Auswanderung nach Amerika
Das schwere Los der Heuerlingsfrau
Die Heuerleute waren kreativ
„Ut nix watt maken!“
Das war der Leitspruch vieler Heuerleute.
Sie waren erfinderisch, denn ihre Lebensumstände waren fast durchweg „bescheiden“.
Gleichschaltung und Ende des „Vereins Christlicher Heuerleute“: 1933
Im Wahlkampf zu den halbfreien Reichstags- und Landtagswahlen vom 5. März 1933 und den Provinziallandtags- und Kommunalwahlen vom 12. März engagierten sich führende VCH-Vertreter wieder für die Zentrumspartei, die Heinrich Kuhr erneut für den Provinziallandtag aufgestellt hatte. Bislang war es der im Emsland organisatorisch nur schwach vertretenen NSDAP nicht gelungen, in den Reihen der Heuerleute-Organisation Anhänger zu finden. Da ihre Unterwanderungstaktik beim EBV gescheitert war, gründete sie im Herbst 1932 in der Grafschaft Bentheim, einer frühen Hochburg der Nationalsozialisten, einen eigenen Bauernverband, den „Nationalen Bauernbund“. Diesem gelang es indes nicht, im Emsland Fuß zu fassen. Ebenso wenig verzeichnete der zur Gewinnung der ländlichen Wählerschichten geschaffene „Agrarpolitische Apparat“ der NSDAP im Emsland Erfolge. Die einzig namentlich bekannten Mitglieder, Emanuel Graf von Galen (1877-1950) aus Beversundern, Dr. Hermann Korte (1904-1958) aus Meppen und Johann Budde (1887-1962) aus Vrees[1], waren entweder Mitglieder des Verpächterverbandes oder wie Dr. Korte Unterstützer der großbäuerlichen Richtung.
Als entschiedener Verteidiger der Weimarer Republik galt der VCH naturgemäß als ein Gegner der NS-Bewegung. Da in diesem Verband NSDAP-Parteianhänger anscheinend nicht einmal in nachgeordneten Positionen zur Ablösung der Verbandsleitung zur Verfügung standen, ging der NS-Staat mit Repressionen gegen ihn vor. Bereits Ende März 1933 fand beim Vorsitzenden Heinrich Kuhr eine mehrstündige Hausdurchsuchung statt, die die Staatsanwaltschaft Berlin gegen alle Führungskräfte der „Deutschen Bauernschaft“ angeordnet hatte[2]. Anfang April besetzte dann die SA in Lingen die Büros der christlichen Gewerkschaften und des VCH, wobei große Aktenbestände des Heuerleuteverbandes beschlagnahmt worden sein sollen[3]. Die Aktion gegen den VCH erregte so großes Aufsehen, dass in der Presse überregional die Meldung verbreitete wurde, die SA habe den Geschäftsverkehr nicht unterbrochen bzw. es seien keine Akten beschlagnahmt worden, ohne aber die SA-Durchsuchungsaktion selbst zu dementieren[4]. Gleichzeitig musste auf Intervention der NSDAP die Vergabe der Siedlerstellen auf dem Gut Geeste, wo die VCH-Siedlungsgesellschaft „Emsland“ wie dargestellt das Dorf Osterbrock schuf, unterbrochen werden[5].
Im Zuge der Gleichschaltung der emsländischen Landwirtschaft, die an anderer Stelle bereits ausführlich dargestellt wurde[6], schufen die Nationalsozialisten nach der Demontage der wichtigsten NS-Gegner in den regionalen Führungsgremien des EBV am 28. April 1933 eine fünfköpfige „Bezirksführerschaft“ der Landwirtschaft. Führender Kopf war der erste Geschäftsführer des nationalsozialistischen Grafschafter „Nationalen Bauernbunds“, Leiter des Agrarpolitischen Apparats der NSDAP in der Region Emsland/Grafschaft Bentheim und nunmehriger hauptamtlicher Nordhorner Bürgermeister, Dr. Hermann Korte. Hier tauchte er allerdings in seiner Funktion als Landwirtschaftlicher Abschnittsfachberater im Agrarpolitischen Apparat der NSDAP auf. Ihm folgte der neue Vorsitzende des „Emsländischen Bauernvereins“, der Deutschnationale Otto Freiherr von Landsberg-Velen. Heinrich Kuhr vertrat den „Verein christlicher Heuerleute, Pächter und Kleinbauern“, der Nordhorner Landwirt Lambert Lödden (* 1886) nahm in der „Bezirksführerschaft“ Platz für den „Nationalen Bauernbund“ und der NSDAP-Provinziallandtagsabgeordnete Johann Budde aus Vrees als Vertreter des Verpächterverbandes und Landwirtschaftlicher Kreisfachberater des Agrarpolitischen Apparats für den Kreis Meppen, obwohl er aus dem Hümmling stammte. Die drei NSDAP-Mitglieder dominierten vollkommen die Bezirksführerschaft der emsländischen Landwirtschaft, zumal vom verbündeten Deutschnationalen kaum Widerstand zu erwarten war. Eindeutiger Verlierer der Gleichschaltung waren die Heuerleute mit ihrem Verband, da nun die Interessenvertreter der Verpächter, die während der Weimarer Republik gegenüber dem VCH politisch in die Defensive geraten waren, den Heuerlingsvertreter problemlos majorisieren konnten. Kuhrs Duldung in der neuen Führungsspitze der Landwirtschaft war wohl allein dem Umstand zu verdanken, dass er einerseits außerordentlich kompetent war und großen Rückhalt bei den Heuerleuten besaß, andererseits aus deren Reihen keinerlei parteitreuer und halbwegs fachkundiger Ersatz gefunden werden konnte. Umrahmt von vier Mitgliedern des „nationalen“ Lagers nutzten die Nationalsozialisten zwar seine fachliche Kompetenz und sein Ansehen, sein politischer Einfluss war aber eliminiert worden, zumal die Zentrumspartei seit der Reichskanzlerschaft Hitlers politisch vollständig ins Abseits geraten war.
In den etwa zwei Wochen später neu gegründeten fünfköpfigen Kreisführergemeinschaften der emsländischen Landwirtschaft und der daraufhin um zwei Mitglieder erweiterten Bezirksführergemeinschaft sah es dann für die Heuerlinge kaum besser aus. Die Heuerleute bzw. Neusiedler besaßen überall nur noch eine symbolische Vertretung, lediglich im Kreis Aschendorf war mit dem langjährigen VCH-Rechnungsführer Franz Speller, der in Kluse gesiedelt hatte, ein aktiver und bekannter Interessenvertreter der ländlichen Unterschichten aufgenommen worden.
Trotz allen staatlichen Drucks auf die Heuerleute-Organisation war der NSDAP kein bedeutender Einbruch in die Reihen der Heuerlinge gelungen, zumal die ersten agrarpolitischen Entscheidungen der neuen Staatsführung den Kleinbauern kaum Hilfe brachten. So bemühte sich Dr. Korte in der Folgezeit besonders darum, diese Gruppe für die NSDAP zu gewinnen. Im Juli 1933 berief er als Bezirksführer der emsländischen Landwirtschaft eine große Heuerleute-Versammlung des VCH in Haselünne ein. Der VCH-Vorsitzende Kuhr erschien nicht. Er ließ verlauten, sein Kriegsleiden mache ihm dies unmöglich. Der Protestant Dr. Korte versuchte, die katholischen Heuerleute für die NS-Regierung einzunehmen. Zunächst warf er der Jahrzehnte lang im Emsland dominierenden Zentrumspartei vor, die katastrophale Politik des letzten Jahrzehnts maßgeblich mitgetragen zu haben. Was das Zentrum in 60 Jahren – so Dr. Korte – nicht vermochte, habe die NSDAP innerhalb von fast sechs Wochen geschafft: die Ratifizierung des Reichskonkordats mit dem Vatikan. Weiterhin führte er laut „Lingener Volksboten“ aus: „Der nationalsozialistische Staat reiche jedem Bauern die Hand, der Willens sei zu ehrlicher und tatkräftiger Mitarbeit. Wer das aber nicht will, der erhalte die Faust“. Der Aufbau des Berufsstandes des Bauern sei so wichtig, „daß derjenige, der sich an die Aufgaben des Bauern nicht gewöhnen könne, diese im Konzentrationslager Börgermoor lernen müsse“[7].
Die Heuerleute waren ungeachtet dieser Drohung mit der Einlieferung in das emsländische KZ Börgermoor noch nicht völlig mundtot gemacht worden, wie Bezirksführer Dr. Korte Ende August 1933 feststellen musste. Auf einer Versammlung der Bezirksführerschaft zur Heuerlingsfrage agitierte er gegen die seit Jahren von den Heuerleuten erhobene Forderung nach einer gesetzlichen Verpflichtung zu schriftlichen Heuerverträgen. Selbst auf dieser Versammlung verlangten die Heuerlinge danach. Doch der NS-Bauernführer erteilte ihnen eine Abfuhr. Da in der neuen Zeit, so behauptete der Bezirksbauernführer, Treu und Glauben wieder zu Ehren kämen, genügten mündliche Verträge. Geschriebene Worte führten lediglich zu einem Haften an Buchstaben, zu kleinlichen Streitereien und endlosen Prozessen[8]. Damit stellte er sich in dieser jahrelangen Auseinandersetzung eindeutig auf die Seite der größeren Bauern, was keine Überraschung war, hatte er doch früher für deren Organisation gearbeitet. Die hier deutlich gewordene Unzufriedenheit der Heuerleute war durchaus nicht grundlos. Während der Weimarer Republik war ihr Verband eine höchst bedeutende Interessenorganisation geworden, die vor allem mit Hilfe der Zentrumspartei parlamentarisch viel für die ländlichen Unterschichten der Region hatte erreichen können. Die Heuerleute fühlten sich durch das Zentrum auf Reichs- und Landesebene sowie durch eine Vielzahl von Verbandsfunktionären in kommunalen Gremien parlamentarisch gut vertreten. Mit deren Unterstützung schuf die VCH-Siedlungsgesellschaft „Emsland“ eine Reihe neuer Bauernstellen für Heuerleute. Nach der Gleichschaltung dominierten in der Landwirtschaft allerdings völlig die Vertreter der größeren Bauern und der Verpächter. Die Aussichten auf einen sozialen Aufstieg hatten sich für die Heuerleute überdies drastisch verschlechtert, seit der NS-Staat im Sommer 1933 daran ging, im Emsland große Ödlandflächen, die sich die Heuerleute als ihre Siedlungsgebiete auserkoren hatten, durch Gefangene der neu errichteten Konzentrations- und Strafgefangenenlagern zu kultivieren. Aus ideologischen Gründen verzichtete man auf den Einsatz von Maschinen, etwa der Fa. Ottomeyer, die schon in der Weimarer Republik auf den Ödlandflächen tätig gewesen waren. Die Erschließung ging deshalb nur schleppend voran[9]. Damit waren große Flächen auf unabsehbare Zeit dem Siedlungsdrang entzogen. Die Heuerleute mit ihrer besonders engen Verbindung zum Zentrum, das sich als letzte Partei der Weimarer Republik am 5. Juli 1933, dem staatlichen Druck nachgebend, selbst auflöste, mussten sich folglich als die eindeutigen Verlierer der nationalsozialistischen Neuorganisation der Landwirtschaft im Raum Emsland/Bentheim sehen. Auch ihre „Siedlungsgenossenschaft Emsland“ wurde gleichgeschaltet. Auf der letzten Sitzung im November 1933 übernahm der NS-Landwirtschaftsfunktionär Dr. Hermann Korte den Vorsitz der Genossenschaft[10], die anschließend wie der VCH und sämtliche übrigen alten Landwirtschaftsorganisationen zum Jahresende 1933 abgewickelt wurde. Damit endete sang- und klanglos die Geschichte einer Organisation, die im deutschen Nordwesten während der Weimarer Republik eine prägende Rolle gespielt hatte und durch ihre Tätigkeit vielen Heuerleuten und Knechten eine neue Lebensperspektive mit einem sozialen Aufstieg verschaffte. Darüber hinaus erreichte der VCH auch, dass sich gerade die ländlichen Unterschichten des Emslands während der Weltwirtschaftskrise nicht radikalisierten, ja sich sogar als besonders treue Anhänger der Zentrumspartei erwiesen.
Nach dem 2 Weltkrieg
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die sozialen und politischen Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Heuerleuten nicht beendet. Zwar trat Heinrich Kuhr als CDU-Mitglied in die „Vereinigung des Emsländischen Landvolks“ (VEL) ein, die als Einheitsorganisation des gesamten Bauerntums der Region geplant war. Doch viele Heuerlinge folgten ihm nicht. Ihr Siedlungshunger war weiterhin groß. Sie forderten, im Zuge des Emslandplans neue Höfe zu erhalten. Unterstützung bekamen sie vom „Bauern-, Pächter- und Siedlerbund Niedersachsen“, der im Raum Emsland/Bentheim die Nachfolge des VCH angetreten hatte. Ihr emsländischer Geschäftsführer Franz Holthus (1909-1990) aus Lingen, ein gebürtiger Messinger, gehörte von 1953 bis 1955 für die Zentrumspartei dem Niedersächsischen Landtag an[11]. Gerade die Heuerleute und Neusiedler erwiesen sich nach dem Krieg als die treuesten Anhänger der wiedergegründeten Zentrumspartei, die von der CDU „bis aufs Messer“ bekämpft wurde. Wegen ihrer sozialen Forderungen und Anti-Aufrüstungspolitik wurde das Nachkriegszentrum von der CDU nicht selten als „kommunistenfreundlich“ verleumdet, konnte sich aber in ihrer Hochburg auf lokaler Ebene noch bis in die 1960-er Jahre halten.
Anmerkungen
[1] Zur Geschichte des Agrarpolitischen Apparats im Emsland vgl.: LVB Nr. 218 vom 20.09.1933. Zur Tätigkeit von Galens im Verpächterverband und in der NSDAP siehe: Helmut Lensing, Emanuel von Galen-Beversundern – Sein Kontakt zum Nationalsozialismus und zum NS-Regime, in: Joachim Kuropka (Hrsg.), Streitfall Galen, voraussichtlich Vechta 2006.
[2] Kuhr (wie Anm. 4), S. 69. Heinrich Lübke, der Geschäftsführer der „Deutschen Bauernschaft“, wurde sogar für Monate inhaftiert.
[3] Münsterischer Anzeiger (weiterhin MA) Nr. 377 vom 09.04.1933, FVB Nr. 44 vom 12.04.1933.
[4] LVB Nr. 88 vom 14.04.1933, MA Nr. 401 vom 16.04.1933, FVB Nr. 45 vom 15.04.1933, HZ Nr. 45 vom 15.04.1933.
[5] FVB Nr. 40 vom 03.04.1933.
[6] Siehe dazu: Lensing (wie Anm. 12), S. 87-98, Martin Löning, Die Durchsetzung nationalsozialistischer Herrschaft im Emsland (1933-1935), in: Emsland/Bentheim. Beiträge zur Geschichte Bd. 12. Hrsg. von der Emsländischen Landschaft, Sögel 1996, 7-353, S. 252.
[7] Vgl.: LVB Nr. 172 vom 28.07.1933 (hier das Zitat), HZ Nr. 88 vom 26.07.1933 oder KVB Nr. 179 vom 28.07.1933.
[8] EZ Nr. 199 vom 01.09.1933, LVB Nr. 202 vom 01.09.1933, Der Emsländer, Meppen, Nr. 27 vom 31.08.1933.
[9] Siehe mit verharmlosender Berichterstattung: KVB Nr. 149 vom 23.06.1933 oder KVB Nr. 153-154 vom 28.06.1933.
[10] HZ Nr. 134 vom 14.11.1933.
[11] Siehe dazu: Haverkamp (wie Anm. 2), S. 100-101. Zur Gründung der VEL und der Gegnerschaft zum neuen Heuerleuteverband vgl.: Walter Bien, 50 Jahre Landvolk. Chronik der Vereinigung des Emsländischen Landvolkes e.V. 1947-1997, Meppen 1997, S. 11-15, 18-19.
Gleichschaltung und Ende des „Vereins Christlicher Heuerleute“: 1933
Dr. Helmut Lensing
Im Wahlkampf zu den halbfreien Reichstags- und Landtagswahlen vom 5. März 1933 und den Provinziallandtags- und Kommunalwahlen vom 12. März engagierten sich führende VCH-Vertreter wieder für die Zentrumspartei, die Heinrich Kuhr erneut für den Provinziallandtag aufgestellt hatte. Bislang war es der im Emsland organisatorisch nur schwach vertretenen NSDAP nicht gelungen, in den Reihen der Heuerleute-Organisation Anhänger zu finden. Da ihre Unterwanderungstaktik beim EBV gescheitert war, gründete sie im Herbst 1932 in der Grafschaft Bentheim, einer frühen Hochburg der Nationalsozialisten, einen eigenen Bauernverband, den „Nationalen Bauernbund“. Diesem gelang es indes nicht, im Emsland Fuß zu fassen. Ebenso wenig verzeichnete der zur Gewinnung der ländlichen Wählerschichten geschaffene „Agrarpolitische Apparat“ der NSDAP im Emsland Erfolge. Die einzig namentlich bekannten Mitglieder, Emanuel Graf von Galen (1877-1950) aus Beversundern, Dr. Hermann Korte (1904-1958) aus Meppen und Johann Budde (1887-1962) aus Vrees[1], waren entweder Mitglieder des Verpächterverbandes oder wie Dr. Korte Unterstützer der großbäuerlichen Richtung.
Als entschiedener Verteidiger der Weimarer Republik galt der VCH naturgemäß als ein Gegner der NS-Bewegung. Da in diesem Verband NSDAP-Parteianhänger anscheinend nicht einmal in nachgeordneten Positionen zur Ablösung der Verbandsleitung zur Verfügung standen, ging der NS-Staat mit Repressionen gegen ihn vor. Bereits Ende März 1933 fand beim Vorsitzenden Heinrich Kuhr eine mehrstündige Hausdurchsuchung statt, die die Staatsanwaltschaft Berlin gegen alle Führungskräfte der „Deutschen Bauernschaft“ angeordnet hatte[2]. Anfang April besetzte dann die SA in Lingen die Büros der christlichen Gewerkschaften und des VCH, wobei große Aktenbestände des Heuerleuteverbandes beschlagnahmt worden sein sollen[3]. Die Aktion gegen den VCH erregte so großes Aufsehen, dass in der Presse überregional die Meldung verbreitete wurde, die SA habe den Geschäftsverkehr nicht unterbrochen bzw. es seien keine Akten beschlagnahmt worden, ohne aber die SA-Durchsuchungsaktion selbst zu dementieren[4]. Gleichzeitig musste auf Intervention der NSDAP die Vergabe der Siedlerstellen auf dem Gut Geeste, wo die VCH-Siedlungsgesellschaft „Emsland“ wie dargestellt das Dorf Osterbrock schuf, unterbrochen werden[5].
Im Zuge der Gleichschaltung der emsländischen Landwirtschaft, die an anderer Stelle bereits ausführlich dargestellt wurde[6], schufen die Nationalsozialisten nach der Demontage der wichtigsten NS-Gegner in den regionalen Führungsgremien des EBV am 28. April 1933 eine fünfköpfige „Bezirksführerschaft“ der Landwirtschaft. Führender Kopf war der erste Geschäftsführer des nationalsozialistischen Grafschafter „Nationalen Bauernbunds“, Leiter des Agrarpolitischen Apparats der NSDAP in der Region Emsland/Grafschaft Bentheim und nunmehriger hauptamtlicher Nordhorner Bürgermeister, Dr. Hermann Korte. Hier tauchte er allerdings in seiner Funktion als Landwirtschaftlicher Abschnittsfachberater im Agrarpolitischen Apparat der NSDAP auf. Ihm folgte der neue Vorsitzende des „Emsländischen Bauernvereins“, der Deutschnationale Otto Freiherr von Landsberg-Velen. Heinrich Kuhr vertrat den „Verein christlicher Heuerleute, Pächter und Kleinbauern“, der Nordhorner Landwirt Lambert Lödden (* 1886) nahm in der „Bezirksführerschaft“ Platz für den „Nationalen Bauernbund“ und der NSDAP-Provinziallandtagsabgeordnete Johann Budde aus Vrees als Vertreter des Verpächterverbandes und Landwirtschaftlicher Kreisfachberater des Agrarpolitischen Apparats für den Kreis Meppen, obwohl er aus dem Hümmling stammte. Die drei NSDAP-Mitglieder dominierten vollkommen die Bezirksführerschaft der emsländischen Landwirtschaft, zumal vom verbündeten Deutschnationalen kaum Widerstand zu erwarten war. Eindeutiger Verlierer der Gleichschaltung waren die Heuerleute mit ihrem Verband, da nun die Interessenvertreter der Verpächter, die während der Weimarer Republik gegenüber dem VCH politisch in die Defensive geraten waren, den Heuerlingsvertreter problemlos majorisieren konnten. Kuhrs Duldung in der neuen Führungsspitze der Landwirtschaft war wohl allein dem Umstand zu verdanken, dass er einerseits außerordentlich kompetent war und großen Rückhalt bei den Heuerleuten besaß, andererseits aus deren Reihen keinerlei parteitreuer und halbwegs fachkundiger Ersatz gefunden werden konnte. Umrahmt von vier Mitgliedern des „nationalen“ Lagers nutzten die Nationalsozialisten zwar seine fachliche Kompetenz und sein Ansehen, sein politischer Einfluss war aber eliminiert worden, zumal die Zentrumspartei seit der Reichskanzlerschaft Hitlers politisch vollständig ins Abseits geraten war.
In den etwa zwei Wochen später neu gegründeten fünfköpfigen Kreisführergemeinschaften der emsländischen Landwirtschaft und der daraufhin um zwei Mitglieder erweiterten Bezirksführergemeinschaft sah es dann für die Heuerlinge kaum besser aus. Die Heuerleute bzw. Neusiedler besaßen überall nur noch eine symbolische Vertretung, lediglich im Kreis Aschendorf war mit dem langjährigen VCH-Rechnungsführer Franz Speller, der in Kluse gesiedelt hatte, ein aktiver und bekannter Interessenvertreter der ländlichen Unterschichten aufgenommen worden.
Trotz allen staatlichen Drucks auf die Heuerleute-Organisation war der NSDAP kein bedeutender Einbruch in die Reihen der Heuerlinge gelungen, zumal die ersten agrarpolitischen Entscheidungen der neuen Staatsführung den Kleinbauern kaum Hilfe brachten. So bemühte sich Dr. Korte in der Folgezeit besonders darum, diese Gruppe für die NSDAP zu gewinnen. Im Juli 1933 berief er als Bezirksführer der emsländischen Landwirtschaft eine große Heuerleute-Versammlung des VCH in Haselünne ein. Der VCH-Vorsitzende Kuhr erschien nicht. Er ließ verlauten, sein Kriegsleiden mache ihm dies unmöglich. Der Protestant Dr. Korte versuchte, die katholischen Heuerleute für die NS-Regierung einzunehmen. Zunächst warf er der Jahrzehnte lang im Emsland dominierenden Zentrumspartei vor, die katastrophale Politik des letzten Jahrzehnts maßgeblich mitgetragen zu haben. Was das Zentrum in 60 Jahren – so Dr. Korte – nicht vermochte, habe die NSDAP innerhalb von fast sechs Wochen geschafft: die Ratifizierung des Reichskonkordats mit dem Vatikan. Weiterhin führte er laut „Lingener Volksboten“ aus: „Der nationalsozialistische Staat reiche jedem Bauern die Hand, der Willens sei zu ehrlicher und tatkräftiger Mitarbeit. Wer das aber nicht will, der erhalte die Faust“. Der Aufbau des Berufsstandes des Bauern sei so wichtig, „daß derjenige, der sich an die Aufgaben des Bauern nicht gewöhnen könne, diese im Konzentrationslager Börgermoor lernen müsse“[7].
Die Heuerleute waren ungeachtet dieser Drohung mit der Einlieferung in das emsländische KZ Börgermoor noch nicht völlig mundtot gemacht worden, wie Bezirksführer Dr. Korte Ende August 1933 feststellen musste. Auf einer Versammlung der Bezirksführerschaft zur Heuerlingsfrage agitierte er gegen die seit Jahren von den Heuerleuten erhobene Forderung nach einer gesetzlichen Verpflichtung zu schriftlichen Heuerverträgen. Selbst auf dieser Versammlung verlangten die Heuerlinge danach. Doch der NS-Bauernführer erteilte ihnen eine Abfuhr. Da in der neuen Zeit, so behauptete der Bezirksbauernführer, Treu und Glauben wieder zu Ehren kämen, genügten mündliche Verträge. Geschriebene Worte führten lediglich zu einem Haften an Buchstaben, zu kleinlichen Streitereien und endlosen Prozessen[8]. Damit stellte er sich in dieser jahrelangen Auseinandersetzung eindeutig auf die Seite der größeren Bauern, was keine Überraschung war, hatte er doch früher für deren Organisation gearbeitet. Die hier deutlich gewordene Unzufriedenheit der Heuerleute war durchaus nicht grundlos. Während der Weimarer Republik war ihr Verband eine höchst bedeutende Interessenorganisation geworden, die vor allem mit Hilfe der Zentrumspartei parlamentarisch viel für die ländlichen Unterschichten der Region hatte erreichen können. Die Heuerleute fühlten sich durch das Zentrum auf Reichs- und Landesebene sowie durch eine Vielzahl von Verbandsfunktionären in kommunalen Gremien parlamentarisch gut vertreten. Mit deren Unterstützung schuf die VCH-Siedlungsgesellschaft „Emsland“ eine Reihe neuer Bauernstellen für Heuerleute. Nach der Gleichschaltung dominierten in der Landwirtschaft allerdings völlig die Vertreter der größeren Bauern und der Verpächter. Die Aussichten auf einen sozialen Aufstieg hatten sich für die Heuerleute überdies drastisch verschlechtert, seit der NS-Staat im Sommer 1933 daran ging, im Emsland große Ödlandflächen, die sich die Heuerleute als ihre Siedlungsgebiete auserkoren hatten, durch Gefangene der neu errichteten Konzentrations- und Strafgefangenenlagern zu kultivieren. Aus ideologischen Gründen verzichtete man auf den Einsatz von Maschinen, etwa der Fa. Ottomeyer, die schon in der Weimarer Republik auf den Ödlandflächen tätig gewesen waren. Die Erschließung ging deshalb nur schleppend voran[9]. Damit waren große Flächen auf unabsehbare Zeit dem Siedlungsdrang entzogen. Die Heuerleute mit ihrer besonders engen Verbindung zum Zentrum, das sich als letzte Partei der Weimarer Republik am 5. Juli 1933, dem staatlichen Druck nachgebend, selbst auflöste, mussten sich folglich als die eindeutigen Verlierer der nationalsozialistischen Neuorganisation der Landwirtschaft im Raum Emsland/Bentheim sehen. Auch ihre „Siedlungsgenossenschaft Emsland“ wurde gleichgeschaltet. Auf der letzten Sitzung im November 1933 übernahm der NS-Landwirtschaftsfunktionär Dr. Hermann Korte den Vorsitz der Genossenschaft[10], die anschließend wie der VCH und sämtliche übrigen alten Landwirtschaftsorganisationen zum Jahresende 1933 abgewickelt wurde. Damit endete sang- und klanglos die Geschichte einer Organisation, die im deutschen Nordwesten während der Weimarer Republik eine prägende Rolle gespielt hatte und durch ihre Tätigkeit vielen Heuerleuten und Knechten eine neue Lebensperspektive mit einem sozialen Aufstieg verschaffte. Darüber hinaus erreichte der VCH auch, dass sich gerade die ländlichen Unterschichten des Emslands während der Weltwirtschaftskrise nicht radikalisierten, ja sich sogar als besonders treue Anhänger der Zentrumspartei erwiesen.
Nach dem 2 Weltkrieg
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die sozialen und politischen Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Heuerleuten nicht beendet. Zwar trat Heinrich Kuhr als CDU-Mitglied in die „Vereinigung des Emsländischen Landvolks“ (VEL) ein, die als Einheitsorganisation des gesamten Bauerntums der Region geplant war. Doch viele Heuerlinge folgten ihm nicht. Ihr Siedlungshunger war weiterhin groß. Sie forderten, im Zuge des Emslandplans neue Höfe zu erhalten. Unterstützung bekamen sie vom „Bauern-, Pächter- und Siedlerbund Niedersachsen“, der im Raum Emsland/Bentheim die Nachfolge des VCH angetreten hatte. Ihr emsländischer Geschäftsführer Franz Holthus (1909-1990) aus Lingen, ein gebürtiger Messinger, gehörte von 1953 bis 1955 für die Zentrumspartei dem Niedersächsischen Landtag an[11]. Gerade die Heuerleute und Neusiedler erwiesen sich nach dem Krieg als die treuesten Anhänger der wiedergegründeten Zentrumspartei, die von der CDU „bis aufs Messer“ bekämpft wurde. Wegen ihrer sozialen Forderungen und Anti-Aufrüstungspolitik wurde das Nachkriegszentrum von der CDU nicht selten als „kommunistenfreundlich“ verleumdet, konnte sich aber in ihrer Hochburg auf lokaler Ebene noch bis in die 1960-er Jahre halten.
Anmerkungen
[1] Zur Geschichte des Agrarpolitischen Apparats im Emsland vgl.: LVB Nr. 218 vom 20.09.1933. Zur Tätigkeit von Galens im Verpächterverband und in der NSDAP siehe: Helmut Lensing, Emanuel von Galen-Beversundern – Sein Kontakt zum Nationalsozialismus und zum NS-Regime, in: Joachim Kuropka (Hrsg.), Streitfall Galen, voraussichtlich Vechta 2006.
[2] Kuhr (wie Anm. 4), S. 69. Heinrich Lübke, der Geschäftsführer der „Deutschen Bauernschaft“, wurde sogar für Monate inhaftiert.
[3] Münsterischer Anzeiger (weiterhin MA) Nr. 377 vom 09.04.1933, FVB Nr. 44 vom 12.04.1933.
[4] LVB Nr. 88 vom 14.04.1933, MA Nr. 401 vom 16.04.1933, FVB Nr. 45 vom 15.04.1933, HZ Nr. 45 vom 15.04.1933.
[5] FVB Nr. 40 vom 03.04.1933.
[6] Siehe dazu: Lensing (wie Anm. 12), S. 87-98, Martin Löning, Die Durchsetzung nationalsozialistischer Herrschaft im Emsland (1933-1935), in: Emsland/Bentheim. Beiträge zur Geschichte Bd. 12. Hrsg. von der Emsländischen Landschaft, Sögel 1996, 7-353, S. 252.
[7] Vgl.: LVB Nr. 172 vom 28.07.1933 (hier das Zitat), HZ Nr. 88 vom 26.07.1933 oder KVB Nr. 179 vom 28.07.1933.
[8] EZ Nr. 199 vom 01.09.1933, LVB Nr. 202 vom 01.09.1933, Der Emsländer, Meppen, Nr. 27 vom 31.08.1933.
[9] Siehe mit verharmlosender Berichterstattung: KVB Nr. 149 vom 23.06.1933 oder KVB Nr. 153-154 vom 28.06.1933.
[10] HZ Nr. 134 vom 14.11.1933.
[11] Siehe dazu: Haverkamp (wie Anm. 2), S. 100-101. Zur Gründung der VEL und der Gegnerschaft zum neuen Heuerleuteverband vgl.: Walter Bien, 50 Jahre Landvolk. Chronik der Vereinigung des Emsländischen Landvolkes e.V. 1947-1997, Meppen 1997, S. 11-15, 18-19.
Gefährdung durch die Nazis
Angesichts der zunehmenden Gefährdung der Republik von Weimar intensivierte der VCH seine Versammlungstätigkeit, wobei neben berufspezifischen Fragen und der Siedlungsproblematik verstärkt aktuelle politische Themen behandelt wurden. So sprach sich der Verband beispielsweise in einer Zeitungsanzeige im August 1931 gegen den von den rechten Republikgegnern initiierten Volksentscheid gegen die Preußenregierung aus und empfahl den Mitgliedern, den Volksentscheid zu boykottieren oder mit „Nein“ zu stimmen[i]. 1932 warb der VCH in Aufrufen für die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten, um eine Präsidentschaft des NSDAP-Parteiführers Adolf Hitler zu verhindern[ii]. Die steigende wirtschaftliche Not trieb, so die Einschätzung des Verbandes, immer mehr Heuerleute in den VCH, um dessen Hilfen in Anspruch zu nehmen[iii]. Der politische Wind wehte dem Verband in der Weltwirtschaftskrise, von der im landwirtschaftlichen Bereich die extrem rechten Parteien profitierten, zunehmend entgegen. So wehrte sich der Bauernfunktionär und Zentrumspolitiker Clemens Hesemann (1897-1981) aus Handrup, 1933 kurzzeitig emsländischer Zentrumsvorsitzender, auf einer Wahlveranstaltung seiner Partei in Langen im Sommer 1932 gegen das Schlagwort der Rechtsparteien des Landstrichs vom „Siedlungsbolschewismus“, mit dem diese die Arbeit des VCH zu diskreditieren suchten. Er sprach sich eindeutig für die Siedlung aus[iv]. Trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten warb der Kleinbauernverband weiterhin für die Demokratie von Weimar. Auf einer Notkundgebung Anfang Januar 1933 in Lingen machten folglich die Verbandsvertreter den versammelten Heuerleuten und Knechten klar, nicht das „System“ sei an der Notlage schuld, sondern eine verfehlte Agrarpolitik[v]. Wo der Verband politisch stand, wurde bei dieser Gelegenheit wieder augenscheinlich demonstriert. Als Gastredner trat der regionale Zentrumsreichstagsabgeordnete August Wegmann (1888-1976) aus Oldenburg auf. Überdies beschlossen die Anwesenden, dem von den rechten Parteien wegen seiner fortschrittlichen Sozialpolitik heftig befehdeten ehemaligen Zentrumsminister Dr. Heinrich Brauns zu seinem 65. Geburtstag demonstrativ ein Glückwunschtelegramm zu senden[vi].
[i] HZ Nr. 90 vom 04.08.1931.
[ii] EZ Nr. 80 vom 06.04.1932 oder FVB Nr. 43 vom 09.04.1932. Das offensive Eintreten für Hindenburg wurde vorher in Ortsgruppenversammlungen ausführlich begründet (siehe z.B. für die Ortsgruppe Dohren: HZ Nr. 33 vom 19.03.1932). Auch beim zweiten Wahlgang warb der VCH für Hindenburg (HZ Nr. 40 vom 07.04.1932).
[iii] FVB Nr. 154 vom 25.12.1931.
[iv] FVB Nr. 87 vom 20.07.1932.
[v] Lengericher Nachrichten, Ankum, Nr. 6 vom 08.01.1933.
[vi] KVB Nr. 6 vom 07.01.09.1933.
Weltwirtschaftskrise
Selbst während der Weltwirtschaftskrise setzte die VCH-Siedlungsgenossenschaft ihre Tätigkeit erfolgreich weiter fort. So schuf sie zwei völlig neue Ortschaften, nämlich Renkenberge bei Lathen im Kreis Aschendorf und Osterbrock im Kreis Meppen. Hier hatte die Siedlungsgenossenschaft „Emsland“ 1932 das Gut Geeste mit 832 Hektar von der Harpener Bergbau AG gekauft sowie in Renkenberge eine Ödlandfläche von 663 Hektar. Während diese Flächen noch besiedelt wurden, beendeten geänderte politische Umstände ein drittes Großprojekt. Im Bourtanger Moor erwarb die Siedlungsgenossenschaft 1930/31 rund 2600 Hektar zusammenhängende Moor- und Heideflächen, die anschließend erst einmal vom „Freiwilligen Arbeitsdienst“ entwässert wurden. Doch bevor hier die Siedlung im großen Maßstab beginnen konnte, wurde die Siedlungsgenossenschaft – wie weiter unten beschrieben wird – durch den NS-Staat gleichgeschaltet und bald darauf aufgelöst. Das Land Preußen kaufte die Flächen in Sustrum und Walchum auf[i]. Immerhin waren in der Siedlung Kluse bereits 44 Neusiedlerstellen errichtet worden[ii], auch die Schaffung des neuen Siedlerdorfes Hasselbrock konnte noch in Angriff genommen werden[iii]. Der VCH und die Siedlungsgenossenschaft veröffentlichten stetig Berichte, die vom Fortschritt der Siedlungsbemühungen und vom Kauf neuer Ödlandflächen kündeten oder der Information von Siedlungswilligen dienten, wobei sie zur Unterrichtung der Heuerleute über die Siedlung sogar das hochmoderne Medium Film einsetzten[iv].
[i] Siehe dazu und zur Siedlungsgenossenschaft „Emsland“: Christof Haverkamp, Die Erschließung des Emslandes im 20. Jahrhundert als Beispiel staatlicher regionaler Wirtschaftsförderung. Hrsg. von der Emsländischen Landschaft (= Emsland/Bentheim. Beiträge zur Geschichte Bd. 7), Sögel 1991, S. 41-46. In Osterbrock siedelten vornehmlich Heuerleute aus der Frerener und Lengericher Umgebung (FVB Nr. 44 vom 12.04.1933 und FVB Nr. 69 vom 10.06.1933).
[ii] HZ Nr. 52 vom 05.05.1932. Die Siedler waren Heuerleute aus Setlage, Thuine, Andervenne und Freren (FVB Nr. 53 vom 02.05.1932).
[iii] EZ Nr. 261 vom 14.11.1933.
[iv] HZ Nr. 14 vom 31.01.1931. Siehe zum Vorherigen z.B.: FVB Nr. 24 vom 24.02.1930, KVB Nr. 70 vom 24.03.1931 oder BZ Nr. 191 vom 17.08.1931.
Siedlungen im Emsland
Dr. Helmut Lensing
Doch dann setzte im Emsland ebenfalls die Siedlung ein. Insbesondere schuf die Siedlungsgenossenschaft neue Bauernhöfe im nördlichen Emsland, wie der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen ist. 1930 entfielen von den 199 Neusiedlerstellen im Emsland auf den
Kreis Aschendorf 83
Kreis Meppen 59
Kreis Hümmling 46
Kreis Grafschaft Bentheim 6
Kreis Lingen 5.
In der Grafschaft Bentheim sollten zwar weitaus mehr Siedlerstellen geschaffen werden, doch wehrten sich hier die Grundbesitzer mit Hilfe der DVP und der DNVP mit aller Macht gegen eine Enteignung oder auch nur den erzwungenen Verkauf von Ödland, das freiwillig niemand hergeben wollte[i].
Tab. 5: Ankauf und Besiedlung von Ödlandflächen durch die Siedlungsgenossenschaft Emsland bis Ende 1930[ii]
Größe in ha | Kulturland in ha | Ödland
in ha |
Siedler | Neubauten | |
Lohe, Meppen | 86 | – | 86 | 8 | 8 |
Apeldorn | 92 | – | 92 | 8 | 8 |
Andrup | 20 | – | 20 | 2 | 2 |
Lehrte | 12 | – | 12 | 1 | 1 |
Bramsche | 12 | – | 12 | * | – |
Dalum | 136 | – | 136 | 9 | 9 |
Kl. Berßen | 42 | – | 42 | 4 | 4 |
Lähden | 14 | – | 14 | 1 | 1 |
Verßen | 64 | – | 64 | 5 | 5 |
Bawinkel | 43 | – | 43 | 4 | 4 |
Bookholt | 46 | – | 46 | 4 | 4 |
Gr. Berßen | 349 | 6 | 343 | 30 | 30 |
Kathen | 135 | 2 | 133 | 10 | 10 |
Lastrup | 71 | 10 | 61 | 6 | 6 |
Eisten | 24 | 1 | 23 | 2 | 2 |
Wehm | 27 | 10 | 17 | 2 | 2 |
Altharen | 73 | – | 73 | 7 | 7 |
Bimolten | 23 | – | 23 | 3 | 3 |
Bramhar, Meppen | 14 | – | 14 | 2 | 2 |
Bückelte | 22 | – | 22 | 2 | 2 |
Hüven | 13 | – | 13 | 1 | 1 |
Lotten | 31 | – | 31 | 3 | 3 |
Tinnen-Emmeln | 470 | – | 470 | 35 | 35 |
Kluse | 487 | 2 | 485 | 38 | 38 |
Sandheim, Meppen | 125 | 105 | 20 | 10 | 9 |
Gersten | 8 | 1 | 7 | 1 | 1 |
Schwefingen | 17 | – | 17 | 2 | 2 |
Gesamt | 2456 | 137 | 2319 | 199 | 197** |
* Anliegerstelle. ** In Bramsche und Sandheim war jeweils schon ein Gebäude vorhanden.
Trotz aller Klarstellungen und diesbezüglichen Veröffentlichungen warfen die Verpächter dem VCH und der Siedlungsgenossenschaft unverdrossen vor, sie würden sich dafür einsetzen, ihr Land entschädigungslos enteignen zu lassen. Dem trat Heinrich Kuhr Anfang 1929 in der Presse mit folgenden Zeilen öffentlich entgegen:
„Als ich im Dezember 1919 zum erstenmale im Reichsarbeitsministerium mit dem Referenten des Herrn Reichsarbeitsministers (Sozialdemokrat) eine Besprechung über die kommende Pachtschutzordnung hatte, wurde mir die Frage vorgelegt: „Ob wir nicht eine Bewegung einleiten wollten, die darauf hinauslief, das Heuerlingsverhältnis in ein Eigentumsverhältnis auf dem Wege der Enteignung zu überführen“. Diese unvermutete Frage ließ mich nach einigen Augenblicken Bedenken mit einem absoluten Nein antworten. Zur Begründung habe ich damals ausgeführt, daß ich es allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht vertreten werden könne, generell alle Heuern auf diesem Wege in Eigentum zu überführen, da die zum größten Teil parzellierten und viel zu kleinen Heuerstellen keine angemessene Existenzbasis darstellten, um allein aus dem Ertrage dieser Stellen eine Familie ernähren zu können. Des weiteren wies ich darauf hin, daß nach der Reichsverfassung eine Enteignung nur gegen Entschädigung in Frage käme. Es wäre aber nicht vertretbar, aus einem Heuermann einen Schuldner des Verpächters zu machen“[iii].
[i] Siehe beispielhaft den Kampf in Bookholt, wo 1000 Morgen Ödland enteignet werden sollten (ZuA Nr. 15 vom 18.01.1929, ZuA Nr. 224 vom 23.09.1929 oder Bentheimer Zeitung (weiterhin BZ) Nr. 116 vom 18.05.1928 mit einem beigebundenen Flugblatt der DVP gegen die Siedlungsgenossenschaft „Emsland“).
[ii] Geschäftsbericht der Siedlungsgenossenschaft „Emsland“, Lingen, bis zum 31. Dezember 1930, in: LVB Nr. 181 vom 11.08.1931.
[iii] Kuhr, Untergang.
Siedlungen im Osten
Doch bis endlich die ersten konkreten Siedlungsmaßnahmen im Emsland in Angriff genommen werden konnten, verging Zeit – zuviel Zeit für die landhungrigen Heuerleute. So vermittelte die Dachorganisation der Kleinbauernverbände, der „Reichsverband landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe“, alsbald Siedlungen im Osten, wo Güter aufgekauft wurden. In Giesenbrügge im Kreis Soldin in Ostbrandenburg siedelten 18 Familien aus dem Kirchspiel Lengerich, sieben aus dem Kirchspiel Bawinkel und fünf aus dem Kirchspiel Herzlake. Weitere Heuerleute aus dem Emsland ließen sich im unweit gelegenen Schönow im hinterpommerschen Kreis Pyritz und im nahe liegenden Hohengrape im Kreis Soldin/Neumark nieder. Einzelne Familien gingen nach Tempelhof oder nach Mecklenburg. Infolge des großen Kinderreichtums der Heuerleute waren es ansehnliche Gruppen, die damit das Emsland verließen. So fuhren am 2. Oktober 1929 aus dem Raum Lengerich vom Bahnhof Freren aus 80 Menschen nach Schönow. Die Ostsiedler bekamen Höfe von 15 bis 16 Hektar, wobei der Boden weitaus besser war als im Emsland. Die Neusiedler unternahmen sogleich beträchtliche Anstrengungen, um für eine Kirche und seelsorgliche Betreuung zu sorgen, denn Katholiken waren – mit Ausnahme von polnischen Saisonarbeitern – in der neuen Heimat unbekannt. 1945/46 mussten die ehemaligen Heuerleute die nun polnisch gewordenen Gebiete verlassen. Als sogenannte Rückwanderer fanden bis 1953 im Bourtanger Moor, etwa in der Bauerschaft Sustrumer Moor, 56 Familien neue Siedlerstellen[i].
[i] Siehe dazu ausführlich: Josef Grave, Heuerleute – West-Ostsiedler – Rückwanderer. Auf den Spuren emsländischer Familien in Hinterpommern und Ostbrandenburg, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes Bd. 41/1995, Sögel 1994, S. 330-342, sowie zu der Auswanderung in der Presse: LVB Nr. 244 vom 19.10.1929 (aus Wettrup gehen zehn Heuerlingsfamilien nach Pommern, eine Familie siedelt in Handrup, zwei in Oldenburg und drei Heuerleute haben im Ort einen Hof bekommen), LVB Nr. 250 vom 26.10.1929 (Lengericher VCH-Vorsitzender Gräber wandert nach Pommern aus), FVB Nr. 19 vom 12.02.1930 oder FVB Nr. 87 vom 20.07.1932.