(entdeckt auf dem emsländischen Bauernhof Lögering in Bramsche/Wesel, offensichtlich nachgemalt)
Diese Kopie hängt im Bayerischen Landwirtschaftsmuseum in Regen:
Fast alle Menschen im ländlichen Bereich waren damals nahezu täglich fest in den christlichen Glauben und das Kirchenleben vor Ort eingebunden. Schon wenige Stunden nach der Geburt eines Kindes musste es getauft werden, damit es bei einem frühen Tod nicht als “Heidenkind” starb.
In den Schulen war der Religionsunterricht das wichtigste Fach. Viele Glaubenssätze mussten auswendig gelernt sein.
Der Pastor oder Pfarrer war im gesamten Dorf die höchste Respektsperson.
Nun war aber dieser Geistliche nicht selten der Sohn eines größeren Bauern, der das Geld für das Studium erübrigen konnte. Und so wird von etlichen ehemaligen Heuerleuten erzählt, dass der Pastor sich gerade in der Gruppe der Bauern besonders wohl gefühlt habe: Dort habe er in der Freizeit Karten gespielt, dort habe er seinen Schinken und einige zusätzliche Zigarren bekommen, dort sei er mit zur Jagd gegangen.
So werden es viele (katholischen) Heuerleute als gottgegebenes Schicksal ertragen haben, dass sie in ihrem Pastor nicht den idealen Anwalt für ihre Nöte und Sorgen gegenüber den Bauern hatten.
Heuerlingssöhne konnten in aller Regel kein Theologiestudium erreichen. Sie mussten ausschließlich in der plattdeutschen Sprache bleiben, wurden mit 14 Jahren Knechte auf Bauernhöfen und bei der Verheiratung übernahmen sie – wenn eben möglich – wieder eine Heuerstelle.
Eine Reihe von Heuerlingstöchtern trat in ein katholisches Kloster ein. Das ist in vielen Kirchengemeinden und mittlerweile auch etlichen Heimatvereinen dokumentiert. Da diese jungen Frauen aber über keine große Aussteuer verfügten, waren sie offenbar nicht in jedem Orden unbedingt erwünscht. Darüber habe ich allerdings mehrfach – nur – in mündlichen Aussagen erfahren.
Es gibt aber durchaus auch Beispiele dafür, dass die Pastöre aus ihrer herausgehobenen gesellschaftlichen Funktion ganz objektiv die schwierige Lage der Heuerleute nach oben weiter meldeten.
Der evangelische Pastor Funke aus Menslage
Ein ganz besonderer Anwalt der Heuerleute war der evangelische Pastor Funke aus Menslage. In Kapitel 9 schreibt Pastor Funke in seinem Buch
Über die gegenwärtige Lage der Heuerleuteim Fürstenthume Osnabrück,mit besonderer Beziehung auf die Ursachen ihres Verfalls und mit Hinblick auf die Mittel zu ihrer Erhebung.
über Probleme des Heuerleutesystems:
.. Politisch sind die Heuerleute durchaus unselbständig, indem sie weder als Mitglieder der Gemeinde noch des Staates auf irgend eine Weise vertreten sind[1], und doch bilden sie 2/3 der Bevölkerung unseres Fürstenthums! Ja, nur zu oft werden sie als eine so gut als gar nicht vorhandene Menschenklasse betrachtet…..
Es wäre in der That wünschenswerth, daß es in dieser Hinsicht anders würde, und daß man namentlich bei Gemeindeangelegenheiten das Interesse der Heuerleute wenigstens nicht völlig außer Acht ließe.
Es sind uns Fälle bekannt, wo sich die Heuerleute schon zur Ruhe niedergelegt hatten, als Bestellung zu Handdiensten auf den folgenden Tag Statt fanden, und wo auf die wohlbegründete Vorstellung, daß dieses nicht wohl möglich sei, indem sie dann selber bereits angefangene Arbeiten, die durchaus beendet werden müßten, zu ihrem größten Nachtheil liegen lassen genöthigt würden, nichts anderes erfolgte, als die Antwort: Ihr sollt kommen. …
An anderer Stelle weist er aber auch daraufhin, dass es eine Reihe von Bauern gebe, die sich in christlicher Nächstenliebe um die Belange der Heerlinge kümmern würden.
Die missliche Lage vieler Hollandgänger unter den Heuerleuten war ihm bestens bekannt.
… Gutes Geld wurde früher auf holländischen Schiffen verdient. Zwar hat dieser Erwerb noch nicht völlig aufgehört, ist aber für das Ganze von keinem Belang mehr. Da der holländische Seeverkehr nie wieder das werden kann, was er früher war, vielmehr fortwährend abnehmen wird, so ist nicht daran zu denken, daß je wieder das Verhältniß einer früheren Zeit eintreten wird, in welcher Viele aus unserem Fürstenthume (besonders aus dem Kirchspiele Gehrde, auch aus Menslage) in ihren kräftigen, jüngeren Jahren auf Fahrten nach Ost- und Westindien und durch Theilnahme am Herings- und Wallfischfange in kurzer Zeit ein kleines Vermögen erworben haben, ja mitunter zu einigem Reichthume gelangt sind.
Pfarrer Deitering in Emsbüren war ein Freund der kleinen Leute.
Das bekannte Lied Van Pastor sine Kouh erzählt davon:
Vorgeschichte:
Die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung in und rund um Emsbüren entwickelte sich mit Beginn des Jahres 1846 dramatisch. Es hatte einen langen Winter gegeben und es fror bis in den April hinein. Lange Jahrzehnte später berichtete man noch darüber, dass man Osterfeuer auf der zugefrorenen Ems abgebrannt habe. Dazu kam, dass die Wintersaat erfroren war und sehr spät erst die neue Einsaat vorgenommen werden konnte. Darauf folgte auch noch ein sehr trockener Sommer. So kam es zu einer Hungersnot. Die Bessergestellten und Besitzenden hatten – sprichwörtlich im Emsland – immer noch etwas im Sack – entweder Geld oder zumindest Getreidevorräte für die nächste Einsaat. Die ärmere Bevölkerung im Dorf und den Bauernschaften jedoch – dort vornehmlich die Heuerleute – hatten nichts mehr zu essen.
Das war auch der Anlass für viele, die Heimat Richtung Nordamerika zu verlassen. Vom Dorf Elbergen nördlich von Emsbüren ist belegt, dass ab dieser Zeit mehr als die Hälfte der Bewohner sich über Bremerhaven aufmachten, um in Nordamerika eine neue, bessere Heimat zu finden.
Die eigentliche Geschichte van Pastor sine Kouh:
Sie spielte sich im Zentrum von Emsbüren ab. Es war damals noch so geregelt, dass der Pastor zwar Abgaben erhielt von seinen Gläubigen, aber sich zum Teil noch selbst mit Nahrung versorgen musste. Deshalb hielt er sich auch eine Kuh. Als diese sich um die Weihnachtszeit kränklich zeigte, befragte Pastor Deitering zwei angeblich Kundige zur Tiergesundheit: Herm – Dirk und Kobes.
Diese beiden erkannten die Gunst der Stunde und redeten die Kuh offensichtlich noch viel kranker als sie in Wirklichkeit war. Somit gab der mitleidige Pastor die Kuh zur Schlachtung frei.
Das Fleisch sollte den Armen des Dorfes zur Verfügung gestellt werden. Schnell aber hatten Kobes und Herm – Dirk für sich beschlossen, hier einen total egoistischen Deal zu machen. Schon hatten sie das Tier geschlachtet und weitgehend in Einzelteile zerschnitten, da erschien der Organist mit seiner überaus neugierigen Frau auf der Bildfläche. Weil dieses Frauenzimmer für ihre gemeine Schläue im ganzen Dorf bekannt war, wurde sie auch Datt Verstand genannt.
Schnell erkannten auch diese beiden die günstige Lage, so mahnten sie gegen ein Schweigegelübde ihren Anteil an. Ja, die Organistenfrau forderte dann sogar ganz frech die beiden besten Schlachtestücke, nämlich das Achterpand und das Nierenstück.
Eines war damit klar, die eigentlich vorgesehenen Nutznießer – nämlich die Armen des Dorfes im Haus Geist – gingen leer aus. Dieses besondere Vorkommnis blieb natürlich den übrigen Bewohnern des Dorfes nicht verborgen. In den Gaststätten regte man sich darüber auf. Es wurden Spottstrophen formuliert und ein Schneider aus Aurich, der auf der Durchreise war, nahm das Lied begierig auf, zog damit in andere Städte und machte es so bekannt. Es soll nach sechs Wochen schon in Paris auf öffentlichen Plätzen gesungen worden sein.
…vor der St. Andreas – Pfarrkirche in Emsbüren
…und Pfarrer Deitering
Frage an Pfarrer i. R. Johannes Underbrink
Der heute 90jährige Geistliche, dessen Vorfahren von einem Kotten in Beesten stammen, war in seinem Priestertum ausschließlich im Verbreitungsgebiet des Heuerlingswesens tätig, zuletzt über 20 Jahre in Glandorf zwischen Osnabrück und Münster. Er hat also noch mehrere Jahrzehnte dieser Sozialisationsform erlebt. Auf die Frage: Verhielten sich die Bauern eher gut oder der schlecht gegenüber ihren Heuerleuten?“ antwortete der Pfarrer spontan: Eine kleine Mehrheit war nicht gut….
Pastor Underbrink lebt heute in Emsbüren
Äußerungen aus dem Publikum bei Vorträgen zum Thema Heuerleute und Kirche:
- Fragt ein Bauernsohn seine Mutter: Kommen die Heuerleute auch in den Himmel?
Antwort der Bauersfrau: Joa, man doar bint se use Footbännkskes… (Heimatverein Vreden)
- Grübelnde Angst einer älteren Heuerlingsfrau: Hoffentlich ist der Herrgott im Himmel nicht auch ein Bauer!? (Heimatverein Lohne/Oldenburger Münsterland)
Zwei wichtige Erkenntnisse aus den über 20jährigen Nachforschungen zu dieser auch heute noch brisanten Thematik – sie weisen allerdings über Heuerleute und Kirche hinaus:
- Wären die Heuerleute die Bauern gewesen, hätten sie wahrscheinlich mehrheitlich ebenso gehandelt…
Quintessenz: Gibt man den Menschen unkontrolliert Macht, so ist er versucht, diese zu nutzen.
- Das Heuerlingssytem in Nordwestdeutschland war offensichtlich bei weitem nicht die schlechteste Sozialisationsform in der bis etwa 1900 größten Bevölkerungsgruppe (besitzlose Landbevölkerung) im deutschen Sprachraum. Die Heuerleute erhielten nach dem Armenrecht durchweg die Heiratserlaubnis, die in anderen Teilen Deutschlands bis zu 25 Prozent dieser Bevölkerungsschicht verweigert wurde – aber Kinder kamen trotzdem
Der mittlerweile über Deutschland hinaus bekannte Karikaturist Frank Hoppmann, der aus Emsbüren stammt, hat auch Pastor und seine Kuh in sein umfangreiches Repertoire aufgenommen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Hoppmann
Diese nachfolgende Website mit Karikaturen zu bekannte Persönlichkeiten muss man unbedingt gesehen haben. Frank ist gut bekannt mit Tomi Ungerer, der heute gestorben ist (09. Februar 2019).
Fotos: Pastor Deitering: Heimatverein Emsbüren, alle übrigen Fotos: Archiv Robben