Gesundheit und hygienische Verhältnisse im 19. Jahrhundert
Dr. med. Jonas Goldschmidts Aufzeichnungen
Dr. med. Heinrich Book erkannte typische Heuerlingskrankheiten
Gesundheit und hygienische Verhältnisse im 19. Jahrhundert
Dr. med. Jonas Goldschmidts Aufzeichnungen
Dr. med. Heinrich Book erkannte typische Heuerlingskrankheiten
1. Vom Pferdeantrieb zu Traktoren
2. Bodenbearbeitung
3. Sä- und Pflanztechnik
4. Pflanzenpflege und Pflanzenschutz
5. Erntetechnik
6. Erntelagerung
Heuerleute als Schüler und Lehrer – Dumm geboren und nichts dazugelernt?
Die Unfähigkeit der Lehrer
Heuerlingskinder waren deutlich benachteiligt
Beispiele für den sozialen Aufstieg durch Bildung
Verkehrswege damals: Schlamm oder Staub
Gute Straßen brachten nur Verdruss
Der Transport mit dem Wagen oder der Kutsche
Der Pferdeeinsatz war teuer – für die Heuerleute
Die Verkehrsanbindung war wichtig
Herausgegeben von Dagmar Hänel und Ruth – E. Mohrmann
Schriftleitung: Thomas Schürmann, Lars Winterberg
Band LX Bonn und Münster 2015
Dort findet sich die folgende Buchbesprechung von
Dr. Marten Pelzer aus Köln
Titel und Untertitel sind bei dem Werk treffend gewählt und vielsagend:
In dem Buch geht es um das soziale Phänomen der Heuerleute, jener in Nordwestdeutschland jahrhundertelang bis in die 1960er Jahre verbreiteten unterbäuerlichen Schicht von Kleinpächtern, die hier, neben dem Gesinde zugleich die Landarbeiterschaft stellten und dabei in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu den landverpachtenden Bauern standen.
Die Themen, die behandelt werden, betreffen die Entstehung und Ausgestaltung des Heuerlingswesens nach dem Dreißigjährigen Krieg unter dem Einfluss von Anerbenrecht und Bevölkerungswachstum, die für die Heuerlingswirtschaft lange Zeit so wichtige geduldete Mitbenutzung der „gemeinsamen Marken“ und die Folgen der Markenteilung, die Strategien der Heuerleute zur Bewältigung ihrer zumeist prekären Lebenslage wie frühe Versuche der Moorbesiedlung und diverse Nebenverdienste aus Textilherstellung, Wanderhandel, Hollandgängerei oder auch Schmuggel und Lehrtätigkeiten an Winkelschulen, die Verschärfung der Arbeits– und Erwerbssituationen für die Heuerlingsbevölkerung während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Auswanderungswellen nach Amerika als Reaktion auf diese Krise wie auch das anschließende Aufkommen und Wirken der politisch ausgerichteten Heuerleutebewegung mit ihrem Pachtschutzforderungen und Reagrarisierungsansätzen im Zusammenhang mit der staatlich geförderten Ödlanderschließung.
Dazwischen scheint immer wieder durch, wie schwer es die Heuerlingsfamilien hatten und wie abhängig sie von der Gunst des Bauern waren. Aufgrund ihrer schwachen Rechtsposition und des hohen Konkurrenzdrucks unter ihnen waren sie die meiste Zeit ihren Verpächtern regelrecht ausgeliefert.
Soweit bringt das Buch kaum neue Erkenntnisse. Es führt zusammen, was zu dem Thema an Lesefrüchten aus der einschlägigen regionalhistorischen Literatur zu gewinnen ist. Noch am ehesten eröffnet es neue Einsichten dort, wo die Rolle der Heuerlingsfrau in den Fokus genommen wird.
Neu und in jedem Fall verdienstvoll ist, dass das Buch nach langer Zeit wieder eine Zusammenschau zum Heuerlingswesen bietet und zudem gleichsam durch die Brille dieses Sozialphänomen auch eine allgemeinere Darstellung des Landlebens in Nordwestdeutschland entfaltet.
Dabei ist es gut lesbar und, von gelegentlichen Wiederholungen und einigen wenigen chronologischen Brüchen abgesehen, klar nach Themenblöcken gegliedert und durch Zwischenüberschriften, zahlreiche Abbildungen und eigens hervorgehobene Erlebnisberichte bzw. Fallbeispiele aufgelockert.
Der angestrebte breite Leserkreis wird auf diese Weise voll auf bedient.
Nach eigenem Bekunden der Autoren handelt es sich um das Gemeinschaftswerk eines ehemaligen Grundschulrektors, Bernd Robben, und eines Schulhistorikers, Helmut Lensing. Letzterer ist auf Bitte des Ersteren erst später in das Buchprojekt mit eingestiegen, um es mit fachwissenschaftlicher Kompetenz zum Abschluss zu bringen.
Einen wissenschaftlichen Anspruch verfolgt das Werk gleichwohl nicht, es soll keine Fachliteratur für Experten sein. Vielmehr wollten die beiden Autoren mit ihrem Buch eine ganz eigene, „persönlich gehaltene Annäherung“ an das Phänomen bieten – „persönlich gefärbte und ausgewählte Impressionen mit eigenen Forschungen“ (S. 11).
Anhand des Quellen – und Literaturverzeichnis sowie der in den Text direkt eingeflochtenen Belege lässt sich erkennen, dass Archivquellen und wissenschaftliche Studien ebenfalls verwendet wurden wie kundige Schriften, zum Teil von den Autoren selbst. Dabei fällt auf, dass die Belegdichte schwankend ist und tendenziell heimatkundliches Schrifttum als Quellenbasis zu überwiegen scheint. Zwar ist die wichtigste Literatur offenbar beachtet worden, doch gerade bei den Nebenthemen (z. B. Landwirtschaftsentwicklung) oft auch unzureichend oder selektiv, ohne die Auswahl zu begründen. Hinweise auf mündlich übermittelte Informationen im Rahmen von Heimatvereinsveranstaltungen und Zeitzeugeninterviews zeigen zudem, dass nicht ausschließlich aus schriftlichen Quellen geschöpft wurde. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen und allen anderen benutzen Quellen fehlt indes. Es drängt sich alles in allem der Eindruck einer gewissermaßen „collagierten“ Arbeitsweise auf.
Neben der Einleitung ist besonders der Abspann des Buches aufschlussreich, in dem Bernd Robben, der eigentliche Initiator des Werkes, einen Einblick darüber gibt, wie das Buchprojekt entstanden ist und wer ihm an welcher Stelle Hilfe geleistet hat.
Diese Transparenz ist lobenswert.
So erfahren wir, dass das Interesse an dem Thema bei Thekengesprächen, durch eine Literaturempfehlung (Seraphims „Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland“ von 1948) und aufgrund von Tabuisierungserlebnissen („Ein Bauer wohnt nicht in einem Heuerhaus“, „darüber spricht man nicht“) geweckt wurde.
Ein weiteres Motiv war, dieses einst für viele lebensprägende Sozialphänomen angesichts der schwindenden Zahl von Zeitzeugen vor dem Vergessen zu bewahren und seine regionalhistorische Bedeutung, auch als Anregung für die Heimatforschung, zu bekräftigen.
Die Arbeit fußt daher nicht zuletzt auf Gesprächen mit Gewährpersonen und einem persönlichen Austausch unter Heimatkundlern, die Berichte über Erfahrungen und Erlebnisse von Heuerleuten beisteuern konnten. Selbst der frühere Bauernpräsident von Heereman ist als Experte mit adeliger Zukunft gehört und zitiert worden.
Dass die in dem Buch ausgebreiteten Ergebnisse dabei nicht durchgehend wissenschaftlichen Maßstäben genügen würden, scheint durchaus auch den Autoren bewusst gewesen zu sein. Dies macht allein der Untertitel „Betrachtungen und Forschungen zum Heuerlingswesen“ deutlich.
Für den interessierten Wissenschaftler mag in diesem Zusammenspiel von „Betrachtungen und Forschungen“ der eigentliche Wert des Werkes liegen.
Man erhält, wie sonst selten, Einblicke, wie Heimatsforschung heute funktioniert – jedenfalls in die Art von Heimatsforschung, die nach ihrem Selbstverständnis publikationswürdig ist. Unterm Strich ist mit dem Buch eine allemal anerkennenswerte Überblicksdarstellung vorgelegt worden.
Vor allem aber regt das Buch dazu an, sich künftig gerade auch mit der heimatkundlichen Rezeption des Heuerlingswesen weiter zu befassen.
In diesem Sinne sei es allen, die sich für die Geschichte des ländlichen Raumes in Nordwestdeutschland interessieren, zur Lektüre empfohlen.
Köln Marten Pelzer
Die nachfolgende Rezension – erschienen im Emsland – Jahrbuch 2016 – stammt aus der Feder von Dr. Ludwig Remling.
Dr. Remling war bis zu seiner Pensionierung als Stadtarchivar in Lingen tätig. Er ist auch weiterhin in der Region als Historiker ein gefragter Mann.
Bernd Robben u. Helmut Lensing: „Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen!“ Betrachtungen und Forschungen zum Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland. Haselünne 2014, 288 S., ISBN 978-3-9814041-9-7 24,90 €
Das Heuerlingswesen war über 400 Jahre ein prägender Bestandteil des landwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in Nordwestdeutschland. Es entstand aus dem Anerbenrecht, bei dem im Gegensatz zur Realteilung nur eines der Kinder als Hoferbe in Frage kam. Den von der Erbfolge ausgeschlossenen Söhnen sowie deren Nachkommen bot es die Möglichkeit eine Familie zu gründen und gewährleistete den Höfen für die arbeitsintensiven Zeiten die nötigen Arbeitskräfte. Hervorgegangen ist es wahrscheinlich aus dem verwandtschaftlichen Verhältnis gegenseitiger Hilfe, in deren Rahmen der Bauer dem vom Hof abgehenden nicht erbberechtigten Bruder eine Unterkunft und Pachtland zur Verfügung stellte und dieser dafür einen Pachtzins und verschiedene Arbeiten zu erbringen hatte. Die diesem System der gegenseitigen Hilfeleistung innewohnende Abhängigkeit der wirtschaftlich schwächeren Heuerleute vom Verpächter trat im Laufe der Zeit immer deutlicher zu Tage und gab der Landwirtschaft in Nordwestdeutschland ihr besonderes Gepräge. Den alten Höfen mit ihren umfangreichen Ländereien und Markberechtigungen stand eine stetig zunehmende Zahl von kleinen unselbständigen Bauernstellen ohne oder mit nur wenig Grundbesitz und geringerem sozialen Status gegenüber.
Welche Ausprägungen das Heuerlingswesen in den verschiedenen Regionen Nordwestdeutschlands erfuhr, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelte und schließlich in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg unterging, vor allem aber wie sich die Abhängigkeit der Heuerleute von ihrem Verpächter und die unsichere wirtschaftliche Basis der Heuerstellen im alltäglichen Lebens eines Großteils der ländlichen Bevölkerung auswirkten, das sind die Fragen, denen die beiden Autoren in insgesamt 21 Kapiteln nachgehen und auf die sie in ihren detaillierten Ausführungen gut fundierte Antworten geben.
Wegen der geringen Ausstattung der Heuerstellen mit Grundstücken waren die Heuerleute stets bemüht, ihre schlechte wirtschaftliche Situation durch Nebenerwerb zu verbessern. Möglichkeiten boten Bienenzucht, Schafhaltung und Textilherstellung oder das zeitweilige Verlassen der Heimat als Saisonarbeiter
in den Niederlanden (Grasmäher, Torfarbeiter, Walfang) bzw. als Wanderhändler (Tödden). In all diesen Erwerbsbereichen waren die Heuerleute besonders stark vertreten. Doch nur die wenigsten Heuerleute schafften es, ihren sozialen Status durch solche Nebenerwerbstätigkeiten zu verbessern. Aus der Abhängigkeit der Verpächter konnten sich im 18. Jahrhundert nur diejenigen befreien, denen es gelang, in den Niederlanden sesshaft zu werden oder eine Siedlerstelle im Moor zu erwerben.
Neben der schlechten wirtschaftlichen Situation war vor allem der geringe rechtliche und soziale Status der Heuerleute gegenüber den Hofbesitzern kennzeichnend für das Heuerlingswesen. Der Bauer saß am längeren Hebel, vor allem da die Pachtverhältnisse bis weit ins 20. Jahrhundert meist nicht schriftlich fixiert waren. Er konnte die Arbeitsverpflichtungen kurzfristig ansetzen und ungehindert vergrößern, außerdem hatten die Arbeiten auf dem Hof immer Vorrang. Die soziale Distanz zeigte sich in der Gaststätte, bei den Schützenfesten und bei Heiraten. Es kam zwar nicht selten vor, dass der Bauer die Patenschaft bei Heuerlingskindern übernahm, aber nicht umgekehrt.
Die großen Umwälzungen im 19. Jahrhundert brachten für die Heuerleute in vieler Hinsicht eine Verschlechterung ihrer Lage. Die Bauernbefreiung erhöhte den Kapitalbedarf der Bauern, was zu einer Erhöhung des Pachtzinses und zu geringerer Vergütung von Arbeitsleistungen führte. Bei der Markenteilung verloren die Heuerleuteihre ihre geringen Nutzungsrechte an der gemeinen Mark. Die Viehhaltung musste eingeschränkt werden. Missernten führten zu Hungersnöten. Die soziale Distanz zwischen Hofbesitzern und Heuerleuten wuchs. Die Heuerleute blieben, da ohne Besitz, von jeglicher politischen Teilhabe ausgeschlossen. Die Bauern fühlten sich, nachdem sie sich freigekauft hatten, gegenüber den Heuerleuten als Herren wie früher der Adel, zudem orientierten sich die großbäuerlichen Familien in ihrer Lebensführung zunehmend an städtischen Normen.
Die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse durch den Kanal- und Eisenbahnbau, die beginnende Industrialisierung in den Städten und die Verbesserung der Ernteerträge durch den Einsatz von Kunstdünger brachten für die Heuerleute manche wirtschaftlichen Verbesserungen mit sich. Heuerleute konnten zusätzliche Flächen erwerben, als die Bauern nach der Markenteilung abgelegene Grundstücke verkauften, sie schufen sich zusätzliche Einnahmen durch intensive Schweinemast und den Fang von Krammetsvögeln oder Wildenten, sie übten Nebentätigkeiten wie Milchfahrer, Schlachter, Holzschuhmacher und Zimmerer aus, weil sie sich dafür keine Werkstatt einrichten mussten.
Obwohl dich die Heuerleute den neuen Herausforderungen im 19. Jahrhundert mit viel Kreativität und Anpassungsfähigkeit stellten, war ihr Unzufriedenheit mit den als ungerecht empfundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen so groß, dass viele die Möglichkeit zur Auswanderung in die Vereinigten Staaten nutzten. Die Auswanderungswelle nahm solche Ausmaße an, dass sich in manchen Gemeinden die Zahl der Heuerleute deutlich verringerte.
Neben diesen großen Entwicklungslinien des Heuerlingswesens widmen die Autoren ihre Aufmerksamkeit den Wohnverhältnissen der Heuerleute in ihren kargen Behausungen, der Rolle der Heuerlingsfrau und ihrer immensen Arbeitsbelastung und den gesundheitlichen Belastungen, denen gerade die Heuerleute ausgesetzt waren. Entscheidende Verbesserungen in der rechtlichen Situation der Heuerleute brachte erst die Weimarer Republik. Die Pachtverträge mussten schriftlich fixiert werden, die Heuerleute erlangten politische Rechte und konnten sich Standesvertretungen aufbauen. Durch die Nationalsozialisten wurden diese Erfolge jedoch weitgehend wieder rückgängig gemacht. Bereits im ersten Nachkriegsjahrzehnt gelangen Heuerleuten dann die lange ersehnten grundsätzlichen Verbesserungen ihrer rechtlichen Stellung. Zudem entstanden zahlreiche neue Siedlerstellen. Doch infolge des Wirtschaftswunders der 1950er-Jahre verschwand das Heuerlingswesen schon bald darauf innerhalb eines Jahrzehnts.
Die beiden Autoren betonen einleitend, dass sie mit ihrem Buch Interesse wecken wollen an den Lebensverhältnissen einer sozialen Schicht, der über Generationen die Mehrheit der Bevölkerung im ländlichen Nordwestdeutschland angehörte. Wie die Verkaufszahlen zeigen, haben die Autoren dieses Ziel mehr als erreicht. Sie bieten für die Zeit bis zum 1. Weltkrieg auf der Grundlage zahlreicher lokaler und regionaler Publikationen einen umfassenden und zugleich differenzierten Überblick über das Heuerlingswesen; für die Zeit von 1919 bis in die 1960er-Jahre bietet das Buch dank umfangreicher Recherchen neue Forschungsergebnisse. Wer sich über das Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland informieren will oder wer wissen will, wer sich in den letzten zwei Jahrhunderten mit diesem Thema befasst hat, der greift mit Gewinn zu diesem Buch. Für den interessierten Leser steht seit kurzem die 3. überarbeitete und ergänzte Auflage zur Verfügung. In ihr sind vor allem die abschließenden Kapitel, die sich mit der Zeit nach 1918 beschäftigen, deutlich erweitert worden. Ein Orts- und ein Personenregister erleichtern das Nachschlagen in dem umfangreichen Werk.
Ludwig Remling
Bernd Robben/Helmut Lensing: „Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen!“ Betrachtungen und Forschungen zum Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland. Verlag der Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte, Haselünne, 2. Auflage 2015. – Geb., 288 S., 24,80 €, ISBN 978-3-9817166-0-3
Ralf Weber: Das Heuerlingswesen im Oldenburger Münsterland im 19. Jahrhundert. Veröffentlichungen des Museums im Zeughaus, Stadt Vechta, Band 7. Schröderscher Buchverlag Diepholz 2014. – Geb., 178 S., 15,00 €, ISBN 978-3-89728- 080-9
300 Jahre lang, vom Dreißigjährigen Krieg bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, bildeten die Heuerleute ein wichtiges Element der Agrargesellschaft in den Geestdörfern Nordwestdeutschlands. Zur Blütezeit des Heuerlingswesens um 1800 stellten sie in vielen Kirchspielen der Ämter Cloppenburg und Vechta mehr als die Hälfte, zeitweilig sogar fast zwei Drittel der Bevölkerung. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden nach und nach die Heuerhäuser aus unserer Kulturlandschaft: Sie wurden verkauft, umgebaut, verlassen, abgerissen – einige wenige finden sich noch heute als hübsch renovierte Schmuckstücke an den Rändern unserer Dörfer.
Da es seit nunmehr fünfzig Jahren praktisch keine Heuerleute mehr gibt, sei kurz erläutert, worum es geht: Ein Heuermann bewirtschaftete als Pächter selbständig eine kleine Landstelle mit einem Heuerhaus und selten mehr als 2 – 4 Hektar Land, musste aber die Miete und die Pacht – das unterschied ihn von einem Pächter – überwiegend in Form von körperlicher Arbeit auf dem Hof des Bauern entrichten. Daraus ergab sich eine starke Abhängigkeit vom Bauern, zumal es keine soziale Absicherung z. B. gegen eine Kündigung gab. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts konnte die Übernahme einer solchen Heuerstelle für ledige Mägde und Knechte, aber auch für abgehende Bauernkinder eine willkommene Gelegenheit sein, durch die Kombination von Erträgen aus der Landwirtschaft, aus Saisonarbeit („Hollandgänger“) und häuslichem Nebengewerbe (Leinenproduktion, Verarbeitung von Schafwolle, ländliches Handwerk) eine eigene Existenz aufzubauen und so in dieser Nische der Feudalgesellschaft eine Familie zu gründen.
Als jedoch in den 30er Jahren durch den steigenden Bevölkerungsdruck die verfügbare landwirtschaftliche Fläche nicht mehr ausreichte, der Hollandgang kaum noch lohnte und das häusliche Nebengewerbe der Konkurrenz der industriellen Textilproduktion immer mehr weichen musste, kam es zu einer Massenarmut unter den Heuerleuten, die dem Pauperismus in anderen Teilen Deutschlands (vgl. Hauptmanns „Die Weber“ in Schlesien) vergleichbar war. Unter dem wirtschaftlichen Druck verschärfte sich die bis dahin oft noch durch patriarchalische oder sogar verwandtschaftliche Beziehungen gemilderte Abhängigkeit der Heuerleute von den Bauern, und Tausende verließen angesichts der miserablen Lebensumstände ihre angestammte Heimat und wanderten aus in die Vereinigten Staaten.
Für die verbleibenden und nachkommenden Heuerleute brachte diese Auswanderung eine gewisse Entlastung; dennoch reduzierte sich in der Folgezeit die Zahl der Heuerstellen, und als sich nach dem Zweiten Weltkrieg andere Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten boten, ergriffen fast alle Heuerleute diese Chance, einem Arbeitsverhältnis zu entkommen, das zunehmend als drückend und unzeitgemäß empfunden wurde. So hatte sich am Ende der 60er Jahre eine Bevölkerungsschicht, die hundert Jahre zuvor in den Dörfern noch zahlenmäßig dominiert hatte, in kurzer Zeit völlig verflüchtigt, ohne dass dieser massive Strukturwandel nennenswerte Spannungen oder Eruptionen ausgelöst hätte!
Seit den ersten Beiträgen von Heinrich Nieberding in den „Oldenburgischen Blättern“ 1819/20 war das Heuerlingswesen immer wieder Gegenstand von publizistischen und regionalgeschichtlichen Untersuchungen. Umfassend hat sich zuletzt 1948 Hans-Jürgen Seraphim und in seiner Nachfolge für unsere Region noch 1958 Paul Brägelmann mit der Frage befasst, welche Perspektiven das Heuerlingswesen in der Agrarverfassung der jungen Bundesrepublik bieten könne. Mit dem endgültigen Verschwinden des Heuerlingswesens geriet das Thema dann jedoch zusehends in Vergessenheit und wurde nur vereinzelt in sozial- und regionalgeschichtlichen Untersuchungen zur Auswanderung, zur Arbeitsmigration oder zur Bevölkerungsentwicklung aufgegriffen.
Nun liegen gleich zwei Monographien vor, die sich dem Thema auf ganz unterschiedliche Weise nähern. Die emsländischen Autoren Bernd Robben und Helmut Lensing nehmen das gesamte Verbreitungsgebiet der Heuerleute (Nordwestdeutschland ohne die Marschgebiete, wo es keine Heuerleute gab) in den Blick und richten einen besonderen Fokus auf das Emsland, das Münsterland, das Osnabrücker Nordland und das Oldenburger Münsterland. Zeitlich spannen sie einen Bogen von der Entstehung im 16. Jahrhundert bis heute. Ralf Weber konzentriert seine aus einer Magisterarbeit an der Universität Vechta erwachsene Untersuchung räumlich auf das Oldenburger Münsterland und zeitlich auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. B. Robben und H. Lensing werten souverän und kenntnisreich die umfangreiche Sekundärliteratur und viele Quellen aus den verschiedenen Teilregionen aus, Ralf Weber erarbeitet seine Darstellung aus dem intensiven Studium der Archivalien, die das Oldenburger Staatsarchiv vor allem in den Berichten der südoldenburgischen Ämter aus den 40er Jahren aufbewahrt, und setzt sie in Beziehung zur einschlägigen Literatur.
Herausgekommen ist bei B. Robben und H. Lensing eine großformatige, abwechslungsreiche und hervorragend illustrierte Darstellung, die alle Aspekte des Heuerlingswesens – die historische Entwicklung, die wirtschaftliche Situation, die Lebensverhältnisse im Alltag, die Auswanderung – abdeckt. Das Buch fesselt durch eine schlüssige inhaltliche Strukturierung, durch eine klare Sprache und motivierende Kapitelüberschriften und durch eine Vielfalt von aussagekräftigen Quellenauszügen, alten Fotos, informativen Aufstellungen und anschaulichen Zeitzeugenberichten. Interessierte Heimatforscher kommen ebenso zu ihrem Recht wie Leser, die nur punktuell Einblick nehmen wollen.
Eine richtige thematische Entscheidung der Autoren war es sicherlich auch, die latenten Gewaltstrukturen im Verhältnis der Bauern zu Ihren Heuerleuten und dem Gesinde nicht auszusparen. Einige Zwischenüberschriften („Heuerlingswaisen wurden versteigert“, S. 153; „Lieber ein Kind stirbt als eine Kuh“, S. 163) oder die Überlegungen zum „Schweigemilieu“ um das Thema „Die Bauern und ihre Mägde“ (S.170ff.) erscheinen dem Rezensenten allerdings zu reißerisch aufgemacht, bei aller Relativierung, die die Autoren selbst vornehmen. Unter wissenschaftlichen Aspekten mag man bemängeln, dass die Darstellung räumlich und zeitlich nicht genügend differenziert sei und einzelne Erscheinungen eher eklektisch belegt würden, aber die exakten Anmerkungen und das ausführliche Literaturverzeichnis ermöglichen jederzeit auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Buch. Insgesamt bietet es ein umfassendes, anschauliches und realistisches Bild von den Lebensverhältnissen der Heuerleute in Nordwestdeutschland; es ist eine Bereicherung für die heimatgeschichtliche Literatur unserer Region.
Ralf Weber hält sich mit Wertungen zum Verhältnis zwischen Bauern und Heuerleuten zurück und entwickelt seine nüchterne Darstellung stringent und detailliert (1687 Anmerkungen auf 121 Textseiten!) aus den eingesehenen Archivmaterialien. Verlässlich analysiert und diskutiert er die Gründe für die massive Verschlechterung der Situation der Heuerleute in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts und reflektiert umsichtig die Kontroversen der Fachliteratur. Aus den Berichten der einzelnen Ämter schöpft er viele aufschlussreiche Informationen zu den Lebensverhältnissen der Heuerleute bis auf die Ebene der Kirchspiele hinunter. Da stellen sich dann die Zustände im Amt Friesoythe, wo es kaum Heuerleute gab, als völlig anders dar als etwa im Raum Damme/Neuenkirchen. Hier wäre es hilfreich gewesen, wenn der Autor nicht nur die Verwaltungseinheiten, sondern auch die größeren Natur- und Wirtschaftsräume in den Blick genommen hätte: Die enge historische Verbindung von Damme/Neuenkirchen zum Osnabrücker Raum, die räumliche Nähe von Dinklage, Essen und Löningen zum Artland und die ganz andere naturräumliche Ausstattung des Amtes Friesoythe mit seinen vielfältigen Beziehungen zum friesischen Wirtschaftsraum könnten auch für die unterschiedliche Entwicklung des Heuerlingswesens in diesen Teilregionen weiteren Aufschluss geben.
Die verdienstvolle Arbeit, der eine gründliche Endkorrektur gut getan hätte („die Brink“, „der Hufe“, S. 20; „Heuerlingstöge“= plattdeutsch: „Hürmannstäöge“, S. 13; falsche Berechnungen S. 45 und S. 128 unten), schließt mit der richtigen Feststellung, dass erst die Auswanderung die Notlage der Heuerleute gelindert habe. Ein Ausblick auf die weitere demographische Entwicklung des Oldenburger Münsterlandes zeigt jedoch nach den auswanderungsbedingten Bevölkerungsverlusten um die Mitte des Jahrhunderts wieder einen starken Anstieg der Bevölkerungszahl zum Ende des Jahrhunderts: Offensichtlich hat erst die Intensivierung der Landwirtschaft in der Kaiserzeit (Kultivierung der Ödflächen, Kunstdünger, Fruchtwechsel mit Futterbau, Schweinehaltung auf der Basis von Importgerste u.a.) es geschafft, die Massenarmut im Oldenburger Münsterland zu überwinden und nun einer reduzierten Zahl von besser ausgestatteten Heuerstellen und darüber hinaus einer Vielzahl von Pächtern und Neusiedlern eine knappe, aber auskömmliche Lebensgrundlage ermöglichen.
Engelbert Beckermann
In nachfolgenden sechs Phasen soll die nicht unproblematische Aufarbeitung des Heuerlingswesens beschrieben werden.