Die Gründung des „Vereins Christlicher Heuerleute“
Die Konstituierung des „Vereins Christlicher Heuerleute“ (VCH) war eine Folge der politischen Umwälzung vom November 1918. Mit dem Sturz der Monarchie und der Etablierung der demokratischen Republik von Weimar wurde auf allen Ebenen das gleiche, geheime, allgemeine, direkte und freie Wahlrecht für Männer und Frauen eingeführt. Dies galt auch für die kommunalen Wahlen, bei denen bislang insbesondere Minderbemittelten durch ein Zensusrecht jede politische Mitwirkung verwehrt gewesen war. In vielen Gemeinden des Emslands wurden dennoch Einheitslisten aufgestellt. Die Vertreter verschiedener dörflicher Interessengruppen und sozialer Schichten einigten sich im Vorfeld auf einen Schlüssel zur Verteilung der Sitze. Dabei kamen erstmals Heuerleute, denen die Kriegserfahrung den Horizont erweitert und das Selbstbewusstsein gestärkt hatte, in die Kommunalparlamente. In Handrup bei Freren gelang jedoch kein friedliches Einvernehmen. Hier standen sich bei der ersten demokratischen Wahl der Gemeindevertretung im März 1919 zwei Listen gegenüber. Die Einheitsliste war gescheitert, weil die 34 Bauern des Dorfes darin für sich neun Vertreter beanspruchten, den 65 Heuerleuten und Pächtern jedoch nur sechs Abgeordnete zugestehen wollten. Wie das „Frerener Volksblatt“ berichtete, spielten sich im Ort vor dem Urnengang „stürmische Szenen“ ab. Die starken Auseinandersetzungen in Handrup drohten sogar „in Tätlichkeiten auszuarten“[i]. Die Heuerleute gewannen die Kommunalwahl und vermochten erstmals die Geschicke der Gemeinde zu bestimmen[ii]. Die durch diese Auseinandersetzung selbstbewusst gewordenen Handruper Heuerleute und Pächter ließen den erlebten Konflikt mit den Bauern nicht auf sich beruhen. Für Christi Himmelfahrt, den 1. Juni 1919, riefen sie eine Heuerleute-Versammlung nach Lengerich ein. Die Leitung übernahm der Pächter Blömer aus Handrup, Redner war der dortige Haussohn Josef Deters (1887-1958). Laut „Frerener Volksblatt“ beleuchtete er „in ruhiger, wenngleich etwas einseitiger Weise die Stellung des Heuermanns in der Gemeinde, im Kreis und zum Grundherrn“. Deters beklagte, dass die Heuerleute bei der Wahl des Kreistags übergangen worden wären und im einflussreichen Kreisausschuss überhaupt nicht vertreten seien, obgleich sie ein Drittel der Bevölkerung des Kreises Lingen stellten. Ferner forderte Deters ein Pachtgesetz, um die mündlichen Heuerverträge auf eine sichere rechtliche Grundlage zu stellen, sowie einen Schlichtungsausschuss für Streitigkeiten.
[i] Frerener Volksblatt (weiterhin FVB) Nr. 10 vom 09.03.1919.
[ii] Kuhr (wie Anm. 4), S. 66.
Der „Verein Christlicher Heuerleute“ 1919 bis 1933
–Eine bedeutende Interessenorganisation ländlicher Unterschichten im deutschen Nordwesten
von Helmut Lensing (mit freundlicher Einstellerlaubnis vom 23. August 2016)
Einleitung
Heuerleute waren eine regionale Besonderheit der ländlichen Gesellschaft Nordwestdeutschlands. Mehrere Jahrhunderte stellten sie im Kerngebiet ihrer Verbreitung, dem heutigen Emsland, der Grafschaft Bentheim, dem nördlichen Westfalen, dem Osnabrücker Land und dem Oldenburger Münsterland, einen beachtlichen Teil der Bevölkerung. Der Gegensatz zwischen Heuerleuten und Bauern prägte lange das dörfliche Leben, bis diese Schicht schließlich infolge Auswanderung, Abwanderung in die Industrie und letztlich durch den agrarischen Strukturwandel in den 1960-Jahren ausstarb[i].
Was waren nun aber Heuerlinge oder Heuerleute? Das Heuerlingswesen unterschied sich in seinem Verbreitungsgebiet stark und war in seiner genauen Ausprägung ganz von den lokalen und regionalen Gegebenheiten abhängig. Ganz grob lässt sich ein Heuerling definieren als „Inhaber einer – meist unselbständigen – landwirtschaftlichen Stelle, die er von einem landwirtschaftlichen Arbeitgeber gepachtet hat und mit seiner Familie für eigene Rechnung bewirtschaftet“, bzw. als jemand, der „seine Pacht in bar und Arbeitshilfe bezahlt“[ii]. Dabei war es nicht selten, dass Heuerleute selbst Kleinstgrundbesitzer waren, aber zum Überleben hinzupachten mussten. Folglich waren Heuerlinge häufig weder reine Pächter noch reine Landarbeiter, sondern sie nahmen in der dörflichen Hierarchie eine Mittelstellung zwischen diesen und den Bauern ein. Das Heuerhaus war bei reinen Pächtern zumeist Eigentum des Bauern, das Inventar hatte der Heuermann zu stellen. Als Gegenleistung für das Wohnrecht und die Pachtfläche, in vielen Regionen überdies für bäuerliche Hilfsleistungen wie die Stellung von Gespannen oder die Mitbenutzung des hofeigenen Backhauses, musste der Heuerling nicht selten mitsamt seiner Familie dem Verpächter Arbeitshilfe leisten.
Hans-Jürgen Seraphim unterscheidet vier Gruppen von Heuerlingen:
- Den Landarbeiterheuerling, der eine Pachtfläche von eins bis drei Hektar besitzt und eine große Arbeitsverpflichtung zu leisten hat.
- Den Pächterheuerling mit einer größeren Pachtfläche und einer geringeren Arbeitsverpflichtung.
- Den Industrieheuerling, der nur eine geringe landwirtschaftliche Arbeitshilfe leistet.
- Den Landarbeiterkleinheuerling, der aber im Regierungsbezirk Osnabrück nicht vorkam[iii].
Im Emsland dürften vornehmlich die Landarbeiter- und Pächterheuerlinge vorzufinden gewesen sein, wobei hier laut Heinrich Kuhr (1892-1971) die Pächterheuerlinge überwogen[iv]. Im Osnabrücker Raum hingegen dominierten laut Johannes Drees (1894-1944) die Industrieheuerlinge[v]. Die Heuerlinge verdienten sich nicht nur durch Arbeitshilfe beim Bauern etwas hinzu, sondern je nach örtlicher Gegebenheit betätigten sie sich nebenbei, eher hauptberuflich oder je nach saisonalem Angebot als Industriearbeiter, Holzschuhmacher, Korbflechter, Hausschlachter, Kanal-, Straßen-, Land- oder Forstarbeiter[vi]. Die Zahl der Heuerleute nahm im Emsland von Süden nach Norden hin ab.
Tab. 1: Die Zahl der Heuerlinge im Emsland und in der Grafschaft Bentheim 1927[vii]
Landkreis Heuerlingsstellen Anteil an allen landw. Betrieben in Prozent
Aschendorf 95 4,5
Hümmling 485 15,2
Meppen 717 28,4
Lingen 1311 36,6
Bentheim 799 22,5
Gesamt 3407 22,8
Während die Institution des Heuermanns im Emsland noch weithin bekannt ist, gilt dies nicht für deren Interessenorganisation, einem mitgliederstarken und politisch einflussreichem Verband, der in zahlreichen Dörfern im deutschen Nordwesten präsent war.
[i] Siehe dazu näher: Franz Bölsker-Schlicht, Bevölkerungsgeschichte von 1800 bis 1945, in: Werner Franke/Josef Grave/Heiner Schüpp/Gerd Steinwascher (Hrsg.), Der Landkreis Emsland, Geographie, Geschichte, Gegenwart. Eine Kreisbeschreibung. Hrsg. im Auftrag des Landkreises Emsland, Meppen 2002 (weiterhin Bölsker-Schlicht), S. 431-440, Franz Bölsker-Schlicht, Sozialgeschichte des ländlichen Raumes im ehemaligen Regierungsbezirk Osnabrück im 19. und frühen 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Heuerlingswesens und einzelner Nebengewerbe, in: Westfälische Forschungen 40/1990, Münster 1990, S. 223-250. Zur Entstehung der Heuerleuteschicht und deren Ausgestaltung vgl.: (Adolf) Wrasmann, Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück, Teil I Bd. 42/1919, Osnabrück 1920, S. 52-171, und Teil II in Bd. 44/1921, Osnabrück 1922, S. 1-154. Zur Ausgestaltung im Emsland siehe auch: Heinrich Kuhr, Ist das Heuerlingswesen dem Untergang geweiht?, in: Lingener Volksbote (weiterhin LVB) Nr. 9 vom 11.01.1929.
[ii] Zitiert nach: Christof Haverkamp, Die Heuerleutebewegung im 20. Jahrhundert im Regierungsbezirk Osnabrück, in: Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte (Hrsg.), Emsländische Geschichte Bd. 6, Dohren 1997 (die Reihe wird weiterhin zitiert als: EG mit Bandangabe), 89-107 (weiterhin Haverkamp), S. 90.
[iii] Hans-Jürgen Seraphim, Das Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland (= Veröffentlichung des Provinizialinstituts für westfälische Landes- und Volkskunde, Reihe I: Wirtschafts- und verkehrswissenschaftliche Arbeiten, Heft 5), Münster 1948, eigene Zusammenfassung nach S. 26-27.
[iv] Heinrich Kuhr, Das Heuerlingswesen im Emsland und in den Nachbargebieten, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatvereins Bd. 12/1965, (Meppen o.J.) (weiterhin Kuhr), 60-72, S. 60. Zu den Arbeitsverpflichtungen siehe: Ebd. S. 61.
[v] Johannes Drees, Arbeitsausgleich zwischen Industrie und Landwirtschaft dargestellt am Heuerlingswesen im Kreise Osnabrück, Diss. Göttingen 1924 (weiterhin Drees), S. 24.
[vi] Kuhr (wie Anm. 4), S. 62.
[vii] Von verschiedenen Autoren, zitiert nach: Haverkamp (wie Anm. 2), S. 90.
Kunst und Handwerk
Vorlaufphase 6 – Der Durchbruch
weitere Besuche im Diepholzer Land!
In Fachsitzungen wurde der Kurs gemeinsam ausgelotet.
Als ein Schwerpunkt wurde die Weiterentwicklung der Befragungstechnik ausgemacht…


Vorlaufphase 5 (KHB Diepholz)
Dieser Fragebogen erwies sich in Teilbereichen als zu umfangreich!
Eine Arbeitsgruppe beim Kreisheimatbund Diepholz hat sich dieser speziellen Thematik angenommen.
Das hat folgenden Hintergrund:
Durch die Ermunterung von Wilfried Meyer – Vorstandsmitglied beim dortigen Kreisheimatbund – habe ich dort ebenfalls einen Rundbrief gestartet, der neben den Heimatvereinen auch Archivare und sonstige Fachleute auf diesem Spezialgebiet der historischen Regionalforschung ansprach. Die Rückmeldungen waren vielversprechend.
So wurde ich zu einem Referat zur Jahreshauptversammlung in den Kreis Diepholz im März 2013 nach Scholen eingeladen.

Dieser „Werbetour“ folgten weitere Besuche im Diepholzer Land!
In Fachsitzungen wurde der Kurs gemeinsam ausgelotet.
Als ein Schwerpunkt wurde die Weiterentwicklung der Befragungstechnik ausgemacht…
Häuslingshaus bis 1950 (Riedell)
Das_Häuslingshaus
Das älteste Häuslingshaus in der Gemeinde steht seit 1837, das nächste seit 1840. Vielfach wissen die Bewohner, daß vorher an der gleichen Stelle oder in der Nähe schon ein anderes Haus stand. Das jüngste Baudatum – 1906 – wird für Nr. 6a angegeben.
Einige Häuser dienten ursprünglich als Schafställe und wurden nach der Gemeinheitsteilung ausgebaut, in anderen Fällen rissen die Leute den Stall ab und brachten das Eichengebälk an einen neuen Ort, wo es als Gerippe für das Häuslingshaus diente.(…)
Die kleineren Häuser messen etwa 10 m Länge, die größeren 13 x m, wovon etwa 60 qm für den Wohnteil bleiben, und in Einzelfällen brachten nachträglich Anbauten die Gesamtlänge auf 17 m.
Zum Bau rückte im vorigen Jahrhundert keine Firma an, denn Baumaterial und Arbeitskräfte fanden sich am Ort. Das Fundament begann in etwa 4o· cm Tiefe mit einer Reihe verschieden großer Feldsteine, auf die ein Balken gelegt wurde. Für die Innenwände genügte der Balken ohne Steine, für die Außenwände vielfach auch.
Heuboden und Dach wurden nämlich von der doppelten Ständerreihe und nicht von den Wänden getragen . Das Balkengerippe gab dem Haus Festigkeit und Dauer. Eichen wuchsen im Dorf, Häuslinge und Knechte zersägten sie, und dann mußte allerdings der Zimmermann „für einige Groschen“ Tagelohn dabei sein bis zum Richten. Die Fächer wurden nun mit Weidengeflecht und Lehm gefüllt oder auch mit Lehmziegeln, die man selbst brannte. Schließlich deckten zwei Ortsansässige das Strohdach.
Der Fußbodenbelag bestand aus Lehm, aber seit der Jahrhundertwende wurde dann der Wohnteil größtenteils gedielt, nur in einem Fall schliefen die Leute noch bis 1935 in Kammern mit Lehmfußboden.
In der Diele wurde der Boden meist erst nach der Jahrhundertmitte mit Klinkern befestigt. Lehm diente auch als „Einschub“ zwischen den Balken über dem Wohnteil, oft bis in die Gegenwart, eine ideale, Feuchtigkeit schluckende Wärmedämmung, ideal auch für Ratten. Getragen wurde der Einschub durch schmale kräftige Eichenbretter, mit dem Beil grob zurechtgehauen, mit 11 Strohlehm11 umwickelt und von unten durch einen Lehmdeckenputz abgeschlossen. Für Tischler, Glaser und blieb wenig Arbeit übrig.
Diese Häuser entsprachen den Gewohnheiten ihrer Entstehungszeit, sie waren keine Elendsquartiere. An Wohnkomfort und Frischluft wurden keine großen Anforderungen gestellt. Noch bis 1850 schlief die ganze Pastorenfamilie in Heiligenfelde mit 9 Kiniern in einem Raum, und die Pastorenfrau kochte auf einem Herd ohne Schornstein.
Mit der Zeit kamen Ziegelsteine in die Fächer der Außenwand, aber da wenig Kalk und viel Sand zum Mauern verwendet wurde, da das Regenwasser vom Strohdach tropfte und die Wände, besonders in Erdnähe, anfeuchtete und den Sand aus den Fugen wusch, drang die Nässe in die Räume, trieb der Giersch seine unteririschen Ausläufer durch die Wände, faulten die Holzdielen, unter denen sich schon Mäuse oder Ratten angesiedelt hatten. Die Fensterrahmen vermorschten, die Beschläge verrosteten, das Dachstroh wurde stellenweise zerfetzt, am Schornstein lief das Regenwasser herunter, Dachlatten brachen: Nun begann das Wohnungselend. Die Häuslinge rührten sich und brachten Beschwerden vor, gehäuft seit etwa 1930. Ihnen schlossen sich auch die Bewohner der neueren Häuser an, der scheußlichen Zweckbauten der Jahrhundertwende.
Die Beschwerden waren erfolglos: Der Bauer zahlte Grund– und Gebäudesteuer und den Feuerversicherungsbeitrag, der Häusling wohnte billig, also rentierten sich grundsätzliche Renovierungsmaßnahmen für den Bauern nicht, zumal er damals selbst auf Hilfe wartete, nämlich auf die Umschuldung. Und als nach der Währungsreform allenthalben Aufbau und Erneuerung einsetzten, warfen gerade die größeren Höfe wegen der unglücklichen Besteuerung nicht die nötigen Überschüsse für Baumaßnahmen ab.
„Die Gewinnabschöpfung, die ihren Höhepunkt im Jahre 1953 erreichte, war für diese (buchführungspflichtigen) Betriebe der Aderlaß, von dem sie sich in den folgenden wirtschaftlich weniger günstigen Jahren nicht wieder erholen konnten.“
Auch der Staat und die Wohnbaugesellschaften nahmen sich gerade des Problems der Häuslingshäuser erstaunlich wenig an. Von 1937 bis 1941 brachte es die Niedersächsische Heimstätte auf nur 298 Heuerlingshäuser gegenüber 17 276 ländlichen Werkwohnungen, und von 1952 bis 1962 wurden in Niedersachsen zwar 2 ooo „Eigenheime für Landarbeiter‘ und „rund 7000 Werkwohnungen und Ersatzbauten“ errichtet, aber von Häuslingshäusern ist bei diesen Maßnahmen nicht die Rede.
Die Bauern begnügten sich mit dem Rat: ‚Dann zieht doch aus!“ Die Häuslinge halfen sich mit notdürftiger Flickerei, die wenig nützte und den Anblick verschandelte. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß bei den Beschwerdeführern zuweilen auch die sture Mietermentalität vorherrschte, keinen Handschlag zu tun für ein Haus, das einem nicht gehört. Ein rechtzeitiger Öltropfen hätte vielleicht manches Fenster gerettet, und die zersprungene Fensterscheibe brauchte nicht durch Pappe ersetzt, das Loch im Schlafzimmerfußboden nicht mit einem Zigarrenkistendeckel vernagelt zu werden.
Ein alter Bauer meinte 1955: „Wenn jetzt nichts geschieht, laufen uns die Leute weg.“ Bis dahin standen nämlich an der „Heide“ für 8 Häuslingsfamilien und die Bewohner des Armenhauses nur 2 Ziehbrunnen zur Verfügung, von denen sie mit dem Joch das Wasser für Mensch und Vieh heranschleppten. Die Bauern, die längst über Druckkessel und Wasserhahn verfügten, mußten sich jetzt beeilen, jedem Häusling die Handpumpe auf der Diele zu installieren; die elektrische Anlage beschaffte dieser sich dann später selbst.
3chließlich klafften der tatsächliche Zustand der Häuser und die Wohnansprüche ihrer Bewohner so weit auseinander, daß die Lücke sich nicht mehr durch Ausbesserungsarbeiten schließen ließ.
Wo der Häusling das Haus selbst erwirbt, um dann anzubauen oder neu zu bauen, zeigt er, worauf sein Sinn schon lange gerichtet war: Auf saubere und geruchlose Räume mit weißen Decken und lichten Fenstern, auf WC und Badezimmer; die Ölheizung gilt noch als zu aufwendig.
Eine Rarität von heute (2016)
Bedrohter Bauernhof
Wohnsituation um 1950 (Riedell)
Das_Häuslingshaus
Das älteste Häuslingshaus in der Gemeinde steht seit 1837, das nächste seit 1840. Vielfach wissen die Bewohner, daß vorher an der gleichen Stelle oder in der Nähe schon ein anderes Haus stand. Das jüngste Baudatum – 1906 – wird für Nr. 6a angegeben.
Einige Häuser dienten ursprünglich als Schafställe und wurden nach der Gemeinheitsteilung ausgebaut, in anderen Fällen rissen die Leute den Stall ab und brachten das Eichengebälk an einen neuen Ort, wo es als Gerippe für das Häuslingshaus diente. (…)
Die kleineren Häuser messen etwa 10 m Länge, die größeren 13 x m, wovon etwa 60 qm für den Wohnteil bleiben, und in Einzelfällen brachten nachträglich Anbauten die Gesamtlänge auf 17 m.
Zum Bau rückte im vorigen Jahrhundert keine Firma an, denn Baumaterial und Arbeitskräfte fanden sich am Ort. Das Fundament begann in etwa 4o· cm Tiefe mit einer Reihe verschieden großer Feldsteine, auf die ein Balken gelegt wurde. Für die Innenwände genügte der Balken ohne Steine, für die Außenwände vielfacauch.
Heuboden und Dach wurden nämlich von der doppelten Ständerreihe und nicht von den Wänden getragen . Das Balkengerippe gab dem Haus Festigkeit und Dauer. Eichen wuchsen im Dorf, Häuslinge und Knechte zersägten sie, und dann mußte allerdings der Zimmermann „für einige Groschen“ Tagelohn dabei sein bis zum Richten. Die Fächer wurden nun mit Weidengeflecht und Lehm gefüllt oder auch mit Lehmziegeln, die man selbst brannte. Schließlich deckten zwei Ortsansässige das Strohdach.
Der Fußbodenbelag bestand aus Lehm, aber seit der Jahrhundertwende wurde dann der Wohnteil größtenteils gedielt, nur in einem Fall schliefen die Leute noch bis 1935 in Kammern mit Lehmfußboden.
In der Diele wurde der Boden meist erst nach der Jahrhundertmitte mit Klinkern befestigt. Lehm diente auch als „Einschub“ zwischen den Balken über dem Wohnteil, oft bis in die Gegenwart, eine ideale, Feuchtigkeit schluckende Wärmedämmung, ideal auch für Ratten. Getragen wurde der Einschub durch schmale kräftige Eichenbretter, mit dem Beil grob zurechtgehauen, mit 11 Strohlehm11 umwickelt und von unten durch einen Lehmdeckenputz abgeschlossen. Für Tischler, Glaser und blieb wenig Arbeit übrig.
Diese Häuser entsprachen den Gewohnheiten ihrer Entstehungszeit, sie waren keine Elendsquartiere. An Wohnkomfort und Frischluft wurden keine großen Anforderungen gestellt. Noch bis 1850 schlief die ganze Pastorenfamilie in Heiligenfelde mit 9 Kiniern in einem Raum, und die Pastorenfrau kochte auf einem Herd ohne Schornstein.
Mit der Zeit kamen Ziegelsteine in die Fächer der Außenwand, aber da wenig Kalk und viel Sand zum Mauern verwendet wurde, da das Regenwasser vom Strohdach tropfte und die Wände, besonders in Erdnähe, anfeuchtete und den Sand aus den Fugen wusch, drang die Nässe in die Räume, trieb der Giersch seine unteririschen Ausläufer durch die Wände, faulten die Holzdielen, unter denen sich schon Mäuse oder Ratten angesiedelt hatten. Die Fensterrahmen vermorschten, die Beschläge verrosteten, das Dachstroh wurde stellenweise zerfetzt, am Schornstein lief das Regenwasser herunter, Dachlatten brachen: Nun begann das Wohnungselend. Die Häuslinge rührten sich und brachten Beschwerden vor, gehäuft seit etwa 1930. Ihnen schlossen sich auch die Bewohner der neueren Häuser an, der scheußlichen Zweckbauten der Jahrhundertwende.
Die Beschwerden waren erfolglos: Der Bauer zahlte Grund– und Gebäudesteuer und den Feuerversicherungsbeitrag, der Häusling wohnte billig, also rentierten sich grundsätzliche Renovierungsmaßnahmen für den Bauern nicht, zumal er damals selbst auf Hilfe wartete, nämlich auf die Umschuldung. Und als nach der Währungsreform allenthalben Aufbau und Erneuerung einsetzten, warfen gerade die größeren Höfe wegen der unglücklichen
Besteuerung nicht die nötigen Überschüsse für Baumaßnahmen ab.
„Die Gewinnabschöpfung, die ihren Höhepunkt im Jahre 1953 erreichte, war für diese (buchführungspflichtigen) Betriebe der Aderlaß, von dem sie sich in den folgenden wirtschaftlich weniger günstigen Jahren nicht wieder erholen konnten.“
Auch der Staat und die Wohnbaugesellschaften nahmen sich gerade des Problems der Häuslingshäuser erstaunlich wenig an. Von 1937 bis 1941 brachte es die Niedersächsische Heimstätte auf nur 298 Heuerlingshäuser gegenüber 17 276 ländlichen Werkwohnungen, und von 1952 bis 1962 wurden in Niedersachsen zwar 2 ooo „Eigenheime für Landarbeiter‘ und „rund 7000 Werkwohnungen und Ersatzbauten“ errichtet, aber von Häuslingshäusern ist bei diesen Maßnahmen nicht die Rede.
Die Bauern begnügten sich mit dem Rat: ‚Dann zieht doch aus!“ Die Häuslinge halfen sich mit notdürftiger Flickerei, die wenig nützte und den Anblick verschandelte. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß bei den Beschwerdeführern zuweilen auch die sture Mietermentalität vorherrschte, keinen Handschlag zu tun für ein Haus, das einem nicht gehört. Ein rechtzeitiger Öltropfen hätte vielleicht manches Fenster gerettet, und die zersprungene Fensterscheibe brauchte nicht durch Pappe ersetzt, das Loch im Schlafzimmerfußboden nicht mit einem Zigarrenkistendeckel vernagelt zu werden.
Ein alter Bauer meinte 1955: „Wenn jetzt nichts geschieht, laufen uns die Leute weg.“ Bis dahin standen nämlich an der „Heide“ für 8 Häuslingsfamilien und die Bewohner des Armenhauses nur 2 Ziehbrunnen zur Verfügung, von denen sie mit dem Joch das Wasser für Mensch und Vieh heranschleppten. Die Bauern, die längst über Druckkessel und Wasserhahn verfügten, mußten sich jetzt beeilen, jedem Häusling die Handpumpe auf der Diele zu installieren; die elektrische Anlage beschaffte dieser sich dann später selbst.
3chließlich klafften der tatsächliche Zustand der Häuser und die Wohnansprüche ihrer Bewohner so weit auseinander, daß die Lücke sich nicht mehr durch Ausbesserungsarbeiten schließen ließ.
Wo der Häusling das Haus selbst erwirbt, um dann anzubauen oder neu zu bauen, zeigt er, worauf sein Sinn schon lange gerichtet war: Auf saubere und geruchlose Räume mit weißen Decken und lichten Fenstern, auf WC und Badezimmer; die Ölheizung gilt noch als zu aufwendig.