Der „Verein Christlicher Heuerleute“ 1920 bis 1927

Dr. Helmut Lensing

Am 21. Januar 1920 fand die erste Generalversammlung des VCH in Meppen statt, wozu bereits gut 700 Mitglieder eintrafen. Der Vorsitzende Josef Deters aus Handrup gab einen leider nicht in der Presse wiedergegebenen Bericht über den Organisationsstand des Vereins. Der Heuermann Heinrich Kuhr aus Bramhar, der zum zweiten Mann im Verband aufgestiegen war[i], informierte über seine Verhandlungen zum Pachtschutz am 6. Dezember 1919 im Berliner Arbeitsministerium[ii]. Die größtenteils nur mündlichen Heuerverträge sollten nach dem Willen der Heuerleute obligatorisch in schriftliche Verträge umgewandelt werden, da immer mehr Landwirte dazu übergingen, den Heuerleuten unvermittelt zu kündigen. In der Regel musste dann das größtenteils nur gemietete Heuerhaus postwendend geräumt werden. Die Heuerlinge standen in diesem Fall vor dem Nichts. Weiterhin gab es über die gegenseitigen Arbeitsleistungen zunehmend Streit. Bereits während des Krieges hatte eine starke Teuerung eingesetzt, die in der Nachkriegszeit noch an Tempo gewann, was 1923 zur Hyperinflation und dem völligen Zusammenbruch der deutschen Währung führte. Die Inflation machte nun die nicht selten vor langer Zeit mündlich ausgehandelten Verrechnungstarife für die gegenseitige Arbeitshilfe obsolet. Als Erfolg führte Kuhr an, der Verband habe in Berlin großen Einfluss bei der Vorlage der Pachtschutzordnung ausgeübt und verhindert, dass Pachtzeiten von einem Jahr oder weniger zugelassen würden.

Die Heuerleute wählten einen Vorstand, der aus Josef Deters aus Handrup, Heinrich Kuhr aus Bramhar, Hermann Voß aus Emmeln, von Wulfen aus Hollenstede im Kreis Bersenbrück und einem Wilkens aus Groß-Stavern bestand. Die Generalversammlung beschloss, einen hauptamtlichen Sekretär anzustellen und den Sitz des Verbandes von Lengerich nach Lingen zu verlegen. Überdies solle sich der VCH für die Förderung des Eigenheimbaus von Heuerleuten, Pächtern und Landarbeitern bei der Regierung einsetzen[iii].

In Lingen schlug der „Verein christlicher Heuerleute, Pächter und Kleinbauern e.V. für die Kreise Lingen, Meppen, Hümmling, Bersenbrück und Bentheim“, wie er sich 1924 offiziell nannte, seinen Sitz in der Bauerntanzstraße 3 mitten in der Stadt auf, später in der Haselünner Straße 5 und zum Oktober 1930 in der Marienstraße 15 neben der Lingener Post. Die Geschäftsstelle leitete der seit dieser Generalversammlung hauptamtlich angestellte Verbandsgründer Josef Deters, der deshalb nach dieser ersten Generalversammlung vom Vorsitz zurücktrat. Sein Nachfolger wurde Heinrich Kuhr, der bis 1933 den Verband leitete. Rechnungsführer war Franz Speller aus Settlage im Kreis Lingen[iv].

 

Um die Ziele des Vereins durchzusetzen, bedurfte es Verbündeter. So beschloss in Quakenbrück am 4. Februar 1920 eine gemeinsame Konferenz des sozialistischen „Nordwestdeutschen Heuerlings-Verbandes“ und des VCH eine enge Zusammenarbeit bei Regierungskontakten. Dazu bildeten beide einen lockeren Zusammenschluss unter dem Namen „Interessen-Verband der Heuerleute“. Die SPD-Heuerleute-Organisation war am 20. März 1919 in Badbergen gegründet worden. Sie fand im Osnabrücker Land beachtliche Verbreitung und in ihr waren dort mehr als 90% der Heuerleute organisiert[v]. Beide Verbände vereinbarten, Angriffe gegen den Verbündeten zu unterlassen, keine Werbung für sich im Verbreitungsgebiet des Partners zu betreiben und gemeinsame Vorstandstagungen zur Koordinierung der Arbeit abzuhalten. Schwerpunkt der gemeinsamen Tätigkeit solle der Kampf gegen die Schlafbutzen, die bei den Heuerleuten für eine extrem hohe Tuberkulose-Sterblichkeit sorgten, für menschenwürdige Wohnungen sowie der Einsatz für die Besiedlung des Ödlandes, notfalls durch Enteignungen, sein[vi]. Schnell konnten beide Verbände einen ersten Erfolg vermelden. Am 9. Juni 1920 wurde die Pachtschutzordnung für zunächst zwei Jahre erlassen, später auf Druck der Kleinlandwirteverbände immer wieder verlängert. Weiterhin wurden die obersten Landesbehörden ermächtigt, Pachteinigungsämter zu errichten. In Preußen wurden sie bei den Amtsgerichten angesiedelt und beschäftigten sich hauptsächlich mit Einsprüchen gegen die Pachtkündigungen von Verpächtern, wobei sie häufig die Unwirksamkeit der einseitigen Vertragsauflösungen feststellten[vii].

 

Allerdings beklagten sich die Heuerleute darüber, dass ihre Forderungen in der emsländischen Zentrumspartei, in der Pächter wie Verpächter traditionell ihre politische Heimat besaßen, auf wenig Gehör stießen. So berichtete das Vereinsorgan kurz vor der ersten Reichstagswahl vom 6. Juni 1920 über eine erste Unterredung des Vorstands mit dem emsländischen Zentrumsvorsitzenden, dem Lingener Oberlehrer Dr. Karl Stuke (1883-1945), am 27. April über „Wahlfragen“. Unter der Überschrift „Wie wir verschrieen sind!“ schrieb das Blatt: „Der Herr hatte sich ein Bild von uns gemacht, das uns zu der Aeußerung veranlasste: „Wenn wir so sind, wenn wir das alles wollen, ja, dann sind wir ja Kommunisten und Spartakisten vom reinsten Wasser!“. So z.B. glaubte der Herr allen Ernstes, daß wir eine Enteignung der jetzt von uns bewohnten Heuern ohne Entschädigung an den Besitzer forderten. Das wäre doch in Meppen festgelegt! Wie staunte der gute Mann, als wir ihm den wahren Sachverhalt aufzählten und begründeten, als wir ihm einzelne Vorkommnisse, welche die jetzigen unhaltbaren Zustände grell beleuchteten, berichteten! In einer halben Stunde war aus einem Saulus ein Paulus geworden“[viii].

 

Hintergrund dieser Unterredung war eine Personalentscheidung des Zentrums zur Reichstagswahl, die für großen Unmut bei den Heuerleuten und christlichen Gewerkschaftern vor allem im Kreis Lingen, dem Ursprung der Heuerleute-Bewegung, sorgte. Das Zentrum hatte den bisherigen zweiten regionalen Abgeordneten in der Weimarer Nationalversammlung, den Arbeitervertreter Josef Hagemann (1875-1950) aus Osnabrück[ix], nicht wieder auf einen sicheren Platz seiner Wahlkreisliste nominiert, sondern ihn erst auf den aussichtslosen Platz 3 platziert. Neuer Kandidat auf Platz 2 war der um das ländliche Genossenschaftswesen verdiente Bauernführer Theodor Pennemann (1861-1932)[x] aus dem nordemsländischen Brual. Vom Großbauern hieß es, er lehne die staatliche Ödlandkultivierung zugunsten der Heuerlinge ab, präferiere stattdessen die bäuerliche „Siedlung vom Hof“ und stehe dem Verpächterverband nahe. Demgegenüber besaß der langjährige Sekretär der „Katholischen Arbeiterbewegung“ im Bistum Osnabrück und christliche Gewerkschaftsführer Josef Hagemann wegen seines Einsatzes für die „kleinen Leute“ einen guten Ruf bei den Heuerlingen. Seine Zurückstufung hatte eine linkskatholische Abspaltung von der Zentrumspartei im Lingener Land zur Folge. Die „Christlich-Soziale Volkspartei“, deren Führungsmannschaft christliche Gewerkschafter aus Lingen stellten, erhielt bei der Reichstagswahl bezeichnenderweise in den beiden katholischen Kreisen mit der größten Heuerlingsbevölkerung auch die meisten Stimmen, nämlich im Kreis Lingen 4,8% und im Kreis Meppen 1,7%. Um die Heuerleute zurückzugewinnen, kam ihnen die Zentrumspartei als Sofortmaßnahme personell entgegen. Sie veranlasste den Osnabrücker Handwerkervertreter Franz Langewand (1871-1952) noch 1920, sein Mandat in der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung niederzulegen, wodurch Hagemann als Nachrücker dieses wichtige parlamentarische Mandat einnahm. Bis 1933 gehörte er dann dem Preußischen Landtag an.

 

Da das Zentrum nach Ansicht des Verbandes weiterhin zu wenig Anstalten machte, sich auf die Anliegen der Heuerleute einzulassen, ging der VCH 1921 politisch in die Offensive. Zur Provinziallandtagswahl vom 21. Februar 1921 stellte er einen eigenen Wahlvorschlag auf. Spitzenkandidat war sein Verbandssekretär Josef Deters, auf Platz 2 folgte der Pächter Bernhard Timmer aus Polle im Kreis Lingen. Auf den weiteren Rängen fanden sich der Heuermann Hermann Voß aus Emmeln im Kreis Meppen, der Heuermann Hermann Küpker aus Vechtel im Kreis Bersenbrück und der Maschinenbauer Bernhard Dirkes aus Lähden im Kreis Hümmling[xi]. Gleichzeitig unterstützte die Heuerlingsorganisation die Aufstellung von Heuerleutelisten für die zeitgleich stattfindenden Kreistagswahlen[xii]. Der dominierende soziale Konflikt im Emsland während der Weimarer Republik hatte damit die politische Arena erreicht.

Sowohl die Kreistags- als auch die Provinziallandtagswahlen von 1921 erwiesen sich als ein Erfolg für die Heuerleute. Der VCH-Geschäftsführer Josef Deters errang mit seiner Liste 9272 Stimmen, was auf Provinzialebene 0,7% ausmachte und ihm den Einzug in den hannoverschen Provinziallandtag bescherte. Das Zentrum erhielt in der Provinz Hannover 6,4% und kam auf sieben Mandate. Das Vorgehen des VCH hatte der katholischen Partei ein Mandat gekostet[xiii]. In den Kreisen Aschendorf, Hümmling, Lingen und Meppen war die Heuerlingsliste zweitstärkste Partei geworden, wobei das Zentrum besonders im südlichen Emsland stark hatte Federn lassen müssen.

 

Tab. 2: Das Ergebnis der Heuerleuteliste bei der Provinziallandtagswahl 1921 in den Emslandkreisen

 

Aschendorf Hümmling Lingen Meppen
Stimmen 714 1083 3893 2686
in Prozent 8,8% 11,4% 20,7% 20,3%

 

Die offensichtliche Unzufriedenheit mit der katholischen Partei bei den ländlichen Unterschichten hatte umgehend die SPD auf den Plan gerufen. Sie lud schon Ende Oktober 1919 in Freren zu einer Volksversammlung mit ihrem Osnabrücker Parteisekretär Karl Westphälinger (* 1879) ein, wobei das Thema „Die wirtschaftliche Lage der Heuerleute und die Gestaltung des Pachtschutzgesetzes“ lautete[xiv]. In der Niedergrafschaft Bentheim wandte sich die SPD gleichfalls mit ähnlicher Thematik an die Heuerleute[xv]. Die „Zentrumsvereinigung Emsland“, Leitungsgremium der Partei in der Region Emsland/Grafschaft Bentheim, versuchte deshalb mit den Heuerleuten ins Gespräch zu kommen und veranstaltete am 22. Oktober 1921 in Lingen eine große Versammlung zur Heuerlingsfrage, an der die hannoverschen Zentrumsabgeordneten Friedrich Grebe (Landtag), Theodor Pennemann (Reichstag) und Josef Hagemann (Landtag) sowie aus Westfalen die Landwirtschaftsexperten und Reichstagsabgeordneten Carl Herold, Franz Bornefeld-Ettmann und Franz von Papen teilnehmen sollten[xvi]. Überdies versuchte Josef Hagemann, durch Zeitungsartikel zur Heuerlingsfrage die abtrünnigen Parteifreunde zurückzugewinnen[xvii]. Erfolgreich war dieses Bemühen angesichts der sich ständig verschlechternden Wirtschaftslage und der heftigen Verteilungskämpfe indes nicht.

 

Nachdem die Heuerleute augenscheinlich politisch Oberwasser gewonnen und erste Erfolge aufzuweisen hatten, ließ eine Gegenreaktion nicht lange auf sich warten. Ende Mai 1921 trafen sich Landwirte mit größerem Grundbesitz innerhalb des EBV, die Heuerleute beschäftigten, ebenfalls in Lengerich im Kreis Lingen und gründeten einen „Verband ländlicher Verpächter“. Vornehmliches Ziel des Verbandes war es, das Privateigentum zu schützen und den Mitgliedern unentgeltlich Rechtsbeistand zu gewähren. Kommissarischer Vorsitzender des Verpächterverbandes wurde der stellvertretende Vorsitzende des EBV im Kreis Lingen, Heinrich Alves aus Brockhausen, sein Stellvertreter war Heinrich Voß aus Brögbern, Vorsitzender des dortigen Landwirtschaftlichen Ortsvereins und Kreistagsmitglied. Als Geschäftsführer fungierte Al. Vogelwedde aus Lengerich. Die Verpächter bekämpften die Pachtschutzverordnung leidenschaftlich, da sie darin einen völlig unzulässigen Eingriff in ihr Privateigentum sahen[xviii]. Gesetzliche Regelungen des Pachtverhältnisses zwischen Bauern und Heuerleuten lehnten sie daher nicht nur als überflüssig, da sich die patriarchalische Struktur seit vielen Jahren bewährt habe, sondern sogar als eigentumsfeindlich und zerstörerisch für die bestehende Ordnung ab[xix]. Der Verpächterverband dehnte sich schnell über die emsländischen Kreise und die Grafschaft Bentheim aus. Leiter des Verpächter-Verbandes in der Region wurde schließlich Otto Freiherr von Landsberg-Velen (1890-1974) auf Schloss Dankern. Bereits im Juli 1921 beschloss der Verband, sich einer größeren Organisation anzuschließen[xx]. Dies wurde der „Verband der Pächter und Grundeigentümer Niedersachsens“, der zum Januar 1922 seine Tätigkeit aufnahm und sich auf den deutschen Nordwesten konzentrierte. Als Vorsitzender amtierte der deutschnationale Politiker Eduard zur Horst (* 1870) aus Epe bei Bramsche im Kreis Bersenbrück, sein Stellvertreter wurde Otto Freiherr von Landsberg-Velen. Weiterhin im Vorstand vertreten war der Landwirt Ewald Stallforth vom Gelshof in Klosterholte (bei Bawinkel) im Kreis Meppen. Die restlichen Vorstandsmitglieder stammten aus dem Osnabrücker Umland[xxi]. Politische Rückendeckung erhielt der Verband von der rechtsliberalen „Deutschen Volkspartei“ (DVP) und vornehmlich von der monarchistisch-antidemokratischen „Deutschnationalen Volkspartei“ (DNVP)[xxii], in der Otto Freiherr von Landsberg-Velen, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Ortsvereins Haren und später emsländischer Stahlhelmführer, wie Eduard zur Horst ihre politische Heimat fanden. Da lokale Vertreter wie Ewald Stallforth auch im Zentrum aktiv waren, übertrug sich das gespannte Verhältnis zwischen Heuerleuten und Verpächtern wiederum auf die Zentrumspartei.

Die Inflationsjahre und die nachfolgende Geldknappheit verschärften die ohnehin starken sozialen Spannungen zwischen Heuerleuten und Verpächtern, was sich etwa in einem Leserbrief eines Heuermanns 1924 deutlich zeigte. Zugleich wird hier auch ein weiterer gravierender Unterschied zwischen beiden Vereinigungen offensichtlich. Die Verpächterorganisation stand wie viele Bauernverbände der neuen demokratischen Republik von Weimar, die aus der Revolution gegen die alte Monarchie entstanden war, kritisch bis feindselig gegenüber, während der VCH die Weimarer Demokratie, die für die Heuerleute Freiheit, Wahlrecht und soziale Aufstiegschancen gebracht hatte, uneingeschränkt befürwortete. So schrieb der Heuermann gegen Behauptungen auf einer Versammlung des Verpächterverbandes in Meppen:

Zu Beginn des Artikels heißt es: Der Herr Redner referierte über die Folgen des im Sturme der Revolution zu Stande gekommenen Pachtschutzgesetzes. Dieses Gesetz mit seinen Folgen scheint wohl vielen Verpächtern ein Dorn im Auge zu sein. … Nach meiner Ansicht war beim Inkrafttreten dieses Gesetzes vom Sturme der Revolution nichts mehr zu merken. Seinerzeit, nach der neuen Reichsverfassung, wußte unsere Regierung es wohl, welche Gesetze im Interesse gewisser Volksschichten am notwendigsten waren. Ferner betonte Redner, daß das gute Verhältnis zwischen Bauern und Heuermann immer mehr schwinde. Da möchte ich mir die Frage erlauben, warum denn, ist auch hier wieder das Pachtschutzgesetz schuld? … Wegen des Pachtschutzgesetzes kann nach wie vor das gute Einvernehmen zwischen Verpächter und Pächter weiterbestehen. – Weiter heißt es: Infolge vieler Entscheidungen der Pachteinigungsämter kann fast kein Heuerhaus unterhalten und so hoch versichert werden, daß im Brandfalle an einen Wiederaufbau gedacht werden könne. Soll hier vielleicht die Vermutung nahe liegen, daß ein Heuermann eventuell in der Lage wäre, soviel Pacht aufzubringen, daß im Brandfalle ein neues Heuerhaus erbaut werden könne; dazu käme alsdann noch die Instandhaltung. Es wäre besser gewesen, der Herr Redner hätte diesen Punkt unberührt gelassen, denn vor dem Kriege ließ die Instandhaltung der Heuerhäuser sehr zu wünschen übrig, nämlich es ist schon vorgekommen, daß ein Heuermann bei Wind und Regen am Abend sich mit aufgespanntem Regenschirm zu Bett legen mußte, um seine Gesundheit nicht ganz auf dem Spiele zu setzen. – Um auf alle einzelnen Punkte des Artikels einzugehen, würde zu weit führen. Nur möchte ich die beiden Punkte: „Der Heuermann, als Inhaber einer Heuerstelle, ist Besitzer ohne Lasten“ und „früher kauften wohlhabende Heuerleute sich Grundbesitz zum Ansiedeln, wodurch die Heuerstelle frei wurde und jungen Leuten Gelegenheit gegeben war, eine Familie zu gründen“ noch berühren. Der Heuermannsstand kennt sicherlich seine fast unerschwinglichen Lasten. … Durchweg ist der Heuermann kinderreich und somit sind die Unterhaltungskosten für Familie und Haushalt sehr groß. Der Heuermann kann in der heutigen Zeit nie daran denken, irgend einen Grundbesitz zum Ansiedeln erwerben zu können. Nebenbei erwähnt, wird sich heute ein Bauer auch nicht bereit erklären, solchen Grund und Boden für eine Ansiedlungsstelle dem Heuermann zu angemessenen Preisen zu überlassen, auf welchem selbiger sein Leben in bescheidenen Verhältnissen fristen kann[xxiii].

 

Neben dem Pachtschutz wurde bald die Ödlandsiedlung der große Streitpunkt zwischen Heuerlingen und Landwirten. Die Heuerleute und Knechte wollten einen sozialen Aufstieg zum selbstständigen Landwirt durch die Siedlung auf den großen Ödländereien der Region erreichen. Da die Landwirte mit ihren bescheidenen Eigenmitteln die großflächige Urbarmachung nicht leisten konnten und folglich mit ihrem Projekt einer „Siedlung vom Hofe“, die von ihren Standesorganisationen favorisiert wurde, nur geringe Flächen zu kultivieren vermochten, forderten die Heuerleute den massiven Einsatz des Staates. Der Staat sollte großflächig Ödland urbar machen und dazu notfalls Landwirte gegen Entschädigung enteignen. Dagegen wehrten sie sich heftig. Um diese wie weitere Forderungen besser durchsetzen zu können, schlossen sich mehrere Heuerleute- und Kleinbauernorganisationen am 25. Juni 1922 in Hannover zum „Reichsverband landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe“ zusammen, darunter der VCH und sein Verbündeter, der „Nordwestdeutsche Heuerlings-Verband“. Zum Geschäftsführer bestimmte der neue Verband auf Vorschlag Heinrich Kuhrs den Kulturingenieur Heinrich Lübke (1894-1972)[xxiv], den späteren Bundespräsidenten[xxv].

 

Die zunehmenden Kündigungen von Heuerstellen beschäftigten sogar im Juli 1921 den Preußischen Landtag. Der SPD-Abgeordnete und Gewerkschaftssekretär Walter Bubert (1886-1950) aus Osnabrück zitierte in seiner Rede ein Schreiben des Verpächterverbandes an seine Mitglieder, in dem dazu aufgefordert wurde, die Pachtverhältnisse zu kündigen, um höhere Preise nehmen zu können. Dabei warf er dem Verpächterverband vor, nicht nur möglichst viel Geld und Arbeitsleistung von den Heuerleuten herauspressen, sondern vor allem „mißliebige Elemente“ aus dem Pachtvertrag herausdrängen zu wollen, vornehmlich also Aktivisten der Heuerleuteorganisationen. Insbesondere griff Bubert den Fürsten von Bentheim deswegen an[xxvi]. Ein Regierungsvertreter antwortete auf die SPD-Vorwürfe und behauptete, soweit bekannt seien Verpächtervereinigungen im Regierungsbezirk Osnabrück nicht gegründet worden. Ebenso lägen über Massenkündigungen von Heuerverträgen keine Erkenntnisse vor. Ministerialdirektor Articus wies darauf hin, dass Preußen die Pachtschutzordnung auch auf die Heuerverträge ausgedehnt habe und sie deshalb vor plötzlichen „Kündigungen und ungerechtfertigte(n) Erhöhungen ihrer Leistungen geschützt“ seien[xxvii]. Der regionale DVP-Abgeordnete Ernst Stendel (1879-1951), ein Jurist aus Leer, ging sogar noch weiter. Nachdem er den Fürsten von Bentheim als höchst sozialen Mann dargestellt hatte, der sehr geringe Pachtsätze nehme, erklärte er, die fürstlichen Pächter seien überhaupt keine Heuerleute, selbst wenn sie zum Forstdienst oder ähnlichen Leistungen verpflichtet seien. Dazu sei ihr Pachtland viel zu groß. Er verstieg sich sogar zu der unwidersprochenen Behauptung: „Sie können mit der Laterne suchen, wenn Sie Heuerlingsverhältnisse in der Ober- und Niedergrafschaft Bentheim finden wollen; soweit ich unterrichtet bin, kennt man dort das Heuerlingswesen nicht“[xxviii]. Dies illustriert, wie wenig bekannt das Heuerlingswesen und die Verhältnisse der Heuerleute außerhalb Nordwestdeutschlands waren, so dass widerspruchslos mit faustdicken Tatsachenverdrehungen gearbeitet werden konnte.

Heinrich Kuhr forderte noch 1929 eine zeitlich unbegrenzte Pachtschutzordnung u.a. deshalb, damit die Bauern ihren Heuerleuten nicht wegen deren kommunalpolitischen oder verbandlichen Engagements plötzlich die Heuer kündigen konnten. Dies war immer noch nötig, wie die Wahlen zur Landwirtschaftkammer vom Februar 1927 gezeigt hatten. Zwar vermochte der VCH seinen Vorsitzenden Kuhr durchzubringen, doch war die Stimmenzahl für den Heuerleutekandidaten erstaunlich gering. Die sozialdemokratische „Freie Presse“ aus Osnabrück begründete dies mit der Tatsache, dass sich die Heuerleute in der Region – nicht zuletzt aus wirtschaftlichem Druck – wenig an der Wahl beteiligt und z.T. sogar für die gegnerische EBV-Liste votiert hätten[xxix].

 

Die VCH-Vertreter engagierten sich in Berlin sehr für die Belange ihrer Mitglieder und bemühten sich, die betreffenden Behörden und Ministerien über die Verhältnisse in der Region und die Besonderheiten des nordwestdeutschen Heuerlingswesens aufzuklären. Das Reichsarbeitsministerium, das für die Pachtschutzordnung zuständig war, geriet deshalb besonders in die Schusslinie des Verpächterverbandes. So beklagte sich der Verpächterverbands-Vorsitzende Eduard zur Horst in einer Rede zur Geschichte des Pachtschutzgesetzes: „Mit der Revolution war die Macht in die Hände der Besitzlosen übergegangen und deren Tätigkeit richtete sich vornehmlich gegen Besitz und Eigentum. Naturgemäss suchte sie deshalb auch die Pächter und namentlich die Heuerleute zu sich hinüber zu ziehen, indem sie den Gegensatz zum Besitz in den Vordergrund stellte … Bei der Vorbereitung der Pachtschutzordnung haben unsere Gegner, die sich mittlerweile in den Heuerleute-Verbänden organisiert hatten, massgebend mitgewirkt. Ihre Führer, Helling und Deters, gingen im Reichsarbeitsministerium, das in der Angelegenheit federführend war, ein und aus“[xxx]. Über seine Verhandlungen im Reichsarbeitsministerium sowie über seinen Auftritt als Sachverständiger vor dem Reichswirtschaftsrat erstattete Geschäftsführer Deters den Mitgliedern Bericht, so im Juni 1922 im Bentheimer Land auf einer VCH-Versammlung zum Pachtschutz[xxxi]. Daneben vergaß der Verband aber nicht den Einsatz für die ländlichen Dienstboten und „kleinen Leute“. So veranstaltete er etwa im Frühjahr 1922 in Lingen eine Versammlung mit einem bekannten Bodenreformer, um die Eigenheimbildung dieser Schichten voranzutreiben[xxxii]. Dabei sollte vor allem das Ödland am Stadtrand für die Siedlung freigegeben werden[xxxiii].

Über die Erfolge des Verbandes und geänderte gesetzliche Bestimmungen informierten die Verbandsführer Josef Deters und Heinrich Kuhr darüber hinaus die Bevölkerung durch Zeitungsartikel[xxxiv]. Innerhalb des Zentrums setzte sich vor allem Josef Hagemann für die Belange der Heuerleute ein, die dessen Verdienste etwa um die Durchsetzung der Pachtschutzordnung durchaus anerkannten[xxxv]. In Anbetracht der vielfach baufälligen Wohngebäude der Heuerleute fand sich auf diesem Gebiet ebenfalls ein reiches Betätigungsfeld des Vereins. Zum einen drang er darauf, dass die bäuerlichen Verpächter ihren Pflichten zur Instandhaltung der Häuser nachkamen und prangerte dazu in der Öffentlichkeit besonders eklatante Missstände an[xxxvi], zum anderen gründete der VCH – etwa in Freren – Hausbaugenossenschaften[xxxvii]. Laut Johannes Drees besaß der VCH Ende 1923/Anfang 1924 rund 3000 Mitglieder[xxxviii], womit er im Emsland seinerzeit nach dem EBV die mitgliederstärkste wirtschaftspolitische Organisation gewesen ist.

 

1924 eskalierte der Konflikt zwischen Bauern und Heuerleuten. Die Heuerlinge drangen mit Macht auf eine Freigabe der Ödländereien zu Siedlungszwecken und einem entsprechenden Einsatz des Staates. Die Bauern – und hier vornehmlich der Verpächterverband – bekämpften diese Forderung mit Nachdruck. Nachdem die Heuerleute 1921 bei der Provinziallandtagswahl dem Zentrum bereits empfindliche Verluste beigebracht hatten, sorgte die Parteiführung zur Reichstagswahl vom Mai 1924 für die Nominierung des Arbeitsministers Dr. Heinrich Brauns (1868-1939) auf die vakante Spitzenkandidatur im Wahlkreis Weser-Ems. Der Geistliche hatte lange Jahre den „Volksverein für das katholische Deutschland“ geleitet, der im Emsland bereits im Kaiserreich stark verankert gewesen war. Als Vorsitzender des Volksvereins lernte Brauns die Region und ihre Probleme bei Besuchen emsländischer Ortsgruppen kennen. Zahlreiche Bauern lehnten die Kandidatur des Sozialpolitikers, unterstützt von der DNVP, ab, da er – so die Osnabrücker Ausgabe des hannoverschen DNVP-Parteiblatts „Niederdeutsche Zeitung“ – gegen den Willen der örtlichen Partei auf Diktat der Reichsleitung aufgestellt worden sei, ganz einseitig auf seiten der Heuerleute und Pächter stehe und die Ödlandenteignung unterstütze[xxxix]. Weiterhin wurde Brauns, der wegweisende Sozialreformen auch für die Knechte und Mägde durchsetzte, als nicht wählbar für die Landwirte bezeichnet[xl].

Trotzdem – die Heuerleute waren unzufrieden mit ihrer Lage und sahen ihren Wunsch nach Siedlung durch die Ödlandkultivierung allein durch einen neuen Zentrumskandidaten nicht genügend unterstützt. Daraufhin fasste ihr Verband einen folgenschweren Beschluss. Der Vorstand entschied, zur anstehenden Reichstagswahl eine Linksabsplitterung der Zentrumspartei zu unterstützten, die sich in Westfalen und im Ruhrgebiet gebildet hatte. Diese „Christlich-Soziale Volksgemeinschaft“ (CSVG) trat zur Reichstagswahl von 1924 in zehn Wahlkreisen an, darunter auch im Wahlkreis Weser-Ems. Die emsländische Zentrumsabsplitterung von 1920, die „Christlich-Soziale Volkspartei“, die 1921 zwei Mandate für christliche Gewerkschafter im Lingener Kreistag errungen hatte, schloss sich dieser neuen Partei an.

Josef Deters, bekanntlich schon Provinziallandtagsmitglied, wurde auf Platz 2 der Wahlkreisliste Weser-Ems der CSVG nominiert. Spitzenkandidat war der aus Lingen stammende und in Hannover wohnende Ingenieur Hans Elberg[xli]. Die regionale Presse berichtete wenig von der Partei. Allerdings veröffentlichte sie regelmäßig Artikel, dass regionale Zentrumsführer, insbesondere Dr. Stuke, der viel Sympathie für die Anliegen der Heuerleute zeigte, bei Aussprachen in den emsländischen Dörfern zahlreiche Heuerleute und Unzufriedene wieder zur Partei zurückgeführt hätten oder dass in anderen Regionen CSVG-Gruppen zum Zentrum zurückgekehrt seien[xlii]. Obwohl die CSVG keinerlei Presseunterstützung im Emsland erhielt und auch noch keine Organisationsstruktur aufgebaut hatte, wurde sie dennoch zweitstärkste Partei des Emslands und zog in vielen Kommunalparlamenten ein. Während in Meppen und Lingen christliche Gewerkschafter die Partei trugen, sorgte der VCH auf dem Lande für eine Propagierung der Christlich-Sozialen.

 

Tab. 3: Die regionalen Wahlergebnisse der Christlich-Sozialen Volksgemeinschaft im Mai 1924[xliii]

 

 

Gebiet Aschendorf Hümmling Lingen Meppen Bentheim
CSVG 1152 1375 3830 3429 1041
in Prozent 9,8% 13,0% 19,2% 25,0% 5,5%

 

Gebiet Bersenbrück Emsland* Weser-Ems
CSVG 1289 9786 18.190
in Prozent 4,9% 17,5% 2,8%

*ohne Grafschaft Bentheim

 

Das Zentrum war im Emsland von den 83,2%, die es 1920 erzielt hatte, auf 68,0% zurückgefallen. Die Hauptmasse der Verluste ging an die CSVG, doch hatten die großbäuerliche DNVP sowie die gegen Preußen kämpfende „Deutsch-Hannoversche Partei“ ihm gleichfalls Wähler abspenstig gemacht. Die CSVG drängte in nicht wenigen emsländischen Dörfern sogar die Zentrumspartei zum ersten Mal in ihrer Geschichte unter 50%. In einigen Orten votierte mehr als die Hälfte aller Urnengänger für die Partei der organisierten Heuerleute.

 

Tab. 4: Die emsländischen Hochburgen der Christlich-Sozialen Volkgemeinschaft[xliv]

CSVG             Zentrum

Groß Dohren                           62,9%              26,5%

Flechum                                  58,1%              35,8%

Bramhar/Meppen                    54,0%              46,0%

Gersten                                    53,4%              25,0%

Lähden                                    51,9%              45,5%

Andervenne-Oberdorf            51,2%              31,8%

 

Selbst in einigen protestantischen Grafschafter Gemeinden errang die linkskatholische Partei aufgrund des Einsatzes des Heuerleuteverbandes bedeutende Stimmenzahlen. Die Hochburg der CSVG im Bentheimer Land war das protestantische Georgsdorf (53,1%), wo viele fürstliche Heuerleute wohnten, gefolgt von Bimolten, dem Wohnort des Grafschafter VCH-Kreisvorsitzenden Schnieders. Mit 45,8% wurde sie hier ebenfalls stärkste Partei. Beachtliche Resultate erzielte die CSVG ferner in der Alten Piccardie (24,5%), in Brandlecht-Gut (26,7%), Frenswegen (26,9%), Hestrup (23,3%), Hohenkörben-Veldhausen (29,6%) und im katholischen Wietmarschen (27,2%)[xlv]. Im Westen des Kreises Bersenbrück, in dem viele katholische Heuerleute lebten, konnte die CSVG dem Zentrum ebenfalls empfindliche Verluste zufügen, so in Grafeld (Zentrum 48,2%, CSVG 43,3%), Hollenstede (CSVG 49,5%, Zentrum 40,1%) oder Höckel (CSVG 50,5%, Zentrum 37,0%). Wie in der Grafschaft Bentheim reüssierte die Partei der Heuerleute gleichfalls in einigen wenigen evangelischen Ortschaften des Kreises Bersenbrück, beispielsweise in Ohrtermersch (50,7%)[xlvi]. In keinem Wahlkreis des Reiches entfielen jedoch die erforderlichen 60.000 Grundstimmen auf die Christlich-Sozialen, so dass sie mit ihren 124.451 Wählern keinen Reichstagsabgeordneten stellten, ihr Antreten das Zentrum jedoch zwei Mandate kostete.

 

Nach diesem grandiosen Erfolg im Emsland machte sich die CSVG daran, ihre Organisation in der Region zu festigen. Im Juni 1924 fand in Lingen ein Delegiertentag der „Christlich-Sozialen Volksgemeinschaft“ für den Wahlkreis Weser-Ems statt. Es nahmen ca. 120 Delegierte teil. Spitzenkandidat Elberg hob den großen Gewinn trotz der geringen Anzahl von Parteirednern und des scharfen Kampfs des Zentrums und der Presse gegen die Christlich-Sozialen hervor. Im Wahlkreis habe die Partei ca. 130 kommunale Mandate errungen, im Emsland sei sie die zweitstärkste Partei geworden. Im neu konstituierten Wahlkreisvorstand engagierten sich führende Vertreter des VCH. So wurde der Heuermann Bernhard Voß aus Hebeln bei Haren zum 2. Wahlkreisvorsitzenden gewählt, der VCH-Rechnungsführer Franz Speller zum 2. Kassierer der Partei. Als Beisitzer fungierten u.a. der Heuermann Dulle aus Dohren und VCH-Geschäftsführer Josef Deters[xlvii].

Dies zwang die Zentrumspartei zum Handeln. Was genau geschah, ist mangels Quellen unklar. Allerdings scheint es zu einer Verständigung zwischen emsländischer Zentrumsführung und dem VCH gekommen zu sein. Der Inhalt der Vereinbarung sah wohl folgendermaßen aus: Der VCH verzichtete darauf, weiterhin die CSVG oder eine andere Partei organisatorisch, finanziell oder ideell zu unterstützen. Im Gegenzug sicherte die Zentrumspartei zu, sich verstärkt für die Ödlandkultivierung und die Belange der Heuerleute einzusetzen und einem VCH-Vertreter ein parlamentarisches Mandat zu verschaffen. Ein derartiges Arrangement war für den Heuerleuteverband weitaus attraktiver als eine nochmalige Unterstützung der CSVG, deren Chancen auf Reichs- und Landtagsmandate gering waren. Das Zentrum war demgegenüber eine einflussreiche, stabile Partei mit Regierungsverantwortung im Reich und in Preußen. Erahnen lässt sich dieser Kompromiss aus dem Dank des Reichstagsabgeordneten Dr. Heinrich Brauns an seine Wähler im Emsland zur Reichstagswahl vom Dezember 1924, die einen massiven Rückgang der CSVG-Stimmen in der Region brachte. Auf Wahlkreisebene sank die CSVG von 2,8% auf 0,8%. Die katholischen Heuerleute waren in großer Zahl wieder zum Zentrum zurückgekehrt. In seinem Dankschreiben wandte sich der Reichstagsabgeordnete Dr. Heinrich Brauns ausdrücklich an die Heuerleute, die im Mai dem Zentrum dem Rücken gekehrt hatten: „Ein besonderes Wort des Dankes gebührt in diesem Zusammenhang den tausenden von Heuerleuten, die bei dieser Wahl wieder zur Zentrumspartei zurückgekehrt sind. Dessen wird sich nicht bloß die Zentrumspartei des Wahlkreises Weser-Ems freuen, auch die Zentrumsfraktion des ganzen Reiches wird diese Tat der Heuerleute dankbarst anerkennen. Wir glauben, daß die von der christlich-sozialen Volksgemeinschaft zur Zentrumspartei zurückgekehrten Heuerleute schon ihrer ganzen religiösen Einstellung nach zur Zentrumspartei gehören. Sie können aber versichert sein, daß auch ihre wirtschaftlichen Interessen, genau wie die der übrigen Erwerbsstände und Gruppen, bei der Zentrumspartei gerechte Würdigung finden werden und daß auch diese wirtschaftlichen Interessen bei einer großen Partei besser geborgen sind, wie bei einer Splitterpartei, die im Reichstag keine Bedeutung hat“[xlviii].

 

Seitdem unterstützte der „Verein Christlicher Heuerleute“ die Zentrumspartei und mischte sich mit Nachdruck in deren innerparteiliche Diskussion ein, um seine Auffassungen durchzusetzen. Anfang März 1925 etwa beschäftigten sich VCH-Versammlungen in Haselünne und Holte mit dem Thema „Zentrum und Pachtschutz im preußischen Landtag“. Dabei verabschiedeten die Heuerleute eine Resolution, in der sie sich gegen den von Franz von Papen gewünschten Rechtsruck der Partei aussprachen und seinen Ausschluss aus der Partei forderten, da er auf sozialem und wirtschaftspolitischem Gebiet nicht mehr auf dem Boden der Zentrumspartei stehe[xlix]. Ebenso meldeten sich die Verbandsvertreter bei emsländischen Zentrumsparteitagen oder ähnlichen Gelegenheiten zu Wort.

Zur Provinziallandtagswahl und den Kreistagswahlen vom November 1925 wurde der „Verein Christlicher Heuerleute“ wiederum aktiv. Bei den Kreistagswahlen trat er in mehreren Kreisen mit eigenen Listen an. Zur Provinziallandtagswahl unterstützte er die Zentrumspartei, die dem Verbandsvorsitzenden Heinrich Kuhr einen sicheren Listenplatz eingeräumt hatte. Kuhr hatte sich im Gegensatz zu Deters nicht in der CSVG engagiert, so dass er unbelastet dieses Angebot annehmen konnte. Er war 1921 auf der Zentrumsliste in den Lingener Kreistag gewählt worden, hatte aber auf Parteiversammlungen immer wieder die Ausführungen verschiedener Reichstagsabgeordneter seiner Partei zur Siedlung kritisiert[l]. Kuhr wurde gewählt und trat seitdem als Zentrumswahlredner in den nachfolgenden Wahlkämpfen auf[li]. Überdies rückte er in den Vorstand der „Zentrumsvereinigung Emsland“ und 1930 in die Landesleitung der preußischen Zentrumspartei ein. Seit 1928 betätigte sich der Heuerlingsvertreter überdies im Reichsvorstand des „Volksvereins für das katholische Deutschland“. Überall konnte er großen Einfluss für die Belange der Heuerleute ausüben.

Um die Interessen der Kleinlandwirte besser politisch durchsetzen zu können, schufen 1927 u.a. der „Reichsverband landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe“, der „Deutsche Bauernbund“, der im Bentheimer Land aktiv war, und der mitgliederstarke „Bayerische Bauernbund“, eine Dachorganisation mit dem Namen „Deutsche Bauernschaft“. Die neue Organisation umfasste 17 relativ selbstständige Verbände mit rund 100.000 Mitgliedern. Im sechsköpfigen Vorstand vertrat Heinrich Kuhr den emsländischen Heuerlingsverband. Im Gegensatz zum weit mitgliederstärkeren Reichslandbund bekannte sich die „Deutsche Bauernschaft“ zur Republik von Weimar[lii].

 

[i] Siehe zu Kuhr: Helmut Lensing, Art. Kuhr, Heinrich, in: EG Bd. 6, Dohren 1997, S. 238-245.

[ii] Kuhr (wie Anm. 4), S. 67-68.

[iii] KVB Nr. 8 vom 28.01.1920, Ems-Zeitung, Papenburg (weiterhin EZ) Nr. 11 vom 29.01.1920.

[iv] Adreßbuch der Stadt Lingen an der Ems und des Kreises Lingen 1925. Bearbeitet von Verwaltungssekretär Riekhoff, Stand Oktober/Dezember 1924, Lingen 1925, S. III.47.

[v] Siehe den Bericht zum zehnjährigen Bestehen vom Geschäftsführer Renner in: EZ Nr. 81 vom 06.04.1929; Haverkamp (wie Anm. 2), S. 91.

[vi] FVB Nr. 8 vom 22.02.1920. Dabei plädierte der VCH – sofern eine Enteignung nicht zu vermeiden sei – für eine Entschädigung, der sozialistische Verband bevorzugte eine entschädigungslose Enteignung.

[vii] Haverkamp (wie Anm. 2), S. 91.

[viii] StALIN Dep 3 Haus Beversundern Nr. 107: Mitteilungen des Verbandes christlicher Heuerleute und Landarbeiter Nr. 6 vom 01.05.1920.

[ix] Zu Hagemann siehe: Helmut Lensing, Art. Hagemann, Josef, in: EG Bd. 7, Dohren 1998, S. 142-147.

[x] Zu Pennemann siehe: Helmut Lensing, Art. Pennemann, Theodor, in: Ebd., S. 212-216. In dieser Reihe finden sich ebenso weitere Lebensläufe hier angesprochener Männer, so von Dr. Karl Stuke, Dr. Johannes Drees, Dr. Hermann Korte, Franz Langewand, Gerhard Schwenne oder Friedrich Grebe. Zum Versuch der Zentrumspartei, die Gemüter bei den Heuerleuten zu beruhigen: N.N., Burlage, Pennemann, Hagemann, in: LVB Nr. 43 vom 29.05.1920.

[xi] Ems- und Haseblätter, Meppen, Nr. 6 vom 09.02.1921, LVB Nr. 13 vom 12.02.1921.

[xii] Siehe etwa: FVB Nr. 2 vom 16.01.1921, FVB Nr. 7 vom 13.02.1921. Hermann Voß war im Kreis Meppen Spitzenkandidat der dortigen Heuerleuteliste, die fünf Mandate gewann (KVB Nr. 16 vom 26.02.1921).

[xiii] FVB Nr. 9 vom 27.02.1921.

[xiv] FVB Nr. 43 vom 23.10.1921.

[xv] ZuA Nr. 151 vom 12.11.1921.

[xvi] LVB Nr. 82 vom 12.10.1921, LVB Nr. 84 vom 19.10.1921 und LVB Nr. 98 vom 07.12.1921.

[xvii] Siehe: Josef Hagemann, Zur Heuerlingsfrage, in: LVB Nr. 77 vom 24.09.1921, Josef Hagemann, Das Zentrum und die Heuerlingsfrage, in: LVB Nr. 100 vom 10.12.1921.

[xviii] FVB Nr. 22 vom 29.05.1921. Über die seinerzeitigen Probleme zwischen beiden Gruppen vgl. aus Sicht der Verpächter: Heinrich Niehaus, Das Heuerleutesystem und die Heuerleutebewegung. Ein Beitrag zur Lösung der Heuerleutefrage, Quakenbrück 1924.

[xix] Siehe: Volksfreund Nr. 6 vom 10.02.1923 mit Berichten über Vereinsversammlungen in Sögel, Meppen und Bawinkel. Dies stieß sogleich auf Proteste der Heuerleute, die sich mit einem Leserbrief zu Wort meldeten (HZ Nr. 8 vom 24.02.1923). Zur Bekämpfung des Pachtschutzes durch den „Emsländischen Bauernverein“ siehe z.B.: Emsländischer Bauer Nr. 10 vom 08.03.1924 oder Nr. 47 vom 22.11.1924.

[xx] FVB Nr. 29 vom 17.07.1921.

[xxi] FVB Nr. 1 vom 01.01.1922.

[xxii] Siehe etwa: FVB Nr. 86 vom 09.12.1924 (Anzeige zur Generalversammlung in Osnabrück) und StALIN Dep 3 Haus Beversundern Nr. 120.

[xxiii] HZ Nr. 18 vom 03.05.1924. Zu den Landstreitigkeiten zwischen den Heuerleuten und Bauern mit ihren Verbänden auf lokaler Ebene siehe als Beispiel: Josef Hamacher, Das Kirchspiel Holte und die Gemeinde Lähden. Stationen einer tausendjährigen Geschichte, in: Josef Hamacher u.a., Holte. Geschichte eines alten Kirchspiels. Lähden, Ahmsen, Herßum, Holte, Lähden, Lastrup, Vinnen. Hrsg. von der Gemeinde Lähden, Lähden 1995 (weiterhin Hamacher), 13-187, S. 168.

[xxiv] Lingen´sches Wochenblatt Nr. 73 vom 27.06.1922.

[xxv] Kuhr (wie Anm. 4), S. 68.

[xxvi] Stenographische Berichte der Verhandlungen des Preußischen Landtags. 1. Wahlperiode, 1. Tagung 1921. Bd. 2,2, Berlin 1921 (weiterhin Stenographische Berichte), S. 2308-2310.

[xxvii] Ebd., S. 2315.

[xxviii] Ebd., S. 2379-2380. In seiner Replik betonte Bubert vornehmlich die große wirtschaftliche Not der Heuerleute und deren Abhängigkeit von den Landwirten (Ebd., S. 2379-2380).

[xxix] Heinrich Kuhr, Ist das Heuerlingswesen dem Untergang geweiht II?, in: LVB Nr. 10 vom 12.01.1929 (weiterhin Kuhr, Untergang), Freie Presse, Osnabrück, Nr. 2126 vom 22.03.1927.

[xxx] StALIN Dep 3 Haus Beversundern Nr. 120: Die Pachtschutzordnung. Vortrag des Verbandsvorsitzenden Ed. zur Horst, Epe (wohl von 1925).

[xxxi] ZuA Nr. 86 vom 09.06.1922.

[xxxii] LVB Nr. 20 vom 11.03.1922.

[xxxiii] LVB Nr. 26 vom 29.03.1922. Im folgenden Jahr lud der VCH mit anderen Verbänden den Bodenreformer Adolf Damaschke nach Lingen ein, nach dem schließlich eine Siedlung in der Emsstadt benannt wurde (LVB Nr. 86 vom 27.10.1923, LVB Nr. 88 vom 03.11.1923).

[xxxiv] Siehe z.B. J. Deters, Die neue Pachtschutzordnung, in: LVB Nr. 52 vom 01.07.1922, oder H. Kuhr, Die Ödlandsiedlung, in: LVB Nr. 61 vom 02.08.1922.

[xxxv] FVB Nr. 38 vom 16.09.1922.

[xxxvi] Siehe z.B. FVB Nr. 37 vom 27.03.1926.

[xxxvii] FVB Nr. 16 vom 22.04.1923.

[xxxviii] Drees (wie Anm. 5), S. 121.

[xxxix] Niederdeutsche Zeitung. Ausgabe Osnabrück. Nationales Tageblatt für Nordwestdeutschland (weiterhin NDZ) Nr. 31 vom 24.04.1924. Brauns war als Arbeitsminister u.a. für die von den Bauern abgelehnte Pachtschutzordnung zuständig.

[xl] NDZ Nr. 26 vom 15.04.1924.

[xli] KVB Nr. 34 vom 30.04.1924. Siehe dazu auch: Die Volksgemeinschaft. Mitteilungsblatt der Christlich-Sozialen Volksgemeinschaft. Tageszeitung für Westfalen und Rheinland, Dortmund (weiterhin VG), Nr. 2 vom 03.04.1924. Deters kam zugleich auf Platz 7 der Wahlkreisliste in Osthannover (VG Nr. 17 vom 23.04.1924).

[xlii] LVB Nr. 36 vom 03.05.1924 (hier: Einigung zwischen CSVG und Zentrum in Groß Hesepe, Christlich-Soziale in Höxter kehren zum Zentrum zurück).

[xliii] Eigene Berechnungen aus: Statistik des Deutschen Reichs Bd. 315,II, 2. Heft, 2. Teil, Berlin 1925, S. II.29 (weiterhin StDR Bd. 315) und Zeitungsberichten.

[xliv] Eigene Berechnungen aus: LVB Nr. 37 vom 06.05.1924, Staatsarchiv Osnabrück (weiterhin StAOS) Rep 450 Mep I L.A. Meppen Nr. 7 und Rep 450 Bent I L.A. Bentheim Nr. 39 sowie Hamacher (wie Anm. 46), S. 172, für Lähden.

[xlv] Eigene Berechnungen aus: StAOS Rep 450 Bent I L.A. Bentheim Nr. 39. Die Wahlerfolge der CSVG im Emsland waren weit bedeutender als in den bislang als ihre Hochburgen geltenden Städte im Ruhrgebiet und in Westfalen. So errang die CSVG im gesamten Ruhrgebiet 2,4%, wobei sie in Bottrop (9,4%), Osterfeld (9,0%) und Buer (7,0%) ihre besten Ergebnisse erzielte, also beträchtlich weniger als in einer Vielzahl emsländischer Dörfer. Selbst in den emsländischen Städten waren ihre Wahlresultate infolge der Unterstützung christlicher Gewerkschafter wesentlich besser. In Freren gewann die CSVG 21,8%, in Haselünne 17,4%, in Meppen 15,9%, in Lingen 13,2% und in Aschendorf 20,9%. Aufgrund der weit höheren Einwohnerzahlen verzeichnete die CSVG allerdings im Ruhrgebiet in absoluten Zahlen deutlich mehr Stimmen als im Emsland.

[xlvi] Bramscher Nachrichten Nr. 289 vom 08.12.1924 (mit Vergleich der Ergebnisse zur Maiwahl), zu dieser Wahl siehe auch: Bersenbrücker Zeitung Nr. 36 vom 06.05.1924. Zu den Wahlen im Kreis Bersenbrück: Norbert Wefer, Der Aufstieg der NSDAP im Kreise Bersenbrück. Wahlen und Analysen 1919-1933, Alfhausen-Thiene o.J., S. 61. Wefer kennt die CSVG und ihre Hintergründe nicht und bezeichnet sie darum unkorrekt als Vorläuferpartei des späteren streng evangelischen „Christlich-Sozialen Volksdienstes“ (S. 47). Das Gesamtergebnis der Partei ist in der Presse anscheinend nicht korrekt wiedergegeben, da sie für die CSVG 1390 Stimmen ausweist (= 5,2%), in der StDR Bd. 315 (wie Anm. 66), S. II.29, aber nur 1338 Voten für Splitterparteien genannt werden. Von diesen Stimmen müssen noch die 49 Stimmen für Kleinparteien, die diese laut Presse erhalten haben, abgezogen werden, so dass die CSVG wohl lediglich auf 1289 Wähler kommt.

[xlvii] VG Nr. 60 vom 18.06.1924.

[xlviii] KVB Nr. 99 vom 13.12.1924.

[xlix] LT vom 06.03.1925.

[l] Siehe: LVB Nr. 16 vom 23.02.1921, LVB Nr. 26 vom 31.03.1923, LVB Nr. 35 vom 30.04.1924.

[li] LVB Nr. 142 vom 03.12.1925, siehe auch: LVB Nr. 52 vom 01.05.1928, EZ Nr. 273 vom 23.11.1928, LVB Nr. 173 vom 23.11.1928 (Teilnahme am Kölner Reichsparteitag des Zentrums).

[lii] Werner Fritsch, Deutsche Bauernschaft (DBs) 1927-1933, in: Dieter Fricke (Hrsg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland 1789-1945, Bd. 1, Leipzig/Köln 1983 (weiterhin Fricke), 570-573 (weiterhin Fritsch), S. 570-571.