“Menschen gegen das Moor” – Die Emslandfahrt der Industrie- und Handelskammer Bericht 3 von 7

 

Aus: Osnabrücker Zeitung vom 2. Mai 1929

Wir bringen heute einen ausführlichen Bericht unseres Mitarbeiters über die Informationsfahrt in das Emsland, an der neben vielen Vertretern der Presse unter anderem teilgenommen hatte:

Oberpräsident Roeske, Regierungspräsident Dr. Sonnenschein, Syndikus Dr. Manz, die Landräte Böninger Bentheim Fehmann Meppen, Pantenberg Lingen von Fürstenberg Hümmling und Behnes Aschendorf, der als einer der besten Kenner des Emslandes gilt, die Senatoren Hermann Schulte, Friedrichs, Verkehrsdirektor Dr. Hugle.

Soll dieser Bericht im Wesentlichen in großen Zügen die Eindrücke dieser Fahrt vermittel,n soll er an Hand von Einzelschicksalen einen Überblick über die Lage des Emslandes geben, so wird ein Morgen erscheinender Aufsatz sich auf den aufgeworfenen Problemen und Lebensbedingungen befassen und an Hand statistisches Materials vor unseren Lesern sämtliche Fragen aufrollen.

Ein Sarg aus Stroh

Regen schlug gegen die Fensterscheiben, als die lange Autokolonne die Straße entlang fuhr, eine Karawane, die ausfuhr, um Informationen im Moor zu graben um armer vergessener Bevölkerung ein Sprachrohr zu schaffen.

Roterthausen tauchte auf, wo die Siedler Ödland kultivieren mit dem Moor kämpfen und im Schritt für Schritt Boden anringen-

Landrat Rothert aus Bersenbrück hat hier ein lebensfähiges Werk geschaffen, lebensfähig vor allem, weil die Siedler die Kraft für zähe Arbeit aufbringen, weil sie kämpfen und arbeiten im Aufbau ihrer Generation, weil sie den schöpferischen Willen haben, Leben aus toten Boden zu wecken.

Als der Kreis Lingen erreicht war, hielten wir in Wettrup.

Ein Heuerlingshaus an der Straße, eine Küche, in die der Regen sickert, fünf Kinder “Sind hier noch Butzen?”  Zwei quadratische Löcher aus der Wand, kein Licht, keine Luft, Stroh und buntes Leinen darüber  Plötzlich streckt sich eine Hand aus dem Halbdunkeln und da liegt die eine alte 80-Jährige Großmutter, sie kann nicht gehen, krank liegt sie Tag und Tag in diesem finsteren Loch, schläft dort, vegetiert und man hat nicht viel Zeit, um sich um sie zu kümmern.

Ein Grab über der Erde, ein Sarg aus Stroh.

Aber weiter, weiter über die miserable Straße, schmale Brücke – die Kreise haben kein Geld, um die Brücken in der Breite der Straße zu bauen, sie sind nur halb so breit und sämtlich aus Holz.

Herzlake wird durchfahren und plötzlich der Wagen des Landrats von Meppen indem ich fuhr, kam zum Schluss – trennt uns die Eisenbahnschranke von der Kolonne und die Lokomotive hält ausgerechnet über der Straße.

Dann beginnt das Gebiet,

    wo Remarque  wohnte

im Kreis Hümmling. Ein hochgelegenes Moor, dünn besiedelt, auf Kilometer kein Mensch zu sehen, grundsätzlich grundlose Wege  kein Verkehr. Es ist der dünn besiedelste Landkreis des Regierungsbezirks Osnabrück.

 

Feuchte Wohnung, die Tuberkulose weit verbreitet. Wir fuhren nach Ostlähden, stiegen aus, wateten durch Schlamm und Matsch in die Häuser. Stroh bedeckt, Löcher in der Wand, eine Küche, zwei Räume, 8 Kühe, Hühner, verwahrloste Häuser. E sieht tatsächlich aus wie in ferner, ferner Gegend unkultivierte Völker.

(…)

Mensch oder Moor

Seit Jahrhunderten fehlt die planmäßige Unterstützung, die Kultivierung war stets nur Bruchstück. Die Verkehrsmöglichkeiten sind so jammervoll und Deutsche wohnten hier so wie heute schon immer, ein Kulturvolk, dass seine Angehörigen so leben lässt – wie muss uns ein Holländer sehen, der über die Grenze tritt und das Nachbarvolk, das seine Kultur stets preist, so leben sieht.

Wir lernen uns mit fremden Augen sehen, Schuld von Generationen, beginnt zu lasten und wir können nichts mehr sagen, als wir in Neudersum eine Butze sehen. In der Küche, neben dem offenen qualmenden Feuer auf dem Boden (keinen Herd), Schranktüren in der Wand insgesamt etwa 1,75 mal 1 Meter, eine Schlafbutze dahinter.