Vortrag in Baarn (NL)

                 Bericht über den Vortrag zu den Heuerleuten im März 2016 in den Niederlanden

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Heuerhäuser im Wandel

Zu diesem Thema entsteht ein Fotoband mit dem Titel:

 

                   Heuerhäuser im Wandel

                Ein historischer Bilderbogen

        von Bernd Robben und Martin Skibicki

Hier soll begleitend sporadisch dazu berichtet werden.

mit Fachleuten

Das sind Pesonen, die etwas zu Heuerlingswesen zu erzählen oder dazu geforscht haben.

Dr. Christof Spannhoff

   Dr. Christof Spannhoff      Spannhoff 1

studierte die Fächer Geschichte und Deutsch (Lehramt Sek II/I) in Münster. Von 2009 bis 2013 promovierte er zum Thema „Leben ohne die Toten. Analyse der Konflikte um die Verlegungen der ländlichen Begräbnisplätze im 19. Jahrhundert im Kreis Tecklenburg“. Seit Mai 2013 ist  Dr. Christof Spannhoff wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für vergleichende Städtegeschichte an der Uni Münster.
Seit 1.1.2016 leitet er dort das Projekt “Reformation in Westfalen”. Er hat zum Heuerlingsbuch u. a. eine Rezension und einen fachspezifischen Zeitungsartikel geschrieben. Außerdem stellte er den Aufsatz „Der Besitz eines Heuerlings vor 200 Jahre“  zur Verfügung.

Das Heuerlingswesen

Der jüngeren Generation ist der Begriff „Heuerlingswesen” vielfach schon gar nicht mehr geläufig. Dabei war diese Sozialisationsform bis etwa 1960 im ländlichen Bereich Nordwestdeutschlands stark verbreitet. ln einem Gebiet vom nördlichen Ruhrgebiet bis an Ostfriesland heran und von der niederländischen Grenze bis fast nach Hannover gab es Heuerleute, und in etlichen Orten stellten sie mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft. Das Heuerlingswesen erfüllte eine wichtige gesellschaftliche Funktion, gab es doch den nachgeborenen – wenig erbenden –  Töchtern und Söhnen sowohl der Bauern als auch der Heuerleute für eine bestimmte geschichtliche Periode die Möglichkeit, zu heiraten und auf dieser Basis eine zumeist sehr bescheidene Existenz zu gründen.

Allerdings hat sich dann im Laufe der letzten vierhundert Jahre auch deutlich gezeigt, dass sich in diesem Zusammenleben von landbesitzenden und landlosen Menschen auf engem Raum zwischenmenschliche Probleme nahezu zwangsläufig entwickeln mussten. Wie problematisch sich auch bis heute noch dieses Thema darstellt, beschreibt eine emsländische Studentin in ihrer Examensarbeit aus dem Jahre 1997 an der Universität Münster so: ,,Bei den Untersuchungen zu dieser Arbeit, in Gesprächen mit den Nachfahren von Heuerleuten und Bauern und auch mit Leuten, die selber noch in einem Heuerverhältnis gestanden haben, war immer wieder zu spüren, dass es noch große Empfindlichkeiten auf beiden Seiten gibt. Zwar zeigten sich in aller Regel immer mehr die deutlichen Gegensätze. So ist dann auch nachzuweisen, dass die zweite Generation sich häufig schon eine Heuerstelle auf einem anderen Hof suchte.” (Martina Greskamp, verheiratete Goegejohann, Bohmte) Mittlerweile hatte sich gezeigt, dass dieser Symbiose zwischen Heuern und Verheuern ein für die damalige Zeit wichtiges wirtschaftliches Element innewohnte. Die Bauern gingen dazu über, sich mehrere Heuerhäuser, häufig in der Nähe des Hofes, anzulegen.

Gar nicht vorhandene Menschenklasse (Pastor Funke)

In Kapitel 9 seines Buch über die Heuerleute beschreibt Funke kurz und bündig die Bedeutungslosigkeit der besitzlosen Landbevölkerung von damals.

 

… Politisch sind die Heuerleute durchaus unselb­ständig, indem sie weder als Mitglieder der Gemeinde noch des Staates auf irgend eine Weise vertreten sind[1], und doch bilden sie 2/3 der Bevölkerung unse­res Fürstenthums! Ja, nur zu oft werden sie als eine so gut als gar nicht vorhandene Menschenklasse be­trachtet. Auf Bauerschaftsversammlungen nicht ein­mal erscheinen sie mit; Verordnungen, welche dort bekannt zu machen sind und eben deshalb den Vor­stehern von der Obrigkeit zugehen, gelangen deßhalb nicht zur Kunde derselben; so geschieht es denn häu­fig, daß sie wider Gesetze fehlen, von deren Vorhan­densein sie gar keine Ahnung haben. Es wäre in der That wünschenswerth, daß es in dieser Hinsicht an­ders würde, und daß man namentlich bei Gemeinde­angelegenheiten das Interesse der Heuerleute wenig­stens nicht völlig außer Acht ließe.

[1] Zum Militärdienst waren die Heuerleute jedoch verpflichtet. Funke schreibt, daß fast nur Heuerleu­tesöhne zum Militärdienst kämen, da die Söhne der Grundbesitzer aus verschiedenen Gründen frei­gestellt werden konnten und sich notfalls freikauf­ten.

 

 

Aus: Lübbert zur Borg, 1847 - Pastor Funkes Buch über Probleme des Heuerleutesystems, in: Menslager Hefte 9, Seite 18 - 29

Die unbestimmten Dienste (Pastor Funke)

Zu diesem Kernproblem das Heuerlingswesen merkt Pastor Funke ausdrücklich an, dass die Verhältnisse auf dem einzelnen Höfen für die Leute durchaus unterschiedlich waren. Neben den alltäglichen Situationen gab es aber auch viele Fälle, wo von Seiten der Bauern als wenig Rücksicht auf die schwierige Lage der heuer Leute genommen wurde:

Nicht selten tritt auch der Fall ein, daß die Heu­erleute plötzlich auf einzelne Stunden von dem Colo­nen zur Arbeit aufgerufen werden, was besonders nachtheilig ist, indem sie alsdann oft mitten in ihren Arbeiten dieselben liegen lassen müssen. Häufig wird ihnen dann nicht einmal die Kost verabreicht. Sind die Colonen billig[1], so muß das Drückende, welches in der Haushülfe liegt, in einem gewissen Grade schwinden. Ganz anders aber stellt sich das Verhält­niß heraus, wenn bei ihnen die Rede: „Wenn wir pfeifen, so müssen die Heuerleute kommen,“ eine Wahrheit geworden ist; – und Beispiele, wo solches der Fall ist, sind in der That nicht selten.

Es sind uns Fälle bekannt, wo sich die Heuerleute schon zur Ruhe niedergelegt hatten, als Bestellung zu Handdiensten auf den folgenden Tag Statt fanden, und wo auf die wohlbegründete Vorstellung, daß dieses nicht wohl möglich sei, indem sie dann selber bereits angefangene Arbeiten, die durchaus beendet werden müßten, zu ihrem größten Nachtheil liegen lassen genöthigt würden, nichts anderes erfolgte, als die Antwort: Ihr sollt kommen. …

… Wir können Beispiele[2] anführen, wo sie, ohne dem Heuermanne, mag er auch noch so nahe woh­nen, die geringste Nachricht zukommen zu lassen, wann die Hülfe stattfinden soll, sondern ohne weite­res, meist wenn das Wetter für die eigene Arbeit zu ungünstig erscheint, mit Pferden, Pflug und Wagen ankommen, um den Acker zu bestellen, mag der Heu­ermann zu hause sein oder nicht. Muß nicht solche Rücksichtslosigkeit, die ja leicht vermieden werden könnte, bei dem Heuermanne Bitterkeit erwecken?

Wir sind es jedoch der Wahrheit schuldig, hier zu bemerken, daß die Anzahl der Colonen, welche es mit ihren Heuerleuten wohl meinen, nicht gering ist, und daß in solchem Falle das Verhältniß ein durchaus billiges wird, so daß beide Theile sehr wohl mit den gegenseitigen Prästationen[3] bestehen könnten, wenn nur die übrigen Lebensbedingungen für die Heuer­leute günstiger wären.

[1] Gemeint ist hier, daß der Colon auf die Arbeiten der Heuerleute Rücksicht nimmt.

[2] Dieses Beispiel gilt für die Pferdehilfe des Bauern für den Heuermann.

[3] Leistungen.

Aus: Lübbert zur Borg, 1847 - Pastor Funkes Buch über Probleme des Heuerleutesystems, in: Menslager Hefte 9, Seite 24

Niedergang beim Hollandgehen (Pastor Funke)

 

Pastor Funke in Menslage schrieb diese Abhandlung zum Hollandgang in Rahmen seines Buches über das Heuerlingswesen im Jahre 1847.

Auch hier ist seine enorme Kenntnis zu den damaligen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen – sogar in den Niederlanden – zu bewundern.

Tätigkeiten der Hollandgänger

… Als Handarbeiter, die nach Holland gehen, sollen jährlich gegen 25.000 die Brücke zu Lingen passiren. … Die Beschäftigung ist eine Verschiedene; doch ziehen die meisten dieser Arbeiter als Grasmä­her und Torfbaggerer fort. Andere sind Gärtner, Maurer, Tischler, Zimmerleute, Leimkocher, Matro­sen, Musikanten u.s.w. … Die Grasmäher gehen vorzüglich nach Nordholland, die Torfbaggerer mehr nach Groningen und Westfriesland; jene sind in der Regel ungefähr zwei Monate abwesend,

Verdienst

ihr Verdienst betrug früher reichlich 30 bis 40 holländische Gul­den, welche sie frei zu Haus brachten; gegenwärtig ungefähr 20 holländische Gulden (= 10 Thaler Gold); diese sind gegen drei Monate abwesend und mochten früher wohl 100 holländische Gulden mit­bringen, wogegen sie jetzt 30 bis 40 Gulden mitzu­bringen pflegen. …

Eine große Heuer, bei der viel Land zu bestellen ist. konnte unter solchen Umständen, wo die Frau mit Kindern, die der Pflege vielleicht noch bedurften, allein zurückbleiben mußte, früher den Hollandgän­gern nur eine Last sein; sie wünschten sie daher auch gar nicht zu erlangen. Als noch 30 – 40 Gulden freies Geld in 6 Wochen und 80 – 100 Gulden in einem Vierteljahr verdient wurden, konnten die Pachtgelder beinahe  aus Holland geholt werden, wenn die Heuer nicht zu groß war. Der Verdienst mit Spinnen, Weben und sonstiger Handarbeit reichte dann für die weitere Unterhaltung einer Familie beinahe aus, zumal wenn  aus der Viehzucht auch noch Geld gemacht werden konnte. Es ist dieses alles jetzt wesentlich anders geworden. …

Weitere Aussichten

… Ganz versiegen wird diese Erwerbsquelle zwar nicht, indem die Holländer beim Torfbaggern und Grasmähen für den Augenblick mehr Leute nöthig haben, als das Land giebt; allein bei der Abnahme des Reichthums in Holland ist nicht daran zu denken, daß sie je wieder reichlicher fließen wird, zumal da die Holländer anfangen, solche Arbeiten, wie Heuen und Grasmähen, sogar das Torfbaggern selbst zu über­nehmen. …

… Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß die Hol­landgänger nicht sehr alt werden – und wie könnte dieses auch wohl anders sein! Bei Tage Erhitzung und bei Nacht Erkältung, da sie kein Bett zu sehen be­kommen; dabei schwere Arbeiten mitunter halb im Wasser, und sogar noch schlechte Kost, indem sie sich alles, was nur möglich ist, abdarben; – welche Gesundheit könnte da für die Dauer bestehen! Als Hungerleider kehren sie zu ihren Familien zurück, nicht selten schon den Todeskeim in sich tragend. Welken sie dann frühzeitig dahin, so fällt meist die Familie der Gemeinde zur Last …

Tätigkeit auf Schiffen

… Gutes Geld wurde früher auf holländischen Schiffen verdient. Zwar hat dieser Erwerb noch nicht völlig aufgehört, ist aber für das Ganze von keinem Belang mehr. Da der holländische Seeverkehr nie wieder das werden kann, was er früher war, vielmehr fortwährend abnehmen wird, so ist nicht daran zu denken, daß je wieder das Verhältniß einer früheren Zeit eintreten wird, in welcher Viele aus unserem Fürstenthume (besonders aus dem Kirchspiele Gehrde, auch aus Menslage) in ihren kräftigen, jün­geren Jahren auf Fahrten nach Ost- und Westindien und durch Theilnahme am Herings- und Wallfisch­fange in kurzer Zeit ein kleines Vermögen erworben haben, ja mitunter zu einigem Reichthume gelangt sind.

Zusammenfassung

Fassen wir zusammen, was wir über den Handel und Verkehr mit Holland und über die Handarbeiten daselbst andeuteten, so dürfte die einfache Schluß­folge sein, daß die materiellen Vortheile, welche die hiesige Gegend von dort her hatte, sich fortwährend vermindern und daß keine Aussicht da ist, wie es in dieser Hinsicht besser werden kann; Daß es aber gegenwärtig bei dem  geringen Verdienste für Famili­enväter vortheilhafter ist, hier zu bleiben, als ihre Kräfte dem Auslande zuzuwenden, mögen auch noch immer unverheirathete junge Arbeiter, die hier nichts versäumen, dort leichter sich ein kleines Capital, womit sie ein eigenes Hauswesen anfangen, erwer­ben, als es hier in der Regel möglich ist.

Funke, Georg Ludwig Wilhelm: Über die gegenwärtige Lage der Heuerleute im Fürstenthume Osnabrück, mit besonderer Beziehung auf die Ursachen ihres Verfalls und mit Hinblick auf die Mittel zu ihrer Erhebung, Bielefeld 1847, Seite 18 f