Die Gründung des „Vereins Christlicher Heuerleute“

Die Konstituierung des „Vereins Christlicher Heuerleute“ (VCH) war eine Folge der politischen Umwälzung vom November 1918. Mit dem Sturz der Monarchie und der Etablierung der demokratischen Republik von Weimar wurde auf allen Ebenen das gleiche, geheime, allgemeine, direkte und freie Wahlrecht für Männer und Frauen eingeführt. Dies galt auch für die kommunalen Wahlen, bei denen bislang insbesondere Minderbemittelten durch ein Zensusrecht jede politische Mitwirkung verwehrt gewesen war. In vielen Gemeinden des Emslands wurden dennoch Einheitslisten aufgestellt. Die Vertreter verschiedener dörflicher Interessengruppen und sozialer Schichten einigten sich im Vorfeld auf einen Schlüssel zur Verteilung der Sitze. Dabei kamen erstmals Heuerleute, denen die Kriegserfahrung den Horizont erweitert und das Selbstbewusstsein gestärkt hatte, in die Kommunalparlamente. In Handrup bei Freren gelang jedoch kein friedliches Einvernehmen. Hier standen sich bei der ersten demokratischen Wahl der Gemeindevertretung im März 1919 zwei Listen gegenüber. Die Einheitsliste war gescheitert, weil die 34 Bauern des Dorfes darin für sich neun Vertreter beanspruchten, den 65 Heuerleuten und Pächtern jedoch nur sechs Abgeordnete zugestehen wollten. Wie das „Frerener Volksblatt“ berichtete, spielten sich im Ort vor dem Urnengang „stürmische Szenen“ ab. Die starken Auseinandersetzungen in Handrup drohten sogar „in Tätlichkeiten auszuarten“[i]. Die Heuerleute gewannen die Kommunalwahl und vermochten erstmals die Geschicke der Gemeinde zu bestimmen[ii]. Die durch diese Auseinandersetzung selbstbewusst gewordenen Handruper Heuerleute und Pächter ließen den erlebten Konflikt mit den Bauern nicht auf sich beruhen. Für Christi Himmelfahrt, den 1. Juni 1919, riefen sie eine Heuerleute-Versammlung nach Lengerich ein. Die Leitung übernahm der Pächter Blömer aus Handrup, Redner war der dortige Haussohn Josef Deters (1887-1958). Laut „Frerener Volksblatt“ beleuchtete er „in ruhiger, wenngleich etwas einseitiger Weise die Stellung des Heuermanns in der Gemeinde, im Kreis und zum Grundherrn“. Deters beklagte, dass die Heuerleute bei der Wahl des Kreistags übergangen worden wären und im einflussreichen Kreisausschuss überhaupt nicht vertreten seien, obgleich sie ein Drittel der Bevölkerung des Kreises Lingen stellten. Ferner forderte Deters ein Pachtgesetz, um die mündlichen Heuerverträge auf eine sichere rechtliche Grundlage zu stellen, sowie einen Schlichtungsausschuss für Streitigkeiten.

[i] Frerener Volksblatt (weiterhin FVB) Nr. 10 vom 09.03.1919.

[ii] Kuhr (wie Anm. 4), S. 66.