Das Haus und seine Baugeschichte – von Dr. Maschmeyer

(siehe hierzu die separat angehängten Aufmaßtafeln)

Das Heuerhaus zeigt an drei Seiten bis auf die Höhe der Herdwand neue Massivwände, die, da, da Reichsformatziegel zweiter Wahl verwendet wurden, um 1925 erstellt worden sein dürften. Dahinter war jedoch der Altbau in Fachwerk erhalten. Das Haus wirkte äusserlich zunächst wie ein beliebiges Heuerhaus des 18. Jahrhunderts mit nachfolgenden Modernisierungen nach üblichem Muster. Bereits bei einer Besichtigung vor einigen Monaten hatten wir jedoch anhand einiger Merkmale des damals kaum zugänglichen Gefüges festgestellt, dass man wohl von einem wesentlich höhere Alter ausgehen muss; Die Fa. Pressler hatte damals an wenigen überhaupt zugänglichen Stelle Dendro-Proben genommen, Die nicht optimalen Proben zeigen aber bei aller Zurückhaltung, dass das Baudatum spätestens 1600/1601 gewesen sein muss. Damit handelt es sich um das älteste bisher bekannte als solches überlieferte Haus in Gersten; es ist unwahrscheinlich, dass es noch ältere gibt.

Anlässlich der „Versteinung“ war das Haus nach vorn um ein Fach verlängert worden. Das Aufmaß nach Freilegung aller wesentlichen Befunde zeigt 4 Hauptbauphasen. Danach wurde das Haus um 1600 als kammerfachloses Rauchhaus von 5 Fach Länge errichtet, dessen Gerüst praktisch vollständig erhalten ist. Links der Längsdiele befand sich hinten auf 1 ½ Fach Länge eine Lucht, deren Luchtbalken innen und aussen eine sorgfältig ausgeführte Abfasung mit Stops zeigt und von zwei schlichten, gekehlten Knaggen gestützt wird. Der Luchtbalken trug über drei zur Traufseite gerichtete in ihn eingezapfte Stichbalken einen „Löchtebönn“ Ob das Haus überhaupt eine traufseitige Erschließung besaß, ist fraglich, aber angesichts der nicht mehr vorhandenen Traufwände nicht mehr überprüfbar. Im Rückgiebel befand jedenfalls sich an der linken Seite, neben der Lucht, eine nach aussen aufschlagende Klöntür, die auch im Bestand noch deutlich ablesbar war. Im letzten Fach der rechten Seite ist der Hillriegel höher gesetzt, hier ist eine weitere einfachige Lucht, wohl die Waschlucht, anzunehmen.

 

 

Eine so noch nie beobachtete Besonderheit zeigt die Balkenlage. Die vordersten vier Bundbalken zeigen praktisch keinen Überstand und genau über dem Rähm eine Ausnehmung für eine Sparrenschwelle. In dieser Weise scheint das Dach jedoch nie abgebunden gewesen zu sein, denn die hintersten beiden Balken in dem ansonsten völlig homogenen und gleichalten Gefüge zeigen einen deutlichen Balkenüberstand, der die Sparrenwelle ca. 55 cm weiter aussen trägt. Im Bereich der kurzen Bundbalken wurden dann hinter diese zusätzliche Balken dünneren Querschnittes mit dem selben größeren Balkenüberstand getragen auf das Rähm gelegt, die statt der Bundbalken die Sparrenschwelle tragen. Diese zusätzlichen Balken sind nach dem Ergebnis der dendrochronologischen Untersuchung keineswegs jünger, so dass nur der Schluss bleibt,dass noch während der Ausführung der Plan geändert wurde.

Der Rückgiebel wurde als Fachwerkgiebel mit Lehmausfachung ohne Vorkragung ausgeführt, jedoch zunächst in anderer als der heute überlieferten Form ausweislich von älteren Zapflöchern in den Giebelsparren mit nur einer Riegelkette und einem Kehlbalken.

Beim Vordergiebel, dessen Gebinde bei der Verlängerung des Hauses auf ein Dielengebinde reduziert wurde, bleibt die Rekonstruktion in einigen Punkten unsicher. Im Erdgeschoss sind zunächst zwei normale Torständer feststellbar. Eine Nut für die Aufnahme von Ausfachungsstaken ist zwar an diesen deutlich Ständern abgesetzt, zieht sich jedoch ansonsten über die gesamte Dielenbreite, also auch auf den Bereich des Dielentores. Zudem ist sie so mittig unter dem Balken angeordnet, so dass die Staken, sofern man sie nicht extrem gebogen hätte, in die Ebene der Steckbänder geraten. Sicherablesbar sind jedoch eine einzige Riegelkette in der Mitte und zwei in den Abseiten. Die vorderen Eckständer in beiden Ständerreihen zeigen in der unteren Hälfte eine stärkere Bewitterung, in der oberen jedoch nicht. Das legt eine Vorkragung des oberen Teiles nahe. Vermutlich hat es sich um einen Steckwalm gehandelt, dessen weitere Details jedoch am Gebäude nicht mehr ableitbar sind, weil die überstehenden Rähmenden bei der Verlängerung abgeblattet wurden und für die Rekonstruktion der Mitte die Torständer vollständig fehlen. Dennoch gibtes hier noch Anhaltspunkte für eine Vorgängerform der speziellen später in dieser Region sehr verbreiteten Giebelgestaltung dieser Region mit Kübbungswalmen (mehr dazu weiter unten).

Zu einem bisher nur ungefähr auf die Spanne zwischen etwa 1630 und 1770 bestimmbaren Zeitpunkt erfolgte ein Umbaus des Rückgiebels mit Einbau eines in diesen integrierten Fachwerkschornsteines. Obwohl dieser später wieder beseitigt wurde, blieb seine Rückwand als Bestandteil des Giebels erhalten und zeigt in den Ständern deutlich die z.T. durchgestemmten Zapflöcher für die in Firstrichtung verlaufenden Riegel direkt unter denen für dieQuerrichtung.

Im 18. Jh. wurde das Haus unter Beibehaltung der Kubatur zu einem Heuerhaus umgebaut. Es erhielt ein Kammerfach dadurch, das das hintere Fach des vormaligen Fletts durch eine Querwand abgeteilt wurde. Der mit Knaggen gestützte Luchtbalken an der linken Seite blieb dabei erhalten; allerdings wurde die Öffnung – zunächst wohl bis auf 2 Türen – mit Lehmschlagfachwerk zugesetzt. Durch Versetzen eines Ständers und Einbau eines Luchtbalkens wurde statt dessen an der rechten Seite eine Lucht von 1 ½ Fach geschaffen, an deren Kopfenden zwei Butzen geschaffen wurden. Der Fachwerkschornstein – durch das neue Kammerfach ohne Funktion – wurde bis auf die Rückwand im Giebel abgerissen. Angesichts des nunmehr fehlenden Schornsteins wurde das Haus wieder zum Rauchhaus. Im selben Zuge, jedoch möglicherweise doch wenige Jahre später, erhielt das Haus an der linken Seite eine „Upkamer“ mit Schleppdach, deren Traufwand deutlich aus der Flucht der alten Kübbungswände vorsprang. Der Boden dieser Upkamer ist etwa 50 cm erhöht; unterhalb waren die Wände ursprünglich aus Raseneisenerz gemauert. Nach oben wurde die Kammer durch eine bis auf die Höhe der Sparrenschwelle unter die Sparren, danach horizontal unter Querhölzer genagelte Bretterdecke abgeschlossen. Die Upkamer hatte zuletzt aber keinen nachweisbaren Keller und damit wohl einen solchen wohl nie gehabt. Der dann verbleibende sehr niedrige ebenerdige Kriechkeller kann demnach nur als Bergeraum für Hackfrüchte (Rüben, Kartoffeln) genutzt worden sein. Man darf dabei vermuten, dass der einigermaßen aufwendige Bau der Upkamer nicht primär zum Zwecke der Schaffung eines Kellers erfolgte, sondern zur Schaffung eines Raumes mit erhöhtem Holzfußboden erfolgt ist. Eine mögliche Deutung könnte eventuell die Anlage eines Weberaumes sein. Dass in dem Haus gewebt wurde, beweisen zwei vertikale Reihen von Holznägeln zum Aufscheren einer Kette an den beiden mittleren Ständern der rechten Gefügeseite. Alle bekannten Heuerhäuser enthalten eine Upkamer, oft in der Tat auch mit recht niedrigem Keller. Andererseits sind diese Upkamern oft nur wenig durch Fenster beleuchtet, was im Vergleich mit erwiesenen Webeanbauten im Münsterland eher gegen eine Nutzung als Webraum spricht.

Das neu geschaffene Heuerhaus entsprach so in der Funktionsstruktur exakt den ab der Mitte des 18. Jh. neu geschaffenen, ausserordentlich stereotypen Heuerhäusern, die einerseits alle ein Kammerfach besitzen – für die damalige Zeit recht fortschrittlich – andererseits aber noch Rauchhäuser waren. Der Zustand des Rauchhauses endete wohl um 1870, als das Haus einen im Stapel auf den Boden gegründeten neuen Schornstein relativ großen Querschnitts (3 x 2,5 Steine Außenmaß). Die ungefähre Datierung erfolgte auf Basis der verwendeten Handform-Ziegelsteine. Der Rauch konnte direkt in den leicht über den Stapel vorkragenden Schornstein eintreten, im Rauchschlitz befanden sich noch zwei Angeln für einen Schwenkarm, an dem das Haohl gehangen hat. Der Schornsteinstapel war ursprünglich mit einer dünnen Putzschicht versehen, von der sich nur geringe Reste erhalten haben. Mit einem Fliesenspiegel, wie er um diese Zeit bei Bauernhäusern üblich ist, wäre hier ohnehin nicht zu rechnen. Nicht ausgeschlossen werden kann hingegen, dass auf den Putz ein Imitation von Fliesen aufgetragen wurde. Hiervon hat sich keine Spur mehr erhalten. Lediglich Spuren eines graugrünen Ölfarbsockels, wohl aus dem 20. Jh., sind – teils auerneuertem Putz -noch erkennbar.

Der selben Bauphase wie dem Umbau der Herdstelle gehört der Ersatz der Ausfachungen des Untergeschosses des Rückgiebels durch Backsteine. In der Upkamer wurden die meisten Fache auch versteint, vor allem aber wurde der Sockel massiv erneuert. Bei dieser Gelegenheit, wie sich besonders an der Rückseite der erneuerten Ausfachungen gut erkennen lässt, wurde auf diversen Wandflächen, die zuvor ausschließlich weiss gestrichen waren, wurde ein neuer Putz aufgebra Vorstrich blau gestrichen wurde. Möglicherweise wurde damals auch im Kammerfach der Beschuss bis auf das rechte Drittel entfernt und eine Lehmwellerndecke aus langen, durchgehenden, umwickelten Erlenstangen eingebaut. Ihr Erstanstrich ist, soweit erkennbar, blau gewesen. Diese Spuren sind weitgehend im Kammerfach gut erhalten, das im Gegensatz zum Rest des Hauses von einem weiteren durchgreifenden Umbauten verschont blieb. Der erfolgte, soweit er sich an Hand der verwendeten stranggezogenen Reichsformat- Backsteine datieren lässt, um 1925. Ihm verdankte das Haus im wesentlichen sein letztes Erscheinungsbild. Vorn wurde das Haus dabei um ein Fach verlängert..

Eine merkwürdige Beobachtung könnte ein Indiz für den Zustand des Hauses vor diesem Umbau abgeben, Nach Entfernung der Putzschichten und Verkleidungen zeigt sich nämlich, dass das linke Rähm vor dem vorderen Luchtständer und das rechte unmittelbar vor der Herdwand (des 18. Jh.) durchgesägt worden war, rechts überdies die Sparrenschwelle. Die beiden Enden hatten zuletzt einen Höhenunterschied von c. 8 cm links (Abbildung 7) und 35 cm (!) rechts (XX), mit einer erheblichen Schräglage der beiden Gebinde des Kammerfaches. Da das Dach des vorderen Teiles des Hauses anlässlich der Reparatur und Verlängerung – unter Verwendung viele alter Sparren – vollständig neu verzimmert und auf die teilweise erneuerte Sparrenschwelle neu aufgesetzt wurde, kann dies nur bedeuten, dass man anlässlich des Umbaus starke Setzungsschäden beseitigt und den vorderen Teil des Hauses neu ausgerichtet hat. Aus einem heute nicht nachvollziehbaren Grund hat man davon das Kammerfach ausgenommen, vermutlich, da man beabsichtigte, es vollkommen neu zu errichten. Dazu ist es allerdings nicht mehr gekommen. Die Setzungsschäden wiederum müssen durch Nachgeben des Untergrundes verursacht gewesen sein, z.B. durch eine organisch zusedimentierte Senke an der rechten Hausseite, möglicherweise – wie auch an anderen Stellen in Gersten beobachtet – .ein verlandete Graben oder Tümpel.

Das reparierte und um ein Fach verlängerte Dielengerüst wurde dann mit neuen massiven Außenwänden versehen, die deutlich höher und an den Traufen weiter nach aussen gesetzt wurden als die alten Fachwerkwände, so dass sich die Tiefe der Ställe deutlich vergrößerte Darauf wurde lange Aufschieblinge aufgebracht, die auf die alten, korrigierten Sparren –  statisch sinnvoll – in Höhe der Kehlbalken auflagen. Wie bereits erwähnt, wurde diese Baumaßnahme nicht vollendet. Auf der linken Seite endete die massive Wand vor der Upkamer, während sie rechts auf Höhe der Herdwand mit eine Warteverzahnung endete. Das neue Dach wurde mit Doppelfalz-Doppelmuldenziegeln neu gedeckt. Das Kammerfach verblieb im älteren Zustand. Durch die Korrektur der Balkenlage ergab sich an der Herdwand ein Problem, da nun der in alter Höhe verbliebene Herdwandbalken für einen ebenen Balkenbelag viel zu tief lag. Er musste daher – besonders an der rechten Seite – mit allerhand Holzstücken aufgefüttert werden, damit die neu aufgebrachte Bretterdecke – jetzt aus Nadelholz – waagerecht eingebracht werden konnte. Von alldem war von der Küche aus nichts zu sehen, da die Herdwand zwischen Schornsteinstapel und Aussenwand mit einer vorgesetzten halbsteinigen Ziegelsteinschale verblendet worden war. Der Schornsteinstapel erhielt einen neuen Bosen aus verputztem Rohr, der jetzt nurmehr dekorative Funktion hatte, während die offene Feuerstelle durch eine Kochmaschine ersetzt wurde. Zwischen Küche und Diele wurde eine massive Scherwand mit hölzernem Türjoch eingebaut. Die erweiterten Ställe wurden ähnlich wie zuvor weitergenutzt, insbesondere blieb der Kuhstall auf der linken Seite ein Tiefstall, obwohl durch die vergrößerte Tiefe die Anlage eines Grüppenstalledurchaus möglich gewesen wäre und wohl gleichzeitig an der linken Seite des Hauses eine Jauchegrube mit einer Mistlege darüber angelegt wurde, wie sie für einen Grüppenstall

erforderlich gewesen wäre. Im vordersten Fach links entstand ein Pferdestall – wohl der erste dieser Art in diesem Haus – mit Steinkrippe und Klappraufe. Etwa 1967 wurde die Wohnnutzung des Hauses aufgegeben, da die Heuerlingsfamilie Küterlucks nebenan ein neues Wohnhaus errichtet hatte. Das alte Haus wurde noch einige Jahre für die Schweinehaltung weitergenutzt und ging allmählich in Verfall über, der 50 Jahre später zum Abbruch führte.