Wie das Tecklenburger Land auf das Bevölkerungswachstum reagierte

 Versorgungprobleme stehen am Anfang

Ein Beitrag von Dr. Christof Spannhoff

Als Westfalen preußisch wurde und 1816 zwecks einer besseren verwaltungsmäßigen Durchdringung des Staatsgebietes die Einteilung in Kreise vollzogen worden war, standen die neuen Landräte vor einem Problem, das sich bereits seit dem 18. Jahrhundert abgezeichnet hatte. Die Bevölkerung wuchs! Was sich zunächst einmal positiv anhört, bereitete zu Beginn des 19. Jahrhunderts Schwierigkeiten, denn die vielen Menschen mussten versorgt werden, ein Auskommen haben. Diesem Anspruch standen allerdings die gesellschaftlichen Strukturen, vor allem aber in einem ländlich geprägten Gebiet wie dem Kreis Steinfurt auch die Grenzen der damaligen Landwirtschaft entgegen.

Die Landwirtschaft stellte im Kreis Steinfurt den Haupterwerbszweig dar. Handel und Gewerbe spielten eine eher untergeordnete Rolle. Allerdings waren die drei ökonomischen Bereiche eng miteinander verwoben, denn einerseits war der überwiegende Teil der ländlichen Bevölkerung als Kleinbauern und Heuerleute darauf angewiesen, einen Nebenerwerb zu ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit im textilen Hausgewerbe oder in der saisonalen Wanderarbeit („Hollandgang”) bzw. im Wanderhandel („Töddenwesen” ) zu betreiben. Auf der anderen Seite verzichteten die Gewerbetreibenden und Händler in den wenigen Städten als sogenannte „Ackerbürger” nicht auf ein landwirtschaftliches Standbein.

 

Ausschlaggebend für die landwirtschaftliche Produktion war die Bodenqualität und -nutzung. Noch 1831 bestand ein hoher Anteil der potentiellen Agrarnutzfläche aus Heide und Wald. Die agrarwirtschaftlichen Möglichkeiten waren also begrenzt und waren Grundlagen für eine gemischte Acker- und Viehwirtschaft, durch die jedoch die Bevölkerung nicht ausreichend versorgt werden konnte. Verschärfend hinzu kam die schlechte Bodenqualität. Die Böden waren entweder zu nass oder zu trocken. Diese Bodenverhältnisse wirkten sich auf die Ernte aus. Vor allem Getreide musste in großen Mengen einführt werden. Deshalb wurde versucht, den Ertrag der Ackerflächen durch Düngung zu verbessern. Da der Anfall von Stalldung relativ gering war, wurde verstärkt die Düngung mit sogenannten Plaggen (Gras-, Heide- oder Torfsoden), die mit dem Stalldung vermischt wurden, betrieben. Die Plaggen wurden in den Gemeinheitsgründen und in schlechten Wiesen oder Weiden gewonnen. Diese Flächen dienten aber auch als Grundlage der Viehwirtschaft, die zur Ergänzung der Nahrung, zur Düngerproduktion und Bereitstellung von Zugvieh unerlässlich war. Hinzu kam das Beweiden der abgeernteten Felder.

Aus diesen natürlichen Voraussetzungen ergab sich ein sehr begrenzter Nahrungsspielraum der ländlichen Bevölkerung, der indes einigermaßen mit Wanderarbeit, Wanderhandel und Heimgewerbe ausgeglichen werden konnte. Allerdings macht diese schmale Existenzgrundlage die Krisenanfälligkeit des wirtschaftlichen Systems deutlich.

Erschwert wurden die landwirtschaftliche Produktion und die agrarwirtschaftliche Entwicklung zudem durch die Zersplitterung des bäuerlichen Grundbesitzes und die Parzellierung der Grundstücke und ihrer Entfernung vom Hof sowie durch die geringe technische Ausstattung.

Nach der Aufteilung der Gemeinheitsflächen kam es zwar zu einem Anstieg des Rindviehbestands, doch mussten die bäuerlichen Kleinbetriebe und Heuerlingswirtschaften ihre Viehstückzahl reduzieren, weil ihnen nun die Weide- bzw. Futteranbauflächen fehlten. Die größeren Betriebe hingegen konnten durch Einführung der Stallhaltung und -fütterung sowie verstärkten Futteranbau ihre Viehhaltung intensivieren. Begünstigt wurde diese Produktionsumstellung durch eine erhöhte Nachfrage nach Milchprodukten und Fleisch. Die Schafzucht ging mit der Aufteilung der Gemeinheitsflächen, die zuvor zur Weide dienten, zurück. Indessen stieg die Zahl der gehaltenen Ziegen bei den unteren Sozialschichten an, da diese anspruchslose und robuste Tierart nun die Kuh als Milchlieferant ersetzen musste. Die Hauptzweige der landwirtschaftlichen Produktion im Kreis Steinfurt beeinflussten sich wechselseitig und waren von den sozialen Verhältnissen stark mitbestimmt. Insgesamt befand sich die Landwirtschaft im Kreis Steinfurt Anfang des 19. Jahrhunderts in einer schwierigen Lage, da sie in der Vielzahl der Fälle nicht als Existenzgrundlage ausreichte und somit durch Nebenerwerb ergänzt werden musste. Mit der verstärkten Aufteilung der gemeinen Marken seit 1821 wurde dann einem Großteil der ländlichen Bevölkerung, den unterbäuerlichen Schichten, noch zusätzlich die Existenzgrundlage stark geschmälert. Als zudem die Nebenerwerbsquellen des textilen Heimgewerbes und der saisonalen Wanderarbeit versiegten, verarmten große Teile der Bevölkerung.

http://www.heuerleute.de/leinenproduktion-im-tecklenburger-land-beitrag-von-dr-christof-spannhoff/

http://www.heuerleute.de/heuerleute-im-suedlichen-muensterland-beitrag-von-dr-christof-spannhoff/

http://www.heuerleute.de/viehzucht-vor-200-jahren-beitrag-von-dr-christof-spannhoff/

Zeichnung Hans Pape "Packenträger um 1850" Quelle: Kracht, August, Von Tödden, Kiepenkerlen und Heringsfischern. Illustriert von Hans Pape, Münster 1955, S. 8

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in: Wege in die Geschichte des Kreises Steinfurt, Steinfurt 2016, Seite 22/23