Ursachen des Hollandgangs (aus Meurer)

aus:

Dr. H. Meurer

Hollandsgehen mit besonderer Rücksicht auf die Lage der Heuerleute im Osnabrückischen

Um für unsre Untersuchung eine sichere Grundlage zu erhalten, wollen wir zuvor die Boden- und Einwohnerverhältnisse in den betreffenden Landesteilen, und namentlich im Osnabrückischen, näher feststellen.

  1. Bodenverhältnisse

Das Fürstentum Osnabrück bildet den fruchtbarsten Teil des Landdrosteibezirks gleichen Namens. Dasselbe zerfällt bezüglich Bodenbeschaffenheit in zwei ungleiche Hälften, die südliche gebirgige und die nördliche flache; jene begreift die Ämter Wittlage, Grönenberg, Iburg und Osnabrück, diese die Ämter Vörden, Bersenbrück und Fürstenau. Das Gebirgsland ist teils durch Zweige des Wesergebirges, teils durch Züge des Teutoburger Waldes gebildet, und wird, soweit es dem Fürstentume angehört, durch die Hase so geschieden, dass das Gebirgsland am linken Ufer dieses Flusses zum Teutoburger Walde, dasjenige aber am rechten Ufer zum Wesergebirge gerechnet wird. Da beide Gebirgszüge innerhalb des Fürstentums in der Hauptrichtung von Südost nach Nordwest streichen, so haben sie demnach ihre Hauptabhänge nach Süden und Südwesten, sowie nach Norden und Nordosten, und ihre zahlreichen Quertäler sind nach Süden geöffnet. Da zu dieser günstigen Lage ein guter Fruchtboden und genügende Bewässerung hinzukommen, so erfreut sich dieser Teil des Fürstentums einer erwünschten Fruchtbarkeit.

Der fruchtbarste Teil ist das Amt Grönenberg, und am meisten bevölkert, da mehr als 6.000 Seelen auf 1 Quadratmeile kommen [1]). Sein zum größten Teile hügeliger, wellenförmiger Boden ist mit dem besten Fruchtboden bedeckt und von Flüsschen und zahlreichen Bächen bewässert. Getreide- und Flachsbau werden mit dem besten Erfolge betrieben, doch hat letzterer bedeutend abgenommen.

Der angrenzende Teil des Amtes Wittlage ist, wenn auch gebirgiger, gleichfalls sehr fruchtbar und in seinen übrigen Verhältnissen dem Amte Grönenberg ähnlich. Die Brüche, welche sich hindurch ziehen, sind in ergiebige Wiesen umgewandelt worden, wodurch die Viehzucht gefördert wird. Auch hier ist die Zahl der Einwohner verhältnismäßig bedeutend. In Hunteburg, dem andern Teile des Amtes dehnen sich weite Moore, als das Venner-, Schweger-, Cappeler-, Welplager-Moor, und große unbebaute Heideflächen aus. Hier ist die Gänsezucht nicht unbedeutend.

Das Amt Iburg, der gebirgigste Teil des Fürstentums, ist fruchtbar in seinem östlichen Teile, während die südwestliche Abdachung nach dem münsterschen Flachlande hin Moore und beträchtliche Heideflächen hat. Die höheren Berggipfel sind kahl, die Abhänge, meistens gut angebaut und bewachsen, von klaren Bächen durchrieselt, sind fruchtbar und zur Wiesenkultur geeignet.

Das Amt Osnabrück ist in der Nähe der Stadt und unterhalb derselben am linken Ufer der Hase ziemlich fruchtbar, hat daneben aber noch viele Sand-, Heide- und ungebaute Bergstriche. In der Stadt und deren Nähe nimmt die Bevölkerung bedeutend zu, weil die Anlage wichtiger Eisenbahnen und zahlreicher industrieller Unternehmungen viele Arbeiter aller Art heranzieht.

In der größeren nördlichen Hälfte des Fürstentums geht das Anfangs noch wellige Hügelland allmählich in das norddeutsche Tiefland über. Der Boden ist leicht und an sich wenig fruchtbar. Eine Ausnahme machen die Niederungen der Hase und ihrer freilich nicht zu zahlreichen Zuflüsse. Hier, wo der Boden fruchtbar und ergiebig, ist auch die Bevölkerung am dichtesten. Das Artland, der fruchtbarste Teil dieser Hälfte in dem von der Hase durchflossenen Amte Bersenbrück, zählt etwa 4.000 Einwohner auf der Quadratmeile, in den übrigen Teilen wird kaum die Durchschnittszahl der Bewohner des Königreiches erreicht. Das sandige, von den Heideflächen und Mooren durchzogene Amt Fürstenau, freilich das unfruchtbarste des Fürstentums, zählt im Durchschnitt kaum 1.700 Seelen auf der Quadratmeile, Bersenbrück 2.350, währen im Landdrosteibezirke Osnabrück überhaupt im Durchschnitt 2.340 Seelen gezählt werden. Der an manchen Stellen noch unbebaute Boden könnte und müsste trotz seiner Unfruchtbarkeit viel besser ausgenutzt werden, als es geschieht. Bei gehöriger Verwertung würde er dem fleißigen Arbeiter für seine Wirtschaft noch mancherlei Vorteile gewähren.

Die Niedergrafschaft Lingen befindet sich nicht in günstigeren Verhältnissen. Amt und Stadt Lingen, zusammen 9.394 Q.-M. groß, zählten im Jahre 1867 zusammen 16.713 Einwohner, das Amt Freren auf 5.060 Q.-M. deren 11.346. Die ganze Grafschaft zählte auf einer Bodenfläche von 304.981 Morgen 185.027 Morgen unkultivierte Gemeinheiten. Eben, – nur im Süden sind unbedeutende Hügel – im Westen, Nordosten und auch im Süden von ansehnlichen Mooren durchzogen, während im übrigen Sandboden vorherrscht, sind Roggen, Hafer und Buchweizen die wichtigsten Erzeugnisse des Bodens. Der belebende Wald fehlt; nur Tannen und niedrige Buchen kommen hier fort. Freilich wird von Süden nach Norden die Grafschaft von der Ems durchflossen, welche hier einige Neben- und Beiflüsse aufnimmt, dennoch ist die Bewässerung durchaus unzureichend. Darum fehlen gute Wiesen und ist die Viehzucht unbeträchtlich. Einzelne Strecken, wie Lengerich, Freren, Schapen etc. bilden eine Ausnahme und erfreuen sich daher größerer Fruchtbarkeit. Immerhin würde für gehörige Ausnutzung des vorhandenen Wassers mehr zu sorgen sein. Emsbüren, am linken Emsufer, hat im Westen eine Hügelreihe aus Tonschiefer, an der Ems eine aus nicht fettem Lehm bestehende Niederung, sonst ist auch dieser Teil magere, flache Heide. Eie Einwohnerzahl erreicht den Durchschnitt längst nicht, wiewohl durch die Ems und dem Emskanal Handel und Gewerbefleiß der Bewohner gefördert werden.

Die Grafschaft Bentheim endlich ist durch Moore von den benachbarten Gebieten der Landdrostei Osnabrück geschieden. Die Vechte, welche die Grafschaft ihrer ganzen Länge nach durchfließt, und von Nordhorn an mit Schiffen befahren wird, bildet dagegen mit der in dieselbe sich ergießenden Dinkel eine natürliche Verbindung derselben mit den benachbarten Niederlanden, mit welchen sie daher auch in der Lebensweise der Bewohner, im Betriebe der Landwirtschaft, und zum Teile auch in der Natur des Landes Ähnlichkeit hat, wenngleich der holländische Reichtum fehlt. Der Überfluss an Torf entschädigt für den Mangel an Wäldern, welcher im größten Teile der Grafschaft herrscht. Nur im Süden, am Fuße der Ysterberge (Bentheimer Berge), welche den kostbaren „Bentheimer Sandstein“ liefern, dehnt sich zwischen Bentheim und Gildehaus der Bentheimer Wald aus, sich in nördlicher Richtung forterstreckend.

An den Ufern der Flüsse und zahlreicher Bäche, welche in dieselben fließen, ziehen sich gut bewässerte Wiesen hin, gute Weiden fördern die Rindviehzucht, der bessere Boden trägt Getreide, Rübsamen, Hanf, Flachs und Kartoffeln, und liefert davon in guten Jahren noch einen Überfluss, welcher leicht nach Holland abgesetzt wird. Brüche und Moore bedecken große Strecken Landes, daher die geringe Zahl der Bewohner. Das Amt Bentheim zählte im Jahre 1867 auf 4.796 Q.-M. nur 10.361, das Amt Neuenhaus auf 11.963 Q.-M. nur 20.131 Bewohner. Von 351.961 Morgen der gesamten Bodenfläche waren 125.702 Morgen unkultivierte Gemeinheiten.

Das ist das Land, woher die Osnabrückischen Hollandsgänger kommen; betrachten wir nun die maßgebenden Verhältnisse seiner Bewohner!

[1] Durchschnittlich kommen in Deutschland 3.600, in Hannover 2.750 Seelen auf 1 Q.-M.

 

 

Sittliche Gefahren für den Hollandsgänger.

Text aus:

 

Sittliche Gefahren für den Hollandsgänger.

 Nicht minder groß, als für die Gesundheit und das Leben des Leibes, sind die Gefahren und Nachteile für die Gesundheit und das Leben der Seele der Hollandsgänger. Die weite Reise, die oben geschilderte Lebensweise der Arbeiter, das enge und vertraute, längere Zeit fortgesetzte Zusammenleben oft vieler Menschen von verschiedenem Alter und gesellschaftlichen Verhältnissen, von verschiedenem Charakter, verschiedenen religiösen und sittlichen Anschauungen und Bestrebungen, die verhältnismäßig große Geldsumme, in deren Besitz sie sich nach beendigter Arbeitsperiode gesetzt sehen, die Nähe großer, volkreicher Städte mit ihren vielen Gelegenheiten zu Genüssen aller Art – wie viele Gefahren bergen sie nicht in sich, wie viele Gelegenheiten bieten sie, Böses zu sehen und zu hören, Kenntnis zu erhalten von Dingen, welche das Herz des schlichten Landmannes zu Hause nie geahnt hätte, und den Reiz in sich aufzunehmen zu Genüssen, welche ihm zu seinem Heile nie bekannt werden sollten, wie viele Anknüpfungspunkte für schlechte Verführer, den Keim des Bösen in ein noch unschuldiges Herz zu senken!

Wenn man die bösen Gelüste des Menschen, die Macht der Sinnlichkeit, die verführerischen Reize des Bösen, das ungeheuere Streben nach Genuss, welches den Menschen beherrscht, ins Auge fasst und dann erwägt, dass eben Jünglinge von 15 – 25 Jahren einen großen Teil der Arbeiter ausmachen, unerfahrene Jünglinge, die auf dem Lande in aller Einfachheit erzogen, zu wenig gewaffnet sind gegen die mancherlei Künste der Verführung, die ihrer draußen warten, so wird man sich der Überzeugung nicht erwehren können, dass die sittlichen Gefahren, welche die Arbeiter-Wanderungen mit sich führen, groß, außerordentlich groß sind.

Das bestätigt denn auch die Erfahrung. Eine recht böse Neigung, welche erfahrungsgemäß durch das Hollandsgehen befördert wird, ist das Branntweintrinken.

Es ist ein bekanntes Vorurteil, gegen welches die über alles Lob erhabenen Bestrebungen der Enthaltsamkeits- und Mäßigkeitsvereine immer noch vergebens ankämpfen, dass nämlich bei besonders schweren Arbeiten oder bei Beschäftigungen in der Nässe oder großer Hitze der Branntwein als stärkendes und schützendes Getränk kaum zu entbehren sei. Demnach greifen auch unsere Arbeiter in der Fremde beim Mähen oder Torfbereiten gern zur Branntweinflasche, da sie meinen, in dem Branntwein Ersatz für die mangelnde nahrhafte Kost zu finden und ein Schutzmittel gegen drohende Krankheiten, und sie tun das um so eher und lieber, als es ihnen in Holland sowohl, wie in Holstein, Mecklenburg e. t. c. sehr leicht gemacht wird, Branntwein zu bekommen, von manchen Arbeitgebern sogar täglich eine gewisse Quantität Branntwein den Arbeitern verabreicht wird.

Das Beispiel und Zureden der älteren Genossen veranlasst auch die jüngeren, obschon zu Hause vom Pfarrer und Lehrer vor dem Laster der Trunksucht und der Schädlichkeit des Branntweins vielfach gewarnt, zuzuschmecken, und sie schmecken in der Regel so lange, bis ihnen der Schnaps wie den andern zum Bedürfnis wird. Ist es dann einmal dahin gekommen, so trinken sie nicht bloß bei der Arbeit, sondern auch Sonntags, um sich einen besonderen Genuss zu verschaffen, und im Winter zu Hause, auf der Reise und überall, und werden auch nicht alle leidenschaftliche Säufer, welche durch ihre Trunkfälligkeit öffentliches Ärgernis geben, so werden doch viele, die meisten Hollandsgänger mindestens trostlose Gewohnheitstrinker und leiden unter den schweren Folgen dieser traurigen Neigung. Das rohe, wüste Benehmen, welches zur Zeit der Arbeiterwanderungen an den Haltestellen und Stationen der Eisenbahnen vielfach Aufsehen erregt, ist nur eine Wirkung des reichlich genossenen Branntweins, und zahlreiche Excesse, welche auf Märkten und bei öffentlichen Lustbarkeiten in Herbste und Winter von heimgekehrten Arbeitern verübt werden, zeugen von dem Geiste, den sie aus der Fremde mitgebracht haben.

Eine andere nicht minder große Gefahr, in welche die Hollandsgänger kommen, ist die zur Unsittlichkeit. Um die Größe dieser Gefahr zu begreifen, denke man sich junge, unerfahrene Leute im Alter von 15 – 25 Jahren, also in der gefährlichen Periode des Lebens, wo sich mit der zunehmenden Kraft des Körpers der sinnliche Reiz so mächtig entwickelt, in größerer Reisegesellschaft von Menschen aller Art, wo die lange Muße der mehrtägigen Eisenbahnfahrt gar gewöhnlich mit Branntweintrinken, rohen Reden und frivolen Liedern zu kürzen versucht wird oder bei der Arbeit, wo leichtfertige Reden und Witze, so häufig den Hauptgegenstand der Unterhaltung bilden; oder in den gemeinsamen Schlafräumen, wo das zarte Gefühl so vielfach verletzt werden kann!

Man denke sich solche jungen Leute gegenüber den Verführungskünsten leichtsinnigen Gesindels, gemeiner Burschen, gegenüber den Gefahren und sinnlichen Anreizungen jener großen Städte, durch welche ihr Weg sie führt, dem Sittenverderbnis, wie es sich in vielen der von den Arbeitern besuchten Gegenden vorfindet! Man erwäge endlich, dass allen diesen Verführungen und Reizungen zum Bösen der schlichte, unerfahrene Jüngling schutz- und ratlos gegenüber steht. Er ist in der Fremde, allein! Zu Hause stehen ihm, wenn sittliche Gefahren drohen, Eltern, Pfarrer, Lehrer, Freunde ratend und warnend zur Seite, Furcht und Scham halten zurück, die Kirche, der Gottesdienst, die Unterweisung in Predigt und Christenlehre, der Umgang mit den vormaligen Mitschülern, die gewöhnlichen, wie die unerwarteten Ereignisse in der Gemeinde, dieses alles wirkt mahnend und zurückhaltend zu seiner Rettung. Aller dieser Stützen muss er in der Fremde, wo er ihrer am meisten bedürfte, entbehren. Welche Gefahren! Wie viele haben die Kraft, ihnen zu widerstehen?

Die genannten Gefahren werden aber noch erhöht durch eine dritte minder große und nicht minder begründete, nämlich die Gefahr der Irrreligiosität und der Gleichgültigkeit in der Religion. Nur selten findet der katholische Arbeiter – und, ein sehr beträchtlicher Teil derselben ist eben katholisch [1]) – in jenen fremden Ländern, wo er Monate lang arbeitend weilt, Gelegenheit, dem Gottesdienste seines Bekenntnisses beizuwohnen. In Holland, wo dieses noch am häufigsten der Fall ist, bietet die Unbekanntschaft mit der Landessprache ein Hindernis, die Predigten zu hören und Hilfe in den religiösen Bedürfnissen nachzusuchen. Welche Nachteile, wie viele und wie große sittliche Gefahren birgt allein dieser Umstand in sich, insbesondere wenn man dazu nimmt, dass der Unglaube und die religiöse Gleichgültigkeit in diesen Gegenden so groß sind, dass manche der Arbeitgeber vollständige Indifferentisten sind, dass in Holstein, Dänemark, Mecklenburg auch jetzt noch, wie seit Einführung der Reformation, die katholische Kirche von einengenden Fesseln umschlungen ist! Wenn der Sonntag aber nicht der gottesdienstlichen Feier, nicht der Ruhe in Gott dient, wie wird er dann gewöhnlich verbracht da, wo eine Anzahl junger Leute zusammen lebt, wo die Langeweile quält, der Eine den Andern treibt, wo böse Beispiele ihre Zugkraft üben? Gleichgültigkeit und häufig selbst Irreligiosität sind die fast unausbleiblichen Folgen, und wenn dieselben nicht so oft so entschieden hervortreten, als man erwarten müsste, so ist das eben ein Beweis für den tiefreligiösen Sinn, welcher in unserm Landvolke heimisch ist.

Wenn man aber dieses Alles in Erwägung zieht, so kann gewiss nicht geleugnet werden, dass das Hollandsgehen mit vielen und großen sittlichen Gefahren und Nachteilen verbunden ist. Man fragt, ob sich dieses auch in den Gemeinden, welche die Hollandsgänger liefern, offenbare? Ob dieselben wirklich sittlich verkommener seien, als andere?

Kann einmal ein solcher Vergleich kein richtiges Ergebnis liefern, weil überall die Umstände und einwirkenden Verhältnisse verschieden sind, so ist doch soviel gewiss, dass die Gefahr unleugbar vorliegt, dass das Saufen der reisenden Arbeiter, insbesondere auf der Rückkehr oft sehr arg ist, dass öfteren Berichten zufolge entsetzliche Rohheiten an den Haltestellen der Eisenbahnen von dem unsittlichen Zustande der Arbeiter Zeugnis ablegen, dass mancher Hollandsgänger sich in kirchlicher Beziehung viel gleichgültiger zeigt, als erwartet werden dürfte, dass in einzelnen Gemeinden manche der jüngeren Leute an den Sonntagen die Wirtshäuser kaum verlassen und den Tag des Herrn mit Spielen, Saufen, Tanzlustbarkeiten und wildem Umhertreiben in leichtfertiger Gesellschaft zubringen, dass mancher redliche und wohl erfahrene Pfarrer das Hollandsgehen als den Krebsschaden seiner Gemeinde erkennt.

Außerdem ist es gewiss und wohl zu beherzigen, dass während der letzten Jahrzehnte sich manche Verhältnisse außerordentlich geändert und unsern Landsleuten in der Fremde die gefahren noch näher gerückt haben, dass auch an unsern schlichten, kerngesunden, einfachen und braven westfälischen Landmann der moderne böse Geist der Zersetzung herangetreten ist, um ihn mit den verderblichen Ideen der Neuzeit bekannt zu machen, sowie, dass leider hier und da die ausgeworfenen Funken zu zünden anfangen, dass die alte Einfachheit der Sitten und des Gemüts mit dem Gefühle der Ehrfurcht und Ehrerbietigkeit vor geistlichen und weltlichen Vorgesetzten, vor dem alten Herkommen, alten Einrichtungen und Gewohnheiten mehr und mehr verschwindet, dass auch die herrliche Sittenreinheit und tiefe Religiosität, welche unser Landvolk mehrenteils schmücken, mit der Zeit Schiffbruch zu leiden drohen, dass Luxus und Genusssucht, die charakteristischen Fehler unserer Zeit, sich mehr und mehr auch unter diesem Stande verbreiten. Welchen Einfluss auf Alles dieses der Aufenthalt in der Fremde gehabt hat und wie er noch jetzt das Übel verstärken wird, ist leicht einzusehen. Insbesondere ist dabei auch das veränderte Reiseziel in Anschlag zu bringen.

In Holland treffen die Arbeiter mit Ausnahme der großen Handelsmetropolen ein Volk, das sich in Sitten und Lebensweise von uns nicht allzu sehr unterscheidet, einfach, abgeschlossen, ernst und im Ganzen bieder und ehrlich; unsere katholischen Landsleute finden da vielerorts auch Gelegenheit, katholischen Gottesdienst zu besuchen, wenngleich die oben bezeichneten Unzuträglichkeiten bestehen. Ganz anders und viel ungünstiger sind aber die Verhältnisse an den Arbeitsstationen in den Herzogtümern und in den Preußischen Ostprovinzen, wie die Arbeiter selbst zugeben. Es haben sich also durch Veränderung des Reiseziels die sittlichen Gefahren wesentlich vergrößert.

[1] Solche, welche mit den Verhältnissen näher bekannt sind, wollen behaupten, dass im Fürstentume Osnabrück vorzugsweise viele, ja fast ausschließlich Katholiken sich bei der Arbeiterwanderung beteiligen. Pastor Kerle, welcher die Verhältnisse genau kennen kann, da er viele Jahre lang im Amte Bersenbrück tätig war, schreibt darüber: „Aus Bauerschaften mit gemischter Bevölkerung ziehen oft fast sämtliche katholische Heuerleute ins Ausland, während von den dortigen Akatholiken kaum einer fortgeht.“ Woher diese Erscheinung?

 

Pastor Funke zur Markenteilung

Die Nachtheile der Markentheilung für die Heuer­leute

Einführung von Lübbert zur Borg

In diesem Kapitel beschreibt Funke die Nutzung der gemeinsamen Mark durch die Heuerleute vor der Teilung.

  • Freier Vieheintrieb in die gemeinsame Weide. Sowohl Rindvieh, Schweine als auch Gänse. In Heidegegenden, wie in den Kirchspielen Berge und Bippen, auch Schafe. Durch eine relativ große Viehhaltung gewannen die Heuerleute durch die nächtliche Aufstallung viel Dünger für ihren Acker.
  • Freie Plaggengewinnung für die Ackerdüngung.
  • Freie Torf- und insbesondere Sandtorfgewinnung für die Feuerung. Freie Entnahme von Abfallholz ebenfalls für die Feuerung.

Nach der Teilung der Mark, die hauptsächlich in den Jahren zwischen 1820 und 1835 vorgenommen wurde, verloren die Heuerleute die oben aufgeführ­ten Nutzungsrechte, da ihnen kein Rechtsanspruch auf Beteiligung zustand. Die frühere Nutzung war ihnen als Mitglieder der jeweiligen Höfe gewährt worden.

Die fehlende Nutzung der Mark machte sich bei den vorgenannten Einnahmeausfällen bei der Flachs­verarbeitung und durch den geringeren Verdienst in Holland besonders schmerzlich bemerkbar.

Funke erklärte ausdrücklich, daß die Markentei­lung äußerst ungerecht gegenüber den Heuerleuten war und diese nicht hätten ausgeschlossen werden dürfen. Er schreibt:

… allein die Lage der Heuerleute hat sich da­durch nicht verbessert, sondern verschlechtert. Ein­mal wurde dieser Boden der Gesamtheit, wozu vor der Theilung die Heuerleute mit gehörten[12], entzogen und ging in den Privatbesitz über, so daß sie weiter keinen Nutzen davon hatten; und sodann wurde dieser getheilte Boden großentheils durch ihre Kräfte urbar gemacht, ohne daß ihnen der eigentliche Vortheil zufiel. …

… Freilich wurden in den Markentheilen oft neue Häuser von den neuen Eigenthümern derselben auf­gebaut und so manchen Familien eine Wohnstätte verschafft; nur müssen wir hinzusetzen, daß die Lage dieser Familien gewöhnlich eine solche war, daß sie sich wenig ihres Lebens freuen konnten. Wir glauben wenigstens dieses mit Sicherheit annehmen zu können, indem es durch diese nicht vorbereitete Vermehrung der Population dahin gekommen ist, daß unter 10 Heuerfamilien nach der Steuerrolle oft nicht mehr 1 oder 2 sich befinden, welche Personensteuer bezah­len. Die besitzlose Bevölkerung, das Proletariat unse­rer Fürstenthums, ist durch die Markentheilung ver­mehrt worden, was wir keineswegs als ein Glück für den Staat ansehen können; deren Wohlstand aber bedeutend verringert, was wir sehr beklagen müssen, und zwar um so mehr, da der Mensch, wenn ihn die schwere Noth des Lebens immer von neuem nieder­drückt, wenn all sein Sinnen und Trachten nur darauf hingeht, wie er sein Leben von einem Tage zum ande­ren fristet, am Ende alle Empfänglichkeit für die tieferen, sittlichen und religiösen Lebensrichtungen verliert. …

In den weiteren Ausführungen dieses Kapitels geht Funke auf den sittlichen und religiösen Aspekt der Verarmung  eingehend ein. Dies entsprach na­türlich seiner Aufgabe als Seelsorger und gleichzeitig auch als Aufsichtsperson für die Schulen. Er beklagte sehr, dass die Kinder der Heuerleute vielfach zuviel mitarbeiten mussten – insbesondere als Viehhirten – und es sehr schwierig sei, sie auch nur einige Tage in der Woche zum Unterricht zu bekommen. Durch den mangelnden erzieherischen Einfluss befürchtete er eine zunehmende Verrohung und einen sittlich-religiösen Verfall bzw. eine Verwahrlosung.

aus:

Borg, Lübbert zur: 1847 – Pastor Funkes Buch über die Pro­bleme des Heuerleutesystems, in: Menslager Hefte. Mittei­lungen des Heimatvereins, Heft 9. Hrsg. vom Heimatverein Menslage, Menslage 1995, S. 18-29.

 

Pastor Funke

Lübbert zur Borg, Borg veröffentlichte in den Menslager Heften Auszüge aus:

1847 – Pastor Funkes

Buch über Probleme des Heuerleutesystems

(Auf dieser Seite ist im Aufsatz die Titelseite des Buches abgebildet. Dafür hier der Text des Titels)

Ueber diegegenwärtige Lage der Heuerleute im Fürstenthume Osnabrück,

mit besonderer Beziehung auf die Ursachen ihres Verfalls und mit Hinblick auf die Mittel zu ihrer Erhebung.

So ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit.

  1. Kor. 12, 26

Von Georg Ludwig Wilhelm Funke. Pastor zu Menslage

Bielefeld,Verlag von Velhagen & Klasing 1847

Lübbert zur Borg schreibt:

Aus Platzgründen kann leider nur sehr gekürzt und zusammengefaßt auf den Inhalt des Buches eingegangen werden. 

Grundsätzlich ist es wünschenswert, wenn dieses Buch in vollständiger Fassung – evtl. als Faksimile-Nachdruck zur Verfügung gestellt werden könnte, da es eine Fülle von Informationen für den an der Heimatgeschichte Interessierten enthält.

 

 

Nach dem Tode von Pastor Möllmann im Jahre 1839 gab es bekanntlich mehrjährige Auseinan­dersetzungen um die Neubesetzung der Menslager Pfarrstelle. Die Einsetzung des unerwünschten Kan­didaten Fachtmann konnte zwar verhindert werden, gegen den vom Konsistorium vorgeschlagenen Pastor Georg Ludwig Wilhelm Funke, der ebenfalls nicht erwünscht war, konnte die Kirchengemeinde sich dann nicht mehr wehren[1]. Er wurde 1842 eingesetzt und blieb bis zu seiner Versetzung im Jahre 1858 in Menslage.

Nach uns vorliegenden Unterlagen war Pastor Funke nicht sehr beliebt und erfuhr nur wenig Anerkennung im Kirchspiel. Unabhängig davon entwickelte er sich aber zu einem guten Kenner der hiesigen Verhält­nisse. Sein besonderes Interesse fand die zu der da­maligen Zeit prekäre Lage der Heuerleute[2]. Schon 1846 veröf­fentlichte er einen Artikel im Hannover­schen Maga­zin, Nr. 13 – 17 mit dem Titel: „Über die gegenwär­tige Lage der Heuerleute im Fürsten­thume Osna­brück“. Angeregt durch ein allgemeines Interesse und nach mehreren privaten als auch öffent­lichen Auffor­derungen, überarbeitete und erweiterte Funke seinen Aufsatz zu einem 84seitigen Buch, das er 1847 beim Verlag Velhagen und Klasing in Biele­feld herausgab.

Der vollständige Titel lautet:

Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute im Für­stenthume Osnabrück, mit besonderer Beziehung auf die Ursachen ihres Verfalls und mit Hinblick auf die Mittel zu ihrer Erhebung

Ein nachgestellter Bibelvers im Titel

„So ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit.

  1. Kor. 12, 26“

deutet auf Funkes seelsorgerisches Verantwortungs- und Mitgefühl. Seine Bemühungen gingen in die Richtung, daß dem Heuerleutestand sofort und nach­haltig geholfen werden müsse, um noch größeren Schaden vom gesamten Gemeinwesen fernzuhalten. Bestand die Bevölkerung doch zu etwa zwei Dritteln aus den Heuerleuten.

Der Text des Buches ist folgendermaßen gegliedert:

 Einleitung

  • Die Entstehung der Heuerleute
  • Verhältnis derselben zum Colonen[3]
  • Ihre Verarmung

Erster Abschnitt

Ursachen der Noth der Heuerleute

  1. Der Einfluß der Bodencultur auf die Lage der Heuerleute
  2. Der Verfall der häuslichen Industrie in Flachs, Hanf und Wolle
  3. Die Verringerung des Verdienstes in Holland
  4. Die Nachtheile der Markentheilung für die Heuerleute
  5. Die unbestimmten Dienste oder die Haus­hülfe
  6. Die Schul-, Kirchen-, Communal- und Staatslasten der Heuerleute
  7. Der Luxus und die Vergnügungssucht beson­ders bei den Dienstboten
  8. Die Stimmung der Heuerleute

 

Zweiter Abschnitt

Mittel zur Verbesserung der Lage der Heuerleute

  1. Die Einwirkung der Auswanderung nach Amerika auf den Zustand der Heuerleute
  2. Die Vergrößerung der Heuern und die Ver­besserung der Landwirthschaft durch Wie­sencultur, vermehrte und sorgfältigere Dün­gung und durch besseren Fruchtwechsel
  3. Die Hebung der Industrie
  4. Schluß

 

Schon die systematische Ordnung des Inhaltes deutet auf umfassende Sachkenntnis und analytische Fähigkeiten des Verfassers. Die Lektüre des Buches bestätigt diesen ersten Eindruck und zeigt, daß Pastor Funke neben seiner theologischen Bildung großes Wissen über die damaligen politischen und wirt­schaftlichen Zusammenhänge besaß. Auch scheute er sich nicht, eventuell unbequeme Wahrheiten deutlich auszusprechen.

Im folgenden sollen nun seine wichtigsten Er­kenntnisse zur Lage der Heuerleute, einige allgemeine Angaben zur damaligen Situation[4] und seine wesentli­chen Schlußfolgerungen zur Verbesserung der wirt­schaftlichen Lage der Heuerleute kurzgefaßt darge­stellt werden.

Im Vorwort geht Funke auf die Gründe seiner Veröf­fentlichungen ein und schreibt unter anderem:

… Hier muß ich noch hinzufügen, daß, wenn meine Beobachtungen über die Lage der Heuerleute bei der gegenwärtigen in Folge der vorjährigen Miß­ernte sich immer weiter verbreitenden großen Noth geschrieben wären, ihre Lebensverhältnisse in einem noch viel ungünstigeren Lichte, als sie von mir dar­gestellt sind, erscheinen würden. Freilich haben sich in diesem Augenblick die Garn- und Leinenpreise wieder etwas gehoben; alleine was hilft dies bei der jetzigen Theuerung, wenn bei den Heuerlingsfamilien zum großen Theil gar keine Vorlagen[5] da sind, und durch die Verwerthung der Arbeitskräfte nicht mehr des Lebens Nothdurft herbeigeschafft werden kann! Wahrlich, wenn irgend je, so werden wir in gegen­wärtiger Zeit auf das ernstlichste gemahnt, die noch vorhandenen Heilkräfte zum Kampfe gegen das immer weiter um sich greifende Übel der Verarmung der unteren Volksklassen anzuregen und zu vereinen! Geschieht dieß nicht, so wird diese Verarmung mas­senhaft in solcher Weise zunehmen, daß eine Heilung der Krankheit kaum noch möglich ist, wie solches auf das schreckerregendste gerade jetzt Beispiele in ande­ren Ländern zeigen. Wenn wir nun die Klasse der Heuerleute unzweifelhaft als ein krankes Glied im Organismus des Staates anzusehen haben, und eben­darum eine Heilung durchaus nothwendig ist, so liegt es jedoch gerade im Wesen der Heilung, daß diese nicht etwa von den kranken, sondern  von den noch gesunden Theilen ausgeht, durch deren Lebenskräfte die Krankheit immer mehr zurückgedrängt werden muß, damit die leidenden Glieder zur Gesundheit gelangen und sodann als wahrhaft lebendig dem Organismus wieder einverleibt werden können.

Wir dürfen darum bei der überhand nehmenden Verarmung der Heuerleute, solange wir noch Lebens­kräfte in uns verspüren, nicht ruhig bleiben; sondern wir müssen das Übel in allen seinen Ursachen angrei­fen und zu überwältigen suchen. Eine bloße Unter­stützung der Heuerleute, ohne daß die Ursachen ihrer Noth beseitigt wären, wird nur augenblicklich das Übel lindern, auf die Dauer aber nichts fruchten, indem die Noth stets wiederkehrt, die Mittel zur Un­terstützung aber endlich erschöpft werden. …

 

Zur Einleitung (Kapitel 1-3)

Nach der letzten Volkszählung von 1845 lebten im Fürstentum Osnabrück 153.412 Menschen. Davon entfielen ca. 25.000 auf die Städte Osnabrück, Qua­kenbrück, Fürstenau und die übrigen Kirchdörfer. Auf das sog. platte Land entfielen somit ca. 5/6 der Bevölkerung. Hiervon waren wiederum zu der Zeit etwa 2/3 Heuerleute. Es bestand demnach allgemein ein Verhältnis von 1 : 2 zwischen der landbesitzenden und der landlosen Bevölkerung.

Funke schreibt, daß dieses Zahlenverhältnis nicht überall gleich ist und gibt im Kapitel 4 nähere Ein­zelheiten. Für das Kirchspiel Menslage war nach einem Bericht[6] der Vogtei Menslage an die Regierung in Osnabrück das Verhältnis noch größer. Hier kamen auf 159 Grundbesitzerfamilien 372 Heuerleutefami­lien. Das ist ein Verhältnis von 1 : 2,33.

Im übrigen brauchen die weiteren Erklärungen von Funke zur Entstehung der Heuerleute hier nicht weiter erläutert zu werden, da diese hinlänglich oft beschrieben wurden und allgemein bekannt sind. Er schreibt jedoch unmißverständlich: … Wie der Stand der Heuerleute sich gebildet hat, darüber kann man nicht lange zweifelhaft sein, wenn man ihre Namen mit denen der Höfe, aus welchen eine Gemeinde be­steht, vergleicht. Es sind mit geringen Ausnahmen immer dieselben. …

Der Beschreibung der oft unzulänglichen Wohn­verhältnisse widmete er ausreichend Raum, da ihm diese doch sehr verbesserungswürdig erschienen. Um auch den Lesern, die nicht mit den hiesigen Ver­hältnissen vertraut waren, einen Einblick in die Wohnverhältnisse zu geben, ist im Text folgende Skizze eingefügt.

(Skizze fehlt hier)

Als Erklärung von ihm dazu:

Nehmen wir an, daß ein nach vorstehendem Grundrisse erbautes Haus von zwei (!) Familien be­wohnt würde, so wäre a der Doppelheerd, b die ge­meine Dreschdiele, c der Wasch- und Standort der Küchengeräthe, d Wohnstube, e Durtige zum Schla­fen, f Kammer für Aufbewahrung der Lebensmittel, g Stallung für das Vieh.

Bemerken müssen wir jedoch, daß f nicht selten fehlt und dann ein Heuerhaus verhältnismäßig um soviel kürzer zu sein pflegt.

Weiterhin schrieb Funke u.a.:

… Weil Keller in den Heuerhäusern fehlen, so müssen viele Lebensmittel, welche leicht verfrieren, im Durtig unterhalb des Bettes oder unter den Kisten, Koffern, Schränken und in Tonnen, welche die Ecken füllen, aufbewahrt werden. Alles, was die Familie während des Winters bedarf, ist also auf einem klei­nen Raum zusammengedrängt, und ist der Dunst davon oft Monate lang zu ertragen. Dazu kömmt noch der Staub der Spinnräder, die Ausdünstung der Men­schen bei Tage und bei Nacht usw., so daß man sich in der That oft wundern muß, wenn diese in einem solchen Raum noch gesund bleiben. …

 

Das Verhältnis der Heuerleute zu ihren Colonen beschreibt Funke als im allgemeinen recht gut und patriachalisch und durch gegenseitige Rücksicht­nahme gekennzeichnet. Er beklagt jedoch, daß der „moderne Zeitgeist die vorhandenen sittlichen Bande zerreißt“ und sich verderblich auswirkt. Er dachte dabei an die wachsende Entfremdung zwischen Colo­nen und Heuerleuten, auf die er zum Schluß des 8. Kapitels nochmal eindeutig hinweist (siehe dort in den betr. Erläuterungen).

Zum Schluß der Einleitung stellt Funke dann fest, daß in den vergangenen Jahrzehnten die Heuer­leute zunehmend verarmt sind, da ihnen die notwen­digen Erwerbsquellen fehlen. Die einzelnen Gründe sind in den folgenden Kapiteln 4 – 8 genauestens beschrieben. Als Beweis der großen Not schreibt er:

… Es muß in der That schlimmer stehen, als man meist zu glauben geneigt ist, wenn Schulen da sind, in welchen 1/4, ja sogar 1/3 der zu unterrichtenden Kinder arm sind, so daß für sie das Schulgeld aus Armen- oder Communalmitteln bezahlt werden muß; und dies ist in Ortschaften der Fall, wo vielleicht noch vor wenigen Jahren das fünfzehnte oder höch­stens das zwölfte Kind ein armes war. Alle diese armen Kinder sind aus dem Stand der Heuerleute.

 

Zu Kapitel 4

Da in diesem Kapitel interessante Angaben zur Lan­deskultur des ganzen Fürstentums Osnabrück ge­macht werden, folgt hier der Text in ungekürzter Originalfassung.

  • 4

Einfluß der Bodencultur auf die Lage der Heuer­leute

In den verschiedenen Theilen des Fürstenthums Osna­brück sind die Verhältnisse der Heuerleute keineswegs sich durchweg gleich, wenn sie auch überall drückend sein mögen. Freilich ruhen sie überall auf der glei­chen Grundlage; allein hierbei treten so viele Modifi­cationen ein, daß nicht blos die Lebensweise in dem nördlichen Theile (den Aemtern Fürstenau, Bersen­brück, Vörden und dem gegenwärtig mit Wittlage combinirten Hunteburg) und in den südlichen (den Aemtern Osnabrück, Iburg, Grönenberg und Witt­lage) vielfach verschieden ist, sondern häufig auch in ganz nahe bei einander liegenden Kirchspielen. Der fruchtbarere Theil des Fürstenthums ist im ganzen der südlichere. Im Amte Grönenberg kommen (vergl. Osnabr. Hausfreund, 1845, Nr. 11) auf die Qua­dratmeile 6100 Einwohner[7]; dieses Amt ist fast über­all gleichmäßig bebauet[8], eignet sich ganz vorzüglich zum Flachsbau und hat nur geringe Gebirgsstrecken und so gut als gar keine Heidestriche. Die Lage der Heuerleute ist hier indeß vorzugsweise ungünstig, weil die Gemeinheiten[9] so gut als ganz fehlen und ihr Haupterwerb hier von je her Spinnen und Weben gewesen ist. Ueberall zeigt sich, daß gerade die fruchtbareren Gegenden es sind, in welchen die Heu­erleute am wenigsten gut fortkommen, obwohl es ihnen keineswegs an Betriebsamkeit fehlt.

Nach Grönenberg kömmt das Amt Wittlage im engeren Sinne, welches ebenfalls durchweg fruchtbar ist, wenn auch schon auf die Gebirge eine größere Fläche fallen mag, und mehrere Bruchstriche vorhan­den sind; indeß sind die Bruchstriche zum großen Theil in Wiesen umgewandelt. Jedenfalls gehört das eigentliche Wittlage zu den freundlichsten und ange­bautesten Gegenden des Fürstenthums. Im hinzuge­kommenen Amte Hunteburg ist das Verhältniß ein anderes. Die Höhen, von welchen Wittlage durchzo­gen wird, setzen sich zwar in den Kirchspielen Oster­kappeln und Venne fort; allein das Laubholz schwin­det allmälig, namentlich hat Osterkappeln mehrere unfruchtbare Gebirgsstrecken; wohl angebaut dage­gen ist die nordöstliche Abdachung nach der Hunte und zum Theil deren Niederung um Bohmte, obwohl es auch hier in nördlicher Richtung an Heide nicht fehlt. Der ganze nördliche Theil des Amtes besteht aus großen Mooren und Brüchen, von welchen Hun­teburg halbinselartig von drei Seiten umgeben wird. Für die Cultivirung dieser Moor- und Bruchstriche, des Venner, Schweger, Cappeler und Welplager Moo­res und der eben benannten Brüche, kann jedenfalls noch viel geschehen und zwar sowohl durch Trocken­legung des Moores als Bewässerung der Bruchstriche, welches beides, mag auch der Fall des Gewässers nur gering sein, doch gewiß sehr wohl auszuführen wäre, zumal wenn hier eine Verbindung der Hase und Hunte bewirkt würde.

Wenn in Wittlage die Verhältnisse der Heuerleute sehr ungünstig erscheinen, weil Spinnen und Weben vorzugsweise als Erwerbsquellen zu betrachten sind, so stellen sich ihre Umstände in Hunteburg, wo es noch viele unbebaute Heide-, Bruch- und Moorflä­chen gibt, schon besser heraus, zumal da im ganzen in dieser Gegend die Wiesen gut sind, so daß verhält­nißmäßig viel Rindvieh und in den Bruchgegenden auch Gänse gehalten werden können. Im combinirten Amte Wittlage-Hunteburg kommen 4007 Einwohner auf die Quadratmeile,  obwohl Wittlage nicht gerin­ger bevölkert ist, als Grönenberg.

Der gebirgigste Theil des ganzen Fürstenthums ist das Amt Iburg, und wenn auch die nähere Ge­birgsumgebung des reizenden Iburg schön und lieb­lich sein mag, so können wir doch nicht alle Berge so nennen, indem die höheren derselben meistens kahl und öde sind; doch findet man an deren Fuße oft schöne Thäler, meistens von einem Bache bewässert, in welchen für die Wiesencultur gewiß noch Vieles geschehen könnte. Fruchtbar ist besonders der östli­che Theil des Amtes, wogegen die südwestliche Abda­chung des Gebirges nach dem Münsterschen Flach­lande große Heiden und kleine Moorstriche hat; doch kommen trotzdem 4237 E. auf die Quadratmeile. Auch hier ist besonders im östlichen Theile des Amtes der Flachs- und zugleich der Hanfanbau bedeutend. Das sog. Schier- und Segeltuch wird hier vorzugs­weise verfertigt.

Am wenigsten angebaut und auch bevölkert ist, wenn wir die Stadt Osnabrück nicht mit zählen, unter den südlichen Aemtern das Amt Osnabrück. Frucht­bar ist besonders die nähere Umgebung der Stadt Osnabrück und der oberhalb derselben an der linken Seite der Hase belegene Theil des Amtes; der nördli­che und östliche berg- und hügelige, also durchweg sehr unebene Theil mag fast eben so viele Sand-, Heide und Bergstriche haben, als angebautes Land und Wiesen. Mit Einschluß Onabrücks wohnen hier auf der Quadratmeile durchschnittlich 4923 Men­schen, ohne dasselbe 3993.

Weniger bevölkert ist der nördliche Theil des Fürstenthums. Der Boden ist hier mit Ausnahme der Hasegegenden wenig zum Flachsbau geeignet; daher waren hier die Heuerleute mehr auf den Ackerbau  gewiesen und gingen sodann auch mehr als aus dem südlichen Theile als Handarbeiter nach Holland. In den Heidegegenden, wo Schafe gehalten werden konnten, als die Marken noch nicht geteilt und mit Kiefern besamt waren, und theilweise noch gehalten werden, trat und tritt strichweise noch jetzt die Wollarbeit als Beschäftigung für die Nebenstunden statt der Bearbeitung des Flachses und Hanfes ein; doch findet dabei der bedeutende Unterschied statt, daß die Wollarbeit nie die Hauptbeschäftigung der Heuerleute gewesen ist, wie solches von der Arbeit in Flachs und Hanf zu behaupten steht. An der unteren Hase, wo der Flachsbau wieder bedeutender ist, hat man sich weniger auf Weben als auf Spinnen gelegt; indem nur Garn in bedeutenden Quantitäten von da in den Handel kam, wogegen der Absatz des Leinens immer unbedeutend geblieben ist.

Das Amt Vörden ist zwar an der Hase wohl an­gebaut, doch gibt es hier weite Heidestriche ( das Wittefeld) und Moore (das große Moor zwischen Vörden und Hunteburg); Am fruchtbarsten ist, wie­wohl nicht durchweg, das Kirchspiel Bramsche. Das Amt zählt 2649 Einw. auf die Quadratmeile. Der größte Theil der Population kommt auf die Hasege­gend, welche deßhalb sehr bevölkert ist, weil hier gute Wiesen eine erhöhte Agricultur möglich machen. Für die Anlage künstlicher Wiesen ist hier schon Vieles geschehen und wird noch unendlich viel mehr geschehen können. Freilich ist der Boden hier beson­ders im sog. Wittenfelde sandig, aber doch nicht der Cultur wiederstrebend; bei der niedrigen Lage würde wenigstens für einen Theil desselben wohl eine Be­wässerung möglich sein.

Das bevölkertste Amt in diesem nördlichen Theile ist Bersenbrück; in diesem Amte gehört das sog. Artland, die fruchtbare Niederung an der unteren Hase, welche die Kirchspiele Gehrde, Badbergen und Menslage und die Feldmarken der Stadt Qua­kenbrück umfaßt, zu den bevölkertsten Gegenden des Fürstenthums. Im Amte Bersenbrück kommen 3027 Menschen auf die Quadratmeile. Das Artland mag ungefähr Ein Drittel des Areals einnehmen, welches gegen 22.774 Einwohner zählt. Da von dieser Popu­lation 11.780 auf das Artland kommen, so würde dieses ungefähr 4.000 Menschen auf der Quadrat­meile ernähren. Es ist dies sehr viel, wenn man be­denkt, daß Badbergen Bruch-, Gehrde Bruch- und auch kleinere Heidstriche hat und das auf Menslage an der Nord- und Westgrenze zudem noch ein bedeu­tender Theil des sog. Hahnenmoores und Herberger Feldes kömmt.

Das über 7.200 Einwohner zählende große höher liegende Kirchspiel Ankum ist nur in den niederen Bauerschaften an der Grenze von Badbergen und Menslage fruchtbar, in den übrigen Theilen wird es vielfältig von unangebauten Heidhügeln durchzogen, hat aber schöne Bäche, welche mehr, als geschehen ist, zur Wiesencultur benutzt werden könnten.

Fruchtbarer sind im ganzen die kleineren Kirch­spiele Alfhausen und Bersenbrück, welche unweit der Hase liegen und daher mehr Wiesen haben. Auch enthält der Boden hier mehr Lehmtheile; doch können Flachs, Waizen, Gerste, Raps hier nur an ganz ein­zelnen Stellen gebaut werden.

Auch im Amte Bersenbrück haben wir die Er­scheinung, daß die Noth der Heuerleute im fruchtba­ren Artlande grösser ist als im übrigen Theile und zwar auch wieder aus dem einfachen Grunde, weil sie hier mehr eine gewerbetreibende als ackerbauende war. Würden erst hier solche Culturverbesserungen unternommen, wie es die Natur des Landes verlangt, so könnte es nicht fehlen, daß allen Heuerleuten ge­holfen werden könnte, und daß auch jetzt nicht über zu große Population zu klagen wäre. In keinem Theile des Fürstenthums wird nämlich wohl so leicht der Boden in der Weise durch eine Benutzung der Was­serkräfte umgestaltet werden können, wie na­ment­lich hier es möglich ist, wenn man nämlich aus der Hase unterhalb Bersenbrück links einen Ca­nal ablei­tete, durch welchen eine Bewässerung der unte­ren Bauerschaften des Kirchspiels Ankum und des links der Hase gelegenen Theils der Kirchspiele Bad­ber­gen und Menslage möglich gemacht würde, so daß die niedriger fließende sog. kleine Hase wieder zur Abwässerung diente. Die bereits vorhandenen Wiesen und Weiden würden nicht blos auf das außerordent­lichste verbessert, sondern zudem noch große Gras­flächen hervor gerufen werden, wie sie bis dahin im Fürstenthume nicht zu finden sind.

Der unfruchtbarste Theil des Fürstenthums ist das von Heidestrecken und Mooren durchzogene und dabei überall sandige Amt Fürstenau, wo nur 1.938 Menschen auf die Quadratmeile kommen. Und doch müssen wir behaupten, daß auch hier für die Cultur des Bodens Vieles geschehen könnte, da aus den vie­len Höhen überall Bäche hervorquellen, die aber längst nicht genug benutzt werden, so daß in diesem Amt, zumal die Heidschnucken immer mehr ver­schwinden, viel zu wenig Vieh für die Bedüngung des Ackers gehalten wird. Dazu kommt, daß auf dem mageren Sandboden die Kartoffel, welche dem Boden kein Stroh zurück gibt, unverhältnißmäßig viel gebaut wird, wovon die nothwendige Folge eine stete Ver­schlechterung des Ackerbodens ist. Die Heuerleute finden hier indeß noch besser ihr Auskommen als in vielen anderen Gegenden; deßhalb ist im Ganzen die Auswanderung, das Kirchspiel Bippen ausgenommen, noch nicht sehr bedeutend geworden.

Es ist einleuchtend, daß die verschiedene Boden­cultur des Fürstenthums auch auf die Heuerleute einen nicht zu verkennenden Einfluß übt. In Gegen­den, welche wie Grönenberg, das eigentliche Witt­lage, das südöstliche Iburg und Osnabrück und das ganze Artland, sehr bevölkert sind, kann der Colon dem einzelnen Heuerlinge weniger Land zur Bebau­ung geben, als dies in den minder angebauten Land­strichen der Fall ist. Oft sind es nur wenige Scheffel Saat, durchweg aber nicht soviel, daß der Heuerling das nöthige Brotkorn selbst bauen, geschweige etwas zum Verkaufe erübrigen kann. Es ist mithin nothwen­dig, daß eine Heuerlingsfamilie sich nebenbei etwas erwirbt, und dies geschah besonders in den genann­ten Theilen des Fürstenthums in dem Maße, daß wir sie in Beziehung auf die Heuerleute gar nicht acker­bauende, sondern nur gewerbetreibende Gegenden nennen können. Da die fruchtbaren Striche im Süden und die ganze Haseniederung im Norden sich sehr wohl zum Flachsbau eignen, so ist Spinnen und We­ben von jeher ein Haupterwerbszweig der ländlichen Population, besonders der Heuerleute gewesen, wie denn ja auch ein Spinnrad das alte Osnabrücksche Wappen ist. Auch Hanf gedeiht zum Theil recht gut, z.B. in dem südwestlichen Striche des Amtes Iburg, von wo aus hänfene, sogenannte Löwendleinen und Segeltücher in den Handel kommen.

In den nördlichen Aemtern wurde, die Gegend um Bramsche etwa ausgenommen, wenig Leinen zum auswärtigen Verkaufe gewebt, dagegen ist das Garn früher in großen Quantitäten nach Holland verkauft worden. Aus Menslage z.B. ging es vorzugsweise nach Enschede. In den unfruchtbaren Heidegegenden, wo Flachs nur in geringer Quantität und dabei von schlechterer Qualität gebaut werden konnte, wandte sich die häusliche Industrie der Wolle zu. Die großen Heideflächen gaben Gelegenheit, mit wenigen Kosten Heidschnucken zu halten, aus deren Wolle man ent­weder Strümpfe strickte oder das sogenannte Wol­laken bereitete und nach Holland absetzte.

 

Zu Kapitel 5

Der Verfall der häuslichen Industrie in Flachs,
Hanf und Wolle.

Zu diesem Thema schrieb Funke mehrere Seiten. Eingehend hat er die verschiedenen Probleme der häuslichen Textilverarbeitung beleuchtet. Es würde hier zu weit führen, wenn die an sich sehr interessan­ten Aspekte ausführlich beschrieben würden. Es ist allerdings erstaunlich, wie genau Funke auch über die internationalen Bezüge wie Zölle, Schiffsfrachtbedin­gungen, Einfluß der Baumwolle usw. informiert war. Kurz gefaßt kann man folgende Gründe für den Nie­dergang der heimischen Textilindustrie angeben:

  • Der Verdienst beim Spinnen von Flachs lohnte die Arbeit nicht mehr, so daß zum Teil schon der Flachs unverarbeitet verkauft wurde.
  • Das Weben von Leinen und Wollaken, daß an­fänglich einen besseren Verdienst versprach, wurde ebenfalls zunehmend unrentabler[10]. Die Gründe dafür sind die Konkurrenz der neuen Webmaschinen, die vermehrte Einführung von Baumwolle und Handelsbehinderungen durch Zölle beim Versand von Leinen in die tropischen Länder.

Funke betont in diesem Kapitel noch besonders, das die Heuerleute z.B. in den Kirchspielen Berge und Bippen nicht ganz so hart betroffen seien, da das dortige Verarbeiten von Wolle immer nur eine Ne­benbeschäftigung gewesen sei. In den Gegenden mit Flachsanbau und -verarbeitung sei dies wegen des hohen Arbeitsaufwandes fast die Hauptbeschäftigung der betroffenen Heuerleute gewesen.

 

Zu Kapitel 6

Die Verringerung des Verdienstes in Holland

Obwohl in der Heimatliteratur über die Hollandgän­ger viel berichtet worden ist, sollen hier doch einige authentische Aussagen des Zeitzeugen Funke aus­zugsweise angeführt werden.

… Als Handarbeiter, die nach Holland gehen, sollen jährlich gegen 25.000 die Brücke zu Lingen passiren. … Die Beschäftigung ist eine Verschiedene; doch ziehen die meisten dieser Arbeiter als Grasmä­her und Torfbaggerer fort. Andere sind Gärtner, Maurer, Tischler, Zimmerleute, Leimkocher, Matro­sen, Musikanten u.s.w. … Die Grasmäher gehen vorzüglich nach Nordholland, die Torfbaggerer mehr nach Groningen und Westfriesland; jene sind in der Regel ungefähr zwei Monate abwesend, ihr Verdienst betrug früher reichlich 30 bis 40 holländische Gul­den, welche sie frei zu Haus brachten; gegenwärtig ungefähr 20 holländische Gulden (= 10 Thaler Gold); diese sind gegen drei Monate abwesend und mochten früher wohl 100 holländische Gulden mit­bringen, wogegen sie jetzt 30 bis 40 Gulden mitzu­bringen pflegen. …

Eine große Heuer, bei der viel Land zu bestellen ist. konnte unter solchen Umständen, wo die Frau mit Kindern, die der Pflege vielleicht noch bedurften, allein zurückbleiben mußte, früher den Hollandgän­gern nur eine Last sein; sie wünschten sie daher auch gar nicht zu erlangen. Als noch 30 – 40 Gulden freies Geld in 6 Wochen und 80 – 100 Gulden in einem Vierteljahr verdient wurden, konnten die Pachtgelder beinahe  aus Holland geholt werden, wenn die Heuer nicht zu groß war. Der Verdienst mit Spinnen, Weben und sonstiger Handarbeit reichte dann für die weitere Unterhaltung einer Familie beinahe aus, zumal wenn  aus der Viehzucht auch noch Geld gemacht werden konnte. Es ist dieses alles jetzt wesentlich anders geworden. …

… Ganz versiegen wird diese Erwerbsquelle zwar nicht, indem die Holländer beim Torfbaggern und Grasmähen für den Augenblick mehr Leute nöthig haben, als das Land giebt; allein bei der Abnahme des Reichthums in Holland ist nicht daran zu denken, daß sie je wieder reichlicher fließen wird, zumal da die Holländer anfangen, solche Arbeiten, wie Heuen und Grasmähen, sogar das Torfbaggern selbst zu über­nehmen. …

… Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß die Hol­landgänger nicht sehr alt werden – und wie könnte dieses auch wohl anders sein! Bei Tage Erhitzung und bei Nacht Erkältung, da sie kein Bett zu sehen be­kommen; dabei schwere Arbeiten mitunter halb im Wasser, und sogar noch schlechte Kost, indem sie sich alles, was nur möglich ist, abdarben; – welche Gesundheit könnte da für die Dauer bestehen! Als Hungerleider kehren sie zu ihren Familien zurück, nicht selten schon den Todeskeim in sich tragend. Welken sie dann frühzeitig dahin, so fällt meist die Familie der Gemeinde zur Last …

… Gutes Geld wurde früher auf holländischen Schiffen verdient. Zwar hat dieser Erwerb noch nicht völlig aufgehört, ist aber für das Ganze von keinem Belang mehr. Da der holländische Seeverkehr nie wieder das werden kann, was er früher war, vielmehr fortwährend abnehmen wird, so ist nicht daran zu denken, daß je wieder das Verhältniß einer früheren Zeit eintreten wird, in welcher Viele aus unserem Fürstenthume (besonders aus dem Kirchspiele Gehrde, auch aus Menslage) in ihren kräftigen, jün­geren Jahren auf Fahrten nach Ost- und Westindien und durch Theilnahme am Herings- und Wallfisch­fange in kurzer Zeit ein kleines Vermögen erworben haben, ja mitunter zu einigem Reichthume gelangt sind.

Fassen wir zusammen, was wir über den Handel und Verkehr mit Holland und über die Handarbeiten daselbst andeuteten, so dürfte die einfache Schluß­folge sein, daß die materiellen Vortheile, welche die hiesige Gegend von dort her hatte, sich fortwährend vermindern und daß keine Aussicht da ist, wie es in dieser Hinsicht besser werden kann; Daß es aber gegenwärtig bei dem  geringen Verdienste für Famili­enväter vortheilhafter ist, hier zu bleiben, als ihre Kräfte dem Auslande zuzuwenden, mögen auch noch immer unverheirathete junge Arbeiter, die hier nichts versäumen, dort leichter sich ein kleines Capital, womit sie ein eigenes Hauswesen anfangen, erwer­ben, als es hier in der Regel möglich ist.

 

Zu Kapitel 7

Die Nachtheile der Markentheilung für die Heuer­leute

In diesem Kapitel beschreibt Funke die Nutzung der gemeinsamen Mark durch die Heuerleute vor der Teilung.

  • Freier Vieheintrieb in die gemeinsame Weide. Sowohl Rindvieh, Schweine als auch Gänse. In Heidegegenden, wie in den Kirchspielen Berge und Bippen, auch Schafe. Durch eine relativ große Viehhaltung gewannen die Heuerleute durch die nächtliche Aufstallung viel Dünger für ihren Acker.
  • Freie Plaggengewinnung für die Ackerdüngung.
  • Freie Torf- und insbesondere Sandtorfgewinnung für die Feuerung. Freie Entnahme von Abfallholz ebenfalls für die Feuerung.

Nach der Teilung der Mark, die hauptsächlich in den Jahren zwischen 1820 und 1835 vorgenommen wurde[11] verloren die Heuerleute die oben aufgeführ­ten Nutzungsrechte, da ihnen kein Rechtsanspruch auf Beteiligung zustand. Die frühere Nutzung war ihnen als Mitglieder der jeweiligen Höfe gewährt worden.

Die fehlende Nutzung der Mark machte sich bei den vorgenannten Einnahmeausfällen bei der Flachs­verarbeitung und durch den geringeren Verdienst in Holland besonders schmerzlich bemerkbar.

Funke erklärte ausdrücklich, daß die Markentei­lung äußerst ungerecht gegenüber den Heuerleuten war und diese nicht hätten ausgeschlossen werden dürfen. Er schreibt:

… allein die Lage der Heuerleute hat sich da­durch nicht verbessert, sondern verschlechtert. Ein­mal wurde dieser Boden der Gesamtheit, wozu vor der Theilung die Heuerleute mit gehörten[12], entzogen und ging in den Privatbesitz über, so daß sie weiter keinen Nutzen davon hatten; und sodann wurde dieser getheilte Boden großentheils durch ihre Kräfte urbar gemacht, ohne daß ihnen der eigentliche Vortheil zufiel. …

… Freilich wurden in den Markentheilen oft neue Häuser von den neuen Eigenthümern derselben auf­gebaut und so manchen Familien eine Wohnstätte verschafft; nur müssen wir hinzusetzen, daß die Lage dieser Familien gewöhnlich eine solche war, daß sie sich wenig ihres Lebens freuen konnten. Wir glauben wenigstens dieses mit Sicherheit annehmen zu können, indem es durch diese nicht vorbereitete Vermehrung der Population dahin gekommen ist, daß unter 10 Heuerfamilien nach der Steuerrolle oft nicht mehr 1 oder 2 sich befinden, welche Personensteuer bezah­len. Die besitzlose Bevölkerung, das Proletariat unse­rer Fürstenthums, ist durch die Markentheilung ver­mehrt worden, was wir keineswegs als ein Glück für den Staat ansehen können; deren Wohlstand aber bedeutend verringert, was wir sehr beklagen müssen, und zwar um so mehr, da der Mensch, wenn ihn die schwere Noth des Lebens immer von neuem nieder­drückt, wenn all sein Sinnen und Trachten nur darauf hingeht, wie er sein Leben von einem Tage zum ande­ren fristet, am Ende alle Empfänglichkeit für die tieferen, sittlichen und religiösen Lebensrichtungen verliert. …

In den weiteren Ausführungen dieses Kapitel geht Funke auf den sittlichen und religiösen Aspekt der Verarmung noch eingehend ein. Dies entsprach na­türlich seiner Aufgabe als Seelsorger und gleichzeitig auch als Aufsichtsperson für die Schulen. Er beklagte sehr, daß die Kinder der Heuerleute vielfach zuviel mitarbeiten mußten – insbesondere als Viehhirten – und es sehr schwierig sei, sie auch nur einige Tage in der Woche zum Unterricht zu bekommen. Durch den mangelnden erzieherischen Einfluß befürchtete er eine zunehmende Verrohung und einen sittlich-religiösen Verfall bzw. eine Verwahrlosung.

 

Zu Kapitel 8

Die unbestimmten Dienste oder die Haushülfe

Die Preise für die Heuerstellen wurden nicht verrin­gert, obwohl die Nutzung der Mark entfallen war. Die Hausmiete war im allgemeinen nicht sehr hoch, aber die Hilfe, die die Heuerleute leisten mußten, wurde eher noch erhöht, da durch die neuen Grund­stücke aus der Mark mehr Arbeit auf den Höfen an­fiel. Diese sogenannten ungemessenen Dienste waren für den Heuermann besonders drückend, d. h. in vielen Fällen war die Hilfe, die ein Heuerling leisten mußte, nicht exakt festgelegt.

Funke betonte ausdrücklich, daß die Verhältnisse auf den Höfen in bezug auf die Heuerleute sehr unter­schiedlich waren. Aber neben harmonischen gab es doch wohl auch viele Fälle, in denen der Bauer zu­wenig Rücksicht auf seine Heuerleute nahm. Funke schreibt dazu u.a.:

Nicht selten tritt auch der Fall ein, daß die Heu­erleute plötzlich auf einzelne Stunden von dem Colo­nen zur Arbeit aufgerufen werden, was besonders nachtheilig ist, indem sie alsdann oft mitten in ihren Arbeiten dieselben liegen lassen müssen. Häufig wird ihnen dann nicht einmal die Kost verabreicht. Sind die Colonen billig[13], so muß das Drückende, welches in der Haushülfe liegt, in einem gewissen Grade schwinden. Ganz anders aber stellt sich das Verhält­niß heraus, wenn bei ihnen die Rede: „Wenn wir pfeifen, so müssen die Heuerleute kommen,“ eine Wahrheit geworden ist; – und Beispiele, wo solches der Fall ist, sind in der That nicht selten.

Es sind uns Fälle bekannt, wo sich die Heuerleute schon zur Ruhe niedergelegt hatten, als Bestellung zu Handdiensten auf den folgenden Tag Statt fanden, und wo auf die wohlbegründete Vorstellung, daß dieses nicht wohl möglich sei, indem sie dann selber bereits angefangene Arbeiten, die durchaus beendet werden müßten, zu ihrem größten Nachtheil liegen lassen genöthigt würden, nichts anderes erfolgte, als die Antwort: Ihr sollt kommen. …

… Wir können Beispiele[14] anführen, wo sie, ohne dem Heuermanne, mag er auch noch so nahe woh­nen, die geringste Nachricht zukommen zu lassen, wann die Hülfe stattfinden soll, sondern ohne weite­res, meist wenn das Wetter für die eigene Arbeit zu ungünstig erscheint, mit Pferden, Pflug und Wagen ankommen, um den Acker zu bestellen, mag der Heu­ermann zu hause sein oder nicht. Muß nicht solche Rücksichtslosigkeit, die ja leicht vermieden werden könnte, bei dem Heuermanne Bitterkeit erwecken?

Wir sind es jedoch der Wahrheit schuldig, hier zu bemerken, daß die Anzahl der Colonen, welche es mit ihren Heuerleuten wohl meinen, nicht gering ist, und daß in solchem Falle das Verhältniß ein durchaus billiges wird, so daß beide Theile sehr wohl mit den gegenseitigen Prästationen[15] bestehen könnten, wenn nur die übrigen Lebensbedingungen für die Heuer­leute günstiger wären.

Funke brachte noch weitere Beispiele und kam endlich zu dem Schluß, daß schriftliche Kontrakte mit genau festgelegter Hilfeleistung notwendig seien. Es ist merkwürdig, daß Funke die 1845 im Kirchspiel Menslage geschlossene Vereinbarung[16] zwischen Grundbesitzern und Heuerleuten nicht anführte. Denn in dieser Vereinbarung waren gerade die von ihm beklagten Mißstände einvernehmlich – zumindest versuchsweise – beseitigt. Man kann nur annehmen, daß er diesen Text schon vorher geschrieben hatte (siehe Einleitung) und dann bei der Buchausgabe nicht daraufhin korrigierte. Eine andere Möglichkeit ist, daß die genannte Vereinbarung relativ wirkungs­los geblieben war.

Deutlich schilderte Funke aber auch eine gewisse Entfremdung zwischen den Grundbesitzern und den besitzlosen Heuerleuten. Die wirtschaftliche Lage der Grundbesitzer hatte sich im Gegensatz zur Lage der Heuerleute allgemein verbessert. Funke sah etwa jetzt das Verhältnis so, wie es früher zwischen den Besit­zern der Höfe und den eigenbehörigen Bauern war.

… Wie früher der Gutsherr die Eigenbehörigen im Gegensatz von sich „Leute“ nannte, ebenso redet jetzt bereits der Colonus von „Leuten“, wenn er im Gegensatz von sich die Heuerleute bezeichnen will.

 

Zu Kapitel 9

Die Schul- Kirchen-, Communal- und Staatslasten
der Heuerleute

In diesem Kapitel beschreibt Funke die einzelnen Abgaben, Steuern und Schulkosten der Heuerleute. Allgemein hält er diese für niedrig und wenig bela­stend. Er möchte die Heuerleute eher noch mehr in die gemeindlichen Abgaben und Hand- und Spann­dienste eingebunden sehen. Sie sollten mehr vollwer­tige Glieder der Gemeinschaft sein, da:

… Politisch sind die Heuerleute durchaus unselb­ständig, indem sie weder als Mitglieder der Gemeinde noch des Staates auf irgend eine Weise vertreten sind[17], und doch bilden sie 2/3 der Bevölkerung unse­res Fürstenthums! Ja, nur zu oft werden sie als eine so gut als gar nicht vorhandene Menschenklasse be­trachtet. Auf Bauerschaftsversammlungen nicht ein­mal erscheinen sie mit; Verordnungen, welche dort bekannt zu machen sind und eben deshalb den Vor­stehern von der Obrigkeit zugehen, gelangen deßhalb nicht zur Kunde derselben; so geschieht es denn häu­fig, daß sie wider Gesetze fehlen, von deren Vorhan­densein sie gar keine Ahnung haben. Es wäre in der That wünschenswerth, daß es in dieser Hinsicht an­ders würde, und daß man namentlich bei Gemeinde­angelegenheiten das Interesse der Heuerleute wenig­stens nicht völlig außer Acht ließe.

 

Zu Kapitel 10

Der Luxus und die Vergnügungssucht

Ausführungen zu diesem Kapitel wollen wir uns er­sparen, da Funke hier allzusehr – jedenfalls nach unseren heutigen Vorstellungen – ganz allgemein einen Sittenverfall sah und beklagte. Zu wenig Spar­samkeit, dazu Putzsucht und Alkoholismus sind ja Themen, die zu allen Zeiten den jüngeren Leuten oft von der älteren Generation vorgeworfen werden. Außerdem gingen seine Vorwürfe hauptsächlich an die Dienstboten und gehörten demnach eigentlich gar nicht zum Thema seines Buches. Trotzdem widmete Funke diesem Punkt fast sechs Seiten.

 

Zu Kapitel 11

Die Stimmung der Heuerleute

Grundsätzlich erklärte Funke in diesem Kapitel, daß die Stimmung unter den Heuerleuten sehr schlecht sei und dies auch aus den dargelegten Gründen. In den vorhergehenden Abschnitten hat er ja m.E. auch sehr sachlich und deutlich die schwierige Lage derselben geschildert. Jetzt brachte er aber einen anderen Aspekt mit hinein:

… Es läßt sich zwar nicht leugnen, daß die Noth der Heuerleute, wie wir solches glauben nachgewie­sen zu haben, allerdings in den letzten Jahrzehnten  groß genug geworden ist; aber wenn die Behauptung wahr ist, daß Armuth an sich weder für ein Volk noch für den Einzelnen ein Unglück ist, wenn Religiosität, Einfalt und Sittenreinheit vorhanden ist: so findet diese Behauptung auch auf die Verhältnisse der Heu­erleute ihre Anwendung; denn gewiß würde die Noth derselben nicht so groß geworden sein, wenn mit einer lebendigen Religiosität die Einfalt des Gemüths und die Sittenreinheit bewahrt wäre. Weil aber bei zu Vielen der feste religiöse Grund verloren gegangen ist, so fehlt auch die rechte Ergebung und Geduld, welche im Vertrauen auf Gott ausharrt, und jene Hoffnung, welche nicht zu Schanden werden läßt.

Daß man in Zeiten der Noth sich schicken, sich einschränken und entsagen und entbehren, dabei aber mit verdoppelter Kraft arbeiten muß, davon will man nichts wissen. …

Wie oft hat Funke im vorherigen Teil eindeutig darauf hingewiesen, daß die große Not ihre Ursachen nicht bei den Heuerleuten selbst hatte. Und dann diese Gedanken, daß ihnen der rechte Glauben und die Ergebung in ihr Schicksal fehlen würden. Hiermit schob er ihnen einen Teil der Schuld selbst zu, gerade so wie heutzutage, wenn von verschiedenen Leuten z.B. den Arbeitslosen, unterschwellig auch eine Mit­schuld an ihrer Lage gegeben wird. Es klingt nach Selbstgerechtigkeit und sollte wohl eine allgemeine Warnung sein, sich in ein „Gottgewolltes Schicksal“ oder in die „Gottgewollte Ordnung“ zu fügen.

Zum Schluß des Kapitels relativiert er allerdings seine anfänglichen Aussagen, indem er schrieb:

… Wir müssen bekennen, daß sehr oft die Heuer­leute von vornherein in Lebensverhältnisse versetzt werden, in welchen ihnen ein sittlich-religiöses Le­ben, wenn auch geradezu nicht unmöglich gemacht, doch sehr erschwert wird, indem der feste gesunde Boden fehlt, auf welchem es sich entwickeln kann; die Sorge und Arbeit um das tägliche Brot reibt eine Heuerfamilie nur zu häufig, leiblich wie geistig, völ­lig auf. …

Funke bemerkte dann aber doch noch wieder, daß es früher besser gewesen sei – mit der Sparsamkeit und Ordnungsliebe. Die jungen Leute wären als Dienstboten durch reichliche Löhne usw. bei den Colonen verwöhnt (!), und jetzt als Heuerleute im eigenen Hauswesen könnten sie sich nicht an die frühere Sparsamkeit gewöhnen.

Es paßt in diesem Kapitel alles nicht recht zu­sammen – jedenfalls nicht für uns in unserer jetzigen Gedankenwelt, obwohl sich einem merkwürdige Analogien zur heutigen Zeit aufdrängen.

 

Wir kommen jetzt zum zweiten Teil des Buches mit dem Untertitel:

 

Mittel zur Verbesserung der Lage der Heuerleute

 

Zu Kapitel 12

Die Einwirkung der Auswanderung nach Amerika
auf den Zustand der Heuerleute

Bei der zunehmenden Verarmung[18] sah es Funke als ein Glück an, daß eine bedeutende Auswanderung in die USA stattfand. Nachteilig sei jedoch der enorme Kapitalabfluß. Sinngemäß schrieb er:

Aus Menslage sind in den letzten 10 Jahren (1836 – 1846) beinahe 400 Personen fortgezogen nach den USA, welche an Kapital etwa 30.000 Taler mitge­nommen haben. Das waren etwa 1/8 der Kirchspiels­bevölkerung[19]. Ein weiteres angegebenes Beispiel ist Gehrde, von wo in dem genannten Zeitraum etwa 500 Personen mit über 38.000 Taler auswanderten.

Funke bedauert natürlich auch den Verlust gerade vieler junger, strebsamer Leute. Weiterhin den begin­nenden geringeren Zuwachs an Kindern, da eben viele junge Familien und ledige Heiratsaspiranten den Weg in die USA nahmen. Andererseits wurden durch die Verringerung der Bevölkerung die Bedingungen für die verbleibenden Heuerleute besser. Die Colone mußten sich umstel­len:

… Auch in sofern hat die Auswanderung wohltä­tig eingewirkt, als die Behandlung der Heuerleute von Seiten der Colonen bereits eine viel humanere gewor­den ist. Hat derselbe fleißige und sparsame Heuer­leute, so ist er mehr als früher bestrebt, sich diese zu erhalten; auch wird bereits bei den durch mancherlei Unglücksfälle zurückgekommenen größere Nachsicht geübt.

So können wir denn nicht leugnen, daß die Aus­wanderung in vieler Hinsicht für die nach dem dama­ligen Zustande der Agricultur und bei den jetzigen ungünstigen Conjuncturen für Gewerbe und Handel übervölkerten Theile des Fürstenthums Osnabrück wohltätige Folgen gehabt hat; wenn auch oft sehr zu bedauern sein mag, daß manche, meist in der Kraft ihrer Jahre stehenden, tüchtigen Leute dem Vater­lande entzogen werden, unter dessen Schutz und Schirm sie von Jugend an nicht nur leiblich genährt, sondern auch durch Schule und Kirche für ein höhe­res, geistiges Leben erzogen wurden. …

 

Zu Kapitel 13

Die Vergrößerung der Heuern und die Verbesserung der Landwirthschaft durch Wiesencultur

Diesem Thema widmete Funke 22 Seiten seines Bu­ches und damit fast ein Viertel des gesamten Um­fangs. Neben der verbesserten Wiesenkultur behan­delte er aber auch die allgemeine Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsmethoden. Die breit angelegte Behandlung dieser Fragen lassen den Schluß zu, daß Funke ein guter Kenner der Materie war und ihm diese auch sehr am Herzen lag. Ob er aus einer Bauernfamilie stammte, wissen wir nicht, aber zur damaligen Zeit war die Nähe zur Landwirt­schaft allgemein doch noch sehr ausgeprägt.

Grundsätzlich wollte Funke den Heuerleuten durch eine Vergrößerung der Heuerstellen helfen. Dies war in unserer Gegend, die schon stark bevöl­kert war, nur durch intensivere Bodennutzung mög­lich. Die gewerbetreibenden Heuerleute – so bezeich­nete er ja vorne im Buch diese Volksschicht wegen der Flachsverarbeitung und der Saisonarbeit in Hol­land – sollte eine ackerbauende werden. Er gab fol­gende Maßnahmen zur Verbesserung der Landwirt­schaft und zur Erhöhung der Produktionskraft des Bodens an:

  • Schaffung von Rieselwiesen zur Erhöhung der Heuproduktion. Dies war wiederum Vorausset­zung für eine vergrößerte Viehhaltung.
  • Durch vergrößerte Viehhaltung mehr Dünger für das Ackerland, nach dem bekannten Motto: Das Grünland ist die Mutter des Ackerlandes.
  • Beide vorgenannten Maßnahmen als Vorausset­zung für die Kultivierung der mageren Heidesande in der aufgeteilten Mark. Eine Kultivierung ohne Zufuhr von Stalldünger hielt Funke damals für unmöglich und damit sinnlos.
  • Sind nicht genügend Flächen für Rieselwiesen vorhanden, sollte durch vermehrten Futterbau das Verhältnis zwischen Viehhaltung und Ackerbau verbessert werden.
  • Schaffung von Ackerbauschulen zur gründlichen Ausbildung der Landwirte, damit diese alle neuen Erkenntnisse, z.B. von Justus Liebig über den Nährstoffbedarf und -verbrauch der verschiedenen Nutzpflanzen, kennen lernen könnten.

Alle Maßnahmen zielten auf eine verbesserte Boden­kultur hin, damit den Heuerleuten die Möglichkeit für eine lebensfähige Landwirtschaft eröffnet würde. Diese sollten dann besonders intensiv Ackerfrüchte anbauen, die auf kleiner Fläche bei guter Pflege hohe Erträge bringen könnten. Funke sprach von der „Inneren Colonisation“, die dem Lande not täte. Er betonte immer wieder, daß eine große Viehhaltung die Voraussetzung für lebensfähige Heuerstellen sei. Unter anderem sollte dadurch auch eine bessere Er­nährung gewährleistet werden:

… Bei der Vermehrung des Viehbestandes wird der Heuermann bessere und kräftigere Nahrung ge­winnen, als er bisher zu genießen hatte, und zwar nicht nur insofern, als er ohne baare Auslagen gutes Fleisch für den eigenen Haushalt gewinnt, sondern auch, indem er – was wohl zu beachten ist – durch die vermehrte Michproduktion in den Stand gesetzt wird, mit seiner Familie kräftige Milchspeisen zu genießen. Der erschlaffende, leider in hiesiger Gegend nur zu viel getrunkene Kaffee und dessen Surrogate (Cichorien-, Roggen- und Gerstenkaffee etc.) würden dann selbst allmälig verdrängt werden. Es ist aber nicht wohl möglich, derartige, dem Landmanne keine Kraft gebenden Getränke zu verbannen, wenn Milch nur in geringer Quantität da ist und noch dazu Butter daraus gewonnen werden muß. …

Daß die übrigen Bedingungen für die Heuerleute ebenfalls verbessert werden sollten, war für Funke selbstverständlich. Schriftliche Heuerkontrakte, ge­sunde Wohnungen, keine ungemessenen Dienste, jährliche Abrechnungen usw. Diese Forderungen entsprachen eigentlich genau den Punkten der sog. „Menslager Vereinbarung zwischen Bauern und Heu­erleuten, die 1845 abgeschlossen wurde. Dieses Thema griff Funke im Schlußkapitel noch wieder auf.

Ganz allgemein sollte der Heuermann mehr Selb­ständigkeit bekommen und dadurch zu einem aner­kannten und vollwertigen Gemeindemitglied werden. Funke schlug sogar vor, daß die Heuerleute, da sie ja mehr Milchvieh halten sollten, diese zur Anspannung mit nutzen sollten. Dann brauchten sie die bisherige Pferdehilfe des Bauern auch nicht mehr zu bezahlen oder abzuarbeiten. Durch die relativ leichte Arbeit der Kühe würde der Milchertrag nur unwesentlich verringert.

 

Leider kann dies vorliegende Kapitel nicht um­fassend erläutert werden. Es sei auf den Vorsatz zu diesem Beitrag hingewiesen. Funke gab noch eine Fülle von Informationen z.B. über die Landwirtschaft in Belgien und England, die Wirkung einer Wiesen­berieselung, die hohe Bedeutung der Fruchtfolge, die Lage der Heuerleute in den Bezirken Arenberg-Mep­pen, Bentheim und Lingen u.v.m. Außerdem wies er oft auf betreffende Literatur hin.

Funke dachte seiner Zeit weit voraus und wollte auch durch seine Vorschläge anregen und erreichen, daß niemand aus Not seine Heimat verlassen müßte.

 

Zu Kapitel 14

Hebung der Industrie

Zum 1830 gegründeten Menslager Garnverein schreibt Funke in einer Fußnote:

Meistens haben sich solche Vereine, mit oft nicht unbeträchtlichen Einbußen der Theilnehmer, auflösen müssen. So auch ein Garn- und Leinenverein, welcher sich in den Jahren 1830-1831 im hiesigen Kirchspiel bildete und von der königl. Landdrostei zu Osna­brück, welche eine namhafte Summe mehrere Jahre zinsfrei herlieh, unterstützt wurde. Der Verein ließ Garn aufkaufen, gehörig sortiren und daraus breite Leinen, zunächst für Holland, weben. Der Anfang des Unternehmens war nicht ungünstig; man fand einen passenden Markt in Amsterdam und Edam. Bald in­deß lief die Conjunctur ungünstig entgegen, indem die baumwollenen Zeuge den Leinenbedarf in dem Maße verringerten, daß der Verein nur zu sehr nied­rigen Preisen Absatz fand. Die Folge war, daß das Geschäft ungeachtet der nicht unbedeutenden Aufop­ferungen, welche zunächst noch gemacht wurden, aufhören mußte.

Es ist inzwischen durch den Verein bewirkt wor­den, daß man anfing, bessere Garne zu spinnen und breitere und dabei schönere Leinen zu weben; denn es bewährte sich, daß die beste Waare sich am längsten auf dem Markte hielt und den meisten Vortheil brachte. Die tüchtigen und fertigen Weberinnen, welche aus dem Verein hervorgegangen sind, müssen freilich jetzt mehr oder weniger unbeschäftigt bleiben, würden aber unter günstigeren Handelsconjuncturen gewiß mit ihren starken, schönen und breiten Gewe­ben einen vortheilhaften Markt finden.

Vor dem Hintergrung dieser Entwicklung sah Funke nur in einer wesentlichen Verbesserung des Flachsanbaus und Verarbeitung eine Möglichkeit, auch in Zukunft noch an eine zusätzliche Verdienst­möglichkeit für Heuerleute zu denken. Er erklärte, daß z.B. in Belgien und besonders in Irland zwi­schenzeitlich eine enorme Qualitätssteigerung durch neue Verarbeitungsverfahren erfolgt sei. Außerdem sollte der Leinenverbrauch im eigenen Lande vergrö­ßert werden.

Weiterhin wies Funke auf die schwierige Zollsi­tuation für das Königreich Hannover hin und auf den aggressiven Außenhandel der englischen Industrie:

… Die Engländer führen einen Vernichtungskrieg gegen die deutsche Industrie, suchen sie überall aus dem Felde zu schlagen, und wie sehr dieses ihnen auf vielen Puncten gelungen ist, fühlen wir bereits auf das empfindlichste. Bei der Herrschaft, welche die englische Industrie gewonnen hat, wird indeß nicht nur der deutschen Industrie auswärts der Absatz ge­nommen, sondern dieselbe auch im Lande selber gehemmt. …

Ohne einen Zollverein für mindestens ganz Norddeutschland, der direkten Handel mit Übersee ermöglichen sollte, sah Funke jedoch auch für eine verbesserte Flachs- bzw. Leinenproduktion wenig Chancen.

 

Zu Kapitel 15

Schluß

Neben den in den Kapiteln 12-14 gemachten Vor­schlägen zur Verbesserung der Lage der Heuerleute, machte Funke zum Schluß noch weitere Vorschläge:

  • Einrichtung von Sparkassen.
  • Einrichtung von Vieh-Versicherungsvereinen
  • Gründung von Sparvereinen mit Funktionen wie sie später tatsächlich in den Bezugs- und Absatz­genossenschaften verwirklicht wurden.
  • Verbesserung des Armenwesens

 

Weiterhin stellte Funke noch Forderungen bezüglich der Heuerkontrakte auf, die jedoch schon 1845 in einer Vereinbarung zwischen den Bauern und Heuer­leuten grundsätzlich festgelegt wurden. Wie schon in den Erläuterungen zu Kapitel 8 gesagt, hat Funke diese Vereinbarung offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Warum dies so ist, können wir leider heute nicht mehr nachvollziehen. Siehe dazu auch den Beitrag in diesem Heft: „Die Menslager Vereinba­rung zwischen Colonen und Heuerleuten von 1845.“

Zum Abschluß sollen jetzt noch die Schlußworte von Pastor Funke sein seelsorgerisches Anliegen deutlich machen:

… Daher ist unser Hauptaugenmerk bei der Her­vorhebung der Mittel zur Verbesserung der Lage der Heuerleute gewesen, überall darauf hinzuweisen, wie ein solcher Boden [zur Entwicklung der Arbeitskräfte der besitzlosen Bevölkerung] zu gewinnen sei. Damit ist aber noch längst nicht genug gethan; auch die Bevölkerung, welche den Boden gewinnt, muß eine gesunde sein. Diese aber ist nicht bloß durch die gegenwärtige Noth, sondern überhaupt durch die verweltlichte Richtung der Zeit nur zu häufig geistig verkümmert, ja mitunter wirklich verwahrlost. Hier muß das Christenthum mit seiner ganzen Lebensfülle als die läuternde Macht aller Zeiten eingreifen und, alles unlautere Wesen überwältigend, die Keime eines neuen wahrhaft sittlichen und religiösen Lebens wecken und zur Entwicklung bringen.

Wie dem Christenthume diese Einwirkung zu ver­schaffen sei, können wir hier nicht ausführen, da wir uns nur mit den äußeren Lebensverhältnissen einer wieder emporzuhelfenden Volksklasse beschäftigt und nur beiläufig deren neueres Leben berührt haben. Es ist aber die innere Belebung und Kräftigung auch der niederen, vielfältig verkommenen Volkselemente durch die evangelische Wahrheit die große Aufgabe der Zeit, ohne deren Lösung alle äußerliche Hülfe in der Noth nicht wahrhaft Heil und Segen bringen kann.

 

In diesen Schlußworten klingt m. E. die geistige Grundeinstellung mit pietistischen Elementen von Funke an, die dem durch Pastor Möllmann segens­reich aufgeklärten Kirchspiel Menslage wahrschein­lich offenbar geworden war und nicht zeitgemäß erschien. Wie schon eingangs geschildert, wollte man Pastor Funke nicht als Seelsorger haben. Siehe hierzu die unter Fußnote 1 und 2 angegebenen Beiträge. Ob auch seine im Buch geschilderten Sorgen und Vor­schläge zur Lage der Heuerleute ebenfalls zu dieser Ablehnung durch die Colone beitrugen, können wir nicht mehr nachvollziehen.

 

Es gab z.B. auch von der Regierung Bemühungen zur Verbesserung der Lage durch ein „Gesetz, die Verhältnisse der Heuerleute betreffend“, das 1848 herausgegeben wurde. Wahrscheinlich waren aber alle Maßnahmen nur unvollkommen, denn wie in Fußnote 18 gezeigt, hielt die Auswanderung unver­mindert an. Funke schrieb dazu, daß sogar relativ gutsituierte Heuerleute auswanderten, da diese, bevor ihre kleinen Ersparnisse durch die schlechte Lage aufgezehrt seien, vorausschauend sich zur Auswan­derung entschlossen hätten.

 

Trotz aller auch später noch vorgenommenen Verbesserungen, blieb die Lage der Heuerleute immer schwierig und das Verhältnis zwischen Bauern und Heuerleuten immer problembehaftet. Gelöst wurde das komplexe Verhältnis erst nach dem zweiten Welt­krieg durch die allmähliche Auflösung des Systems.

 

 

[1] siehe hierzu: Karl-Heinz Zissow in: „Kirchspiel Menslage, Beiträge zur Geschichte, 1990“, Kirche und Kirchspiel von der Gründung bis 1850, Seite 34/35.

[2] siehe hierzu: Lübbert zur Borg in: „Kirchspiel Menslage, Beiträge zur Geschichte, 1990“, 1845 – Es bleibt uns nur Amerika, Seite 119/125.

[3] „Colon“ war zu der Zeit die allgemeine Bezeich­nung für die Hofbesitzer.

[4] Besonders interessant sind die Ausführungen über die allgemeine Lage der Landwirtschaft im Fürsten­tum Osnabrück, die im Kapitel 4 dargestellt sind.

[5] gemeint sind nach unserem jetzigen Sprachge­brauch „Rücklagen“.

[6] St.A. Osnabrück Rep 360 Mens. Nr. 11, Amtsbe­richt.

[7] Eine (hannoversche) Meile sind 9.348 Meter. Eine Quadratmeile sind demnach 87,38 km².

[8] Gemeint ist hier der landwirtschaftliche Anbau.

[9] Gemeinsam genutzte Mark.

[10] Der Menslager Garnverein von 1830 hatte haupt­sächlich die Vermehrung und Verbesserung der Leinenweberei zum Ziel.

[11] Siehe hierzu auch den Beitrag „Die Markenteilung der Vierbauerschafter Mark“ in diesem Heft.

[12] An dieser Stelle ist folgende Fußnote von Funke eingefügt: In Beziehung hierauf sagt A. v. Haxthausen a.a.O. S.96: „Hut und Weide auf der ganzen Feldmark halten wir für ein Ueberbleibsel jenes uralten Gesamteigenthums, welches allen Gemeindegliedern an der ganzen Feldmark zustand, wovon sie nur stets die Nutznießung, nicht das Ei­genthum besaßen.“ Bei der Theilung sind aber die Heuerleute nicht als Gemeindeglieder angesehen worden. Wir wissen freilich wohl, daß die Heuer­leute auch vor der Theilung rechtlich selber keinen Antheil an der Mark hatten, sondern nur vermöge der Berechtigung ihres Grundherren; allein factisch wurden sie als berechtigt angesehen und mei­stentheils fand gar keine Beschränkung hinsichtlich der Benutzung Statt.

[13] Gemeint ist hier, daß der Colon auf die Arbeiten der Heuerleute Rücksicht nimmt.

[14] Dieses Beispiel gilt für die Pferdehilfe des Bauern für den Heuermann.

[15] Leistungen.

[16] Der Text dieser Vereinbarung ist weiter hinten in diesem Heft wiedergegeben.

[17] Zum Militärdienst waren die Heuerleute jedoch verpflichtet. Funke schreibt, daß fast nur Heuerleu­tesöhne zum Militärdienst kämen, da die Söhne der Grundbesitzer aus verschiedenen Gründen frei­gestellt werden könnten und sich notfalls freikauf­ten.

[18] Funke nennt einige Beispiele: In R(enslage) sind ein Drittel der Schulkinder arm, d.h. die Eltern kön­nen kein Schulgeld zahlen. In Kl. M(immelage) und H(ahlen) ein Viertel. 1845 waren im Kirchspiel von 500 Schulkindern 133 arme.

[19] Bis 1860 waren es dann fast 1.000 Menschen, was etwa einem Drittel entspricht.

Dr. H. Meurer: Lage der Heuerleute

 

In diesem bedeutenden Zeitzeugnis beschreibt Dr. Meurer 1871 auch die wirtschaftliche und soziale Lage der Heuerleute:

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 Das Hollandsgehen mit besonderer Rücksicht auf die Lage der Heuerleute im Osnabrückischen

Von Dr. H. Meurer   1871

Abgeschrieben durch Franz F. Feldkamp, Falkenstraße 14, 49577 Ankum, im Jahre 2013.

Ein Original dieses Buches befindet sich in meinem Besitz.

Mein Freund Pfarrer i. R. Johannes Underbrink (Emsbüren) hat es mir zur Vorstellung des Heuerlingsbuches geschenkt.

 Die Heuerleute, ihre Lage.

In einem großen Teile der Landdrostei Osnabrück gelten auf dem Lande – denn dieses kommt bei unsrer Untersuchung einzig in Frage – die Verhältnisse, welche von Alters her dem Lande Westfalen eigentümlich waren. Noch jetzt leben daselbst, wie es uns schon Tacitus [6]) geschildert hat, die Landbewohner vorwiegend in einzelnen, getrennt liegenden Gehöften, von Äckern, Weisen und Wäldern umgeben. Eine größere oder geringere Anzahl solcher Gehöfte bildet zusammen eine Bauerschaft. Die verschiedenen Bauerschaften, oft auch einzelne Höfe waren vordem in der Regel durch Marken geschieden, das heißt durch nicht bebauten, aus Heiden, Mooren, Brüchen, Holzteilen und dergleichen bestehendem Boden, welcher als gemeinsamer Besitz aller Markberechtigten angesehen wurde.

Die Bewohner sind teils Colonen – so heißen die Hof- und Grundbesitzer – teils Heuerleute, wie die besitzlosen Bewohner auf den Höfen genannt werden, welche von den Colonen Wohnung und dazu gehöriges Land „heuern“, d. h. gegen entsprechende Leistungen in Pacht erhalten. In anderen Gegenden werden die Heuerleute wohl Häuslinge, Einlieger, bisweilen auch Kötter genannt, wiewohl der Name „Kötter“ meistens den Bewohnern von Kotten oder Köttereien, welche aus abgelösten Teilen eines Erbes entstanden sind, beigelegt wird. Neuerdings sind auf kultivierten Teilen der Mark Markkötter oder Neubauer entstanden.

Das ursprüngliche Verhältnis zwischen dem Colonen und seinen Heuerleuten war ein durchaus patriarchalisches, billiges und entsprechendes. Formell bestand zwar Zeitpacht, so dass die Pacht nach einem bestimmten Zeitraume erneuert wurde, indes waren die Fälle, dass ein solches Verhältnis gelöst wurde, sehr selten; in der Regel ging vielmehr die Heuer von den Eltern auf die Kinder über. Und wie der Colon die Wohlfahrt seiner Heuerleute zu fördern bestrebt war, so zeigten diese wieder das größte Interesse für die Blüte des Colonates. Der Pachtpreis war in der Regel sehr billig bemessen. Zwar wurde der Pächter daneben noch durch so genannte „unbestimmte Handdienste“ verpflichtet, diese Arbeitshilfe suchte aber der Colonus durch Gegenleistungen so auszugleichen, dass sie wenig drückte und den Heuerling nicht verhinderte, zu einem gewissen Grade von Wohlhabenheit und häuslichem Glück zu gelangen.

Im Laufe der Zeit hat sich dieses Verhältnis zum Nachteile der Heuerleute wesentlich anders gestaltet. Es ist dahin gekommen, dass die Zahl der besitzlosen Landbewohner die der besitzenden zu sehr übersteigt und dass ihre schlimme Lage längst die Aufmerksamkeit der Staatsbehörden, wie aller Menschenfreunde erregt und zur Abhilfe dringend aufgefordert hat. Nicht bloß sind die den Heuerleuten zugewiesenen Wohnungen oft zu klein, die Schlafstätten unrein, weil die frische Luft meistens abgeschlossen ist, die ganze Wohnung kalt, ungesund und zu wenig auf Befriedigung der Bedürfnisse des Körpers berechnet, sondern er reicht auch der gegenwärtig den Heuerleuten zugewiesene Fruchtboden meistens weder rücksichtlich seiner Größe, noch seiner Beschaffenheit für die wirklichen Bedürfnisse aus, zu geschweigen von den Pachtverhältnissen, welche in der Regel nicht zu Gunsten der Pächter geordnet sind; insbesondere aber sind es die „ungemessenen Handdienste“ oder die „Haushilfe“, welche den Heuermann leicht sehr arg belasten können, wie sie zu Missbräuchen so sehr Gelegenheit bieten.

Je größer die Zahl derjenigen wurde, welche eine Heuer suchten, desto mehr wuchs die Zahl der Heuerhäuser, desto kleiner wurde der den Einzelnen zugewiesene Raum an Wohnung und Land, desto höher stiegen die Anforderungen, welche an die einzelnen Pächter gestellt wurden. Der Acker – durchschnittlich rechnet man 10 – 15 Scheffelsaat zu einer Heuer – reichte kaum für die Bedürfnisse der eigenen Familie aus, so dass daraus kein bares Geld weiter gemacht werden konnte. Die Teilung der Marken verschlechterte die Lage der Heuerleute noch mehr. Es war ihnen unmöglich geworden, bei der allgemein geltenden Bewirtschaftung aus der Ackerwirtschaft die Lebensbedürfnisse zu bestreiten.

Was insbesondere die „Handdienste“ betrifft, so ist es begreiflich, wie leicht die Verpflichtung dazu missbraucht werden kann, und leider ist es nur zu gewiss, dass dieselbe sehr oft missbraucht worden ist. Die „Handdienste“ verpflichten den Heuermann, auf den Ruf seines Colonen zur Arbeit zu kommen, mögen die eigenen, noch so dringenden Arbeiten darüber auch versäumt werden. Mag nun auch der gut und billig denkende Colon eine solche Macht, die ihm über seinen Nebenmenschen in die Hände gegeben ist, nur mit billiger Rücksicht auf dessen Lage und Bedürfnisse zu seinem Vorteil verwenden, so ist es leider unleugbare Tatsache, dass unbarmherzige, wenig wohl denkende Colonen dieselbe für ihren Vorteil fleißig ausgenutzt haben.

Schon der Umstand, dass es notwendig geworden ist, die Heuerleute gegen den Missbrauch der Handdienste durch ein Gesetz zu schützen, beweist diese Tatsache. Im Gesetze vom 24. Oktober 1848 § 1 heißt es: „Der seinem Verpächter zur Arbeitshilfe verpflichtete Heuermann ist, mit Ausnahme der Erntezeit, zur Dienstleistung nur dann schuldig, wenn er tags zuvor vor Sonnenuntergang bestellt ist. In neu einzugehenden oder zu verlängernden Heuer-Verträgen dürfen ungemessene Dienste des Heuermanns bei Nichtigkeit nicht ausbedungen werden.“

Leider wird selbst dieses Gesetz allein die Heuerleute gegen selbstsüchtige, übel wollende Colonen zu schützen nicht im Stande sein, so lange diese Mittel in Händen haben, ihre Heuerleute trotz des Gesetzes ihrem Willen geneigt zu machen. Da gegenwärtig meistens nur kurze Heuern abgeschlossen werden, so ist ein widerwilliger Heuerling beständig mit Pachtkündigung bedroht und muss sich doch wohl oder übel fügen, da die Heuern trotz der unaufhörlich massenhaften Auswanderung nach Amerika immer noch so sehr gesucht sind.

Früher war es allgemein gültiger Gebrauch, dass der Colon für die zu leistende Haushilfe seinem Heuermann wieder mit Pferdehilfe zur Seite stand, auch in manchen andern Dingen aushalf, z. B. indem er dessen Brot in seinem Ofen mit backen ließ und dergleichen. Für den Heuermann waren solche Dienstleistungen von nicht geringem Werte, wenn sie regelmäßig, ordnungsgemäß und zur rechten Zeit geleistet wurden. Letzteres geschah oft aber nicht, der Colonus kam, wenn es ihm eben passte, ohne Rücksicht darauf, ob es die richtige Zeit war, ob der Heuermann davon Kenntnis hatte und Alles in Bereitschaft war, ob der Heuermann die Arbeit so oder so wünschte. Hat nun aber gegenwärtig auch diese Gegenleistung der Colonen meistens längst aufgehört, so sind doch die Heuerleute von ihren Verpflichtungen in nichts erleichtert worden, sie sollen vor wie nach gebunden sein, auf den Ruf des Colonen nicht bloß beim Gras- und Kornmähen und Ernten, beim Flachjäten, beim Pflanzen, Kartoffelausgraben, Waschen und allen ähnlichen Arbeiten zu erscheinen, auch dann, wenn die eigenen Arbeiten darum verschoben werden müssen, wenn dem eigenen Vorteil dadurch Gefahr droht; auch dann, wenn der Colon seine Arbeit ohne erkennbaren Nachteil leicht verschieben könnte.

Ja, manchmal sind die Colonen selbst dann noch nicht befriedigt, sondern verlangen, dass neben der Haushilfe der Heuerling noch, so oft es ihnen dienlich scheint, für geringen Tagelohn zur Arbeitshilfe bereit sei. In der Tat ist es nicht zu verwundern, dass solche Rücksichtslosigkeit den Heuermann mit Bitterkeit erfüllen muss, abgesehen von dem vielfachen Nachteile, welcher ihm dadurch erwächst, und welcher solche Zustände nicht bloß unerträglich, sondern auf die Dauer auch unhaltbar macht.

Die vorgenommene „Teilung der Marken“ endlich hat gleichfalls nicht dazu beigetragen, die Lage der Heuerleute auf den Colonaten zu verbessern. Die Marken boten der Wirtschaft des Heuerlings mancherlei Vorteile, denn sie lieferten Weiden für das Vieh, Plagen (abgestochene Rasenstücke) zum Streuen und Düngen für Stall und Acker, nicht selten auch das nötige Brennmaterial für den Herd. Da das Vieh vom Frühjahr bis zum Spätherbst in den Marken genügende Weide fand, so ward es dem Heuerling möglich, nebenher bald ein Rind, bald ein Schwein oder eine Anzahl Gänse für den Verkauf zu mästen, oder in Heidegegenden eine Anzahl Schafe zu halten. Der freie Plaggenstich gab ihm die Mittel, seinen Acker zu verbessern und so eine größere Ernte zu erzielen. Wenn aber die Marken zugleich auch Schlagholz, Torf oder Soden zu freiem Brand lieferten, so war das ein neuer wesentlicher Vorteil für die Heuerlinge.

Die Teilung der Marken machte allen diesen Vergünstigungen ein Ende. Sind die Heuerlinge dafür in anderer Weise entschädigt worden? Und wenn es nicht geschehen ist, musste dann nicht dadurch ihre Lage wesentlich verschlechtert werden? Woher sollte schließlich, wenn ihm solche Vorteile geschmälert wurden, der Heuermann das Geld für den Pachtzins, für Kleidung, den Unterricht seiner Kinder und so viele andere laufenden Bedürfnisse nehmen, abgesehen von den mancherlei unvorhergesehenen Fällen, z. B. eintretenden Krankheiten, Unglück mit dem Vieh und dergl.

Aus dem Gesagten ist so viel einleuchtend, dass die Lage der Heuerleute unter solchen Umständen eine sehr bedenkliche werden musste und zu den ernstesten Erwägungen Veranlassung gibt. Waren sie bei den früheren patriarchalischen Verhältnissen ganz im Stande, aus ihrer Landwirtschaft ihre bescheidenen Ansprüche zu befriedigen, ja im günstigsten Falle und bei großer Sparsamkeit und guter Wirtschaft sogar für Notfälle noch ein kleines Vermögen zu erübrigen, dagegen nur in außerordentlichen Fällen, z. B. bei lang anhaltenden Kriegen, besondern Unglücksfällen u. dgl. In der Lage, zum Nebenerwerb ihre Zuflucht nehmen zu müssen, so ist es einleuchtend, dass unter den veränderten Verhältnissen der größere Teil derselben durch die Notwendigkeit auf einen Nebenverdienst angewiesen wurde, um den Ausfall zu decken.

Sind auch die Verhältnisse in den Grafschaften vielfach anders gestaltet, als in dem Fürstentume Osnabrück, so ist doch die Lage der besitzlosen Landbewohner davon nicht wesentlich verschieden, wenigstens keine günstigere, als hier. Es gilt also auch von diesen, was wir über Heuerleute im Allgemeinen sagen.

Eine Heuerfamilie, welche etwa aus Mann, Frau und drei Kindern besteht, wird außer demjenigen, was sie zu eigenem Bedarf aus ihrer Wirtschaft zieht, zur Bestreitung sonstiger Ausgaben an Miete, Kleidung, Schulgeld, Heu u. s. w., außerdem einer Summe von mindestens hundert Talern jährlich bedürfen. Ein Teil dieser Summe mag im besten Falle wohl aus dem Erlös von Butter, Eiern, einem gemästeten Stück Vieh, Flachs, Kartoffeln oder sonst der eigenen Wirtschaft irgend entzogen werden kann, gewonnen werden – wenngleich bei sehr vielen Heuerleuten auch dieser Fall nicht anzunehmen ist – immerhin aber bleibt noch eine bedeutende Summe übrig, für deren Deckung zu sorgen ist.

Einzelne Heuerleute fanden früher, wie jetzt, als Handwerker, z. B. als Schneider, Schuster, Maurer, Zimmerleute e. t. c. ein gutes Auskommen. In denjenigen Gegenden, wo der Boden sich besonders für Flachsbau eignet, namentlich in den südlichen Ämtern des Fürstentums und an der untern Hase gaben Spinnen und Weben manchen Heuerleuten einen guten Verdienst; in jenen war die Leinenfabrikation bedeutend, in der untern Hase wurde nur Garn gesponnen und so in Handel gebracht. Wie beträchtlich die Summen waren, welche dadurch in`s Land kamen, wird begreiflich, wenn wir erfahren, dass z. B. im Jahre 1799 allein aus Badbergen für 23.000 Taler Garn, welches hier gesponnen war, nach Enschede versandt wurde. [7])

Seitdem aber die Maschinenspinnerei und Weberei allgemein geworden und das Leinen durch die weit billigere Baumwolle vielfach verdrängt ist, wird für das Handgespinnst nur mehr ein so niedriger Lohn gezahlt, dass derselbe der Mühe und dem Aufwande an Zeit nicht entspricht. Wenn ein guter Spinner täglich 2 – 2 ½ Stück Garn spinnt, so beträgt sein Verdienst 1 ¼, höchstens 1 ½ Sgr. Bei solchem Verdienste ist es begreiflich, wie das Spinnen und wie die Leinwandbereitung im Großen im frühern Maßstabe und der frühern Weise in unserer Gegend fast gänzlich aufgehört hat.

Die nördlich von Osnabrück gelegenen Länder des Landdrosteibezirks sind vermöge der Beschaffenheit des Bodens hauptsächlich auf Ackerwirtschaft angewiesen. Auch die Heuerleute müssen sich auf ihren Ackerbau stützen; als Nebenbeschäftigung wird einzeln Wollarbeit betrieben, da auf den unfruchtbaren Heidestrecken zahlreiche Schafherden unterhalten werden. Wiewohl nun die Bevölkerung hier verhältnismäßig eine weit geringere und die Lage der Heuerleute insofern eine weit günstigere ist, als nicht Gewerbetätigkeit, sondern Ackerbau ihre Hauptbeschäftigung ausmacht und ihnen außerdem mancherlei Gelegenheit geboten wird, auf den zahlreichen Mooren, Brüchen und Heiden allerlei besondere Vorteile sich zu verschaffen, so gilt doch auch hier, dass die Zahl der Heuerleute zu sehr zugenommen hat und dass bei der immer noch geltenden Weise, den Acker zu bewirtschaften – dieses nämlich legen wir überall zu Grunde – in der Regel der zu ihrer Pacht gehörige Acker für den Betrieb einer Nutzen bringenden Ackerwirtschaft nicht ausreicht.

Aber was denn nun? Und was für eine Aushilfe fanden die Heuerleute da, wo der Boden sich für Flachsbau nicht eignete?

Wir können diese Fragen beantworten aus demjenigen, was im Anfange dieser Schrift über die Gewohnheit des Hollandgehens gesagt ist. Die Eigentümlichkeit des Bodens und der Beschäftigung der Bewohner in den Niederlanden erforderten einen großen Aufwand von Arbeitskraft. Soweit das Land selbst diese Kraft nicht aufzubringen vermochte, wurde sie gern aus den Grenzländern, welche daran Überfluss hatten, herbeigezogen, und von diesen eben so gern geleistet, weil ihre besitzlosen Bewohner dadurch Gelegenheit zu einem Verdienste fanden, welcher ihnen so nötig war, aber in der Heimat nicht geboten wurde.

Nahm das Hollandsgehen seinen Anfang vielleicht in einer Zeit besonderer Not, so hat es seine Fortsetzung und Ausdehnung doch offenbar durch die missliche Lage gefunden, in welche die Heuerleute im Laufe der Zeit allmählich gelangt waren. Die ersten Arbeiter zogen wohl andere nach, bis die Sitte des Hollandgehens, wie früher bereits mitgeteilt wurde, nicht bloß in den holländischen Grenzländern, den Grafschaften Bentheim und Lingen, und dem so genannten Niederstift Münster, sondern durch das ganze Fürstentum Osnabrück, den nördlichen und westlichen Teil des Münsterschen Hochstifts, die Grafschaften Diepholz und Hoya, also beinahe durch sämtliche Teile Niedersachsens zwischen den Niederlanden und der Weser, ja über dieselbe hinaus verbreitet war. Je schlechter die Verhältnisse der Arbeiter, sei es durch besondere Unfälle, sei es durch die wachsende Zahl der Arbeiter und das Ungenügende der ihnen gebotenen nächsten Erwerbsquellen, sei es durch die höhern an sie gestellten Anforderungen und von ihnen geforderten Leistungen, sich gestalteten, und je weniger ihnen die Heimat Gelegenheit zu ausreichendem Nebenverdienst bot, desto mehr nahm das Hollandsgehen zu und verbreitete sich in immer weiterem Kreise.

Man war froh, in der Fremde zu finden, was die Heimat versagte, Arbeit und Brot. Veränderte sich dann auch, wie erzählt, im Laufe der Zeit das Ziel der Arbeiterwanderungen, so ist doch das Wesen geblieben, und wenn auch allmählich in einzelnen Gegenden, wie namentlich auch in der südlichen Hälfte des Fürstentums Osnabrück die Gewohnheit der jährlichen Arbeiterwanderung gänzlich aufgehört, in andern sich sehr vermindert hat – die Ursachen davon sind an verschiedenen Orten verschieden – so hat die Zahl der Auswanderer dagegen in andern bedeutend zugenommen.

Da zieht mit dem Vater der kaum in die Jünglingsjahre getretene Sohn in die Fremde hinaus, und junge Leute, welche bei den Colonen als Knechte in Dienst treten, bedingen sich einige Monate des Frühlings zur Arbeit in der Fremde aus, um den guten Verdienst mitzunehmen, welchen sie ihm für seine Arbeitshilfe bietet, die Einen, durch die Not der Verhältnisse getrieben, die Andern dagegen von dem Verlangen, sich günstigere Verhältnisse zu schaffen. Ob sie die Gefahren nicht kennen, denen sie entgegen gehen, die nachteiligen Wirkungen nicht, welche fast immer unausbleiblich sind? Oder ob sie glauben, über dieselben hinwegsehen zu müssen, da es für sie keinen andern Ausweg gibt?

 

 

[1] Man berechnet die Zahl der in der Fremde lebenden Schweizer auf beiläufig 55 – 66.000 Seelen, und zwar an 20.000 in Amerika, 16.000 in Frankreich, mehr als 10.000 in Italien, bis 15.000 in Deutschland und Österreich. Schweizer bildeten an den Höfen von Frankreich, Neapel, Rom etc. früher häufiger, als jetzt, eine beliebte Garde.

[2] Die meisten Arbeiter nehmen Nahrungsmittel von zu Hause mit, so dass in der Fremde nur das Notwendigste gekauft wird. An einzelnen Arbeitsstellen wird auch wohl die Kost verabreicht. – Als Schlafstätten dienen häufig Scheunen oder auf dem Moore aufgeschlagene Hütten, ein wenig Heu vertritt die Stelle des Bettes. Die vormaligen anstrengenden und verderblichen Reisen zu Fuß, werden jetzt meistens auf der Eisenbahn gemacht. Verschiedene Bahnen befördern die Arbeiter unter gewissen Umständen um einen billigeren Preis, als den gewöhnlichen.

[3] Früher war der Verdienst 10 – 20 Gulden höher.

[4] Herr Pastor Behnes zu Messingen teilt mir folgendes spezielle Beispiel mit: Zwei Arbeiter aus dem Bersenbrück`schen verdienten in Mecklenburg während drei Monaten des Sommers 1868 zusammen 207 Taler. Nachdem für Beköstigung etc. jeder etwa 35 Taler, an Reisekosten 14 Taler verausgabt hatte, brachte der Jüngere etwa 49 Taler, der Ältere 60 Taler heim. – Sie hatten 618 ( ) Ruthen Torf, 7 Zoll dick, angefertigt, also für die Ruthe 10 gr. und täglich etwa 2 ½ Taler verdient.

[5] Durchschnittlich kommen in Deutschland 3.600, in Hannover 2.750 Seelen auf 1 Q.-M.

[6] Vgl. Tacitus Germania XVI.

[7] Enschede ist ein holländischer Ort an der westfälischen Grenze, welcher bedeutende Leinwand-Fabrikation treibt.

[8] „Patriotische Phantasien“ Th. 1. XV.

[9] Steinhard, Deutschland und sein Volk. Teil II. S. 682.

[10] Im Jahre 1862 starben z.. B. aus der Gemeinde Merzen von den Arbeitern im Auslande fünf, 1862 waren gegen Pfingsten schon drei gestorben. Ähnlich geht`s überall.

[11] Solche, welche mit den Verhältnissen näher bekannt sind, wollen behaupten, dass im Fürstentume Osnabrück vorzugsweise viele, ja fast ausschließlich Katholiken sich bei der Arbeiterwanderung beteiligen. Pastor Kerle, welcher die Verhältnisse genau kennen kann, da er viele Jahre lang im Amte Bersenbrück tätig war, schreibt darüber: „Aus Bauerschaften mit gemischter Bevölkerung ziehen oft fast sämtliche katholische Heuerleute ins Ausland, während von den dortigen Akatholiken kaum einer fortgeht.“ Woher diese Erscheinung?

[12] Der mehr erwähnte P. Gildehaus erhebt auch dieses Bedenken gegen das Hollandsgehen. „Der Mann sagt er, schnürt seinen Bündel, er geht und lässt der Frau den trostreichen Segen: „Siehe zu, wie du mit Acker, Vieh, Haushaltung und Kindern fertig wirst.“ Die Einwände, welche Möser diesem Bedenken entgegen stellt, dass ja der Mann auch in der Heimat um Tagelohn arbeiten müsse, kann als zutreffend nicht angesehen werden. Man mag zugeben können, dass es im Fürstentume Osnabrück und seinen Grenzländern zu einer Zeit, wo schreckliche Kriege das Mark des Landes verzehrt und viele Bewohner in die Unmöglichkeit versetzt hatten, die aufzubringenden Steuern zu bezahlen, in der Tat als Wohltat angesehen werden musste, wenn Manche Gelegenheit fanden, im Auslande ein gutes Stück baren Geldes zu verdienen, aber offenbar haben die Verhältnisse sich längst ganz anders gestaltet. Was damals und unter jenen Verhältnissen wünschenswert sein konnte, kann unter veränderten Verhältnissen höchst nachteilig sein und ist es in diesem Falle ohne allen Zweifel. Außerdem arbeitet der Tagelöhner im Sommer nur von Morgens 6 bis Abends 7 Uhr, so dass er seiner Familie und seinem Acker nie ganz entzogen wird.

[13] Pfeil in seinem „Archiv für Landeskunde im Königreiche Preußen“ Bd. I.

[14] Eben während wir dieses schreiben, sind französische Gefangene herangezogen, um beim Kanalbau in der Nähe von Lingen und Papenburg beschäftigt zu werden. Hoffen wir, dass die Arbeit nicht bloß angefangen, sondern auch vollendet werde! Die Arbeitskräfte fehlen uns auch ohne die Franzosen nicht.

[15] Schon Cäsar berichtet: „Die Ubier bereiteten ihr Land künstlich zu, indem sie es drei Fuß tief aufgruben;“ und: „Auch ist es nicht erlaubt, länger als ein Jahr denselben Acker zu bestellen;“ und Tacitus: „Sie (die deutschen) verändern jährlich die Bestellung der Felder, ein Teil des Ackerlandes aber bleibt übrig.“

[16] Abscheulich ist es, wie mit dem kostbaren Dünger manchmal umgegangen wird. Überall auf den Dorfschaften und den Höfen kann man sehen, wie Jauche fortläuft und die Düngungskraft durch Sonne und Luft dem Dünger entzogen wird. Wann soll das besser beachtet werden?

[17] „Das deutsche Land etc.“ 2. Ausgabe. Bd. II. S. 367. Die angeführte Stelle ist aus W. Peters` Preisschrift: Die Heid-

flächen Norddeutschlands wörtlich abgeschrieben.

[18] Nach amtlichen Mitteilungen von 1864 waren im Königreich Hannover 2430 Morgen Landes mit Tabak bepflanzt. Im Durchschnitt wurde der Ertrag pr. Morgen auf 8 Ctr. a 10 Taler berechnet – sicher ein befriedigendes Resultat! Versuche eines Sachkenners in Osnabrück fielen vollkommen zufriedenstellend aus.

[19] Im Jahre 1867 wurden in Stadt und Amt Lingen 3696, im Amt Freren 2103, Bentheim 1775, Neuenhaus 4788, im Amte Aschendorf 3797, Haselünne 1765, Hümmling 5020, Meppen 4950 Bienenstöcke gezählt.

[20] Nach einem offiziellen Berichte wurden i. J. 1867 für ppr. 20.000 Thlr. Hühnereier über Holland nach England ausgeführt.

[21] Nach den Mitteilungen über den Leggenverkehr im Fürstentum Osnabrück ist nicht bloß die Produktion selbst wieder sehr im Steigen, sondern auch der Preis, welcher dafür gezahlt wird. Es ist das durch Zahlen nachzuweisen. Der durch E. C. Boye in unserer Gegend verbreiteten s. g. belgischen Methode des Flachsbaues wird von erfahrenen Landwirten ein großer Vorzug eingeräumt; der Flachs soll besser und der Ertrag größer sein. Dahingegen kann das Flachsspinnen und Weben nach den Erträgen, welche möglich sind, nicht mehr als lohnender Erwerbszweig empfohlen werden.

[22] Es wird bedauert, dass die auf einer Strecke der Westbahn versuchte Heizung der Lokomotiven mit Torf wieder aufgegeben worden ist.

[23] Hr. P. Kerle teilt den Pachtkontrakt, welchen ein Grundbesitzer der Gemeinde Ankum in einer Versammlung des landwirtschaftlichen Vereins daselbst vorgelegt hat, mit dem Bemerken mit, dass die Heuerleute dieses Grundbesitzers, mit denen ein ähnlicher Kontrakt geschlossen war, seit 15 Jahren schon nicht mehr ins Ausland auf Arbeit ziehen, und sämtlich solide, fleißig und verhältnismäßig wohlhabend sind. Der Colon verpachtet hiernach dem Heuermann auf 8 Jahre Haus und Garten zu 15 Rthlr. Pr. Jahr, dazu 10 Morgen d. i. 30 Scheffelsaat Ackerland zu 4 Rthlr. pr. Morgen; dagegen verpflichtet sich der Heuermann zu jährlich 100 Tagen Haushilfe gegen einen Tagelohn von 10 gr. Pr. Tag.

Bei einer Familie von 6 Personen berechnet der Ökonom, angenommen, dass der Garten und 18 Scheffelsaaat Acker für den eigenen Bedarf ausreichen, Einnahme und Ausgabe also:

Einnahme:

100 Tage Haushilfe                                                                                                                    33 Rhtlr.  10 gr.

Aus dem Haushalt an Vieh, Butter, Milch, Eiern u. dgl. wöchentlich 15 gr. =                         26 Rhtlr.  — gr.

Früchte von 12 Scheffelsaat Land a 8 Rhtlr.                                                     =                       96 Rhtlr.  — gr.

155 Rhtlr.  10 gr.

Ausgabe:

Wohnhaus und Garten                                                                                                                 15 Rhtlr.

10 Morgen Ackerland                                                                                                                  40 Rhtlr.

Haushalt, Kleidung, Feuerung u. dergl. wöchentlich 1 ½ Rhtlr.                       =                        78 Rhtlr.

133 Rhtlr.

Also Überschuss =                                                  22 Rhtlr. 10 gr.

 

[24] Stieglitz, Hermann: Handbuch des Bistums Osnabrück 1991, 2. Völlig neubearbeitete Auflage 1991, herausgegeben vom Bischöflichen Generalvikariat Osnabrück.

Meurer, Heinrich: Das Hollandsgehen in besonderer Rücksicht auf die Lage der Heuerleute im Osnabrückischen. Osnabrück 1871, Seite 12 f

Das Wirtschaftswunder

Das Wirtschaftswunder kam – das Heuerlingswesen ging

Mit dem Aufkommen des Wirtschaftswunders verschwand das Heuerlingswesen innerhalb von rund zehn Jahren (1950-1960) nahezu völlig. Als nämlich die Stundenlöhne in der neu entstehenden oder stark wachsenden Industrie auf über eine Deutsche Mark kletterten, konnte der Heuermann sich nicht mehr mit etwas mehr als zehn Pfennig pro Stunde für sein Arbeiten beim Bauern zufriedengeben. Allerdings waren die Bauern nicht in der Lage, die in diesen Jahren stetig steigenden Löhne in der Industrie zu zahlen.
Nachdem die unmittelbare Nahrungsmittelnot nach dem Kriegsende überwunden war, wurde schnell deutlich, dass die geringe Landausstattung der Heuerleute eine gewinnbringende Bewirtschaftung nicht mehr zuließ. Der zunehmende Einsatz von Maschinen lohnte sich nicht auf dem kleinen Landbesitz, zumal das aufzubringende Kapital etwa für Traktoren bei dem einsetzenden Preisverfall landwirtschaftlicher Produkte nur bei entsprechender Auslastung, also bei großen Flächen, sinnvoll eingesetzt war (Westerhoff, S. 193).

Auch für die Bauern selbst galt immer mehr das Motto: „Wachsen oder Weichen“. Viele Bauern benötigen infolge der Mechanisierung die Arbeit ihrer Heuerleute nicht mehr, während diese andererseits weiterhin unzufrieden waren mit den ungeregelten Arbeitszeiten und ihrer Unterordnung unter den Bauern (Ameskamp, S. 171).

Entwicklung der kleinbäuerlichen Schichten der Heuerlinge und Neubauern

Entwicklung der kleinbäuerlichen Schichten der Heuerlinge und Neubauern

von Dr. Herbert F. Bäumer

 

Dieser Aufsatz ist erschienen in:

 

Nach Abschluss der Besiedlung durch Markkötter im ausgehenden 16. Jahrhundert entstand eine neue Gruppe der Landbevölkerung, die Heuerlinge. Zu dieser zahlenmäßig größten Bevölkerungsgruppe zählte der Heuerling mit seiner Großfamilie sowie Mägde und Knechte aus Heuerlingsfamilien auf Höfen der groß- und mittelbäuerlichen Schicht.

Grundlage der Heuerlingswirtschaft waren Kontrakte zwischen Bauern und Heuerlingen über ein bis sieben Jahre, die die Pacht einer Wohnung und eines Stückes Land beinhalteten. Für die Dauer der Pachtung war die Düngung maßgebend. Mit Stalldung betrug die Dauer drei bis vier Jahre, bei der Düngung mit Plaggen in der Regel nur ein Jahr. Heuerlinge hatten als Gegenleistung geringe Geldmiete zu zahlen und stetige Arbeitsbereitschaft vorzuhalten. Eine allgemeine zeitgenössische Formulierung besagt, dass der Heuerling und seine Ehefrau auf Wink oder Pfiff des Bauern zur Arbeit erscheinen mussten. Als Nebenerwerb boten sich Heuerlingen verschiedene Tätigkeiten wie Spinnen, Weben, als Handwerker oder Wald- und Straßenarbeiter. Im 19. Jahrhundert konnten Heuerlinge selten von Diensten beim Bauern und von Erträgen des Pachtlandes existieren, eine Entwicklung zum Wohlstand war fast unmöglich. Unvorhergesehener Unglücksfall, Krankheit in der Familie oder Verlust einer Kuh brachte dem Heuerling Verfall und Armut, oftmals mit der Folge von Moralverlust, Diebstahl oder Trunksucht. Als Gegenmaßnahme schlug Möser im 18. Jahrhundert vor, eine Ansiedlung von Heuerlingen auf eigenem Grund und Boden vorzunehmen.

Konnten Heuerleute vor Teilung der Marken deren Gründe ohne rechtliche Grundlage mitnutzen, so war dieses nach Teilung aufgrund klarer Abgrenzung gegenüber der groß- und mittelbäuerlichen Schicht nicht mehr gegeben. Die Viehhaltung für Heuerleute war stark eingeschränkt bzw. nicht mehr möglich, wodurch sich die wirtschaftliche Stellung des Heuerlings grundlegend veränderte.[1]. In den meisten Fällen stand Heuerleuten geringes Pachtland bis maximal 1,5 ha in kleinen Einheiten zur Verfügung. Der Anteil der besitzlosen kleinbäuerlichen Schicht nahm extrem zu, da sich bei hoher Kinderzahl kaum andere Arbeitsmöglichkeiten boten, als später wieder eine Heuerlingsstelle anzunehmen beziehungsweise als Magd oder Knecht auf Höfen der Groß- und Mittelbauern zu arbeiten. Andere Arbeitsplätze standen im ländlichen Raum nur im Handwerk und bedingt im Leinengewerbe zur Verfügung.

Das Verhältnis der groß- und mittelbäuerlichen Schicht zu Heuerlingsstellen lag 1806 im Allgemeinen bei circa 1 zu 3. Vorschläge der Regierung im Jahre 1816 zielten durch Regulierung der Pachtverhältnisse auf Verbesserungen. Umfangreiche Domizil- und Trauscheinordnungen von 1827 sollten die Ausdehnung der Heuerleute verhindern, ein weiterer Gesetzentwurf aus dem Jahre 1830 modifiziert die Heuerkontrakte (siehe auch Dokumentensaal). In den Folgejahren blieben Anträge der Stände seitens der Regierung ohne Bescheid. Die Landdrostei schloss sich dem Ruf nach Reformen an, stellte wichtige Punkte zusammen, um auf die schlechte Lage der Heuerlinge hinzuweisen.

“Das Sinken der Garn- und Leinenpreise; den ungünstigen Einfluß der Markenteilungen auf die Lage der Heuerlinge; den Mangel schriftlicher Heuerverträge; die ungemessene Zahl der Dienste des Heuerlings, ihre Unentgeltlichkeit und die Art der Bestellung zu diesen Diensten; den mangelhaften Zustand der Heuerwohnungen; die häufigen Prozesse zwischen Heuerling und Verpächter über die Heuer und Gegenleistungen; den geringen, zur Ernährung einer Familie nicht genügenden Umfang der Heuer; die oft schlechte Beschaffenheit der verheuerten Ländereien; die kurze Dauer der Pachtzeit.“[2]

In verschiedenen Schriftstücken an die Regierung wurde von Ämtern die Notwendigkeit bescheinigt, Heuerleute verstärkt einem landwirtschaftlichen Eigenbetrieb zuzuführen. Eine Statistik des Jahres 1847 über die Anzahl der Heuerlingsstellen im Amt Melle zeigt, dass Landbesitz der Heuerleute nicht zum Lebensunterhalt reichte und Zupachtung meist von kleinen bzw. abgelegenen Landstücken möglich war. Versorgungsprobleme bei Heuerleuten wurden in den Misserntejahren 1846/47 verstärkt, sodass die Regierung Lebensmittel verteilen musste, Branntweinbrennereien stilllegte, um Getreide zur Nahrungsmittelgrundversorgung zu verwenden. Der Anteil der Heuerlinge mit gleichzeitig geringen Pachtlandanteil war in einigen Gemeinden besonders hoch mit der Folge, dass Not und Armut in diesen Kirchspielen besonders hervortrat. Unruhen der obengenannten Notjahre wurden erst gemildert, nachdem das „Gesetz betreffend die Verhältnisse der Heuerleute” für das Fürstentum Osnabrück vom 24. Oktober 1848 umgesetzt wurde. Danach konnten nur dann Erbpachten und Neubauereien angelegt werden, wenn die Kommissionen, bestehend zu gleichen Teilen aus Mitgliedern der Grundbesitzer und Heuerlinge, diesem Vorhaben zustimmten. Grundbesitzer mussten den Heuerlingen entgegenkommen und ihnen Pachtland zur Verfügung stellen, wenn ihnen an Heuerlingen gelegen war. Als Alternative nutzten diese sonst die Gelegenheit zur Auswanderung, um sich wirtschaftlich zu verbessern oder dem Militärdienst zu entgehen. Zur Stabilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Heuerleute in den Gemeinden sollte 1848 von der Regierung den Heuerleuten ein Stimmrecht in der Gemeinde eingeräumt werden. Zur Umsetzung gelangte diese Regelung erst im Zuge der Landgemeindeordnung des Jahres 1895.

Ende des 19. Jahrhunderts veränderte die industrielle Entwicklung das Arbeitsplatzangebot, sodass Heuerleute in Industriezentren zogen, ihre Heuerlingsstellen teilweise nicht mehr besetzt waren und somit durch den Grundbesitzer zum Verkauf anstanden. Im Raum Osnabrück nutzten Heuerleute Möglichkeiten zur Auswanderung beziehungsweise in Ansätzen auch Abwanderungen in nahegelegene Industriegebiete der Städte nach Melle, Bramsche, Bersenbrück, Osnabrück und teilweise auch nach Bielefeld.

 

Entwicklung der Neubauern als neue Form der kleinbäuerlichen Schicht

Zum Ende des 18. Jahrhunderts siedelten nachweislich erste Neubauern im Fürstentum Osnabrück. Herzog[3] nennt für sein Untersuchungsgebiet um 1806 bereits 400 Neubauern, die sich überwiegend als Handwerker in Kirchorten niedergelassen hatten. Belege für Erstnennung von Neubauern und Neusiedlern sind nicht vorhanden. Herzog rechnet auch Handwerker, die sich im Kirchdorf ein neues Haus bauten, zu dieser Klasse. In der Vogtei Riemsloh-Hoyel ist zum Beispiel von einem Schuster Johann Dirk Möller die Rede, der 1734 einen Bauplatz vom Pastorat der Kirchengemeinde Riemsloh-Hoyel kaufte und die Rechte eines Neubauern beanspruchte. Rechte und Pflichten bestanden im Beispiel des Schusters Johann Dirk Möller in einem Anerkennungsgeld von 18 Pfennig an den Erbgrundherrn und einem jährlichen Handdienst. Sein Haus wurde mit einem Reichstaler für den Rauchschatz angesetzt, außerdem stand ihm das Recht zu, von den Reihelasten befreit zu sein. 1767 wird von einem Neubauern aus Glandorf berichtet, der Markenland gekauft und diesen neuen Besitz erst 1796 zur Hälfte kultiviert hatte. In den dicht bevölkerten Kirchspielen des Amtes Grönenberg kam es zur Ansiedlung von Neubauern, die laut Herzog “nicht gut im Stande waren”. Neubauern lebten zu Beginn des 19. Jahrhundert im eigenen Haus vom Tagelohn beim Bauern oder sonstigem Nebenerwerb. Ihre teilweise geringe Anbaufläche reichte als Existenz nicht aus, folglich blieben sie abhängig und arm wie Heuerlinge. Um ca. 1800 wurden im Grönegau schon erste Klagen darüber laut, dass Neubauern, aufgrund ihrer mangelnden Kenntnisse in der Ackerbaukultivierung und wegen geringer Anbauflächen, von Erfolglosigkeit gekennzeichnet waren. Die Bewirtschaftung des geringen Eigenlandes mit eigenen Zugtieren bzw. Maschinen konnte kaum geleistet werden. Heuerlinge konnten dagegen bei Bewirtschaftung ihres Pachtlandes auf Hilfeleistung „ihres Bauern” vertrauen, der ihnen als Gegenleistung Maschinen und Geräte überließ. Trotz widriger Umstände suchte die kleinbäuerliche Schicht weiterhin die Übernahme von Hofstellen mit Eigenland beziehungsweise mit Zupachtung. Der sich neu entwickelnde Neubauerstand rekrutierte sich in erster Linie aus Heuerlingen, Söhnen der Heuerlinge und abgehenden Söhnen der groß- beziehungsweise mittelbäuerlichen Schicht.

 

Kriterien für Veränderungen zum Neubauerstand

Die Entwicklung einer bäuerlichen Schicht, die, wie in früheren Epochen nach Eigenbesitz strebte, vollzog sich durch Ansiedlung der Neubauern beziehungsweise Neusiedler, die überwiegend im 19. Jahrhundert die Zahl der Gehöfte in jeder Gemeinde beziehungsweise Bauerschaft ansteigen ließen. Diese Neubesiedlung wurde vor allem aus dem Heuerlingsstand[4] durchgeführt, die sich in den Anfangsjahren, je nach Teilung der entsprechenden Marken, sehr schleppend verbreitete. Auffällig ist, dass zum Teil schon 1785 ein Teil der Marken geteilt waren. Neuansiedlungen durch selbstständige Neubauern auf eigenem Grund und Boden oder als Erbpächter auf gepachtetem Land waren mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Neubauern mussten ein Haus bauen, oft erst nur eine Plaggenhütte, beim Bauern Tagelohn leisten, durch Arbeiten wie Spinnen, Weben, Hilfsarbeiten im Forst oder Steinbruch und durch andere Tätigkeiten für den täglichen Broterwerb sorgen. Herzog [5] spricht davon, dass zwischen Heuerlingen und Neubauern im wirtschaftlichen Bereich kaum Unterschiede bestanden, teilweise war die Lage der Neusiedler noch ungünstiger. Durch Erwerb von Eigentum stieg der ehemalige Heuerling durch diese Veränderung zum Neubauern sozial auf, verbunden mit Stimmrecht in der Gemeinde.[6]

Neue Eigentümer hatten Grund- und Gebäudesteuer sowie Feuerversicherungsprämien für ihre Häuser zu zahlen und auf Instandhaltung der Gebäude zu achten. Bei Heuerlingen entfielen Steuern, Versicherungsprämien und Instandhaltungskosten für den jeweiligen Kotten. Pacht für ein Landstück war für Heuerlinge oft günstiger als Schuldzins beim Kauf der gleichen Größe Ackerland.[7] Nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten konnte Eigenbesitz wesentlich intensiver bewirtschaftet werden als Pachtbesitz, da unter anderem langfristige Bodenbearbeitung durch Düngung vorgenommen werden konnte.

Nach den Markenteilungen überwiegend im 19. Jahrhundert festigte sich die wirtschaftliche Lage der Großbauern, sodass nur noch vereinzelt abgelegene Flächen zum Verkauf standen. In fruchtbaren Gebieten war Bau- bzw. Siedelland nicht verfügbar. Zum Erwerb von Eigentum blieben Neubauern nur Randstücke von Wald-, Waldheide oder Moorgebieten, um so Markengrund in Kulturland umzuwandeln. Standen solche Flächen nicht zur Verfügung, blieben abgehenden Söhnen eines Hofes oder Heuerlingen nur Möglichkeiten zur Aus- beziehungsweise Abwanderung. Als Existenzsicherung versuchten junge Menschen im gewerblichen Bereich oder Arbeit in der Industrie zu finden. Um Kontinuität in der Entwicklung der kleinbäuerlichen Schicht zu sichern, förderten der Staat und die Gemeinden den Ausbau der Siedlungen, um die Einwohnerschaft auf dem Lande zu halten.[8] In der Entstehungszeit der kleinbäuerlichen Schicht war „Eigenbesitz” für Neubauern Abgrenzungskriterium gegenüber Heuerlingen, wirtschaftliche Veränderungen jedoch waren kaum sichtbar. Die gesellschaftliche Stellung der Neubauern wurde mit dem Begriff Colon (Kolon) [9] verdeutlicht, der dadurch eine Angleichung an Erb- und Markkötter erfuhr.

Heuerling Neubauer
besitzlose kleinbäuerliche Schicht besitzende kleinbäuerliche Schicht
Abhängigkeit vom Haupthof völlige Unabhängigkeit
vom Hof zur Verfügung gestellter Wohnraum gegen Entgelt eigenes Haus, anfangs Stall oder Hütte auf eigenem oder gepachtetem Land
Hausgröße durch Heuerlingsstelle vorgegeben Hausgröße bestimmt nach Finanzkraft
Hauserweiterung nicht möglich Hauserweiterung und An- oder Umbauten möglich
zur Hilfe auf dem Hof verpflichtet kann als Tagelöhner auf dem Hof mitarbeiten
Pachtland gegen Gebühr Eigenland und/oder Pachtland gegen Gebühr
Erweiterung durch zusätzliches Pachtland Erweiterung durch zusätzliches Pachtland oder durch Zukauf
bei Räumung bzw. Ablauf der Pacht evtl. mittellos bei Abgabe Erlös durch Verkaufspreis

Unterscheidungsmerkmale von Heuerlingen und Neubauern [10]

 

Ausnahmen bildeten einige Neusiedler/Neubauern, die als Kaufleute oder Gewerbetreibende teilweise im dörflichen Leben hohes Ansehen erlangten und ihren landwirtschaftlichen Betrieb nur als kleinen Nebenerwerb ansahen. Heuerlinge behielten weiterhin die Bezeichnung die landläufige Bezeichnung „Kötter“.

 

[1] Wrasmann 1922, S. 7.

[2] Wrasmann 1922, S. 95.

[3] 1938, S. 66f.

[4] Herzog 1938, S. 132.

[5] Herzog 1934, S. 133.

[6] Bäumer 1999, S.

[7] Wrasmann 1922, S. 153.

[8] Westerfeld 1934, S. 38f.

[9] Heyse 1948, S. 160, Colonus (lat.) – Feldbauer, Ackerbauer, Acker- oder Landknechte, insbesondere Inhaber eines Colonates (Bauernstand).

[10] Bäumer 1999, S. 67 ff.

 

Literatur

Ahrens, H. Neubauten von Bauernhöfen der Gründerzeit und dessen näherer Umgebung, Hannover 1990.

Bäumer, Herbert F.: Neubauern als raumprägender Faktor – dargestellt an der Vogtei/Samtgemeinde Riemsloh-Hoyel – Untersuchungen zu Veränderungen einer Siedlungslandschaft im 19. Jh., Melle 1999.

Fredemann, W.: Vom Werden und Wachsen der Bauernhöfe im Grönegau, in: Grönenberger Heimathefte, Heft 2, Melle 1956.

Henning, F,-W.: Die Industrialisierung in Deutschland 1800-1914, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2, UTB für Wissenschaft, Schöningh Verlag, Paderborn 1989.

Herzog, F.: Das Osnabrücker Land im 18. und 19.Jh., Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft zum Studium Niedersachsen e. V., Reihe A, Stalling Verlag, Oldenburg 1938.

Westerfeld, H.: Beiträge zur Geschichte und Volkskunde des Osnabrücker Landes, Haltern, Landkreis Osnabrück 1934.

Wrasmann, A.: Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde, Teil I, S. 53-171, Teil II, S. 1-154, Bd. 42 u. 44, Osnabrück 1920/22.

 

Bäumer,Herbert F.: Entwicklung der kleinbäuerlichen Schichten der Heuerlinge und Neubauern, in:Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2015, Seite 10 - 15

mit dem Heimatverein Langen

 

Heimatverein Langen e. V. gegründet 1994

Dieser Heimatverein hat schon vergleichsweise früh damit begonnen, das Leben der Heuerleute vor Ort zu dokumentieren.

Besonders eingesetzt hat sich dafür Vorstandsmitglied Josef Tegeder, der gerade heute verstorben ist (05.01. 2012).

Diese Aktivitäten zum Thema Heuerleute werden auf der Internetplattform des Vereins so beschrieben

Ausbau des Museums für eine Dauerausstellung zum Heuerlingswesen.

Mit finanziellen Mitteln des Landkreises Emsland, der Gemeinde Langen und des Heimatvereins, sowie tatkräftigem Einsatz der Mitglieder, wurde am 02.Mai 2010 der weitere Ausbau des Gemeindehauses als neues Museumsteil für eine Dauerausstellung zum Heuerlingswesen vollendet und für die Öffentlichkeit geöffnet.

Auf einer Fläche von rund 50 qm wurde der alte Dachboden renoviert, die Balken und Sparren frei gelegt und somit Platz für die dafür vorgesehene Ausstellung geschaffen.

Von einem früheren Heuerhaus, welches noch als Ruine an der Straße “Zum Brink” steht, und der Familie Determann gehört, hat unser Mitglied Tischlermeister Gregor Schwerdt ein Modell im Masstab 1 : 75 gefertigt, welches in allen Einzelheiten dem oben genannten Haus nachgebaut ist.
Es dient als einzigartigen Blickfang in diesem Raum und zeigt dem Besucher, die einfachen und beengtenten Gegebenheiten für die damaligen Bewohner.

Dazu wurde in mühevoller Kleinarbeit eine Auflistung der Heuerstellen gemacht, bei der über 100 Familien in Langen eine solche Stelle inne hatten. Zumindest jede letzte Heuerlingsfamilie, die auf eine der Stellen war, konnte aufgeführt werden. Oftmals auch noch Familien, die Generationen vorher so eine Stelle inne hatten.

Besichtigungen bzw. Führungen durch das Museum werden von uns gern angeboten. Es zeigt, vor allem dem jungen Besucher, wie das Leben als Heuerling in dieser fast 500 Jahre andauernden Zeit ablief und mit welchen zusätzlichen Problemen das Landleben bewältigt werden mußte.

Ausstellung zum Heuerlingswesen im Museum des Heimatvereins Langen!
Nachbildung des Heuerhauses Determann an der Straße „Zum Brink“.
Angefertigt von unserem Mitglied Tischlermeister Gregor Schwerdt
im Jahre 2010.

 

                      Zum Tod von Josef Tegeder aus Langen(06. 01. 2015

Josef Tegeder war über Jahre ein wichtiger Gesprächspartner insbesondere  als genauer Kenner von dörflichen Strukturen, historischen Hintergründen und weiteren Wirkfaktoren der regionalen Geschichte insgesamt. In seiner ruhigen und sachlich kompetenten Art übernahm er über Jahre Verantwortung als Schriftführer beim Heimatverein Langen und im Dachverband der Heimatvereine im Lingener Land. Er war einer der ganz wenigen etablierten Heimatkundler, der von Anfang an einer möglichst objektiven Aufarbeitung des Heuerlingswesens nicht nur interessiert war, sondern auch etwas Konkretes auf den Weg gebracht hat. Die Ausstellung zu diesem Thema im Heimatshaus Langen zeugt davon. Seine private Sammlung zu einer Fülle an historischen Fakten aus dem Großraum Freren – Lengerich und teilweise auch darüber hinaus war auch für mich bei meinen Recherchen von enormem Vorteil. Gerade zu den Problembereichen des Heuerlingswesens hatte er eine klare Meinung, die sich an seinen persönlichen Erfahrungen sowohl im familiären Umfeld als auch an Informationen aus dem dörflichen Umfeld orientierte. Er kannte menschliche Verfehlungen, die vornehmlich ihre Ursache in dieser Sozialisationsform hatten, und er hat sie mir auch in mehreren Interviews mitgeteilt. So stammte sein Vater von einem eher „adeligen“ Bauernhof, der Name Tegeder bezeugt, dass seine Vorfahren für den Landesherrn die „Tenter“ waren, die in ihrem dörflichen Umfeld den zehnten Teil der bäuerlichen Erzeugnisse an den Bischof von Münster abzuliefern hatten und somit vor Ort eine Sonderstellung einnahmen. Gerade dazu hat er mir aus der Familiengeschichte interessante Erkenntnisse seinerseits berichtet, die er dann entsprechend abstrahieren konnte. Wir beide hatten gemeinsam noch einiges vor, nun ist er nach längerem Leiden gestorben. Sein Rat und sein Wissen werden mir fehlen.