Blick über die Grenze

Schaut man über die Grenze nach Holland, so sieht man, gleich an unsere Äcker angrenzend, bestens aufgebaute Höfe mit vorzüglichen Sand-Moor-Mischkulturen atif abgetorftem ehemaligen Hochmoor. Die deutsche Nach­bargemeinde Fehndorf ist auf dem besten Wege, es mit Staatszuschüssen den Holländern in der Sand-Moor-Mischkultur gleichzutun. Schöninghsdorf als südlicher Nachbar ist etwa hundert Jahre jünger und besitzt noch eine mehr als 1 m hohe Weißtorfschicht auf den Feldern. Außerdem hat das Dorf eine gute Torfindustrie und in absehbarer Zeit die Möglichkeit, sehr große abgetorfte Flächen in der eben gepannten Kulturart anzulegen. Die ehemaligen Moorgemeinden Rütenbrcck, Lindloh und Altenberge haben ihre relativ dünne Moorschicht durch Brandkultur und Entwässerung längst verloren. Fast alle Äcker sind dort kaum vom Sandboden zu unter­scheiden. Auch die Moorgemeinde Twist besitzt von Na­tur aus wertvolle Rasenerzböden und erlebt jetzt durch die Erdölfunde einen unvergleichlichen Auftrieb. Auch weit besser sind in bodenmäßiger Hinsicht unsere neuen Staatssiedlungen in der Nachbarschaft gestellt. Der tief­gepflügte Niederungsmoorboden ist der holländischen Fehnkultur gleichzustellen und bringt Erträge, die hier im Ort bei mehr Arbeit und gleichem Einsatz an Kunst­dünger und Stallmist im abgebauten Hochmoor niemals mehr zu erreichen sind.

 

 

Bauen auf festem Grund

So ist es auch zu erklären, daß die Bauern seit der Jahr­hundertwende darauf bedacht waren, große, feste, auf Sanduntergrund gebaute friesische Wohn- und Wirt­schaftsgebäude zu errichten. Das in dieser Art wohl einzig dastehende Hochmoordorf Hebelermeer, ohne fremde Hilfe im wilden Moor aufgebaut, ohne Fehnkultur, ohne Mineralboden und ohne Industrie, macht mit seinen Eichenhöfen heute einen ganz gesunden Eindruck.

Jedoch sieht die Zukunft des Dorfes etwas düster aus im Vergleich mit der Entwicklungsfähigkeit der Nachbarsiedlung. Die für die Hochmoorkultur so wichtige und günstige Weißtorfschicht ist fast gänzlich durch die in­tensive Bewirtschaftung und Entwässerung abgebaut und verbraucht. Die jetzt anstehende Schwarztorfschicht ist weniger ertragreich und trotz günstiger Entwäsderung; durch Dränung und Vorfluter fast wasserundurchlässig. In feuchten Jahren wird die Ackerkrume zu Moorbrei und verschlammt. In trockenen Jahren besteht der Acker nur aus harten Moorstücken. Die Krümelstruktur und die Bakterienlebewelt des Bodens ist durch diese Um­stände scheinbar gestört; die Erträge sinken.

 

Der Kunstdünger hält Einzug

Einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung brachte der Einzug des Kunstdüngers in Hebelermeer. Nachdem den Einwohnern auf Versuchsflächen durch Landwirtschafts­lehrer und Moorfachleute der Bremer Moorversuchsstation gezeigt wurde, wie man ohne Moorbrandkultur mit Kalk, Kunstdünger und Leguminosenvorfrucht Roggen, Hafer, Kartoffeln und Kleegras anbaut, ging es hier berg­auf. Die ersten Siedler hatten nur den Tod, die zweite Generation hatte die Not, jetzt hatten die Hebelermeerer wirklich das Brot, ein mäßiges Auskommen. Zu diesem „Kunstdüngerglauben“ wurden die Einwohner damals gewissermaßen aus der Not heraus gezwungen, um nicht unterzugehen. Wie schon vorher erwähnt, hatten die an­deren Moordörfer zusätzlich Mineralböden als Weide­flächen, die hier gänzlich fehlten. Dieser Nachteil wurde von nun an durch intensive und richtige Düngung mit Kunstdünger wettgemacht.

 

 

 

Fortschritte durch Bau des Süd-Nord-Kanals

In wirtschaftlicher Hinsicht mehr aufgeschlossen wurde das Moorgebiet durch den Bau des Süd-Nord-Kanals in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zunächst ver­dienten die Einwohner bei den Erd-, Schleusen- und Brückenarbeiten nebenbei Geld und bekamen Entwäs­serung und feste Sandwege zu den Nachbardörfern. Das Schiff wurde nunmehr zum wichtigsten Transportmittel. Schon einige Jahre später war der große Moorkolk, das eigentliche Hebeler Meer, trocken gelegt. Der dadurch gewonnene Boden wurde nach Besitzgrößen mitgeteilt und hat bis heute noch den Namen „Meergründe“ bei­behalten. Der gesamte Boden des Dorfes schrumpfte von dieser Zeit an zusammen. Die ursprüngliche Moorhöhe dürfte mit der jetzigen Höhe der Hebelermeerer Kanal­brücke übereingestimmt haben, die heute als hohe Brücke mit Auffahrtsrampen versehen ist. Dränrohre, die auf dem Versuchsgelände des Herzogs von Arenberg 1898 un­mittelbar an der Dorfgrenze von Hebelermeer in 1,20 m Tiefe verlegt worden waren, konnte man schon in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts 7nit dem Ackerpflug aus-pflügen. Das bedeutet, daß unsere ursprüngliche Moor­schicht von 3-5 m Höhe zusammenschrumpft, und man braucht kein Prophet zu sein, wenn man annimmt, daß in ca. 200 — 300 Jahren das gesamte Moor ohne Abtorfung auch hier verschwunden ist.

 

 

Schmuggel brachte Abwechselung in das eintönige Leben

Das harte und eintönige Leben der ersten Siedler zu Hebelermeer hatte aber auch noch eine recht abenteuer­liche Seite, die ebenfalls dazu beigetragen haben dürfte, neue Einwohner nach hier zu locken. Genau hundert Jahre war unser Dorf, das in unmittelbarer Nähe der deutsch-holländischen Staatsgrenze liegt, ohne Zollbe­amte. Das hatte hier zur Folge, daß der Schmuggel un­behindert betrieben werden konnte. Wie noch aus münd­licher Überlieferung bekannt ist, wurde in den ersten hundert Jahren des Bestehens unseres Ortes hauptsächlich Salz nach Holland geschafft und nach Deutschland Schafherden oder je nach Preislage auch umgekehrt. Ebenso wurde der Handel über die „Grüne Grenze“ mit den Holländern auf Bienenstöcke, Honig, Wachs, Groß­vieh und sonstige Handelsprodukte ausgedehnt. Seit Be­setzung der Grenze mit Zollbeamten (1888) war nun die­ser „Handel“ mit mehr Risiko und Romantik verbunden. Unsere „Händler“, die ihr Gewerbe mehr aus Not als aus reiner Gewinnsucht betrieben, waren erfinderisch genug, immer wieder die Zollbeamten, die größtenteils das trügerische Moor nicht genau kannten, an der Nase herumzuführen. Den Schmugglern war das Fußprofil jedes einzelnen Zöllners sowie der Reifenabdruck ihrer Fahrräder bekannt, so daß sie genau wußten, ob Gefahr im Verzuge war. Auch damals schon eingesetzte Spür­hunde konnten nichts ausrichten, da die Füße der illega­len Grenzgänger mit Lappen‘ umwickelt waren, die man mit Riechstoffen getränkt hatte, und so den Geruchssinn der Tiere vollständig ausschalteten. Des weiteren fing man die Spürhunde während ihres Einsatzes nach Tier-fängerart mit der nackten Hand und setzte sie außer Gefecht. Zum Wegtransport des Schmuggelgutes bedien­te man sich des öfteren leerer Bienenkörbe, in denen man die Ware verstaute und vor dem Flugloch eine Schachtel mit ca. 30 Bienen anbrachte. Bei Kontrollen konnte der „Imker“ seinen mobilen Bienenstand dann einwandfrei ausweisen. Großviehherden schmuggelte man auf folgende Art: Ein besitzloser Knecht, der mit Geld bestochen wurde, nahm eine minderwertige Kuh am Halfter und führte diese über die Grenze in Rich­tung auf den diensthabenden Zöllner, der ihn mit der Kuh festnahm und zur nächsten Zollaufsichtsstelle brachte. Die Grenze war jetzt entblößt, und die Tiere konnten ungehindert herübergeschafft werden. Außerordentlich interessant wäre es, die einzelnen Tricks der Schmuggler zu verfolgen; das würde aber an dieser Stelle zu weit führen

 

Bescheidenes Leben

Das Leben der ersten Siedler war denkbar einfach. Die wichtigsten Ackergeräte waren Moorhacke und Brand­korb. Handwerker und Warenhandlungen fehlten fast hundert Jahre. Oft mußten über aufgeweichte Wege die Erzeugnisse des Dorfes auf dem Rücken fortgeschafft und Gebrauchsgegenstände ebenso herangeschafft wer­den. e Schubkarre war bei gutem Wetter ein wichtiges Transportgerät. Es traten häufig Mißernten durch Nach­fröste und Nässe auf. In den Jahren 1813 bis 1850 soll man aus Mehl und Queckenwurzeln Brot gebacken ha­ben. Damals griff sogar die Regierung ein und gab Le­bensmittel kostenlos für besonders hart betroffene Fa­milien aus. Auch wurde das Dorf in besonders trockenen Jahren von Moorbränden größeren Ausmaßes heimge­sucht und in seiner Existenz bedroht. Als Positives muß jedoch herausgestellt werden, daß die Moorbauern in der damaligen Zeit reiche Honig- und Wachserträge zu ver­zeichnen hatten infolge der nektarreichen riesigen Buch­weizen- und Heideflächen. Bienenstöcke von mehr als hundert Pfund Gewicht waren in guten Jahren die Regel. Die. Körbe erreichten fast Manneshöhe. Ebenfalls waren die oben erwähnten brach liegenden Buchweizenfelder sehr geeignete Weideplätze für die Heidschnuckenzucht.

Schlimme Behausungen

Sehr mangelhaft waren auch die Behausungen. Eine Art Erdhütte (Moorkate) aus gestochenen trockenen Moorstücken als Mauerwerk, mit Heideplaggen, Schilf und Binsen bedeckt, war Wohnung für Menschen und Vieh. In demselben Maße wie die Kolonie wuchs, und dazu fast hundert Jahre später die Nachbarkolonien Cumpaskum (Holland) und Schöninghsdorf entstanden, nahm der Ur­boden für den Buchweizenanbau ab. Der unberührte Moorboden trug in der oben beschriebenen Brandkultur höchstens 7 Jahre Buchweizen. Dann mußte der ausge­beutete Buchweizenacker etwa 30 Jahre brach liegen und wieder zu Heide und Moos werden, bis er wieder „buchweizenfähig“ war.



Ineffektive Moorbrandkultur

Man verlegte sich auf Schafzucht, Bienezucht und Buchweizenanbau. Das im Winter ge­hackte Urmoor brannte man im Frühjahr an. In die noch warme Asche wurde der Buchweizen gesät. Der Zeit­punkt der Einsaat reichte von Ende Mai bis spätestens Ende Juni. In günstigen Jahren, wenn es im Hochsommer nachts frostfrei blieb und trocken war, brachte der Buch­weizen eine gute Ernte. Jedoch war auch in Normal­jahren die Bestellung der Buchweizenäcker mit großen Schwierigkeiten verbunden. Alle 5 — 8 m mußte ein fuß­tiefer Entwässerungsgraben gezogen werden. Pferde konnten nur mit großen Holzschuhen, wie sie jetzt noch in Kleinformat gebräuchlich sind, den Boden betreten. Bei Regenzeiten mußte die Saategge mit Menschenkraft fortbewegt und im Herbst der Buchweizen auf der Schub­karre oder sogar auf dem Rücken eingeheimst werden.

Gewaltige Anfangsschwierigkeiten

Die ersten Einwohner von Hebelermeer hatten mit un­säglichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie waren mitten im Moor, vom nächsten Dorf etwa zwei Stunden Fußweg entfernt. Alles war Hochmoor, keine festen Sandwege waren vorhanden. Natürliche Grünlandflächen, wie Twist, Lindloh und Rütenbrock sie hatten, fehlten gänzlich. Der einzige nach Wesuwe führende Moorweg war in Regen­zeiten fast nicht gangbar; jeglicher Fuhrwerksverkehr dürfte dann aufgehört haben. Großviehzucht war wegen Ermangelung an natürlichen Grünlandflächen und we­gen des weichen und sumpfigen Bodens nur sehr be­schränkt möglich.

 

 

Günstiger Einstieg: Nicht kaufen sondern Erbpacht

Ein weiterer Grund für die Ansiedlung war der Um­stand, daß die „Plaatzen“ nicht angekauft zu werden brauch­ten, sondern in Erbpacht überlassen wurden. An Pacht war von einer vollen „Plaatze“ (40 ha) der Mutterge­meinde Wesuwe jährlich 12 Gulden und dem Herzog von Arenberg 6 Gulden zu zahlen. Nicht nur Bauern machten von diesem günstigen Angebot Gebrauch, son­dern auch Scherenschleifer und weniger gut beleumun­dete Personen. So ist es auch zu erklären, daß in Hebelermeer eine Frau namens „Goose Sienken“ ansässig war, die am 10. April 1807 wegen schwerer Brandstiftung und Kindsmord zu „Schwert und Scheiterhaufen“ verur­teilt und im Angesichte des Dorfes Fullen, wo sie 22 Wohnhäuser nebst 10 anderen Gebäuden in Schutt und Asche gelegt hatte, auf einem Hügel des Estersandes öffentlich hingerichtet und verbrannt wurde. Dies war die letzte Hinrichtung im Emsland. Ihr Mann wurde als Mittäter zu 30 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Zucht­haus beendete er sein schandbares Leben.