit erzählte und die vielen Menschen der Hofgemeinschaft aufzählte, zeigte sich aber, dass das Jahrhundertealte Heuerlingswesen zu dieser Zeit, also vor dem 1. Weltkrieg im 20. Jahrhundert, schon in Auflösung begriffen war. Die Hofgemeinschaft wurde von vier Familien mit insgesamt etwa 25 Personen gebildet, der Bauernfamilie meiner Großeltern (9 Personen) und den drei „Hüssenfamilien“ mit insgesamt etwa 18 Personen. Die Männer der „Hüssen“ oder Heuerlingsfamilien gingen einer Erwerbsarbeit außerhalb des Hofes nach. Das war für das Jahrhunderte alte Heuerlingswesen aber bereits untypisch, begründete sich wohl darin, dass der Hof Osthus von meinen Großeltern gepachtet war. „Wi sind men Pächtna.“ (Wir sind nur Pächter) hatte meine Großmutter immer gesagt, um ihren gesellschaftlich niedrigen Status darzulegen. Die Stadt Gütersloh hatte den Hof von der Erbengemeinschaft Osthus erworben. Er war noch etwa 30 Morgen (7,5 ha) groß. Die Heuerlinge hatten wohl noch einen großen Gemüse- und Obstgarten, bewirtschafteten aber keine Äcker und Wiesen mehr, von denen Heuerlinge normalerweise ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten. Und so verstanden sich die Menschen auf dem Hof eher als Hofgemeinschaft, in der man sich gegenseitig half, in der es aber keine Hierarchie zwischen den Familien gab. Auch das war für das Heuerlingswesen völlig untypisch.

Schauen wir uns im Kirchspiel um, dann gibt es auch heute noch auf einigen Höfen oder in deren Nähe Gebäude, die sich unschwer als ehemalige Heuerlingshäuser identifizieren lassen. Sie sind aber heute in der Regel zu schmucken kleinen Wohnhäusern umgebaut, so dass man ihnen ihre frühere Funktion nicht mehr ohne weiteres ansieht.

Auf dem Hof Eckhardt Hammer an der Hambrinker Heide steht noch ein gut erhaltenes, aber mehrfach umgebautes, ehemaliges Heuerlingshaus. Eckhardt Hammer, Eigentümer des Hofes, weiß von der bewegten Geschichte des Hofes, aber auch der Heuerlingshäuser dieses Hofes viel zu berichten. Zu dem Hof Hammer haben ursprünglich drei Heuerlingshäuser gehört, von dem nur eins direkt auf dem Hof seinen Platz hat, die anderen beiden standen oder stehen noch an der Hambrinker Heide und an der Ummelner Straße.

In dem Heuerlingshaus direkt auf dem Hof befand sich auch schon mal eine Kerzenmanufaktur. Es ist mehrfach umgebaut, weist im Innern aber noch die typische Fachwerkkonstruktion eines Zweiständerhauses mit Deele und Fleet auf. Einen Kuhstall kann man in dem Gebäude nicht erkennen, es hat auch wohl keinen gegeben. „Die früheren Mieter haben wohl ein oder zwei Schweine gehalten, aber kein Rindvieh“, sagt der Eigentümer. Sein Großvater hat diesen Hof in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts gekauft. Zu dieser Zeit habe es wohl noch die typischen Heuerlingsverhältnisse auf dem Hof gegeben, danach hätten die Mieter aber immer eine Erwerbstätigkeit außerhalb der Landwirtschaft inne gehabt.

Auch zu dem Hof Verleger am Ende der Straße Am Krullsbach in Niehorst gehörten mehrere Heuerlinge[1]. Eines steht auch hier mit auf dem Hofplatz. Wilfried Hanneforth hat mir zugesagt, von dem Leben in diesem Haus eine Geschichte zukommen zu lassen. Das andere Heuerlingshaus steht in der Nähe des Sägewerkes Huxol. Es ist aber schon vor Jahrzehnten verkauft worden, gehört also nicht mehr zum Hof.

[1] siehe auch den Bericht von W. Hanneforth zu einem der Heuerlingshäuser des Hofes Verleger

Auch zu dem Hof Buschfranz an der Pivitsheide gehört ein Heuerlingshaus, ebenfalls zwei zu dem Hof Baumeister an der Niehorster Straße.

Wesentliches Merkmal der Heuerlingsstellen war, dass sie keine eigenen Hofstätten waren, sondern immer auf dem Grund und Boden und im Eigentum eines Bauernhofes ihren Platz hatten. Sie bekamen aus dem Grundstücksbestand des Hofes Flächen zur Eigenbewirtschaftung, die allerdings nicht groß waren. Für deren Nutzung und die Miete des Heuerlingshauses, für die Überlassung eines Gespannes vom Hof für bestimmte Arbeiten musste eine Pacht – die Heuer – entrichtet werden. Allerdings nicht als Geldbetrag, sondern in Form von Arbeitsleistung auf dem Hof des Bauern.