Heinrich Kuhr

Heinrich Kuhr gab den Heuerleuten eine Stimme

Zeitung Kuhe

 

Am Himmelfahrtstag 1919 wurden die Heuerleute des Lingener Landes aktiv. Auf einer Protestkundgebung in Lengerich forderte Josef Deters aus Handrup eine ausreichenden politische Vertretung der Heuerleute und Knechte sowie die Verabschiedung neuer Gesetze, um die ländlichen Löhne, den Pachtschutz und die Mieten verbindlich zu regeln.

Zur Förderung dieses Begehrens gründete man den Verein christlicher Heuerleute, Kleinbauern und Pächter (VCH). Diesem Verein schloss sich der Heuerlingssohn Heinrich Kuhr aus Bramhar/Kreis Meppen an.

Kuhr hatte noch sieben Geschwister und kannte die Armut der Heuerleute aus eigener Anschauung. 1920 heiratete der kriegsversehrte Heuermannsohn die Heuermannstochter Josephine Hilbers aus Bramhar/Kreis Lingen und arbeitete bis 1926 auf der väterlichen Heuerstelle.

1923 erwarb er im Bienerfeld 11 Hektar Land, das er nebenbei nach und nach kultivierte. Schließlich zog er als Siedler nach Bienerfeld um.

Inzwischen war Heinrich Kuhr zum führenden Heuerlingsvertreter der Region Emsland/Grafschaft Bentheim aufgestiegen. Aufgrund des enormen Mitgliederzuwachses stellte die VCH Anfang 1920 den Gründer Josef Deters als hauptamtlichen Geschäftsführer ein und wählte Kuhr zum Vorsitzenden.

Sitz der Organisation wurde nun Lingen. Kuhr vertrat den Verband bei Verhandlungen mit Ministerien in Berlin. Zusammen mit einem verbündeten Heuerlingsverband aus der Osnabrücker Region konnte noch 1920 die Verabschiedung eines vorläufigen Pachtschutzgesetzes durch den preußischen Landtag erreicht werden. Es bewahrte die Heuerleute davor, von einem Tag zum anderen gekündigt zu werden. Der VCH dehnte sich über das ganze Emsland, Grafschaft Bentheim und die katholischen Teile des angrenzenden Osnabrücker Umlandes aus.

1923 hatte der Verband unter Führung Kuhrs ca. 3000 Mitglieder und war neben dem emsländischen Bauernverband (EBV) die einflussreichste Organisation des Emslandes. Bedeutende Repräsentanten des EBV besaßen einflussreiche Positionen in der emsländischen Zentrumspartei. Die Heuerleute sahen demgegenüber im Osnabrücker Sekretär der katholischen Arbeiterverbände, Josef Hagemann, den Mann ihres Vertrauens. 1919 noch ein Spitzenkandidat der Zentrumspartei, war Hagemann zu Gunsten des EBV Vertreters Theodor Pennemann aus Brual zur Reichstagswahl 1920 und auch 1924 auf einen aussichtslosen Listenplatz abgerutscht. Die aufgebrachten Heuerleute, deren Hoffnung auf eine Aufwertung Hagemanns enttäuscht worden waren, wanderten unter der Führung von Josef Deters 1924 daher in Scharen zu einer neuen Splitterpartei ab.

Im Gegensatz zu Deters engagierte sich Kuhr, bereits 1921 für die katholische Zentrumspartei in den Lingener Reichstag eingerückt, in dieser neuen Partei jedoch nicht. Aufgrund ihrer schweren Wahlniederlage kam das Zentrum Ende 1924 den Heuerleuten politisch und personell entgegen. Kuhr wurde daher von 1925 bis 1933 als Spitzenkandidat des Zentrums in den Hannoverschen Provinziallandtag entsandt und gelangte gleichzeitig in den einflussreichen Lingener Kreisausschuss, in dem er bis 1937 verblieb. Zur Förderung der Siedlungspläne konstituierte der VCH 1926 die erfolgreich arbeitende Siedlungsgenossenschaft „Emsland“. Als treibende Kraft wurde Heinrich Kuhr ihr Vorsitzender. Bis Ende 1930 konnten bereits auf fast 2500 Hektar gekauften bzw. enteigneten Ödland ehemalige Heuerleute angesiedelt werden.

Wegen der Enteignung von Land war Kuhr bei den Großbauern verrufen und galt in ihren Reihen als der „rote Heinrich“. Kuhr war ein Freund des späteren Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der seiner Fürsprache 1922 die Berufung zum Geschäftsführer eines Zusammenschlusses von Kleinlandwirteverbänden verdankte. 1932 konnte Kuhr als Vorsitzender der Siedlungsgenossenschaft „Emsland“ das Dorf Osterbrock aufbauen – Kuhrs Lebenswerk.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten brachte das abrupte Ende für die christliche Heuerleutebewegung und ihre Siedlungspläne, da die emsländischen Ödlandflächen jetzt mit Straf – und Konzentrationslagern überzogen wurden.

Doch 1945 gehörte Heinrich Kuhr zu den Männern der ersten Stunde. Die britischen Besatzungsbehörden beriefen ihn in den Lingener Kreistag und in den Bezirkslandtag für den Regierungsbezirk Osnabrück. Dort war der Heuerleutevertreter für Ernährung, Landwirtschaft und Siedlungswesen verantwortlich.

1946 betätigte sich Kuhr an den Vorbereitungen zur Gründung des Emsländischen Landvolks, dessen stellvertretender Vorsitzender er bei der Konstituierung im Februar 1946 wurde.

Altersbedingt nahm Kuhr Anfang der 1960er Jahre Abschied von der Politik.

Dieser Artikel stammt von Dr. Helmut Lensing, der ihn freundlicher Weise hier zur Verfügung gestellt hat.