Rezension im Niedersächsischen Jahrbuch für Landesgeschichte Band 88

Es ist eine weitere Rezension erschienen in:

Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte – Herausgegeben von der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Band 88 | 2016. S.409 – 412

Diese wurde verfasst von Dr. Michael Schimek, dem Leiter der bauhistorischen Abteilung im Museumsdorf Cloppenburg

Eine regionalgeschichtliche Publikation, die innerhalb kurzer Zeit mehrfach aufgelegt werden muss, die fünfte (!) Auflage ist in Vorbereitung — das macht neugierig. Offensichtlich haben die Autoren, der ehemalige Grundschulrektor Bernd Robben und der Historiker Helmut Lensing, ein Thema aufgegriffen, dass interessiert, und zwar über den einschlägigen Kreis von heimatgeschichtlich Bewanderten hinaus. Und in der Tat beschäftigt das Heuerlingswesen, über das dieses Buch handelt, noch viele Menschen in Nordwestdeutschland, wie die Resonanz auf die zahlreichen aktuell laufenden Vortragsveranstaltungen der Autoren in der Region sowie das Presseecho beweisen. Dabei war das Thema während der letzten Jahrzehnte ein vor Ort eher beschwiegenes unliebsames Kapitel der regionalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, und auch heute sind die Meinungen in der Bewertung des Heuerlingswesens nicht einmütig.

Bei den Heuerlingen oder Heuerleuten handelt es sich um eine unterbäuerliche Bevölkerungsgruppe ohne Landeigentum, die von einem Bauern Wohnung in einem Heuerhaus und Land für eine kleine Eigenwirtschaft erhielt, dafür eine Pacht zu zahlen hatte und Arbeiten in der Land- und Hauswirtschaft des Bauern leisten musste. Wohl u.a. ursprünglich aus Bauernkindern, die wegen des geltenden Anerbenrechtes vom elterlichen Hof abgehen mussten, im i6. Jahrhundert entstanden, wuchs diese Bevölkerungsgruppe seit dem Dreißigjährigen Krieg so stark an, dass sie an manchen Orten innerhalb des Verbreitungsgebietes von Ostwestfalen, Lippe, über das Münsterland, Osnabrücker Land und Emsland bis ins Oldenburger Münsterland und in die Grafschaften Hoya und Diepholz während des 19. Jahrhunderts mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachte. Allerdings schwankte ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung regional genauso stark, wie sich die konkrete Ausgestaltung des Abhängigkeitsverhältnisses zum verheuernden Bauern gestaltete. So gab es  nicht nur »Landarbeiterkleinheuerlinge«, mit nur einem Hektar Land und keiner Kuhhaltung in Minden-Ravensberg, sondern auch »Pächterheuerlinge. mit bis zu über zehn Hektar Land, die sogar Pferde hielten, und später auch »Industrieheuerlinge«, die bei geringem Landbesitz ihren Lebensunterhalt in Bergbau oder Industrie verdienten und nur einer geringen Arbeitspflicht gegenüber »ihrem Bauern nachkommen mussten.

Die »normalen Landarbeiterheuerlinge« wirtschafteten allerdings auf bis zur drei Hektar, hielten einige Kühe und mussten drei bis vier Tage wöchentlich beim Bauern arbeiten. All das sowie die Stellung der Heuerleute in der Ständegesellschaft zeichnen die Autoren kenntnisreich vor allein auf Grundlage des inzwischen etwas angejahrten Forschungsstandes nach, bevor sie sich ausführlich den Lebensverhältnissen der Heuerlingsfamilien unter den jeweils herrschenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vom 17. Jahrhundert bis in die  60er Jahre widmen. Hier werden die oftmals gesundheitsschädlichen Wohnverhältnisse in den von den Bauern in der Regel schlecht unterhaltenen Heuerhäusern, die Formen der vomHeuermann, seiner Frau und seinen Kindern für den Bauern zu leistenden, zumeist ungemessenen und deshalb besonders belastenden Arbeitsleistungen sowie die bescheidene Eigenwirtschaft der Heuerleute geschildert, die wegen der geringen Größe der meisten Heuerstellen für gewöhnlich einen Zuverdienst notwendig machte. Dieser wurde im 18.Jahrhundert vor allem in der »Hollandgängerei«, der saisonalen Wanderarbeit in den benachbarten Niederlanden beim Torfstich, der Grasmahd oder beim Deichbau gefunden, später auch im Wanderhandel als sogenannte Tödden, in der Seefahrt als Walfänger oder Heringsfischer, vielfach aber auch in der ländlichen Textilproduktion, der Hausweberei, Spinnerei oder dem Stricken, oder in einem wenig kapitalintensiven Handwerk.

Die Privatisierung der bisher gemeinschaftlich genutzten Marken und Gemeinheiten im Zuge der Markenteilung während der ersten Hälfte des so. Jahrhunderts verschlechterte die Situation der Heuerleute dramatisch, da ihnen die bis dahin geduldete Nutzung dieser Flächen jetzt verwehrt blieb. Als dann noch Missernten hinzukamen, sahen viele Heuerlingsfamilien in der Auswanderung nach Übersee die einzige Perspektive. Und tatsächlich sank durch die Auswanderung der Anteil der Heuerleute an der Bevölkerung, wozu später auch die Urbarmachung von heimischen Moor und Heideflächen im Rahmen der staatlich betriebenen Binnenkolonisation beitrug, die vielen Heuerlingsfamilien eine eigene Anbauernstelle schufen. Die verbliebenen Heuerleute litten aber weiterhin unter schlechten Wohnbedingungen und vor allem unter der in der Regel nicht schriftlich fixierten Arbeitsverpflichtung gegenüber ihrem Bauern. Um hier Abhilfe zu schaffen, organisierten sich die Heuerleute in der Weimarer Republik in Vereinen, doch NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg verhinderten wesentliche Fortschritte. Das für viele zeitgenössische Beobachter überraschende Ende des Heuerlingswesens kam dann während der so 5oer und 6oer Jahre mit der Maschinisierung der Landarbeit, die den Heuermann entbehrlich machte, und dem wachsenden Angebot von Arbeitsplätzen außerhalb der Landwirtschaft, die den Heuerleuten höhere Löhne und einen sozialen Aufstieg ermöglichten.

Ihrem Anspruch entsprechend, keine trockene fachwissenschaftliche Untersuchung, sondern eine Darstellung für den interessierten Laien zu schreiben, zeichnen die Autoren diese Entwicklung leicht verständlich, sehr anschaulich, reich bebildert und vor allem sehr detailliert nach, immer wieder anhand von Fallbeispielen konkretisiert. Jahrelange Recherchearbeit, die sich nicht nur auf bisher zu diesem Themenkreis oftmals an versteckter Stelle veröffentlichte oder sogar unpublizierte Beiträge erstreckte, sondern auch Befragungen von Zeitzeugen beinhaltete, macht den Band zur umfassenden Darstellung des Heuerlingswesens.

Allerdings ließen sich die Heuerleute nicht immer aus Statistiken und anderen Quellen eindeutig extrahieren, so dass die Darstellung streckenweise den Charakter einer Geschichte nicht nur der Heuerleute, sondern der ländlichen Unterschichten in Nordwestdeutschland insgesamt trägt. Im Grundtenor schreiben Lensing und Robben eine Leidens- und Opfergeschichte, in der die Heuerlinge von ihren Bauern ausgebeutet werden. Das die Lebensumstände der nichtbesitzbäuerlichen Unterschichten in anderen Regionen — etwa in den ostelbischen Gutswirtschaften — mitunter noch drückender ausfielen als die Situation der nordwestdeutschen Heuerleute, ist eine Erkenntnis, die Robben nach dem Erscheinen der Erstauflage im Zuge weiterer Recherchen gewann. Damit passt jedoch das in der überarbeiteten vierten Auflage hinzugefügte relativierende Fazit, dass das Heuerlingswesen »die beste Sozialisationsform für die Besitzlosen auf dem Lande« gewesen sei (5.284), nicht mehr zur Grundaussage der inhaltlich weitgehend unveränderten, nur um wenige Passagen und einige Abbildungen ergänzten Darstellung, die im übrigen von einer im wissenschaftlichen Schreiben ungewohnten Empathie mit dem Untersuchungsgegenstand getragen ist.

Robben und Lensing betreiben ihre Materialsammlung und Forschungen zum Heuerlingswesen im speziellen und ländlichen Unterschichten im allgemeinen weiter, ihre Ergebnisse sind im Internet unter www.heuerleute.de zugänglich. Das verdienstvolle Buch erscheint dem Rezensenten jedoch klarer gegliedert, übersichtlicher und deshalb unverzichtbar für jeden, der sich mit dem Phänomen der Heuerlinge beschäftigen will. Zusammen mit der 2014 erschienenen Magisterarbeit von Ralf Weber über »Das Heuerlingswesen im Oldenburger Münsterland im 19. Jahrhundert« liegen nun gleich zwei aktuelle Arbeiten zu einem wichtigen Kapitel der regionalen Sozialgeschichte Nordwest-deutschlands vor.