Die Heuerfamilie Böckermann siedelte 1917 nach Westpreußen, musste das Anwesen nach dem 1. Weltkrieg wieder verlassen… eine Odyssee der besonderen Art

 

Franz – Josef Böckermann berichtet im Jahre 2016 über ein besonderes Familienschicksal:

F J Böxkermann

 

Nachfolgendes Videointerview entstand 2016 im Hause von Franz-Josef Böckermann in Versen bei Meppen.

Im April des nachfolgenden Jahres verstarb Herr Böckermann.

Die Familiengeschichte der ursprünglichen Heuerlingsfamilie ist sehr komplex:

 

Stationen der Familie ab 1917

  1. Heuerling bis 1917 in Dümmerlohausen
  2. Siedlerhofeigner in Damerau (Westpreußen, nach dem 1. Weltkrieg polnisch)
  3. Ab 1927 neuer Siedlerhof im 50 Kilometer weiter westlich gelegenen Damerau (deutsches Gebiet)
  4. Flucht nach dem 2. Weltkrieg auf eine Siedlerstelle im Emsland
  5. Kauf eines landwirtschaftlichen Betriebes (ca. 500 Hektar) in Mecklenburg-Vorpommern)

Warum Franz Friedrich Böckermann mit seiner Familie von Dümmerlohausen in Südoldenburg nach Damerau in Westpreußen zog
Von Franz-Josef Böckermann (Meppen 2010)

Franz Friedrich Böckermann, geb. 1865 in Kemphausen, Kreis Vechta, war Sohn des Kötters Johann Heinrich [Taufregister: Joan Henrich] Böckermann, geb. 1815 in Kemphausen. Wahrscheinlich war Johann Heinrich Markkötter, wie es Bernhard Böckermann in seinem Artikel „Zur Entstehung des Hofes und des Namens Böckermann in Kemphausen” beschreibt (s. Chronik). Das heißt, er war ein Neusiedler, der in der „gemeinen Mark” oder „Allmende” am Rande des bisherigen Ackerbaus ei­nen Hof besaß. Diese gemeine Mark hatte ursprünglich einmal allen alteingesesse­nen Bauern des Ortes Kemphausen gemeinschaftlich, aber nicht zu gleichen Teilen gehört.

Das Erbrecht der Bauern, das sich teils gewohnheitsmäßig, teils gesetzlich gebildet hatte, sah vor, dass die Bauernstelle beim Abgang des bisherigen Wirtschafters ge­schlossen an eines der Kinder, den Anerben oder Grunderben, ging. In Südolden­burg war das der älteste Sohn, wie es bis in die heutige. Zeit üblich ist. Dieses Erb­recht hatte wesentlichen Anteil an der Entstehung der Heuerleute, die bis in die 1960er Jahre existierten.

Den Hof des Johann Heinrich Böckermann erbte sein ältester Sohn Heinrich, geb. 1852, aus der ersten Ehe mit Anna-Maria, geb. Middelkamp. Heinrichs Bruder Ber­nard Anton, geb. 1854, wanderte in die USA aus. Wahrscheinlich wollte er bei sei­nem Bruder nicht als Knecht oder auch als Heuermann arbeiten und suchte in den USA sein Glück. Viele Briefe von Auswanderern dieser Zeit belegen, dass es in Ame­rika relativ leicht möglich war, selbstbestimmt eine Familie gut ernähren zu können. Franz Friedrich war das dritte Kind und der älteste Sohn aus der zweiten Ehe Johann Heinrich Böckermanns mit Marie-Engel, geb. Glandorf. Auch für ihn gab es in der damaligen Zeit kaum eine andere Möglichkeit, als bei seinem Halbbruder als Knecht zu arbeiten — oder als Heuermann, wenn sein Bruder bereit war, ihm einige Morgen Land zur eigenen Bewirtschaftung als Heuer zu überlassen. Franz Friedrich ent­schied sich offensichtlich für eine andere Möglichkeit: er wurde Knecht oder Zeitar­beiter in Dümmerlohausen beim Bauern Ropke aus Oldorf. Später übernahm er die Heuermannstelle des Christopher Franz Osterhues in Dümmerlohausen. Am 16. Mai 1900 hatte er dessen Tochter Theresia Bernadine geheiratet. Der einzige Sohn des Christopher Franz — in der Geburtsurkunde seiner Tochter Theresia wird sein Name mit Christoph Franz angegeben -, Johann Bernard Osterhues, konnte die Heuer-mannsstelle wegen einer (uns unbekannten) Behinderung nicht übernehmen.

Wenn Franz Friedrich Böckermann wahrscheinlich auch nur schweren Herzens Dümmerlohausen verließ, um sich einige hundert Kilometer weiter östlich in West­preußen eine neue Existenz aufzubauen, so liegen einige wenige gravierende Vortei­le doch klar auf der Hand. In Dümmerlohausen hatte die die Familie fast kein Eigen­tum. Wohnung und die wenigen Hektar Land gehörten ihr nicht, sondern nur einige Möbel, Kleidung und landwirtschaftliche Gerätschaften. Hier in Südoldenburg be­stimmte weitgehend der Verpächter, wann der Heuermann Franz Friedrich wo etwas machen konnte. Zu einem großen Teil bestand die Arbeit darin, für den Verpächter Dr. Böcker zu arbeiten.

In Westpreußen besaß die Familie nicht nur vermutlich etwa 15 bis 16 Hektar— so groß oder noch etwas größer waren die Neusiedlungen in den ostpreußischen Provinzen -, es war auch ihr Eigentum, auf dem sie arbeiten und leben konnte, „wie sie wollte”. Niemand machte ihr wirklich Vorschriften. Natürlich war es wesentlich leichter möglich, die große Familie zu ernähren.

Was muss das für ein Gefühl gewesen sein, vom (fast) rechtlosen Knecht über den abhängigen Heuermann zum freien Bauern aufzusteigen!

Auch die Sorge um das Wohl der Kinder war sicherlich nicht mehr so groß wie frü­her. In Dümmerlohausen hatten zwar schon der älteste Sohn Franz eine landwirt­schaftliche Lehre begonnen. Was auf ihn zukommen würde, war aber leicht vorher­sehbar. Der älteste Sohn hätte unter normalen Umständen den Heuermannshof mit all seinen Nachteilen „geerbt”, die anderen Söhne hätten sich wahrscheinlich als Ta­gelöhner oder Knecht verdingen müssen. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, irgendwo als Heuermann einzuheiraten, wie es schon der Vater getan hatte. Oder aber, die Söhne wären bei etwas Glück und Können Handwerker geworden. Bei der Tüchtigkeit der Böckermänner wäre das sicherlich möglich und ein guter „Aufstieg” und möglicherweise ein Ausstieg aus der Armut gewesen. Über das Schicksal der Mädchen bei einem Verbleib in Dümmerlohausen lassen sich guten Gewissens kaum genaue Angaben machen. Auf keinen Fall hätten sie einen „freien” Bauern, einen Colon oder Kötter, sehr wahrscheinlich auch keinen Handwerker heiraten können.

Ich glaube nicht, dass es richtig ist, mit dem heutigen Wissen um den Ausgang der zwei Weltkriege und zweier Vertreibungen den Entschluss Franz Friedrichs negativ zu bewerten.

Für ihn und seine Familie war der Weg aus der fast absoluten Abhän­gigkeit in die (relative) Freiheit eines selbstständigen Bauern sicherlich der richtige Schritt.

Bekanntlich haben Franz Friedrich und seine Familie ihren Hof in weniger als drei Jahrzehnten dreimal verlassen – oder verlassen müssen.

Das waren gewiss schwere Entscheidungen oder Schicksalsschläge, mit denen die Kinder aber doch ganz gut fertig geworden sind. Am meisten musste sicherlich Franz Friedrich selber leiden: er fasste den wohl nicht ganz leichten Entschluss, seine Heimat in Südoldenburg zu verlassen, er verlor seine Ehefrau schon im Jahr 1920, er musste Damerau in Westpreußen und auch das Damerau in Pommern verlassen und starb auf der Flucht im Frühjahr 1945, ohne seine (ehemalige) Heimat wiederzusehen!

Franz-Josef Böckermann (2010)

Foto: Archiv Bernd Robben