Eine eindrucksvolle Fallstudie zum Heuerlingswesen

Der emsländische Autor Anton Wiechmann bereichert das bisher vernachlässigte Thema “Heuerlingswesen” mit einer Fallstudie:

 

Vorwort von Bernd Robben

Nebenan lebten „unsere“ Heuerleute, die Familie Schütte. In dieser Hofgemeinschaft gestaltete sich das Leben in den jeweiligen Großfamilien weitgehend noch wie um die Jahrhundertwende. Die Nahrung für Menschen und Tier wurde noch bis zu 90% in Eigenleistung produziert.

Auch die Eigenversorgung mit Brennmaterial war gesichert durch eigene Waldungen, die Zugkraft unserer beiden Pferde reichte aus für die Ackerbearbeitung und den Transport. Die geschlossene Kutsche war das Statussymbol nach außen. Damit fuhr man sonntags stolz zur Kirche und eher selten in die Stadt. Mit diesen Sätzen habe ich fast durchweg meine 130 Vorträge in ganz Nordwestdeutschland begonnen: Erstaunte Blicke und nicht selten die spontane Frage: Warum haben Sie denn dann das Buch „Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen!“ geschrieben?

Der wohl entscheidende Grund dafür wurde bei mir schon in jungen Jahren von August Schütte in der direkten Nachbarschaft gelegt. Dieser Mann war – noch als Hüürmann – ein Pionier der Landwirtschaft in unserer Region. Er ahnte die enormen Veränderungen und deren Möglichkeiten im Bereich der Mechanisierung der Landwirtschaft voraus. So kaufte er sich schon kurz nach dem 2. Weltkrieg einen Lanz-Bulldog und eine große Dreschmaschine für den überbetrieblichen Einsatz. Damit hatte er eine echte und lukrative Marktlücke entdeckt und sein Betrieb entwickelte sich schnell. Meine Kindheit und Jugend war direkt und indirekt stark durch diesen Mann geprägt, der mit seiner Familie noch bis 1958 in der „Hüre“ bei uns wohnte und dann ganz in der Nähe siedeln konnte, so dass wir Nachbarn blieben.

Beeindruckend für mein Leben waren die beiden Kernsätze von ihm: Wenn die Heuerleute Bauern gewesen wären, hätten sie sich genauso verhalten wie die Landwirte! und Heuerleute wird es immer geben – auch wenn das letzte „Hüürhus“ schon hundert Jahre abgerissen ist!

Schütten August war einer der ersten in der Generation, die das enge Band der Heuerlingssituation wirtschaftlich und sozial sprengen konnte. Sein Sohn Hermann überwand auch die bisherigen engen Bildungsgrenzen: Er wurde ein führender Entwickler der neu aufkommenden Landmaschinentechnik bei Krone in Spelle.

Das allzu enge Korsett der durchgehenden Bildungsferne im Heuerlingswesen konnte nun zumindest in der nachfolgenden Generation abgestreift werden.

Und genau hier liegt uns nun mit dieser Veröffentlichung von Anton Wiechmann eine interessante Fallstudie vor über die bisher noch völlig vernachlässigte Zeit der Ablösung aus dieser weitgehend als minder empfundenen Sozialisationsform mit den Kernfragen:

  • Wohin wanderten sie ab?
  • Wo fanden sie als „Ungelernte“ (zumeist keine offizielle Berufsausbildung) eine lohnende Arbeitsstelle?
  • Konnten sie nun endlich Eigentum erwerben (und sich ein Haus bauen)?
  • Reichten die damaligen Bildungsmöglichkeiten schon aus, dass der nachwachsenden Generation nun auch qualifiziertere Berufsabschlüsse ermöglicht wurden?

Am 3. Juli 1945 vollendete Bernd Jansen sein vierzehntes Lebensjahr. Seine nachfolgenden Zeitzeugnisse sind in mehrfacher Hinsicht auf der einen Seite einmalig, andererseits aber auch wirklich gelungene exemplarische Zeitfenster, die hier weit geöffnet werden und authentische Einblicke geben in ein bisheriges Tabuthema Nordwestdeutschlands.

Auch hier kann man – wenn man über den Tellerrand etwa nach Ostfriesland oder Niederbayern schaut – feststellen: Das Heuerlingswesen war offensichtlich nicht die schlechteste Sozialisationsform der besitzlosen Landbevölkerung im deutschsprachigen Raum!

Ich habe diese Abhandlung in einem Rutsch gelesen – das könnte auch Ihnen passieren!