Medizinische Situation vor 150 Jahren auf dem Hümmling

Der gesamte Kreis Hümmling (später in den Kreis Aschendorf aufgegangen, heute LK Emsland) wurde damals von nur drei Ärzten betreut. Die gesundheitlichen Verhältnisse waren sehr ungünstig: Epidemien, Infektionen aller Art und vor allem die Volksseuche Tuberkulose waren stark verbreitet und sie rafften viele, auch junge Menschen und manchmal ganze Familien dahin.

Die Hygiene war völlig unzureichend, man schlief ja vielfach noch in den so genannten Butzen – einem Schrankbett – ohne jede Lüftung nach außen. Bäder gab es in den meisten Häusern nicht. Die Toiletten waren in den Stallungen. Die Ernährung war einseitig. So waren Gemüse und Obst allgemein ein rares Produkt. In den Sommermonaten wurden durch die Fliegen in den Wohnungen viele Krankheiten verbreitet, besonders der für die Kleinkinder gefährliche Brechdurchfall (Paratyphus).

Die Häuser waren ungenügend gegen Feuchtigkeit isoliert und zu wenig gelüftet, da die Fenster möglichst klein gehalten wurden. Die Brunnen, besonders die der Moordörfer, führten kein gutes Wasser, da sie im Gegensatz zu den tiefen Brunnen der Geestdörfer sehr seicht waren und dem Wasser die natürliche Filterung fehlte.spyck

Als Dr. Berthold Meistermann, gebürtig aus Bakum bei Vechta stammend, von Werlte aus daran ging, die Säuglingssterblichkeit zu bekämpfen und dazu die damals hochmoderne Buttermilchnahrung einführte, tat er das mit einem Spruch, den heute noch mancher älterer Hümmlinger im Munde führt: Ick sage, das Kind muß Buttermilch haben! Zunächst ungläubig belächelt, hat die Buttermilchnahrung später manchem Kind das Leben gerettet. Auch sonst pflegte Dr. Meistermann naturnahe Mittel anzuwenden, die sich bewährt hatten: In Löningen gab es damals eine Brauerei, die ein Bier braute, das bei Biertrinkern wegen seiner stuhltreibenden Wirkung nicht eben beliebt war. Dr. Meistermann nutzte diese Nebenwirkung bei seinen unter Verstopfung leidenden Patienten so: lck segge: Löninger Beier, wenn eine Fläske nich helped, dänn tweie.

Besonders begehrt war seine Hilfe bei einer damals sehr dramatisch verlaufenden Erkrankung, der Lungenentzündung durch die Pneumokokken, die heute wie Scharlach und andere Krankheiten ihren Charakter gewandelt und den Schrecken von einst verloren hat. – Sulfonamide und Penicillin waren noch nicht entdeckt, und es bedurfte einer ganz besonderen Kunst durch Aktivierung des Herzkreislaufes mit Brustwickeln und Auflagen von Quark, Kräutern und anderen Stimulanzien, um den Patient über die alles entscheidenden Tage der Krise hinwegzubringen.

Eigene Zusammenstellung nach: Book, Heinrich: Sanitätsrat Dr. Berthold Meistermann (1858-1923). Ein Arztleben auf dem Hümmling, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes, Bd. 31/1985, Sögel 1984, S. 69-80.

Foto: Archiv Robben