Vortrag von Dr. Christian Westerhoff, gehalten am 4.11.2019 im Industriemuseum Lohne
Abb.: Heuerhaus Westerhoff in Ossenbeck bei Damme 1998. Foto: Werner Schiller
Alte Pachtverträge – eine langweilige Angelegenheit? Keineswegs! Der Heuervertrag regelte bis in die 1960er Jahre das nicht immer spannungsfreie Verhältnis von Bauern und Heuerleuten. Dementsprechend erzählen Heuerverträge spannende Geschichten. Die Ausgestaltung der Verträge verrät viel über Rechte und Pflichten sowie über das Machtverhältnis zwischen beiden Parteien. Die Verträge hatten zudem oft weitreichende Folgen. So hinderte die mangelnde Planbarkeit der Arbeitshilfe für den Bauern viele Heuerleute daran, eine Arbeit außerhalb der Landwirtschaft aufzunehmen oder bei gutem Wetter ihre eigenen Felder abzuernten. Viele Heuerhäuser waren in keinem guten Zustand – kein Wunder, wenn es in einem Vertrag hieß: „Am Haus werden keinerlei Reparaturen geleistet und nicht bezahlt“.
Der Passus stammt aus einem Vertrag aus Bassum im Landkreis Diepholz – aus dem Jahr 1965!
Der Vertrag ist auch sonst sehr bemerkenswert:
aus: Weber, Ralf: Was Du siehst, wenn Du die Augen zumachst, das gehört Dir! Das Häuslingswesen im Landkreis Diepholz vom 17. Jahrhundert bis in die 1960er-Jahre, Wehye 2017, S. 92.
In seinem Vortrag gab Christian Westerhoff einen Einblick in die Geschichte der Heuerlingsverträge und verdeutlichte deren Auswirkungen anhand plastischer Beispiele. Eine wichtige Referenz bildet für ihn der Heuerlingsvertrag seiner Großeltern:
„Ossenbeck, den 11.Juni 1933
Pachtvertrag
Der Heuermann Clemens Westerhoff pachtet heute vom mitunterzeichneten Heinrich Niebur eine Heuerstelle bestehend aus Heuerhaus nebst Garten, eine Wiese im Rüschfort, und ferner 30 Scheffelsaat Ackerland.
Der Antritt des Ackerlandes erfolgt zu Herbst dieses Jahres, und des Wohnhauses zum ersten Juli 1934. Der Antritt der Wiese erfolgt mit den Ländereien. Der Jahrespachtpreis für Haus, Schweinestall und Garten beträgt 95 Mark, i.w. fünfundneunzig Mark, und ist gegen den 1.Mai jeden Jahres zu zahlen. Der Pachtpreis für Ackerland beträgt pro Scheffelsaat 4 Mark, i.w. vier Mark. Für die Wiese zahlt derselbe 12 Mark, i.w. zwölf Mark. Die Jahrespacht für Ackerland und Wiese ist gegen den 1.November jedes Jahres zu zahlen. Außerdem hat der Pächter bei allen im Betriebe des Verpächters vorkommenden Arbeiten auf Bestellen unentgeltlich Hilfe zu leisten. In der Getreide- und Kartoffeln-Ernte sowie beim Dreschen sind nach vorheriger Bestellung täglich zwei Mann zu stellen.
Die Güte, Größe und Beschaffenheit der Heuer ist dem Pächter bekannt, und kann (den) Verpächter später für nichts verantwortlich gemacht werden. Holz und Gestreu darf ohne Erlaubnis des Verpächters aus dessen Waldungen nicht geholt werden. Torf für den eigenen Haushalt kann der Pächter in dem ihm ausgewiesenen Moorteil unentgeltlich graben, dafür hat derselbe den Torf des Verpächters graben und verarbeiten zu helfen. Kleine an den Gebäuden vorkommende Reparaturen hat der Pächter selbst ausführen zu lassen.
Dieser Vertrag läuft von Jahr zu Jahr weiter, solange nicht von einer Partei eine Kündigung ausgesprochen, oder eine Veränderung beantragt wird. Im Falle einer Kündigung soll von beiden Seiten eine sechsmonatliche Kündigungsfrist innegehalten werden. Wenn der Pächter die Heuerstelle wieder räumen wird, so hat derselbe das Ackerland und Wiese zuerst zu räumen, weil auch der Antritt desselben, dem des Wohnhauses vorangegangen ist.
Vorstehender Vertrag wird in zwei gleichlautenden Exemplaren ausgefertigt, und jeder Partei eines ausgehändigt. Durch Unterschrift erklären sich beide Parteien mit vorstehenden Bedingungen einverstanden, und versichern sich gegenseitig ehrenwörtlich sich hierauf zu richten, ohne ein Pachtschutzgesetz und Pachteinigungsamt in Anspruch zu nehmen.“
Kernelement der Heuerlingsverträge: Die Arbeitshilfe
Während es über den Inhalt einer Heuer lange Zeit nur mündliche Absprachen gab, kamen im 19. Jahrhundert allmählich schriftliche Heuerlingsverträge auf. Im 20. Jahrhundert verstärkte sich dieser Trend; es gab jedoch auch weiterhin Pachtverhältnisse, die nur mündlich vereinbart waren.
Ein zentrales Element der Heuerlingsverträge war die Arbeitshilfe, welche die Heuerleute für den Bauern zu leisten hatten. Hierzu führt Christian Westerhoff aus:
Audio 1: Arbeitshilfe der Heuerleute
Insbesondere in frühen Verträgen waren auch Hilfsleistungen des Bauern für die Heuerleute festgeschrieben. In der Regel stellte der Bauer dem Heuermann ein Pferdegespann zur Verfügung. Diese Gespannhilfe wurde jedoch nicht 1:1 mit der Arbeit des Heuermanns verrechnet, sondern kam diesem in der Regel teuer zu stehen:
Audio 2: Gespannhilfe des Bauern
Schutz vor kurzfristigen Kündigungen: Das Reichspachtschutzgesetz von 1920
Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Heuerleuten, da viele Bauern als Reaktion auf die Inflation höhere Pachtpreise verlangten. Zahlreichen Heuerleuten wurde kurzfristig gekündigt, was für sie existenzbedrohend war. Doch die gerade entstandene Heuerleute-Bewegung wusste sich zu wehren:
Audio 3: Pachtschutz
Die Heuerhäuser: Der Heuerlingsvertrag als Investitionshemmnis
Von Seiten der Bauern gab es in der Regel wenig Neigung, in die häufig unzureichenden Gebäude auf den Heuerstellen zu investieren. Die Heuerlingsverträge stellten jedoch auch für die Heuerleute ein Investitionshemmnis dar.
Audio 4: Investitionshemmnis Heuerlingsvertrag
Als Folge dieser Investitionshemmnisse wurden auf der Heuerstelle Westerhoff zahlreiche Modernisierungen erst vorgenommen, nachdem das Heuerverhältnis geendet hatte und die Heuerleute dem Bauern das Heuerhaus samt Grundstück 1960 abgekauft hatten:
Audio 5: Umbauten am Heuerhaus Westerhoff
Abb. 2: Küche des Heuerhauses Westerhoff 2003. Foto: Christian Westerhoff
Fazit des Vortrags
Am Ende seines Vortrags fasst Christan Westerhoff seine Erkenntnisse zu Heuerlingsverträgen noch einmal in einer Schlussbetrachtung zusammen und verweist auf die weiterführenden Aufgaben der Forschung:
Video: Stadtmedienarchiv Heimatverein Lohne e. V., Herbert Warnking
Dr. Christian Westerhoff studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Osnabrück und Sheffield und promovierte 2010 in Erfurt zum Thema „Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Rekrutierung und Beschäftigung osteuropäischer Arbeitskräfte in den von Deutschland besetzten Gebieten”.
2009 bis 2011 absolvierte er das Referendariat für den höheren Bibliotheksdienst an der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB).
Anschließend koordinierte er das DFG-Projekt „ 1914-1918-Online. International Encyclopedia of the First World War” an der Freien Universität Berlin.
Seit 2013 ist er Leiter der Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart.
Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Heuerlingswesen und hat hierzu verschiedene Publikationen vorgelegt, u.a.:
- „Ossenbeck. Kleiner Ort mit langer Geschichte”, Damme 2001;
- „Das Heuerlingswesen in der Bauerschaft Ossenbeck und die Agrarmodernisierung im 20. Jahrhundert”, in: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, 53.2004, S. 183-198.
- „Das späte Ende des Heuerlingswesens im Oldenburger Münsterland“, in: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, 66.2017, S. 78-96.
- „Heuerhäuser des 20. Jahrhunderts in Ossenbeck bei Damme“, in: Bernd Robben u.a. (Hg.): Heuerhäuser im Wandel. Vom ärmlichen Kotten zum individuellen Traumhaus, Haselünne 2017, S. 138-143
Foto: Stadtbibliothek Stuttgart