Vom Sachsenspiegel zur „Bauordnung“

Für die Zeit, bevor sich das Heuerlingswesen insbesondere im nordwestdeutschen Raum ausgebildet hat, soll auf folgende baurechtliche Quellen zur Siedlungsform und Regelungen hingewiesen werden, die auch für das flache Land Bedeutung hatten:

Der römische Schriftsteller Tacitus beschreibt im 16. Kapitel der Germania ca. 100 Jahre nach Christi Geburt die Siedlungsform der Germanen wie folgt: „Sie wohnen abgelegen und vereinzelt [colunt discreti ac diversi], gerade wie eine Quelle, ein Flurstück, eine Waldung ihnen zusagt. Die Dörfer legen sie nicht in unserer Art und Weise an, dass die Gebäude verbunden sind und zusammenhängen: Jeder umgibt sein Haus mit einem Zwischenraum, sei es zum Schutz gegen Feuersgefahr, sei es aus Unkenntnis im Bauen [inscientia aedificandi].“ Baurechtlicher Regelungen bedurfte eine solche Siedlungsform außerhalb der Städte auf dem flachen Lande nicht. Der Vorhalt der „inscientia aedificandi“ hallt auch nach zweitausend Jahren noch nach.

Das wichtigste deutsche Rechtsbuch des Mittelalters ist der Sachsenspiegel Eike von Repgows (1221 – 1224), der in Ost- und Norddeutschland eine große Verbreitung fand. Dieses regelt zwei Kardinalprobleme des Baurechts, nämlich die Baufreiheit und den Baukonsens (Baugenehmigung) und reglementierte den Nachbarschutz vor Traufwasser, Geruch und Feuer. Dort heißt es in § 1: „Ofen und gang“ (d. h. Backofen und Abtritt) „und schweinekoben sollen drei fuß von dem zaune stehen. § 2: Jeder soll beschützen seinen ofen und dessen mauern, dass die funken nicht fahren in eines anderen mannes hof ihm zum schaden. § 3: Gänge“ (d. h. Abtritte) „soll man ferner einhegen und bis auf die Erde, die nach eines anderen Mannes Hof zustehen“, ähnliche Regelungen finden sich im Schwabenspiegel (1275).

Mit seiner 1564 in Frankfurt am Main erschienenen „BauwOrdnung“ hat Leonhard Frönsperger aus Ulm ein Anleitungsbuch zum Erlass einer Bauordnung, wenn man so will, einer Art Musterbauordnung für seine Zeit, herausgegeben. Nach wohl gemeinten Ratschlägen an den Bauherrn, nicht durch Fehlkalkulation der Baukosten ins Unglück gestoßen zu werden, folgen allgemeine Vorschriften zum Verfahren, zum Eigentum und dessen Entzug, zur Baufreiheit und zum Abstand von Nachbargebäuden, bevor dann der Bau und seine Teile im Einzelnen abgehandelt wurden. Die Kernfrage des öffentlichen Baurechts, ob und in welchem Umfang das Eigentum am Grund und Boden eine persönliche Baufreiheit mit umfasst, beantwortet Frönsperger zwar sehr weitgehend: „Auff frey eigenthum an grund und boden mag einer ein haus oder anders wol darauf bauwen/und aufrichten/so hoch einer will/bis an den Himmel/denn solches ist dessen eigen (…).“ Diese vermeintlich grenzenlose Baufreiheit erfährt aber außer durch private Dienstbarkeiten durch Gewohnheits- und Ortsrecht wesentliche Einschränkungen, die insbesondere das Bauen in Städten und Ortschaften betrifft. Auch die Interessen des Nachbarn sind zu berücksichtigen. Grundsätzlich besteht im Außenbereich ein Bauverbot: „Außerhalb einer Stadt sollen weder Bürger noch Einwohner etwas bauen, es sei denn, dass Feldgeschworene nach einer Ortsbesichtigung die Erlaubnis erteilen.“