Ausmaße der Trunksucht

 

Daß unmäßiges Saufen, wie es bei den Soldaten und Offi­zieren zu beobachten gewesen war, auch in der hiesigen ländlichen Bevölkerung Anklang fand, zeigen nicht nur die

Bemerkungen über den sonntäglichen Rausch der Bauern, sondern auch die Statistiken der Straftaten, die im Zusam­menhang mit Alkohol standen. So entfielen, wie U. Meiners aus den Brüchtenregister des Amtes Westerstede im Ammerland errechnete, von 100 Vergehen zwischen 1758 und 1761 allein 56 auf „Schlägereien, Zankereien und Saufe­reien im Wirtshaus.“ Zwischen 1762 und 1764 fiel das Er­gebnis noch extremer aus: Von 189 gebrüchten Vergehen fielen 151 in die Rubrik „Schlägerei und Saufen“. Mit dem Anstieg des Branntweinkonsums aber stieg vor allem das Ausmaß einzelner Exzesse. In einem Bericht aus Burhave, einem Kirchspiel (Ldkr. Wesermarsch), das knapp 1600 Einwohner zählte, heißt es dazu:

 

 

Text Seite 110

Mehrfach wird in diesem Buch darauf hingewiesen, dass überdurchschnittlich viele besitzlose Männer (also auch Heuerleute) zu den Trunksüchtigen gehörten.

 

Heuerlingswesen und Plattdeutsch

Besteht zwischen dem Niedergang des Heuerlingswesen und der Zunahme des Schwundes der plattdeutschen Sprache ab den 60er Jahren ein Kausalzusammenhang?

Ohne Frage war Platt die Sprache der Heuerleute. Darüber ist hier auch schon berichtet worden. Nun soll die Betrachtungsweise darüber hinausgehen.

Während Kinder von Landwirten auch die weiterführenden Schulen besuchen konnten, war dieser Bildungsweg den Nachkommen der Heuerlinge fast durchweg verschlossen. Diese traten nach dem Ende der Volksschule mit 14 Jahren in aller Regel eine Tätigkeit als Knecht oder Magd auf den Bauernhöfen an, um dann nach der Verheiratung ebenfalls wieder – wie ihre Eltern schon – eine Heuerstelle zu übernehmen. Nach dem 1. Weltkrieg  wurde es vereinzelt möglich, dass sie auch ein reguläres Handwerk mit begleitendem Berufsschulunterricht lernten.

In den Jahrzehnten zuvor betätigten Heuerleute sich ungelernt im Nebenerwerb als Schlachter, Holzschuhmacher oder Zimmerer. In all diesen Lebensbereichen wurde ausschließlich Plattdeutsch gesprochen.

Die Ablösung vom Bauern nach dem 2. Weltkrieg wurde erst möglich, wenn ein eigenständiger Arbeitsplatz mit einem entsprechend höheren Einkommen gefunden war. Das ging zumeist einher mit dem Bau eines Eigenheims, welcher ermöglicht wurde durch die erweiterten zinsgünstigen Finanzierungsmöglichkeiten am Geldmarkt durch den anhaltenden Wirtschaftsaufschwung, der unter dem Namen das deutsche Wirtschaftswunder in die Geschichtsbücher einging.

Während insbesondere in den Bauberufen die plattdeutsche Sprache weiterhin Standard war, wurde die hochdeutsche Sprache für etliche ehemalige Heuerleute etwa in den kaufmännischen Tätigkeiten zur Selbstverständlichkeit.

Die ländliche Struktur Nordwestdeutschlands veränderte sich nun grundlegend. Insbesondere die mittelständische Landmaschinenindustrie hatte einen enormen Bedarf an Arbeitskräften, weil die Bauern durchweg die nun fehlende Arbeitskraft der Heuerleute durch Maschinen ersetzen mussten, wurden Miststreuer, Bindemäher, Schlepper und Pflüge gebaut. Und gerade hier fanden die ehemaligen Heuerleute ihre neuen Arbeitsplätze. Das war eine win-win-Situation für alle Beteiligten. Die Bauindustrie wurde dadurch ebenfalls angekurbelt und in etlichen Kirchdörfern  siedelte man die Bauernhöfe aus, damit man passendes Bauland für die neu entstehenden Siedlungen in Dorfnähe anbieten konnte.  Die Karte von Spelle im südlichen Emsland zeigt diese Entwicklung deutlich.

Neben den wirtschaftlichen Veränderungen wurden sowohl vom Staat als auch von den Kirchen Kampagnen und Neuerungen gestartet, die man unter dem Begriff Volkshochschule (u. a. Katholische Erwachsenenbildung) und Schulreformen zusammenfassen kann. So wurde das 9. Schuljahr eingeführt. Es wurde eine Durchlässigkeit durch die einzelnen Schultypen eingerichtet, die Aufnahmeprüfungen an den weiterführenden Schulen abgeschafft. So stiegen die Schülerzahlen an den Gymnasien und Realschulen, so nannte man nun die ehemalige Mittelschule, stiegen enorm an. Insbesondere im Bereich  der Erwachsenenbildung wurde nun der Verzicht auf die Weitergabe der plattdeutschen Sprache an die Kindergeneration postuliert mit der Erklärung, diese Sprache sei ein Bildungshemmer für die Heranwachsenden. Dieser Aufforderung kamen nahezu alle Eltern nach.

Damit war der plattdeutschen Sprache zum ersten Mal in ihrer Geschichte der Nachwuchs auf breiter Ebene abhanden gekommen.

Dass die hochdeutsche Sprachvermittlung von Eltern, die fast ausschließlich in der plattdeutschen Sprachewelt groß geworden waren, auch seltsame Blüten trieb, war wohl zu erwarten. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: So gingen die Kinder nun im Bett anstatt ins Bett. Wenn man die Kinder darauf aufmerksam machte, dass man im Bett nicht gehen kann, dann zeigten sie Verständnis dafür. Aber nach einer halben Stunde war das vergessen und sie gingen wieder im Bett.

Der Geist des rasanten Wandels wurde nicht nur im kirchlichen Bereich auch beflügelt vom 2. Vatikanischen Konzil (1962 – 1965).

Die Zeit der Rückschau

Allerdings setzte auch zunehmend eine Rückbesinnung auf vergangene Zeiten ein. Zu schnell verlief nun der Wandel auch auf dem Lande. Selbst in den Dörfern setzten sich im Zentrum seelenlose Betonbauten durch, die den Zeitgeist widerspiegeln sollten.

In den Bauerschaften kam es vermehrt zu Flurbereinigungen, die ganze Landschaften ausräumten, um eine Maschinen gerechtere Landwirtschaft zu ermöglichen. Die Heuerhäuser wurden in der Mehrzahl aus verschiedenen Gründen abgerissen.

Auf den Bauernhöfen selbst wurde enorm angebaut, damit man durch die Aufstockung der Viehbestände weiterhin eine auskömmliche Landwirtschaft betreiben konnte.

Nun gründeten sich auch in den Dörfern vermehrt Heimatvereine, die sich zuvorderst der Dokumentation der angestammten Kulturgüter widmeten. So ist es kein Zufall, dass etliche Heimathäuser ehemalige Heuerhäuser sind. Auch die Pflege der plattdeutschen Sprache stand ganz vorne. Über eines wurde jedenfalls nicht gesprochen: über das vergangene Heuerlingswesen. Dieses Thema war nahezu überall tabu, man wollte die zwischenmenschlichen Unzulänglichkeiten der früheren Jahrzehnte und Jahrhunderte nicht mehr thematisieren, um einvernehmlich miteinander umzugehen.

 

Teile der Lehrerschaft erkannten ab Mitte der 80er Jahre  im Unterrichtsalltag, dass Plattdeutsch bei den Kindern weder zu Hause noch untereinander vorkam. So ergriffen sie fast zeitgleich in allen Landkreisen Nordwestdeutschland die Initiative und es gründeten sich Arbeitskreise. Ausgerechnet die Lehrergeneration – Geburtsjahre 1945 bis 1955 – die mit ihren eigenen Kindern nur noch Hochdeutsch sprachen, trafen sich freiwillig in den Nachmittagen, um Lehrmaterial für ihren Plattdeutsch – Unterricht zu entwerfen. So kamen über diese Schiene plattdeutsche Lesebücher in die Schulen. Plattdeutsche Vorlesewettbewerbe, die von den Kreissparkassen regelmäßig veranstaltet wurden, erfreuten sich großer Beliebtheit.

Allerdings merkte man durchweg im Kreise der engagierten Pädagogen, dass die eingerichteten Arbeitsgemeinschaften es nicht leisten konnten, den Kindern Grundlagen für den Erwerb der plattdeutschen Sprache zu liefern. Und so schlief die Euphorie der Anfangsjahre langsam wieder ein. Mittlerweile wurden auch die ersten älteren Kollegen und Kolleginnen pensioniert. Die nachwachsende Lehrergeneration hatte nun in aller Regel selbst keine aktive Plattdeutsch – Kompetenz mehr. Wie soll man eine Sprache unterrichten, die man selbst nicht beherrscht.

Das ist die heutige Lagebeschreibung zu einer Sprache, die von allen Heuerleuten noch beherrscht und durchweg gesprochen wurde…

Fotos oben: Kreisbildstelle Lingen               Fotos unten: Archiv Robben

Das Haus und seine Baugeschichte – von Dr. Maschmeyer

(siehe hierzu die separat angehängten Aufmaßtafeln)

Das Heuerhaus zeigt an drei Seiten bis auf die Höhe der Herdwand neue Massivwände, die, da, da Reichsformatziegel zweiter Wahl verwendet wurden, um 1925 erstellt worden sein dürften. Dahinter war jedoch der Altbau in Fachwerk erhalten. Das Haus wirkte äusserlich zunächst wie ein beliebiges Heuerhaus des 18. Jahrhunderts mit nachfolgenden Modernisierungen nach üblichem Muster. Bereits bei einer Besichtigung vor einigen Monaten hatten wir jedoch anhand einiger Merkmale des damals kaum zugänglichen Gefüges festgestellt, dass man wohl von einem wesentlich höhere Alter ausgehen muss; Die Fa. Pressler hatte damals an wenigen überhaupt zugänglichen Stelle Dendro-Proben genommen, Die nicht optimalen Proben zeigen aber bei aller Zurückhaltung, dass das Baudatum spätestens 1600/1601 gewesen sein muss. Damit handelt es sich um das älteste bisher bekannte als solches überlieferte Haus in Gersten; es ist unwahrscheinlich, dass es noch ältere gibt.

Anlässlich der „Versteinung“ war das Haus nach vorn um ein Fach verlängert worden. Das Aufmaß nach Freilegung aller wesentlichen Befunde zeigt 4 Hauptbauphasen. Danach wurde das Haus um 1600 als kammerfachloses Rauchhaus von 5 Fach Länge errichtet, dessen Gerüst praktisch vollständig erhalten ist. Links der Längsdiele befand sich hinten auf 1 ½ Fach Länge eine Lucht, deren Luchtbalken innen und aussen eine sorgfältig ausgeführte Abfasung mit Stops zeigt und von zwei schlichten, gekehlten Knaggen gestützt wird. Der Luchtbalken trug über drei zur Traufseite gerichtete in ihn eingezapfte Stichbalken einen „Löchtebönn“ Ob das Haus überhaupt eine traufseitige Erschließung besaß, ist fraglich, aber angesichts der nicht mehr vorhandenen Traufwände nicht mehr überprüfbar. Im Rückgiebel befand jedenfalls sich an der linken Seite, neben der Lucht, eine nach aussen aufschlagende Klöntür, die auch im Bestand noch deutlich ablesbar war. Im letzten Fach der rechten Seite ist der Hillriegel höher gesetzt, hier ist eine weitere einfachige Lucht, wohl die Waschlucht, anzunehmen.

 

 

Eine so noch nie beobachtete Besonderheit zeigt die Balkenlage. Die vordersten vier Bundbalken zeigen praktisch keinen Überstand und genau über dem Rähm eine Ausnehmung für eine Sparrenschwelle. In dieser Weise scheint das Dach jedoch nie abgebunden gewesen zu sein, denn die hintersten beiden Balken in dem ansonsten völlig homogenen und gleichalten Gefüge zeigen einen deutlichen Balkenüberstand, der die Sparrenwelle ca. 55 cm weiter aussen trägt. Im Bereich der kurzen Bundbalken wurden dann hinter diese zusätzliche Balken dünneren Querschnittes mit dem selben größeren Balkenüberstand getragen auf das Rähm gelegt, die statt der Bundbalken die Sparrenschwelle tragen. Diese zusätzlichen Balken sind nach dem Ergebnis der dendrochronologischen Untersuchung keineswegs jünger, so dass nur der Schluss bleibt,dass noch während der Ausführung der Plan geändert wurde.

Der Rückgiebel wurde als Fachwerkgiebel mit Lehmausfachung ohne Vorkragung ausgeführt, jedoch zunächst in anderer als der heute überlieferten Form ausweislich von älteren Zapflöchern in den Giebelsparren mit nur einer Riegelkette und einem Kehlbalken.

Beim Vordergiebel, dessen Gebinde bei der Verlängerung des Hauses auf ein Dielengebinde reduziert wurde, bleibt die Rekonstruktion in einigen Punkten unsicher. Im Erdgeschoss sind zunächst zwei normale Torständer feststellbar. Eine Nut für die Aufnahme von Ausfachungsstaken ist zwar an diesen deutlich Ständern abgesetzt, zieht sich jedoch ansonsten über die gesamte Dielenbreite, also auch auf den Bereich des Dielentores. Zudem ist sie so mittig unter dem Balken angeordnet, so dass die Staken, sofern man sie nicht extrem gebogen hätte, in die Ebene der Steckbänder geraten. Sicherablesbar sind jedoch eine einzige Riegelkette in der Mitte und zwei in den Abseiten. Die vorderen Eckständer in beiden Ständerreihen zeigen in der unteren Hälfte eine stärkere Bewitterung, in der oberen jedoch nicht. Das legt eine Vorkragung des oberen Teiles nahe. Vermutlich hat es sich um einen Steckwalm gehandelt, dessen weitere Details jedoch am Gebäude nicht mehr ableitbar sind, weil die überstehenden Rähmenden bei der Verlängerung abgeblattet wurden und für die Rekonstruktion der Mitte die Torständer vollständig fehlen. Dennoch gibtes hier noch Anhaltspunkte für eine Vorgängerform der speziellen später in dieser Region sehr verbreiteten Giebelgestaltung dieser Region mit Kübbungswalmen (mehr dazu weiter unten).

Zu einem bisher nur ungefähr auf die Spanne zwischen etwa 1630 und 1770 bestimmbaren Zeitpunkt erfolgte ein Umbaus des Rückgiebels mit Einbau eines in diesen integrierten Fachwerkschornsteines. Obwohl dieser später wieder beseitigt wurde, blieb seine Rückwand als Bestandteil des Giebels erhalten und zeigt in den Ständern deutlich die z.T. durchgestemmten Zapflöcher für die in Firstrichtung verlaufenden Riegel direkt unter denen für dieQuerrichtung.

Im 18. Jh. wurde das Haus unter Beibehaltung der Kubatur zu einem Heuerhaus umgebaut. Es erhielt ein Kammerfach dadurch, das das hintere Fach des vormaligen Fletts durch eine Querwand abgeteilt wurde. Der mit Knaggen gestützte Luchtbalken an der linken Seite blieb dabei erhalten; allerdings wurde die Öffnung – zunächst wohl bis auf 2 Türen – mit Lehmschlagfachwerk zugesetzt. Durch Versetzen eines Ständers und Einbau eines Luchtbalkens wurde statt dessen an der rechten Seite eine Lucht von 1 ½ Fach geschaffen, an deren Kopfenden zwei Butzen geschaffen wurden. Der Fachwerkschornstein – durch das neue Kammerfach ohne Funktion – wurde bis auf die Rückwand im Giebel abgerissen. Angesichts des nunmehr fehlenden Schornsteins wurde das Haus wieder zum Rauchhaus. Im selben Zuge, jedoch möglicherweise doch wenige Jahre später, erhielt das Haus an der linken Seite eine „Upkamer“ mit Schleppdach, deren Traufwand deutlich aus der Flucht der alten Kübbungswände vorsprang. Der Boden dieser Upkamer ist etwa 50 cm erhöht; unterhalb waren die Wände ursprünglich aus Raseneisenerz gemauert. Nach oben wurde die Kammer durch eine bis auf die Höhe der Sparrenschwelle unter die Sparren, danach horizontal unter Querhölzer genagelte Bretterdecke abgeschlossen. Die Upkamer hatte zuletzt aber keinen nachweisbaren Keller und damit wohl einen solchen wohl nie gehabt. Der dann verbleibende sehr niedrige ebenerdige Kriechkeller kann demnach nur als Bergeraum für Hackfrüchte (Rüben, Kartoffeln) genutzt worden sein. Man darf dabei vermuten, dass der einigermaßen aufwendige Bau der Upkamer nicht primär zum Zwecke der Schaffung eines Kellers erfolgte, sondern zur Schaffung eines Raumes mit erhöhtem Holzfußboden erfolgt ist. Eine mögliche Deutung könnte eventuell die Anlage eines Weberaumes sein. Dass in dem Haus gewebt wurde, beweisen zwei vertikale Reihen von Holznägeln zum Aufscheren einer Kette an den beiden mittleren Ständern der rechten Gefügeseite. Alle bekannten Heuerhäuser enthalten eine Upkamer, oft in der Tat auch mit recht niedrigem Keller. Andererseits sind diese Upkamern oft nur wenig durch Fenster beleuchtet, was im Vergleich mit erwiesenen Webeanbauten im Münsterland eher gegen eine Nutzung als Webraum spricht.

Das neu geschaffene Heuerhaus entsprach so in der Funktionsstruktur exakt den ab der Mitte des 18. Jh. neu geschaffenen, ausserordentlich stereotypen Heuerhäusern, die einerseits alle ein Kammerfach besitzen – für die damalige Zeit recht fortschrittlich – andererseits aber noch Rauchhäuser waren. Der Zustand des Rauchhauses endete wohl um 1870, als das Haus einen im Stapel auf den Boden gegründeten neuen Schornstein relativ großen Querschnitts (3 x 2,5 Steine Außenmaß). Die ungefähre Datierung erfolgte auf Basis der verwendeten Handform-Ziegelsteine. Der Rauch konnte direkt in den leicht über den Stapel vorkragenden Schornstein eintreten, im Rauchschlitz befanden sich noch zwei Angeln für einen Schwenkarm, an dem das Haohl gehangen hat. Der Schornsteinstapel war ursprünglich mit einer dünnen Putzschicht versehen, von der sich nur geringe Reste erhalten haben. Mit einem Fliesenspiegel, wie er um diese Zeit bei Bauernhäusern üblich ist, wäre hier ohnehin nicht zu rechnen. Nicht ausgeschlossen werden kann hingegen, dass auf den Putz ein Imitation von Fliesen aufgetragen wurde. Hiervon hat sich keine Spur mehr erhalten. Lediglich Spuren eines graugrünen Ölfarbsockels, wohl aus dem 20. Jh., sind – teils auerneuertem Putz -noch erkennbar.

Der selben Bauphase wie dem Umbau der Herdstelle gehört der Ersatz der Ausfachungen des Untergeschosses des Rückgiebels durch Backsteine. In der Upkamer wurden die meisten Fache auch versteint, vor allem aber wurde der Sockel massiv erneuert. Bei dieser Gelegenheit, wie sich besonders an der Rückseite der erneuerten Ausfachungen gut erkennen lässt, wurde auf diversen Wandflächen, die zuvor ausschließlich weiss gestrichen waren, wurde ein neuer Putz aufgebra Vorstrich blau gestrichen wurde. Möglicherweise wurde damals auch im Kammerfach der Beschuss bis auf das rechte Drittel entfernt und eine Lehmwellerndecke aus langen, durchgehenden, umwickelten Erlenstangen eingebaut. Ihr Erstanstrich ist, soweit erkennbar, blau gewesen. Diese Spuren sind weitgehend im Kammerfach gut erhalten, das im Gegensatz zum Rest des Hauses von einem weiteren durchgreifenden Umbauten verschont blieb. Der erfolgte, soweit er sich an Hand der verwendeten stranggezogenen Reichsformat- Backsteine datieren lässt, um 1925. Ihm verdankte das Haus im wesentlichen sein letztes Erscheinungsbild. Vorn wurde das Haus dabei um ein Fach verlängert..

Eine merkwürdige Beobachtung könnte ein Indiz für den Zustand des Hauses vor diesem Umbau abgeben, Nach Entfernung der Putzschichten und Verkleidungen zeigt sich nämlich, dass das linke Rähm vor dem vorderen Luchtständer und das rechte unmittelbar vor der Herdwand (des 18. Jh.) durchgesägt worden war, rechts überdies die Sparrenschwelle. Die beiden Enden hatten zuletzt einen Höhenunterschied von c. 8 cm links (Abbildung 7) und 35 cm (!) rechts (XX), mit einer erheblichen Schräglage der beiden Gebinde des Kammerfaches. Da das Dach des vorderen Teiles des Hauses anlässlich der Reparatur und Verlängerung – unter Verwendung viele alter Sparren – vollständig neu verzimmert und auf die teilweise erneuerte Sparrenschwelle neu aufgesetzt wurde, kann dies nur bedeuten, dass man anlässlich des Umbaus starke Setzungsschäden beseitigt und den vorderen Teil des Hauses neu ausgerichtet hat. Aus einem heute nicht nachvollziehbaren Grund hat man davon das Kammerfach ausgenommen, vermutlich, da man beabsichtigte, es vollkommen neu zu errichten. Dazu ist es allerdings nicht mehr gekommen. Die Setzungsschäden wiederum müssen durch Nachgeben des Untergrundes verursacht gewesen sein, z.B. durch eine organisch zusedimentierte Senke an der rechten Hausseite, möglicherweise – wie auch an anderen Stellen in Gersten beobachtet – .ein verlandete Graben oder Tümpel.

Das reparierte und um ein Fach verlängerte Dielengerüst wurde dann mit neuen massiven Außenwänden versehen, die deutlich höher und an den Traufen weiter nach aussen gesetzt wurden als die alten Fachwerkwände, so dass sich die Tiefe der Ställe deutlich vergrößerte Darauf wurde lange Aufschieblinge aufgebracht, die auf die alten, korrigierten Sparren –  statisch sinnvoll – in Höhe der Kehlbalken auflagen. Wie bereits erwähnt, wurde diese Baumaßnahme nicht vollendet. Auf der linken Seite endete die massive Wand vor der Upkamer, während sie rechts auf Höhe der Herdwand mit eine Warteverzahnung endete. Das neue Dach wurde mit Doppelfalz-Doppelmuldenziegeln neu gedeckt. Das Kammerfach verblieb im älteren Zustand. Durch die Korrektur der Balkenlage ergab sich an der Herdwand ein Problem, da nun der in alter Höhe verbliebene Herdwandbalken für einen ebenen Balkenbelag viel zu tief lag. Er musste daher – besonders an der rechten Seite – mit allerhand Holzstücken aufgefüttert werden, damit die neu aufgebrachte Bretterdecke – jetzt aus Nadelholz – waagerecht eingebracht werden konnte. Von alldem war von der Küche aus nichts zu sehen, da die Herdwand zwischen Schornsteinstapel und Aussenwand mit einer vorgesetzten halbsteinigen Ziegelsteinschale verblendet worden war. Der Schornsteinstapel erhielt einen neuen Bosen aus verputztem Rohr, der jetzt nurmehr dekorative Funktion hatte, während die offene Feuerstelle durch eine Kochmaschine ersetzt wurde. Zwischen Küche und Diele wurde eine massive Scherwand mit hölzernem Türjoch eingebaut. Die erweiterten Ställe wurden ähnlich wie zuvor weitergenutzt, insbesondere blieb der Kuhstall auf der linken Seite ein Tiefstall, obwohl durch die vergrößerte Tiefe die Anlage eines Grüppenstalledurchaus möglich gewesen wäre und wohl gleichzeitig an der linken Seite des Hauses eine Jauchegrube mit einer Mistlege darüber angelegt wurde, wie sie für einen Grüppenstall

erforderlich gewesen wäre. Im vordersten Fach links entstand ein Pferdestall – wohl der erste dieser Art in diesem Haus – mit Steinkrippe und Klappraufe. Etwa 1967 wurde die Wohnnutzung des Hauses aufgegeben, da die Heuerlingsfamilie Küterlucks nebenan ein neues Wohnhaus errichtet hatte. Das alte Haus wurde noch einige Jahre für die Schweinehaltung weitergenutzt und ging allmählich in Verfall über, der 50 Jahre später zum Abbruch führte.

Das ehemalige Haus eines Brinksitzer – von Dr. Maschmeyer

…und ein ehemaliger Brink in Untergersten?

Betrachtet man den ursprünglichen Bau, das kammerfachlose Flettdielenhaus von 5 Fach Länge, so kann es sich dabei eigentlich weder um ein ursprüngliches Heuerhaus (dafür wäre es ungewöhnlich alt) handeln, noch eine alte Leibzucht (dafür ist es entscheidend zu groß), noch um ein altes Vollbauernhaus (dafür ist es zu klein) handeln.

Für weitere Erkenntnisse ist es unvermeidlich, die historischen Verhältnisse und die topografische Lage im Dorf genauer zu betrachten. Zu den historischen Wurzeln des Heuerlingswesens ist wenig bekannt. Die Bauzeit der Heuerhäuser im allgemeinen ist keinesfalls als sicheres Indiz anzusehen, da man – wie etliche Beispiele belegen – davon ausgehen muss, dass ältere Gebäude mit ursprünglich anderen Eigentumsverhältnissen später zu Heuerhäusern umgenutzt wurden, wie es z.B. auch beim noch aus dem 15. Jh. stammenden Heuerhaus der „Wehlburg“ wohl der Fall ist. Dieser Hof war ursprünglich ein Erbkotten, d.h. er gehörte eigentlich zu bäuerlichen Unterschicht, hatte es aber zu Wohlstand gebracht, der ihm – allerdings unter Überdehnung der eigentlichen finanziellen Möglichkeiten – in der Mitte des 18, Jh., den Bau des neuen, riesigen Erbwohnhauses ermöglichte. Aus der Grafschaft Bentheim sind zwei fünffachige Flettdielenhäuser bekannt, die ursprünglich zu selbständigen kleinbäuerlichen Anwesen gehörten und später zu Heuerhäusern wurden. Von Anfang an als Heuerhäuser, d.h. von eingesessenen Bauern ausschließlich zum Zwecke der Vermietung (Verheuerung) errichtete Gebäude, lassen sich gesichert erst ab etwa der Mitte des 18. Jh. fassen. Die Zunahme des Baus von Heuerhäusern geht einher mit dem Verschwinden einer früheren Form der Neugründung von Häusern der agrarsozialen Unterschicht, den Brinksitzerstellen, die ab der Mitte des 18. Jh. in der Form, die gleich zu besprechen sein wird, nicht mehr zu beobachten ist. Damit ist die Vermutung angedeutet, dass es sich bei diesem Gebäude ebenfalls um ein ursprüngliches Brinksitzerhaus handeln könnte, das sekundär in ein Heuerhaus umgewandelt wurde.

Nach den bisherigen Erkenntnissen ist das Haus niemals umgesetzt worden, der Standort ist also noch der erste. Das Urkataster (ca. 1875) zeigt das Haus noch in der ursprünglichen Länge (Abbildung 12). Es liegt traufparallel zur Untergerstener Strasse. Direkt gegenüberliegt die ehemalige Hofstelle Linden, ein historisch gesichert ehemaliges Brinksitzerhaus,

 

 

Aufschlussreich ist auch die Betrachtung der Systematik der um 1830 erstmals fassbaren und bis 1973 beibehaltenen Hausnummern (Abbildung 15), die beim Vergleich mit dem in der sogenannten „Beschrivinge“ der Niedergrafschaft Lingen von 1555-1592 genannten Status der Höfe und Stellen am Ausgang des Mittelalters deutlich wird. Dabei ist man – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – in der Art vorgegangen, dass zunächst die alten, etablierten Vollerbenstellen von Süd nach Nord durchnumeriert wurden und dann erst – quasi auf dem Rückweg – die kleineren Katen und besonders Brinksitzerstellen erfasst hat.

Das führt in Untergersten dazu, dass die Numerierung dort mit der Nr. 14, dem alten Hof Wallage, endet, sich im etwa 1 km entfernten Ortsteil Drope fortsetzt, und dann mit der Nummer 41 wieder in Untergersten fortgesetzt wird (Abbildung 13). Alle Höfe in diesem Nummernbereich sind in der „Beschrivinge“ des 16. Jh. als Brinksitzer ausgewiesen, die nicht über Eigentum an ihrem Anwesen verfügten, vielmehr lag, wie aus der Quelle explizit hervorgeht ihr Haus – mit einer Ausnahme – „in der Mark“. Schon in der Beschrivinge sind aber auch mehrere Fälle in der Niedergrafschaft Lingen zu finden, in der eine „Wohnung in der Mark“ zu einer „Brinkwohnung“ hochgestuft wurde1. Was sich genau hinter dieser Statusänderung, die immerhin eine explizite Erwähnung im Abgabenregister wert war, im Detail verbarg, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass es sich um eine Aufwertung des Eigentumsstatus gehandelt haben muss. Dieser Prozess scheint sich fortgesetzt zu haben, denn beim Vergleich mit einer erneuten Erfassung des Status der Anwesen anlässlich der Gründung des örtlichen Brandentschädigungsvereins 1882 (Abbildung 15) zeigt sich, dass diese Anwesen nunmehr als Viertelerben eingestuft wurden. Dabei dürfte es sich nicht nur um eine Änderung der Benennung handeln: Laut„Beschrivinge“ sagt lagen die Häuser der Brinksitzer in Untergersten ausnahmslos in der Mark. Unser Haus lag also mitten zwischen Brinksitzern und dürfte mit ziemlicher Sicherheit daher zum einen auch in der Mark gelegenund zweitens auch einem Brinksitzer gehört haben.

 

Bei der Aufnahme des Urkatasters (um 1875) hat sich die Lage grundlegend geändert. Jede Brinksitzerstelle bekommt dabei eigenes Hofgelände zugewiesen (Abbildung 13). Es dürfte wohl sicher sein, dass dies nicht erst anlässlich der Vermessung erfolgte, sondern das das Kataster den damaligen rechtlichen Stand wiederspiegelt. Irgendwann zwischen 1600 und dem frühen 19. Jh. muss das einstige Markenland in diesem Bereich – er sei hier durchaus als „Brink“ bezeichnet – aufgesiedelt worden sein. Der „Untergerstener Brink“ lässt sich unter diesen Annahmen gut rekonstruieren (Abbildung 14). Er muss eine Fläche von über 10 ha besessen haben. Bemerkenswert ist auch, dass es im Ortsteil Drope eine sehr ähnliche und vergleichbare Situation gibt. Unser Haus ist also eines der letzten Überbleibsel desUntergerstener Brinkes und seiner am Ausgang des Mittelalters erfolgten Bebauung. Für eine Entstehung der Brinksitzerstellen am Ende des Mittelalters sprich auch, dass in der „Beschrivinge“ sogar die Gründung einer solchen Stelle in Gersten für 1567 archivalisch belegt ist; leider lässt sie sich derzeit noch keiner der Stellen zuordnen.

Zur Frage der Entstehung des Heuerlingswesen  als Nachfolger der Brinksitzer

Dr. Dietrich Maschmeyer                                                                             21.12.2017

Ich habe im Zusammenhang mit einer vermutlich zu einer Heuerlingsstelle des Hofes Splanemann umgewandelten ehemaligen Brinksitzerstelle in Untergersten, Gde. Gersten die Vermutung geäussert, dass die Brinksitzer als Existenzform der grundbesitzlosen ländlichen Sozialschicht gewissermassen abgelöst hat. In Gersten lässt sich dabei nachweisen, dass die ehemals grundbesitzlosen Brinksitzer offenbar im Laufe des 17. und 18 Jh. zu kleineren Bauernerben mit Berechtigung in der Mark aufgestiegen sind. Wie sich der Grunderwerb im Detail vollzogen hat, (vermutlich durch Zuschläge aus der Mark) und wie sich die Berechtigungen in der Mark über die Zeit etabliert haben, vielleicht von einer Duldung hin zu einem Gewohnheitsrecht, wäre im einzelnen noch nachzuvollziehen. Ausserdem ist die Frage von Interesse, ob und wie die ausserlandwirtschaftliche bzw. entgeltliche Betätigung dieser Schicht – wie später auch bei den Heuerleuten – zu einer besonderen Basis an Eigenkapital geführt haben könnte, das in Grundbesitz umgewandelt wurde.

Für die Erforschung der Brinksitzer erweist es sich als Vorteil, dass sie direkt abgabepflichtig waren, mindestens also eine Feuerstättensteuer (das Rauchhuhn) entrichtet haben, darüber hinaus oft auch an Kirche und Küsterei und damit schon auf Grund der Abgaben archivalische Spuren hinterlassen haben. Darüber hinaus scheinen die Eigentümer der Brinksitzerstellen selten gewechselt zu haben. Ich unterstelle, dass die beiden vorgenannten Aspekte einen wesentlichen Unterschied zwischen Brinksitzern und Heuerlingsstellen darstellen.

Die Gründung von Brinksitzerstellen bedurfte, soweit sich erkennen lässt, der Zustimmung der Markengemeinde, da in der Regel auf deren Grund gebaut wurde. Daher ist wahrscheinlich, dass dies bevorzugt „Bekannten“ Menschen aus der Gemeinde gestattet wurde.

Heuerstellen wurden dagegen von markenberechtigten Bauern zumeist auf Zuschlägen eingerichtet und bedurften daher prinzipiell zunächst wohl nicht einer zusätzlichen Genehmigung durch die Markengemeinde. Da die Stellen nur (kurzfristig) gemietet waren, konnten ortsfremde Familien sich ansiedeln, wie besonders augenfällig ist z.B. bei den Familien Montini und Gobba in Thuine bzw. Freren (Markus Walz, Zinngiesserfamilien aus Italien in Westfalen und im Rheinland, Münster 1996, [Thu-1], S. 327 bzw. [Fre-1] bis [Fre-3], S.115). Genauso schnell konnten die Familien die Heuerstellen auch wieder verlassen.

Diese Flexibilität dürfte sich allerdings als Nachteil für die Forschung erweisen – dies sei an dieser Stelle als Vermutung ausgesprochen, die sich derzeit nicht auf weitergehende eigene Untersuchungsergebnisse stützt – , da mangels direkter Abgabepflicht die archivalische „Spur“ relativ schwach ausgebildet ist und wohl in erster Linie Hofarchive etwas dazu beitragen können.

Die Einrichtung von Heuerstellen wurde von der Obrigkeit direkt und indirekt gefördert, wie aus vielen Zuschlagsakten z.B. zu den Zuschlägen im Rahmen der „Tabacks-Contribution“ hervorgeht. Gerade in Preussen ist die Politik der „Peuplierung“auch archivalisch reich belegt (siehe z.B. Markus Zbroschzyk; Die preußische Peuplierungspolitik in den rheinischen Territorien …., Dissertation Bonn 2014 – digital verfügbar). Etablierte Heuerleute haben, wie in Gersten mehrfach belegt, des öfteren Neubauernstellen gegründet, wozu vermutungsweise ebenfalls das erworbene Kapitalvermögen beigetragen haben dürfte.

Die Neugründung eines Anwesens, das man eher als Brinksitzerstelle bezeichnen würde, stellt die Gründung der Töpferei Berndsen in Freren-Ostwie 1822 dar (Ernst Helmut Segschneider, Pöttebackers Pottwerk, Sögel 2005). Der Gründer Gerd Hinrich Berndsen entstammte selbst einer Heuerlingsfamilie, die vorher eine Brinksitzerstelle erworben hatte (Segschneider a.a.Ö S. 17).

Bemerkenswerterweise handelte es sich bei der Töpferstelle Berndsen ausweislich der Archivalien und der Beobachtungen bei der Bergung der Fehlbrände um ein sumpfiges Gelände. Dass dies keine Ausnahme war, zeigt nach meiner Auffassung der mutmassliche Brink in Gersten-Drope, auf den Anfang des 19. Jh. zwei Vollerbenstellen umgesiedelt wurden, Buse und Feye. Beim Haus Feye, das in den vergangenen Jahren durch die Ems-Vechte-Stiftung saniert wurde, verursachte der moorige Untergrund starke Gründungsprobleme.

Topografisch scheint man nach meiner Auffassung (auch dies wieder eine noch genauer zu untermauernde Vermutung) bei der Anlage der Heuerhäuser dem Schema gefolgt zu sein, dem man wohl schon bei den Brinksitzerstellen gefolgt war, nämlich mit einer Traufwand relativ nah an und parallel zu einem Weg und an relativ tiefgelegenen Stellen, „sackartigen Erweiterungen“ von triftartigen breiten Wegeführungen.

Eine wesentliche Frage ist nun, welche Faktoren allgemein den Anstoss zum Wechsel vom Brinksitzer- zum Heuerlingswesen gegeben haben.

Ein singuläres Haus – von Dr. Maschmeyer

 – und ein Schlüssel zu Verständnis einiger bisher unverstandener Details
an späteren Häusern der Region
Das Haus erweist sich bei einer Sichtung des bekannten Bestandes überraschend als singulär, da kein weiteres Haus dieser Art im Lingener Land bisher sicher identifiziert, geschweige denn genauer untersucht wurde. Es ist das einzige bekannte Beispiel eines Hauses der agrarsozialen Unterschicht (Brinksitzer) des ausgehenden Mittelalters und auch das einzige, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gründungzeit der Brinksitzerstellen nachvollziehbar macht. Damit kommt der Erhaltung der geborgenen Reste eine sehr hohe Bedeutung zu.
Weiterhin zeigt das Haus einige einzigartige architektonische Details, die an anderen oder jüngeren Häusern so nicht bekannt sind. Bemerkenswert ist zunächst die unterschiedliche Ausführung von Vorder- und Rückgiebel als vermutlicher Steckwalm bzw. Steilgiebel.
Letzterer teilt das Fehlen jeglicher Vorkragung mit einem großen Teil der Heuerhäuser des 18. Jahrhunderts. Letztere zeigen auch am Vordergiebel einen Steilgiebel, der jedoch fast immer mit Vorderkübbungen versehen ist. Hinter diesen Vorderkübbungen ist der aus diesen herausragende Vordergiebel oft sehr weit vorgekragt, und zwar in eine Form, dass man ausschließen kann, dass die Vorderkübbungen zunächst nicht vorhanden gewesen wären.
Beim 2014 geborgenen, etwa 1776 errichteten Heuerhaus Geers stand der Steilgiebel zwar auf dem Torbalken, beide Torständer wiesen jedoch Spuren einer weiten Vorkragung auf, die zumindest im Haus von 1730; aus dem der Bogen stammte, noch einen Walm oder dergleichen getragen haben.
Das zweite wichtige Detail betrifft den nachträglich in den heutigen Rückgiebel eingebauten beim Umbaus zum Heuerhaus aber wieder weitgehend beseitigten konischen, Fachwerkschornsteins. In den meisten zu Anwesen mit Hofesstatus gehörenden Hallenhäusern in der Region findet sich über der Herdwand, zwischen Flettdiele und Kammerfach, eine bis zum First durchgehende bauzeitliche Fachwerkwand (Arbeitsbezeichnung „Feuerwand“), deren Sinn sich nicht ohne weiteres erklärt und für die es auch keine archivalischen Belege gibt. In einem bekannten Fall, dem Haus Splanemann in Gersten (zu diesem Hof gehörte unser Haus) war sogar der Rest eines in diese Wand eingebundenen Fachwerkschornsteines nachweisbar, in anderen Gebäuden aber auch nicht.
Im 1734 erbauten Haus Banke wurden Reste eines Fachwerkschornsteines gefunden, der vermutlich schon vor 1821 – in diesem Jahr war das Kammerfach erneuert worden existiert hatte und vermutlich 1862 anlässlich eines Umbaus der Herdstelle durch einen massiven Schornstein auf Balkenlage ersetzt worden war. Die erwähnte Feuerwand könnte also mit der relativ frühzeitigen Einführung eines Schlotes ins Hallenhaus in dieser Region zusammenhängen, die bisher der Forschung nicht aufgefallen ist und der Region eine Sonderstellung verleihen würde, da z.B. im benachbarten Artland die Häuser nachweislich bis weit ins 19. Jh. überwiegend Rauchhäuser waren. Es wäre in Betracht zu ziehen, dass Schlote bevorzugt eingebaut wurden, wenn viel Torf verheizt wurde, bei dem die Belatung
durch Rauch und Qualm ungleich grösser ist als bei Verbrennen von Holz.