3 Die Rolle der Heuerlingsfrau zur Mitte des 19. Jahrhunderts

aus:

Facharbeit über das Heuerlingswesen

Die Rolle der Frau ist in historischen Quellen wenig beschrieben. Es gibt kaum Literatur oder Berichte, in denen ihre Rolle erläutert wird. Das Wissen über ihre Funktion in der Familie und Gesellschaft stützt sich hauptsächlich auf die Aussage von Zeitzeugen. Die karge Quellensituation trifft jedoch „auf die besitzlose Landbevölkerung in ganz Deutschland zu“  29

„Dabei waren die Frauen arbeitsteilig und mitverantwortlich in den Arbeitsprozess integriert.“(Weber-Kellermann, S.75) Besonders wenn die Männer aufgrund des Hollandgangs zeitweise nicht auf dem Hof waren, mussten die Frauen sich alleine, selbstständig und selbstverantwortlich um die anfallenden Arbeiten kümmern.

3.1          Die soziale Stellung der Heuerlingsfrau in der Familie

Neben der Erziehung und Versorgung der Kinder musste die Frau bei der Feldabreithelfen, den Gemüsegarten bestellen, Essen kochen und sich um die Pflege der älteren Familienmitglieder kümmern. Zu den wichtigsten Aufgaben der Heuerlingsfrau gehörten das Brotbacken und das Wäschewaschen.30 Gleichenfalls stellte sie Vorräte, wie Wurst, Käse und Schinken her. Sie machte Obst und Gemüse ein, um es haltbarer zu machen. Sie brannte Schnaps und satellte Leinen am Webstuhl her. Aus dem Leinen nähte sie z.B. Hemden, die sie ihrem Mann auf dem Hollandgang mitgab, um sie dort zu verkaufen. Wenn der Mann nicht auf dem Hof war, musste sie neben den oben genannten Aufgaben sowie der eingeforderten Arbeit beim Bauern auch die Arbeiten des Mannes in der Landwirtschaft übernehmen.31 Das bedeutete eine zusätzliche hohe körperliche Belastung durch stundenlanges Unkrautjäten auf dem Kartoffelacker oder durch  die zeitintensive Viehversorgung. Oftmals mussten Mehrarbeiten trotz Schwangerschaft erledigt werden.

Während der Abwesenheit des Mannes übernahm die Frau die Rolle des Familienoberhauptes, welches die Verantwortung für die im Haus lebenden Familienmitglieder beinhaltete. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie diese Position in der Familie wieder aufgeben musste, nachdem der Mann von der mehrwöchigen Wanderarbeit zurückkehrte. Inwieweit ihr Tun von ihrem Mann respektiert und gewürdigt wurde oder ob es zu Kompetenzstreitigkeiten unter den Eheleuten kam, ist nicht überliefert.32  Es kann jedoch angenommen werden, dass die lange Abwesenheit des Mannes zu interfamiliären Spannungen führte, die nicht nur die Eheleute betrafen, sondern auch Auswirkungen auf das gemeinsame Leben mit den übrigen Mitgliedern der Hausgemeinschaft hatte.

Insgesamt kann gesagt werden, dass die körperliche und psychische Belastung der Heuerlingsfrau nach heutigem Ermessen unvorstellbar war. Allein durch die Vielzahl an Schwangerschaften war sie einem enormen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt. Jede 18. Frau starb am Kindbettfieber oder musste mehrere Fehlgeburten erleben.

Verhütung oder Abtreibung kam für die streng katholische Landbevölkerung nicht in Frage. Das Sprichwort: „Mehr Kinder, je mehr Vaterunser“, hatte reale Bedeutung für die Heuerlingsfamilien, in denen die religiösen Paradigmen in keiner Weise auch nur teilweise angezweifelt wurden.33  Aufgrund der hohen Kindersterblichkeitsrate war eine Totgeburt oder der Tod eines Kleinkindes traurige Alltagsrealität und eine gewaltige psychische Belastung für die Frau.

Der Tod der Frau wiederum stellte für die Familie ein enormes Problem dar. Durch ihr Ableben fehlte eine wichtige Arbeitskraft. Oftmals blieb dem Witwer keine andere Wahl als schnell erneut zu heiraten. Vorzugsweise eine unverheiratete Schwester oder Cousine der verstorbenen Frau, da man hoffte, dass eine Verwandte besser für die Kinder ihrer Vorgängerin sorgen könnte.34   Viele Heuermänner führten bis zu vier Ehen im Laufe ihres Lebens, auch weil das Sterblichkeitsrisiko für Frauen durch eine Geburt enorm hoch war. Starb der Mann stand es um die soziale Absicherung der Frau schlecht. Die Heuerstelle war an den Mann gebunden. Eine vertragliche Absicherung  für die Frau oder eine Vereinbarung zur Weiterbeschäftigung mit dem Bauer gab es nicht. Man geht davon aus, dass die Heuerstelle gekündigt wurde. Die alleinige Arbeitskraft der Frau reichte nicht aus, um die anfallenden Arbeiten in einem Heuerlingshaushalt insbesondere während der Erntezeit abzudecken. Es gibt jedoch Beispiele für Frauen, welche die Heuerstelle nach dem Ableben ihres Mannes behalten durften, jedoch war dies erst nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall.35

3.2          Die soziale Stellung der Heuerlingsfrau in der Gesellschaft

In der Dorfgemeinschaft stand die Heuerlingsfrau ganz unten in der sozialen Rangfolge. Abrufbereitschaft als Zeichen der Armut und Abhängigkeit gegenüber dem Verpächter sowie dem Ehemann unterstrich ihre Position. Dies bekam sie schon im jungen Alter zu spüren. Als Frau ohne Mitgift war ihre Chance. einen Bauerssohn mit Landbesitz zu heiraten, um eventuell einen sozialen Aufstieg zu vollziehen, sehr gering. Zusammen mit einem ebenfalls „besitzlosen Bauernknecht“(Robben) suchte sie eine Heuerstelle. Als besitzlose Heuerleute galten sie nicht als „vollwertige“ Mitglieder der Gemeinde und hatten keine Chance auf soziale Anerkennung von Seiten der anderen Gemeindemitglieder.36

  29 Vgl. Anhang, Interview mit Bernd Robben

  30 Vgl. Robben, S. 165 ff.

  31 Vgl. Robben, S. 179 f.

  32 Vgl. Anhang, Interview mit Bernd Robben

  33 Vgl. Robben, S. 173

  34 Vgl. Robben, S. 167 ff.

  35 Vgl. Anhang, Interview mit Bernd Robben

  36 Vgl. Anhang, Interview mit Bernd Robben