Emsländiche Auswanderer nach Ungarn

 

 

 

Der nachfolgende Beitrag stammt aus diesem Heimatkalender

(Seite 11 – 13)

 

 

 

 

Mitte des 18. Jahrhunderts bot sich in Ungarn eine Siedlungsmöglichkeit. Infolge innenpolitischer Schwierigkeiten waren zahlreiche Magnaten bereit, Ländereien abzustoßen. Güterverkaufsbüros schalteten sich ein und brachten die Künde bis in unsere nordwestdeutsche Ecke. Die Vermittlerstellen rieten bei größeren Projekten zum Zusammenschluss der Siedler zu Siedlergemeinschaften und luden zur Besichtigung der Verkaufsobjekte ein. Es bildete sich im Haselünner Raum eine Siedlergesellschaft und nach Erledigung der vordringlichen Erntearbeiten reisten einige Interessierte als Kundschafter nach Ungarn.

Der erste Pass — an den Beerbten Niemann aus Herssum/ Holte ausgestellt (sh. Verzeichnis emsländische Ungarnfahrer) – hat das Datum vom 23.08.1857. Die Abordnung besichtigte das Gut Ober- Orlik im Saroser Bezirk an der Oberen Theiß. Es fand nicht ihr Gefallen. Die Gruppe reiste mit dem Ingenieur Hugo Weiß nach Török- Szent-Niklas zum Gute des Grafen Adam vn Ilies. Nach erfolgter Besichtigung schloss man den Kaufvertrag über das 131 Hektar große Gut zu einem Preis von 85.000 Mark bei einer Anzahlung von 10.000 Mark ab. Der Restbetrag sollte in zwei gleichen Raten im März und Juni des folgenden Jahres entrichtet werden. Die auf der Pußter stehenden Gebäude waren in die Kaufsumme eingeschlossen.

Die Kundschafter kehrten heim und die Siedlergemeinschaft bildete sich unter dem Beistand des Haselünner Notars Dr. Russel. Zu ihr gehörten 13 Familien aus Haselünne, Andrup, Eltern, Flechum, Lotten, Westerloh und aus Herzlake, Dohren und auch aus Gersten und Langen. Bereits im März 1858 war die gesamte Kaufsumme zu¬sammen und nun kümmerte man such auf den zuständigen Ämtern um die erforder-liChen Auswanderungspässe. Jetzt führte der Reiseweg über Budapest und dann über die Kreisstadt Szolnok an der Theiß nach Torök- Szent- Niklas auf die angekaufte Fläche, Pußto Kengyel genannt.

In den vorhandenen beiden Wirtschaftsgebäuden quartierten sie sich (70 Personen) ein und begannen mit der Arbeit in der neuen Heimat. Bereits im Mai desselben Jahres kehrten drei junge Leute — unter ihnen der Zimmermann Brümmer aus Schleper — heim und wussten viel zu erzählen, jedoch wenig Erfreuliches. Das machte die zuständigen Amtsstellen hellhörig und schließlich erfolgte eine eingehende Besichtigungsreise durch den Gutsbesitzer L. von Exterde aus Haselünne. Sein ausführlicher Bericht vom 18.08.1858 führte dazu, dass die untergeordneten Ämter von einer weiteren Abwanderung abrieten.

Von Exterde fand auf der Bußta Kengyel bei seinem Besuche 14 Familien vor mit insgesamt 85 Köpfen. Das Gut war parzelliert und auf die einzelnen Familien aufgeteilt. Man hatte mit der Arbeit begonnen und sich vorläufig eingerichtet. Von Exterde fiel auf, dass der Bodenpreis überteuert war. Das lag wiederuin an dem Agenten, dem sich die Auswanderer anvertraut hatten. Der Boden auf der Pußta ist sehr fruchtbar, er bedarf zum größten Teil der Düngung nicht, doch er muss sehr sorgsam bearbei­tet werden. Dieses wird von den Kolonisten so lange nicht in erforderlichem Ma­ße geschehen können, bis der nötige Bestand Zugvieh angeschafft sein wird.

Die Siedler besaßen 27 Kühe, 1 Stier, 12 Ochsen und 3 Pferde. Die Gebäude auf der Pußta bestanden aus drei kleinen Wirtschaftsgebäuden. Nur in einem befanden sich zwei Wohnzimmer. Die übrigen Kolonisten hatten daher ihre Lager in den Ställen auf­geschlagen; dort ruhten sie bei Nacht, dort war ihr Aufenthalt bei Tage. In den Ställen befanden sich auch ihre Küchen. Sie beabsichtigten den Bau von vier neuen Wohnhäu­sern, die bis zum Einbruch des Winters fertig sein sollten. Diese Kolonie wird mit der Zeit ihr gutes Auskommen haben.

Die Emsländer- Kolonie auf der Pußta Kengyel hat ein gutes Jahrzehnt bestanden. Langsam bröckelte sie ab, verlor an Kopfzahl, hatte keinen kraftvollen Nachschub und konnte sich wirtschaftlich nicht durchsetzen. Die Kolonisten hatten sich angeb­lich wegen geldlicher Betriebsmittel mit jüdischen Verleihgeschäften eingelassen, die schließlich das Wechselnetz zuzogen und die Kolonie abdrosselten. Vielen — nicht al­len – war die Rückkehr in die Stammheimat ermöglicht und die kehrten heim und wur­den aufgenommen. Mit dem Ehepaar Heinrich Schulte und dessen Ehefrau, geb. Feldicke, sind dessen Kinder Catharina, Bernard, Hermann, Heinrich, Anton und Lisette und deren Ehemann Bäcker Wilhelm Rapin ausgewandert. Die beiden Eltern und der Schwiegersohn sind in Ungarn bzw. auf der Rückreise gestorben. Die Kinder sind in den Jahren 1871 oder 1872 und Anton 1873 oder 1874 zurückgekommen. Aus obiger Familie sind in Haselünne, Hamburg und Recklinghausen Nachkommen vorhanden. Die von Andrup und Eltern ausgewanderten Personen sind sämtlich vor 1870 zurück­gewandert. Die Familien Albers, Rosen und Deters- Albers aus Eltern, auch die Fami­lie Cordes aus Lotten, sind zurückgekehrt. Deren Nachkommen haben jetzt eine Eig-nerstelle in Huden.

Zwischen den beiden Dörfern Balkany (3000 Einwohner) und Gesztered (1000 Ein­wohner) lag Gut oder Pußta Balkany des Grafen von Lonyay, rund 198 Hektar groß, mit ausgedeckten Acker- und Wiesengründen.

Eine weitere Gruppe wanderte nach Ungarn aus…

Es war das Siedlungsziel einer weite­ren Gruppe. Am 07. März 1858 traf Wirtschaftsrat von Klanner als Beauftragter eines Wiener Güterverkaufsbüros mit mehreren Verkaufsvollmachten in Haselünne ein. Er schloss noch am selben Tag den Verkaufskontrakt um das Gut Balkany ab. Der Kauf­preis betrug 30.750 Gulden bei 10.000 Gulden Anzahlung und der Verpflichtung sei­tens der Käufer, weitere 15 Prozent der Kaufsumme am 01. Juli und sodann je ein Viertel der Restsumme am 01. März der folgenden Jahre zu entrichten. Als Käufer tra­ten drei Familien aus dem Haselünner Gebiet auf und weitere aus dem Hümmling, aus Fürstenau und aus dem Kreise Cloppenburg, alles wohlhabende Heuerleute und Grundbesitzer, die ihr bisheriges Besitztum veräußerten. Noch im Kaufmonat lösten sich Hermann Korte aus Felsen, Johann Bernard Wesselmann aus Dohren und Frau Willi-bald Kappen, geb. Witte, aus Haseltinne als Vorausfahrer Pässe in die Pußta Balkany, um die Unterbringung der alsbald nachrückenden 23 Familien, mit einzelnen Personen zusammen über 100 Köpfe, vorzubereiten. Durch einen Ingenieur wurde die Parzellierung des Gutes vorgenommen und teilte sie den einzelnen Bewerbern nach Maßgabe der bereitgestellten Geldmittel zu.

Der Bau der erforderlichen Wohnungen waren nach Aufnahme der Feldarbeiten fernere Ziele. Als L. von Exterde Balkany besuchte, fand er 28 Familien mit insgesamt 120 Personen und als Viehbestand 14 Milchkühe und 9 Pferde vor, nicht genug, um die große Siedlungsfläche genügend bewirtschaften zu können.

In kurzer Zeitspanne platzten viele Träume der emsländischen Ungarnfürer. Viele kehrten in die Altheimat zurück. Von den 29 Familien, die auf dem Lonyayschen Gut verblieben sind, ist eine durch die Ruhr ausgestorben, die übrigen Familien haben 17 Mitglieder verloren, und da aus ihnen sieben Familien, und zwar die intelligentesten und wohlhabendsten, in die Altheimat zurückkehrten, so sind nur noch20 Familien mit 76 Seelen übriggeblieben. Die Schicksale der Emsländer und die Lage dieser 20 Familien ist eine sehr schlechte, ja traurige. Es ging wirtschaftlich bergab und Einwanderer waren zu Bettlern degradiert. Der heimgekehrte Schrandt aus Vrees wusste von der Gefährlichkeit der Pußta, wo einfache Botengänge nur zu Pferde und unter Mitnahme von Waffen (Wolfsplage!) gemacht werden konnten, zu berichten und schloss seine Erzählung mit dem überzeugt ausgesprochenen Wort:

„Lieber hier auf dem dürftigsten Heidplacken als auf fettem Boden in Ungarn, aber in Vrees!”

Friedrich Schey, hessischer Konsul in Wien, machte eingehende Erkundigungen über die Siedlungsmöglichkeiten in Ungarn und nannte die Siedlung Balkany „verloren”. Woher sollte und konnte Hil¬fe kommen? — Und so kam das Ende, es kam rasch und unerbitterlich. Wer es schaffen konnte, wanderte wieder zurück und wandte Ungarn den Rücken zu. Wechselgeschäfte beschleunigten das Ende der Siedlung.