Rezension Dr. Marten Pelzer (Köln)

Rheinisch – westfälische Zeitschrift für Volkskunde

Herausgegeben von Dagmar Hänel und Ruth – E. Mohrmann

Schriftleitung: Thomas Schürmann, Lars Winterberg

Band LX                                  Bonn und Münster 2015

             

                   Dort findet sich  die folgende Buchbesprechung von

                                                   Dr. Marten Pelzer aus Köln

 

Titel und Untertitel sind bei dem Werk treffend gewählt und vielsagend:

In dem Buch geht es um das soziale Phänomen der Heuerleute, jener in Nordwestdeutschland jahrhundertelang bis in die 1960er Jahre verbreiteten unterbäuerlichen Schicht von Kleinpächtern, die hier,  neben dem Gesinde zugleich die Landarbeiterschaft stellten und dabei in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu den landverpachtenden Bauern standen.

Die Themen, die behandelt werden, betreffen die Entstehung und Ausgestaltung des Heuerlingswesens nach dem Dreißigjährigen Krieg unter dem Einfluss von Anerbenrecht und Bevölkerungswachstum, die für die Heuerlingswirtschaft lange Zeit so wichtige geduldete Mitbenutzung der „gemeinsamen Marken“ und die Folgen der Markenteilung, die Strategien der Heuerleute zur Bewältigung ihrer zumeist prekären Lebenslage wie frühe Versuche der Moorbesiedlung und diverse Nebenverdienste aus Textilherstellung, Wanderhandel, Hollandgängerei oder auch Schmuggel und Lehrtätigkeiten an Winkelschulen, die Verschärfung der Arbeits– und Erwerbssituationen für die Heuerlingsbevölkerung während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Auswanderungswellen  nach Amerika als Reaktion auf diese Krise wie auch das anschließende Aufkommen und Wirken der politisch ausgerichteten Heuerleutebewegung mit ihrem Pachtschutzforderungen und Reagrarisierungsansätzen im Zusammenhang mit der staatlich geförderten Ödlanderschließung.

Dazwischen scheint immer wieder durch, wie schwer es die Heuerlingsfamilien hatten und wie abhängig sie von der Gunst des Bauern waren. Aufgrund ihrer schwachen Rechtsposition und des hohen Konkurrenzdrucks unter ihnen waren sie die meiste Zeit ihren Verpächtern regelrecht ausgeliefert.

Soweit bringt das Buch kaum neue Erkenntnisse. Es führt zusammen, was zu dem Thema an Lesefrüchten aus der einschlägigen regionalhistorischen Literatur zu gewinnen ist. Noch am ehesten eröffnet es neue Einsichten dort, wo die Rolle der Heuerlingsfrau in den Fokus genommen wird.

Neu und in jedem Fall verdienstvoll ist, dass das Buch nach langer Zeit wieder eine Zusammenschau zum Heuerlingswesen bietet und zudem gleichsam durch die Brille dieses Sozialphänomen auch eine allgemeinere Darstellung des Landlebens in Nordwestdeutschland entfaltet.

Dabei ist es gut lesbar und, von gelegentlichen Wiederholungen und einigen wenigen chronologischen Brüchen abgesehen, klar nach Themenblöcken gegliedert und durch Zwischenüberschriften, zahlreiche Abbildungen und eigens hervorgehobene Erlebnisberichte bzw. Fallbeispiele aufgelockert.

Der angestrebte breite Leserkreis wird auf diese Weise voll auf bedient.

Nach eigenem Bekunden der Autoren handelt es sich um das Gemeinschaftswerk eines ehemaligen Grundschulrektors, Bernd Robben, und eines Schulhistorikers, Helmut Lensing. Letzterer ist auf Bitte des Ersteren erst später in das Buchprojekt mit eingestiegen, um es mit fachwissenschaftlicher Kompetenz zum Abschluss zu bringen.

Einen wissenschaftlichen Anspruch verfolgt das Werk gleichwohl nicht, es soll keine Fachliteratur für Experten sein. Vielmehr wollten die beiden Autoren mit ihrem Buch eine ganz eigene, „persönlich gehaltene Annäherung“ an das Phänomen bieten – „persönlich gefärbte und ausgewählte Impressionen mit eigenen Forschungen“ (S. 11).

Anhand des Quellen – und Literaturverzeichnis sowie der in den Text direkt eingeflochtenen Belege lässt sich erkennen, dass Archivquellen und wissenschaftliche Studien ebenfalls verwendet wurden wie kundige Schriften, zum Teil von den Autoren selbst. Dabei fällt auf, dass die Belegdichte schwankend ist und tendenziell heimatkundliches Schrifttum als Quellenbasis zu überwiegen scheint. Zwar ist die wichtigste Literatur offenbar beachtet worden, doch gerade bei den Nebenthemen (z. B. Landwirtschaftsentwicklung) oft auch unzureichend oder selektiv, ohne die Auswahl zu begründen. Hinweise auf mündlich übermittelte Informationen im Rahmen von Heimatvereinsveranstaltungen und Zeitzeugeninterviews zeigen zudem, dass nicht ausschließlich aus schriftlichen Quellen geschöpft wurde. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen und allen anderen benutzen  Quellen fehlt indes. Es drängt sich alles in allem der Eindruck einer gewissermaßen „collagierten“ Arbeitsweise auf.

Neben der Einleitung ist besonders der Abspann des Buches aufschlussreich, in dem Bernd Robben, der eigentliche Initiator des Werkes, einen Einblick darüber gibt, wie das Buchprojekt entstanden ist und wer ihm an welcher Stelle Hilfe geleistet hat.

Diese Transparenz ist lobenswert.

So erfahren wir, dass das Interesse an dem Thema bei Thekengesprächen, durch eine Literaturempfehlung (Seraphims „Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland“ von 1948) und aufgrund von Tabuisierungserlebnissen („Ein Bauer wohnt nicht in einem Heuerhaus“, „darüber spricht man nicht“) geweckt wurde.

Ein weiteres Motiv war, dieses einst für viele lebensprägende  Sozialphänomen angesichts der schwindenden Zahl von Zeitzeugen vor dem Vergessen zu bewahren und seine regionalhistorische Bedeutung, auch als Anregung für die Heimatforschung, zu bekräftigen.

Die Arbeit fußt daher nicht zuletzt auf Gesprächen mit Gewährpersonen und einem persönlichen Austausch unter Heimatkundlern, die Berichte über Erfahrungen und Erlebnisse von Heuerleuten beisteuern konnten. Selbst der frühere Bauernpräsident von Heereman ist als Experte mit adeliger Zukunft gehört und zitiert worden.

Dass die in dem Buch ausgebreiteten Ergebnisse dabei nicht durchgehend wissenschaftlichen Maßstäben genügen würden, scheint durchaus auch den Autoren bewusst gewesen zu sein. Dies macht allein der Untertitel „Betrachtungen und Forschungen zum Heuerlingswesen“ deutlich.

Für den interessierten Wissenschaftler mag in diesem Zusammenspiel von „Betrachtungen und Forschungen“ der eigentliche Wert des Werkes liegen.

Man erhält, wie sonst selten, Einblicke, wie Heimatsforschung heute funktioniert – jedenfalls in die Art von Heimatsforschung, die nach ihrem Selbstverständnis publikationswürdig ist. Unterm Strich ist mit dem Buch eine allemal anerkennenswerte Überblicksdarstellung vorgelegt worden.

Vor allem aber regt das Buch dazu an, sich künftig gerade auch mit der heimatkundlichen Rezeption des Heuerlingswesen weiter zu befassen.

In diesem Sinne sei es allen, die sich für die Geschichte des ländlichen Raumes in Nordwestdeutschland interessieren, zur Lektüre empfohlen.

Köln                                                                                                                                                             Marten Pelzer