„Was habt ihr gewusst?“ Späte Frage an frühere Heuerleute und Bauern an der Ems

 

Nach den zutiefst erschreckenden Ereignissen in Halle im Oktober 2019 wird man uns möglicherweise später fragen:

Und was habt ihr dann getan?

Der nachfolgende Text stammt aus dem Aufsatz Die verwundete Generation  des aus dem Emsland stammenden Journalisten und Medienmanagers Theo Mönch-Tegeder in der Veröffentlichung:

Die letzten 80 Jahre im Emsland. Nachgezeichnet an den Lebensbildern von Pöttker Hinnerk und Botter Bernd. Ein Buch von Bernd Robben mit Beiträgen von Theo Mönch-Tegeder, Emsbüren 2011, Seite 55/56.

Diese Frage verbindet sich im Emsland ganz besonders mit den vielen Straf- und Kriegsgefangenen- beziehungsweise Konzentrationslagern. Nirgends in Deutschland gab es sie in so dichter Konzentration. Und die Gefangenen wurden nicht immer hinter dem Zaun gehalten; sie kamen in die Städte und Dörfer, auf die Höfe und in die Fabriken. Man begegnete ihnen in den Zügen und auf den Bahnhöfen, bei Arbeitseinsätzen und Märschen.   Mir, dem Nachkriegs-Kind, fällt es schwer zu glauben, dass nicht eine größere Zahl Emsländer irgendetwas von diesen Grausamkeiten im Moor gewusst oder zumindest geahnt haben wird.

Mit dem einen und anderen Zeitzeugen konnte ich mich persönlich unterhalten und war überwältigt von der Eindringlichkeit, mit der sie noch nach mehr als einem halben Jahrhundert von ihren damaligen Erlebnissen berichteten. Eingebrannt war es in ihren Herzen. In Dörfern wie Esterwegen wusste man von Missetaten und Quälereien. Aber ebenso auch, wie im Kleinen und manchmal sogar im großen Stil Hilfe und Nächstenliebe praktiziert wurde. Und dieses Wissen soll auf wenige Einzelpersonen beschränkt gewesen sein? Zumindest muss man – so scheint mir – die emslandtypische Verschlossenheit mit ins Kalkül ziehen. Über Unangenehmes spricht man nicht gern. hieß in Unterhaltungen die Parole, sobald Heikles angeschnitten wurde, das nicht die Ohren Unbefugter erreichen sollte. Und der Zeitpunkt für dieses Stopp-Signal war sehr schnell erreicht.  Mir selbst ist dies verschiedene Male noch in den siebziger Jahren widerfahren, als ich versuchte, mir ein wenig mehr Klarheit über die Ereignisse der damaligen Zeit zu verschaffen. Sobald Personen oder Familien involviert waren, die noch existierten, wurden die Vorhänge zumeist schnell zugezogen. So lagen lange, sehr lange die Schatten des Verdrängens und Vergessenwollens über den zwölf dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte – auch im Emsland, hier vielleicht besonders. Diejenigen, die in den sechziger Jahren die Schleier wegziehen wollten, wurden als Diffamierer, Nestbeschmutzer und Übleres beschimpft. Inzwischen hat sich – auch dank der fortgeschrittenen Zeit – manche Verkrampfung gelöst. Es ist dem Landkreis Emsland hoch anzurechnen, dass er sich der Geschichte der Emslandlager mustergültig stellt. Auch sonst sind die Forschungen über diese Zeit intensiv und ohne Tabus. Aber vieles bleibt noch aufzuarbeiten. Höchste Zeit wäre es, dieses Kapitel stärker in die Familienforschung zu integrieren, denn nicht mehr lange sind die letzten Zeitzeugen auskunftsfähig; wichtige historische Quellen gehen womöglich – vermutlich sogar – mit den Generationswechseln verloren, so dass weiterhin manches unausgesprochen und unaufgearbeitet bleiben wird.

Warum sollte es ausgesprochen werden?

Um daraus zu lernen. Um zu lernen, wie solche fürchterlichen Entgleisungen eines ganzen Volkes, eines ganzen Staates in Zukunft möglichst zu verhindern sind. Und darin liegt die große Leistung der Nachkriegszeit, der Generation des Pöttker Hinnerk und des Botterbernd. Sie hat es geschafft, dass Deutschland nun mehr als 60 Jahre im Frieden lebt. Historisch betrachtet, war und ist dies die Ausnahme-Situation, nicht der Krieg.

Das muss für immer eine Mahnung bleiben.

https://www.dorf-emsbueren.de/Dorfleben/Buern-Aktiv

Karte und Foto: Buck  Link oben: Nachruf auf Theo MT (bitte ein wenig nach unten scrollen)

Lippische Heuerleute mit besonderen Fähigkeiten

Lippische Ziegler

Viele Heuerleute aus dem Lipper Land zogen als Wanderarbeiter vornehmlich in die Ziegeleien an der unteren Ems ins Rheiderland (südwestlicher Teil von Ostfriesland).

Es handelte sich dabei um eine körperlich sehr anstrengende Arbeit, die aber vergleichsweise „gut“ bezahlt wurde.

Dieser Film zeigt mehr:

Jeder wusste es – keiner sprach offen darüber

             Bauern und „ihre“ Mägde  

Nach über 30 Jahren Recherchen zur Lage der besitzlosen Landbevölkerung rückt dieses Thema zunehmend deutlicher in den Fokus – auch wenn man es gefühlsmäßig lieber „wegdrücken“ würde.

Insbesondere nach etlichen der über 120 Vorträge wurde darüber zumeist sehr emotional berichtet.

Durchweg wurde dabei auf meine jeweilige Nachfrage bestätigt, dass ein „Schweigemilieu“ einem offenen Gespräch darüber bisher entgegengestanden hat.

Da immer weniger Zeitzeugen(innen) darüber berichten können, soll hier der bisherige Kenntnisstand an Beispielen dokumentiert werden.

Dieses gesellschaftliche Problem ist allerdings nicht auf das Heuerlingsgebiet begrenzt.

Es deutet sich dabei nach Besuchen und Fachgesprächen an, dass in den Gebieten mit Realteilung (z. B. in der Eifel und in Teilen von Baden mit fast durchweg kleineren landwirtschaftlichen Betrieben) über diese Erscheinung kaum berichtet wird.

Es muss noch intensiv weiter in der Fachliteratur das Phänomen untersucht werden, dass die Zahl der unehelichen Geburten im 18. und 19. Jahrhundert regional unterschiedlich auf über 20 % anstieg.

 

Oktober 2019

             

Dieses Kirchdorf (1) (verfremdet) mit seinen Bauerschaften (2-7) existiert tatsächlich in Nordwestdeutschland.

 

1      Bauer, Gastwirt und Bäcker

Dieser wohlhabende und im Dorf sehr einflussreiche Mann war Vater von drei ehelichen und zwei unehelichen Kindern.

2        Bauer – mittelgroßer Hof

Ein Landwirt, der Vater von vier ehelichen Töchtern war, hatte auch ein Kind mit einer Magd im Jahr 1938. Die eigenen Töchter, die heute auch schon verstorben sind, haben nie etwas von der Existenz ihres außerehelichen Halbbruders erfahren.

3        Bauer – großer Hof

Ein nachgeborener Bauernsohn aus der Bistumsstadt (Stadtrandlage) heiratet auf einen Bauernhof in der Nachbarregion ein. Er zeugt zwei eheliche Töchter. Mit drei verschiedenen Mägden hat er jeweils ein Kind. Hier ist noch anzumerken, dass sein Schwager katholischer Priester war. Seine Frau als Schwester des Pastors hat darauf bestanden, dass nach jedem Ehebruch mit Kindfolge das Eheversprechen unter Zeugnis des Geistlichen von ihrem Mann in der Kirche abgegeben wurde…

4        Bauer – großer Hof

Dieser Landwirt hatte in seiner Ehe keine Kinder. Dafür zeugte er einer 19 -jährigen Flüchtlingstochter, die nach dem Kriege auf seinem Hof einquartiert war, eine Tochter.

5        Bauer – größerer Hof

Dieser Fall ist von vielen älteren, zumeist schon verstorbenen Dorfbewohnern hinter vorgehaltener Hand erzählt worden:  Etwa um das Jahr 1900  hat ein Landwirt mit seiner von ihm geschwängerten Magd eine Bootsfahrt auf dem nahe gelegenen Fluss gemacht und sie dabei über Bord gestoßen. Da die Mehrzahl der Menschen früher nicht schwimmen konnte, ist sie dabei ertrunken.

6        Bauer –  kleinerer Hof

Seine Frau und die Magd des Hofes erwarteten zeitgleich im Jahre 1936 ein Kind von diesem Landwirt. Er hat dann kurzerhand sein angestammtes Anwesen verkauft und seinen Wohnsitz um etwa 60 Kilometer nach Süden verlegt. Zeitzeugen berichten: Noch bevor er in seinem neuen Wohnort angekommen war, wusste die gesamte Bevölkerung dort von seiner Lage.

7        Bauer – größerer Hof

Dieser Fall, der kaum zu glauben ist, soll hier nicht vorgestellt werden aus Rücksicht auf lebende Betroffene.

Schaubild von Bernd Robben

 

Heuerleute, Mägde und Knechte fehlten in den 50er Jahren zunehmend

Zusätzlicher Kartoffelanbau lohnte sich nach dem 2. Weltkrieg immer mehr.

Aber die ländlichen Arbeitskräfte fehlten zunehmend, denn Mägde, Knechte und Heuerleute zogen mehr und mehr ab wegen besserer Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft.

Die Weiterentwicklung von Landmaschinen, die zunächst noch von Pferden gezogen wurden, schuf gewisse Abhilfe.

Als dann zunehmend Schlepper auf den Markt kamen, folgte eine enorme Weiterentwicklungen der Landtechnik, die in den aufstrebenden Landmaschinen-Fabriken gerade im ehemaligen Heuerlingsgebiet entstanden waren (Claas, Krone, Grimme, Amazone, van Lengerich u. a.).

Der mittlerweile historische Film kann offensichtlich auch Hinweise darauf geben, wie durch mechanische Unkrautbekämpfung zumindest zum Teil der Agrochemie ersetzt werde könnte…

 

Besuch in Neu-Ulm: Privates Bauernhofmuseum

Christian Bühler

ist Landwirt und Gründer eines eigenen Bauernmuseums in 89233 Holzschwang, Landkreis Neu-Ulm im Bezirk Schwaben.

Die Schwerpunkte des gemeinsamen Gedankenaustausches:

  • Gründe für den Aufbau eines eigenen Bauernmuseums
  • Heiratsverhalten in der bäuerlichen Gesellschaft der Region
  • Situationsbeschreibung zur Lage der unehelichen Kinder von Mägden
  • Besichtigung des hofeigenen landwirtschaftlichen Museums
  • Entwicklungstendenzen in der Landwirtschaft der letzten 100 Jahre

Zunächst ein kurzer Hinweis zum Verhältnis zwischen Bauern und Besitzlosen auf Festen:

  • Waren die Mägde, Knechte und Inleute „vollwertige“ Gäste?

Foto und Video: Archiv Robben

Heuermann Dunkmann: Mein Vater hatte Angst vor dem Bauern

 

https://www.lwl.org/voko-download/BilderNEU/422_023Sauermann_MU.pdf

Seite 33

Bei dieser letzten Heuerstelle, die wir hatten, da war der Hof in der ersten Zeit verpachtet, und da hatten wir eigentlich mit dem Bauern wenig zu tun.

Dann später hat der Mann den Hof selbst übernommen, er hat geheiratet und hat dann selber die Sache bearbeitet. Mein Vater, der hatte Angst vor diesem Mann, er war eben noch in dem Untertanenverhältnis von früher.

Der Heuerling, der war ja abhängig vom Bauern .

Wenn der Bauer sagte, er soll ausziehen, dann mußte er eben ausziehen. Anders ging‘ s ja gar nicht. Ich kann mal ein Beispiel anführen. Da hat der Bauer dem Heuermann bestellt, er solle morgen früh mit zwei Mann kommen, und da sagte der Mann: „Mit zwei Mann kann ich morgen wirklich nicht kommen. Ich werde wohl kommen, aber die Tochter, die sonst immer mitgeht, die ist irgendwo andersweitig versagt . „

Das hatte der Bauer aber nicht selber bestellt, er hatte es durch einen anderen bestellen lassen. Der Heuermann wollte auf Besuch den Tag, und er trifft den Bauern da unterwegs.

„So und Du willst morgen nicht mit zwei Mann kommen?“ „Nein, morgen kann ich nicht mit zwei Mann, aber ich komme!“

„Wenn Du nicht mit zwei Mann kommst, dann ist es aus, dann kannst Du ausziehen, weg vom Hof.“

Nur wegen dieser Absage mußte der Mann ausziehen.
Und sie haben sich wegen dieser Sache nicht mehr vertragen, und der Mann mußte ausziehen. Er hatte aber Glück gehabt und konnte bei einem Nachbarbauern wieder einziehen. Und das war ein großes Glück für ihn, er hat später diese Stelle gekauft. Aber da sah man eben, wie sehr der
Heuermann vom Bauern abhängig war.

Und so war es auch mit meinem Vater. Wenn da nicht alles glattging, dann hatte er Angst. Wenn er den Bauern sah, da wirkte das schon.

Später kam das so nach und nach etwas anders . Als dann der Krieg zu Ende ging, 1918, da gab es ja schon eine gewisse Freiheit, da war man nicht mehr bange.

Foto Buch: Archiv Robben

Foto Dunkmann: Frau  Sauermann

Drei verbundene Mettinger Fachwerkhäuser dienen als Museum des Töddentums

Ein Heuerhaus wird „Heimathaus“

Eingebunden in das Hotel Telsemeyer im Zentrum von Mettingen finden sich drei Fachwerkhäuser als Museum.

Hier entstand zwischen 1962 bis 1969 ein im Heuerlingsgebiet einmaliges Ensemble von renovierten Gebäuden.

Das Hauptthema dieser musealen Anlage ist die Leinenverarbeitung, die dieser Gegend Ansehen und Wohlstand brachte.

Insbesondere aus Heuerleuten wurden Kaufleute, die beim Hollandgang zunehmend erfolgreich wurden. Besonders bekannt ist die weltweit agierende Kaufhauskette C&A.

Das „Telsemeyer“ mit Blick auf die Kirche

… von der Kirche aus gesehen.

Der Eingang des Museums im Innenhof des Hotels

 

 

Wandmalerei im zur Historie von Mettingen im Hotel…

… und Fensterbilder zu Familiengeschichten erfolgreicher Mettinger.

Fotos: Archiv Robben

Wenn ein 23jähriger Geschichtsstudent über das Heuerlingswesen in seinem Heimatdorf schreibt…

… entsteht daraus weit mehr als eine Dorfchronik!

Das war im Jahr 2001.

Seit 2013 leitet Dr. Christian Westerhoff die Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart.

Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Heuerlingswesen und hat hierzu verschiedene Publikationen vorgelegt, u.a.:

  • „Ossenbeck. Kleiner Ort mit langer Geschichte”, Damme 2001;
  • „Das Heuerlingswesen in der Bauerschaft Ossenbeck und die Agrarmodernisierung im 20. Jahrhundert”, in: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, Damme 2004
  • „Das späte Ende des Heuerlingswesens im Oldenburger Münsterland”, in: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, Damme 2017
  • „ Heuerhäuser des 20. Jahrhundert in Ossenbeck bei Damme“, in: „Heuerhäuser im Wandel – Vom ärmlichen Kotten zum individuellen Traumhaus2, Bernd Robben/Martin Skibicki/Helmut Lensing/Georg Strodt, Haselünne 2017, Seite 138 -145

https://www.wlb-stuttgart.de/sammlungen/bibliothek-fuer-zeitgeschichte/kontakt/dr-christian-westerhoff/

Dr. Westerhoff  kann für die Dokumentation des  Heuerlingswesens insgesamt  als „Glücksfall“  bezeichnet werden: Seine Vorfahren stammen aus dieser Sozialisationsform.

Hier stellt er sich vor:

Anstelle einer Kurzrezension soll aus dem Vorwort des Buches  „Ossenbeck“ zitiert werden:

Die Konzeption dieser Chronik unterscheidet sich insofern von den meisten anderen Werken ihrer Art, als ich nicht mit einem Redaktionsteam im Auftrag einer Bauerschaft, sondern auf eigene Faust und aus eigenem Interesse dieses Buch geschrieben habe.

Auch habe ich mit 23 Jahren für den Schreiber einer Ortschronik ein untypisches Alter.

Ich habe nicht wie andere einen großen Teil der Geschichte ihres Ortes selbst erlebt. Aus diesem Grund war meine Herangehensweise ein wenig anders, wozu auch mein Geschichtsstudium und die verschiedenen Erfahrungen während der Arbeit am Buch beigetragen haben.

So habe ich die Chronik wissenschaftlicher ausgerichtet als dies bei vielen Werken dieser Art üblich ist. Ich habe nicht nur Begebenheiten, die Ossenbeck direkt betreffen, aufgeführt, sondern diese in den allgemeinen historischen Zusammenhang eingeordnet.

Das komplette Interview findet sich in dem Buch Heuerhäuser im Wandel – Vom ärmlichen Kotten zum individuellen Traumhaus, Bernd Robben/Martin Skibicki/Helmut Lensing/Georg Strodt, Haselünne 2017, Seite 138 -145

 

 

Heuerhaus Westerhoff in den 1930er Jahren, gemalt von Franz-Josef Gers-Ossenbeck

 

 

Fotos: Familie Westerhoff